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DER ISLAM
ZEITSCHRIFT
FÜR GESCHICHTE UND KULTUR
DES ISLAMISCHEN ORIENTS
HERAUSGEGEBEN VON
C. H. BECKER in BERLIN
UND
R. TSCHUDI IN HAMBURG
MIT UNTERSTÜTZUNG DER
HAMBURGISCHEN WISSEN-
SCHAFTLICHEN STIFTUNG
<8>
NEUNTER BAND
MIT 5 ZEICHNUNGEN UND 20 TAFELN
STRASSBURG 1919
VERLAG VON KARLJ. TRÜBNER
HAMBURG: C BOYSEN
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17
Inhalt des neunten Bandes.
I. Aufsätze und Berichte:
Seile
GoLDZiHER, IGNAZ, Die Gottesliebe in der islamischen Theologie i44
Hartmann, Richard, Zu Ewüja Tschelebi's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-
Gebiet ■ ' ^4
HoROViTZ, JosKF, Muhammeds Himmelfahrt . . . .■ ' 59
Rescher, O., Studien über den Inhalt von looi Nacht i
Ritter, H,, Mesopotamische Studien. I. Arabische Flußfahrzeuge auf Euphrat und
Tigris. (Mit 20 Tafeln und 5 Zeichnungen.) * 2 1
IL Kleine Mitteilungen und Anzeigen:
BA13INGER, Franz, Sinäns Todesjahr •' • ^47
Becker, C. H., Julius Wellhausen 95
— — Mitteilung der Redaktion 270
Faik Bey-Sade, Ein Rechtfertigungsschreiben des Mustafa Pascha von Ofen 100
GiESE, Friedrich, Bemerkungen zum heutigen Osmanisch-Türkischen im Anschluß
an Dr. Gotthold Weil's Grammatik ^r osmanisch-türkischen Sprache .^. . . 254
Hart MANN, R., M. Horten: Muhammedanische Glaubenslehre n?
— — H.Bauer: Islamische Ethik 263
_ O. Rescher: El-Belädorl's -»kitäb futüh cl-lnddäti«. 265
Hess, J. J., Die Bedeutung des Namens der Türken 99
Jacob, Georg, Das türkische Kukla oinu 240
Ahnied Refik: Onundschu 'asr-i-hedschride Istambol hajaty 250
_ — Großwardein, eine selbständige türkische Provinz 253
Mordtmann, J. H., Zu den türkischen Urkunden '0°
— — Zu Islam VIII, 302 f 245
Rescher, O. , Zwei arabische Parallelen zu einer Angabe in Livius Buch 21,
T^ ,„ 120
— -^ Philip Khüri Hitti, Ph. D ■ 2üS
RusKA, Julius, Zur Geschichte der arabischen Algebra und Rechenkunst 116
SEY150LD, C. F., Al-Abhari's (f 663= 1265) Isägügi und al-Fanäri's (f 834= 1.431)
Kommentar dazu: Bemerkungen zu Gothanus 11 78 und Enzyklopädie des
Islam I, 74 a
Wensinck, J. A., Arabische Traditionssammlungen. 2. Mitteilung 1 19
III. Autorenverzeichnis. 270
Studien über den Inhalt von 1001 Nacht,
Von
O, Rescher.
Inhalt:
Vorwort (Quellen und Literatur) i
Einleitung 5
Die Religion (der Islam), in looi Nacht 9
Glaube und Aberglaube 19
Der Aberglaube 25
Zauberei und Magie 31
Der Geisterglaube , 42
Der Fatalismus .........;.... $0
Das öffentliche Leben in lOOi Nacht 58
Typen aus dem öffentlichen Leben . . 72
Rassetypen 74
Juden und Christen 77
Witz und Humor in lOOi Nacht 82
(Ehe und) Frauentypen in lOOi Nacht 87
Vorwort.
Über lOOi Nacht ist von Orientalisten, Literarhistorikern und
Folkloristen im einzelnen und ganzen schon soviel abgehandelt worden,
daß es auf den ersten Blick hin scheinen möchte, daß diesem Sujet,
das im wesentlichen als erschöpft gelten könne, sich kaum noch neue
Gesichtspunkte abgewinnen lassen dürften. Trotzdem ist dem aber
nicht ganz so, insofern die Mehrzahl der Untersuchungen meist von
der gleichen, hauptsächlich literargeschichtlichcn oder sagen-
vergleichendcn Betrachtungsweise ausgeht, sei es, um die Genese
und Komposition (des ganzen Werkes ebensowohl wie der einzelnen
Erzählungen) klarzulegen, sei es, um folkloristischen Zusammen-
hängen nachzuspüren und die Entwicklung der verschiedenen Motive
bei ihren Übertragungen und Wanderungen aufzudecken. Eine zu-
sammenfassende Übersicht über die dergestalt gewonnenen Resultate
der Forschung über lOOi Nacht (im wesentlichen von Beginn bis Ende
des 19. Jahrhunderts), woran sich die hervorragendsten Orientalisten
und Literaten wie Silvestre de Sacy, Aug. Schlegel, v. Hammer-
PURGSTALL, WlLLIAM LaNE, RiCHARD BuRTON, WiLLIAM WrIGHT,
Jan de Goeje u. a. beteiligt hatten, gab bekanntlich zuletzt J. Ostrup
in seiner Kopenhagener Dissertation vom Jahre 1,891 »Studier ovet
tusind og en nat« ^).
') Eine deutsche Übersetzung ist von mir in Vorbereitung.
Islam. IX. I
2 O. Rescher,
Eine ganz andere Art der Betrachtung der looi Nacht, nämlich
eine philologisch-kritische Durchsicht des Originaltextes [speziell
der Breslaucr Ausgabe von Habicht] ward seinerzeit von dem Alt-
meister der Arabistik in Deutschland, nämlich Leberecht Fleischer
in seiner Dissertation »De Glossis Hahichtianis« (Leipzig 1836) in Angriff
genommen, wenn freilich auch nicht zu Ende geführt ^). — Mit diesen
beiden Betrachtungsweisen, der litcrargeschichtlich-f olkloristi-
schen und der textkritisch-philologischen, soll sich jedoch
meine Darstellung nicht weiter beschäftigen; vielmehr ist das Ziel, das
ich mir mit meiner Arbeit gesteckt habe, ein davon ganz unabhängiges,
nämlich: auf Grund des Inhalts der Erzählungen der lOOl Nacht ein
zusammenhängendes Bild des Lebens und Denkens des
islamischen Orients zu gewinnen. Ehe ich jedoch den eigent-
lichen Stoff meiner Arbeit vorlege, möchte ich nicht verfehlen, einige
Worte über das Ouellenmaterial vorauszuschicken. — Um es kurz
vorwegzunehmen: eine vollständige und dem heutigen Stand der
Wissenschaft entsprechende Ausgabe der lOOi Nacht gibt es leider nicht.
Wohl haben wir eine Anzahl orientalischer und okzidentaler Editionen,
doch eine jede hat — ganz abgesehen von ihrer Unvollständigkeit —
Mängel, die eine praktische Benutzung mehr oder minder erschweren.
In mancher Beziehung mag man der ältesten der vorhandenen Aus-
gaben, nämlich der HABiCHT'schen (Breslau 1824 — 1842) trotz ihrer
vielen Unzulänglichkeiten — der arabische Text (besonders der
ersten Bändchen) ist äußerst fehlerhaft und die Geschichten
sind ziemlich planlos zusammengewürfelt — gewissermaßen einen
Vorzug vor den andern Editionen einräumen, nämlich insofern diese
Fassung einen originellen, vonjeder Überarbeitung freien Text
bietet, was man gerade von den orientalischen Redaktionen (insbesondere
der Kairoer und Beiruter) nicht sagen könnte. Während der von der
Jesuitenpressc publizierte Druck einen (aus leicht begreiflichen Grün-
den) »ad usum Delphini« kastigiertcn Text aufweist, hat der Kairoer
Herausgeber kein Bedenken getragen, im Interesse eines leichteren
buchhändlerischen Absatzes beim großen Publikum die Redaktion in
einen leichtflüssigen, geglätteten Stil zu modeln, aus dem alle Uneben-
heiten und Dunkelheiten vollständig eliminiert sind. - — Erheblich
besser sind die. im wesentlichen übereinstimmenden. Kalkuttaer und
Bulakcr Drucke, die jedoch beide heute sehr selten, fast unauffindbar
geworden sind, so daß ich aus praktischen Gründen von einer Zitierung
') Vom 9. Band ab übernahm Fleischer bekanntlich die Ausgabe selbst. Eine
nochmalige'Durchsicht der gesamten zwölf Bände hoffe ich später einmal an anderer Stelle
veröffentlichen zu können.
Studien über den Inhalt von loor Nacht. ■?
derselben (mit geringen Ausnahmen) Abstand genommen habe. —
Nicht viel besser steht es mit unsern Übersetzungen. Die einzig wirk-
lich vollständige Übertragung, die Richard Burton's, ist nicht nur
sehr teuer, sondern auch vollständig vergriffen ^), die Lane's ist, wie
aus der Vorrede zu ersehen, immerhin verschiedentlich (mit Rücksicht
auf Anstößiges) leicht retuschiert. Die deutsche Wiedergabe von
Habicht selbst (Breslau 1836 ff.) ist ungenau und unzuverlässig, so
daß ich auf sie nirgends Bezug genommen habe. Weit besser ist die
(bei Reclam erschienene und ihres billigen Preises wegen auch leicht
einzusehende) Übersetzung von Max Henning, die (abgesehen von Kür-
zungen der poetischen Einlagen und Auslassungen anstößiger Stellen)
nicht nur einen vollständigen Text gibt, sondern auch reichhaltige
Ergänzungen aus andern Quellen bietet. Die Übertragung selbst
dürfte im Anschluß an Burton hergestellt sein (unter Zugrundelegung
der Bulaker Ausgabe) ebenso wie die im Inselverlag erschienene, die in
der Wiedergabe an manchen Stellen etwas treuer, weil weitherziger,
ist, wenn freilich sie auch dem BuRTON'schen Original nicht gleich-
kommt. Eine vollständige und ganz ungekürzte deutsche Übersetzung
Burton's ist als Privatdruck in Wien [C.W. Stern] erschienen, die —
abgesehen von ihrem hohen Preis — auch wohl nicht ohne weiteres
zu beschaffen sein dürfte. Vornehmlich aus praktischen Gründen und
in der Überzeugung, daß neben dem HABiCHT'schen Originaltext die
HENNiNG'sche Übersetzung im großen ganzen den wesentlichsten An-
sprüchen genügt, habe ich mich entschlossen, meine Zitate hauptsäch-
lich diesen beiden genannten Drucken zu entnehmen. Teilweise Paral-
lelen, teilweise Ergänzungen bietet die französische Übersetzung der
»Cent et uneiiuüs« von Gaud-efroy-Deuombynes (Paris-Guilmoto o.D.)_
Im übrigen möchte ich kurz auf das Verzeichnis der benutzten Literatur
und die folgenden Ausführungen hinweisen -).
Verzeichnis der hauptsächlich benutzten Werke.
I. Tausend und eine Nacht:
Zahlenangaben ohne Bezeichnung = Habicht's Text Breslau
1825 — 1843; erschien vom 9. Band ab unter Fleischer's Re-
daktion.
') Nur für Subskribenten berechnet war die Übersetzung John Payne's, die im
regulären Buchhandel wohl überhaupt nicht erhältlich sein dürfte.
-) Ein vor kurzem neu erschienenes Buch von Adolf Gelber, »Tausend und eine
Nacht«, das vom okzidentalen Literaturstandpunkte aus allerlei geistreiche Kombinationen
und Konstruktionen — dabei aber in völliger Verkennung des Geistes und der Psyche
der orientalischen Geschichten — • aufzustellen sich bemüht, dürfte seiner Tendenz nach
als verfehlt und unzutreffend abzulehnen sein.
t O. Rescher,
H. = Henning's Übersetzung (Reclam, Leipzig o. D. 24 Heftchen
in 8 Bänden mit Nachträgen aus Burton, Galland usw.)
HN. = lOi Nacht {»Cent et une nuits« von Gaudefroy-Demom-
BYNES, Paris-Guilmoto o. D.).
Bäsim (le forgeron): 2 Texte und Übersetzung von Graf Landberg
(Leyden 1888.)
Zotenberg: 'Alä' eddin ou la lampe merveillense. (Paris, impr. Natio-
nale 1888.)
IL Sonstige Werke:
Eugen Aubin: Das heutige Marokko (Dtsch. Verlag Oesterheld, Berlin).
R. Basset: Les dictons satiriques attrihues a Sidi Ahmed heu Yousoj.
(S.-A. aus J. A. Paris 1890.)
A. Bel: Tlemgen (extrait de la Revue des etudes ethnographiques et
sociologiques ■ — Geuthner, Paris 1908).
Bouvat: Les Barme cides (Leroux-Paris 19 12).
Canaan: Aberglaube und Volksmedizin im Lande der Bibel. (Hamburg
1914.)
Chauvin: Les mille et une nuits = Bibliographie des ouvrages arabes.
(Liege 1900.)
E. Doutte: Magie et religion dans V Ajrique du Nord. (Alger- Jourdan
1909.)
Grothe: Auf türkischer Erde. 2. Aufl. Berlin 1903. — Persien = Ange-
wandte Geographie. III. Serie, 11. Heft. (Frankfurt a. M. '
191 1.) — Wanderungen in Persien.
(Übers, von) Hamadäni: Beiträge zur Maqdmen- Literatur Heit S-
(Leonberg 1913 — in Kommission bei Harrassowitz, Leipzig.)
Huart: Geschichte der Araber. (Deutsch von Beck und Färber. Leipzig
1914.)
Jacob : Ein ägyptischer Jahrmarkt. {Sitzungsberichte der kgl. Bayr. Akad.
der Wissenschaften; phil.-hist. Klasse, Jahrgang 1910; 10. Ab-
handlung. München 1910.)
Ibn Gubair = Rihla. 2. Ausg. Von de Goeje.
Kahle: Das Krokodilspiel. (Göttingen 191 5," Nachrichten der Kgl.
Gesellschaft der Wissenschaften, philol.-histor. Klassjß.)
Knortz: Folkloristische Streifzüge. (Oppeln und Leipzig 1899.)
Kremer: Kulturgeschichte des Orients. Bd. II. Wien 1877. • — Salz
und Brot = Studien zur vergleichenden Kulturgeschichte. Wien
1889. (In Sitzungsberichte der kais. Akad. der Wissensch.,
philos.-histor. Klasse Bd. 120.)
Lane: Manners and customs of the modern Egypiians. (London 1860.)
Studien über den Inhalt von looi Nachtr
5
Lane-Poole: Arabian society in the middle ages. (London 1883.)
Leonhard: Paphlagonia. (Reimer, Berlin 191 5.)
Legrain: Lonqsor sans les pharaons. (Brüssel- — Paris 1914.)
Löhr: Volksleben im Lande der Bibel. (Leipzig 1896.)
Mauchamp: La sorcellerie au Maroc. (Paris- — Dorbon aine o. D.)
Meissner: Neuarabische Geschichten aus Tanger. (S.-A. aus MSOS.
Berlin 1905.)
Muir: The Mameluke or slave dynasty of Egypt. (London 1896.)
E. Naumann; Vom Goldenen Hörn zu den Quellen des Euphrat
(München — Leipzig 1893.)
Reinfried: Bräuche bei Zauber und Wunder nach Bochdri. (Karls-
ruhe 1915.)
Salzberger: Die Salomo-Sage in der semitischen Literatur. (BerÜn-
Nikolassee 1907.)
es-Sibli: vgl. meine Rezension in der WZKM. 28, S. 241 ff.
Snouck-Hurgronje: Mekka (Bd. II). (Haag 1889.)
ScH WALLY: Mohammedanische Städter, Fellachen und Beduinen im
heutigen Ägypten. (Heidelberg 19 12. C. Winter.)
H. Stumme, Trip. = Märchen und Gedichte aus der Stadt Tripolis.
(Leipzig 1898.) — Tun. = Tunisische Märchen und Gedichte.
(Leipzig 1893.) Bd. II: Übersetzung.
et-Xa*älibi, Ah. = »A/tsaJi md samiHu«. Übers. (Leipzig 1916.
O. Harrassowitz.) ; Mt. = Man gab a 'anhii Hmuirib (Stambuler
Gewä*ib-Druck 1309).
Vuiller: La Tunisie. (Tours 1896.)
G. Wetzstein: Die Liebenden von Amasia. (Bröckhaus, Leipzig
1906.)
Charles White: Drei Jahre in Konstantinopel. Deutsch von G. Fink.
(Stuttgart 1851.)
Yahouda: Bagdadische Sprichwörter. (Gießen 1906. Töpelmann.)
Einleitung.
Seit den kritischen Arbeiten und Forschungen über lOOi Nacht,
die — wie bereits erwähnt — eine zusammenfassende Bearbeituns und
Darstellung in Ostrups »Studier over tusind og en nat« gefunden haben,
dürfte es doch wohl kaum jemand mehr zweifelhaft sein, daß das Werk
in der uns heute vorliegenden Form ebensowenig ein ursprünglich
einheitliches Ganzes darstellt, als etwa die Bibel oder die homerischen
Epen. Die Kriterien, die uns zur Aufstellung dieser These berechtigen
nämlich die Ergebnisse der vergleichenden Sagen- und Legenden-
Q O. Res eher,
forschung, dieVerschiedcnheit der Tendenz und des Tenors der einzelnen
Erzählungen [neben didaktischen, ethisch-moralisierenden und erbau-
lichen Stücken finden wir Abenteurerromane, realistische, bis ins
Feinste gehende Szenen aus dem alltäglichen Leben, pikante Anek-
dötchenusw.], die besondere Stilisierung und das eigentümliche sprach-
liche Gewand ^) der Historien u. a. m. — was man im einzelnen bei
i) Es handelt sich hiebe) um einzelne Worte, die sich ineinigen Geschichten sehr häu-
fig, sonst aber nur sehr selten oder auch gar nicht finden, z. B. ^j^y> (verzaubert)
in der Dschüdargeschichte : 9/330/12, 335/15, 357/io. 361/n, 368/3 und 8, 374/2,
376/13, 377/4- [Sonst kommt das Wort in allen 12 Bänden nur noch an drei Stellen vor:
11/32/12, 11/35/9 und 8/328/14.] Das dazu gehörige Wort iAaö. findet sich überhaupt nur
(dafür aber sehr oft) in der erwähnten Geschichte. Andere Worte wieder, z. B. \j»^y^S
lassen sich nur in der Karäderzählung nachweisen (8/149/7, 8/167/1, 8/i$6/2); ebenso
i^Üu (8/20/13, 8/120/10, 8/181/8); j^\ ebenda 8/60/4, 8/146/2, 8/162 ult.; ip^b
'(palatium) 8/35/10 und 11, 8/37/7, 8/104/11, 8/121/13. Für die 'Aladdingeschichte
sind die Worte »Jiyi^^jijJ«, vgl. Zotenberg 5/13, 17/1, 19/7, 38/12 und 68/14 [sonst nur
noch einmal bei Habicht 12/218/12], sowie »yA^« (Gassenjunge) und >)jAÄ*j«
(Bummlerei) typisch; vgl. Zotenberg 1/5, i/ii, 3/16, 6/1 (bis), 7/6 usw. — Abu I^ir
»^^jJlc« (Galeone) 10/452/4, 10/456/13, 11/28/4, 11/31/10, 11/41/6; ferner »'iSuuSy
11/30/3, 11/31/12, 11/32/7, 11/35/4, 11/40/9; ferner iÜL^^^ 10/456.457.458.461, 11/8,
23, 39 [sonst nur noch 8/231/2 und dreimal in der Geschichte von Nur eddin 'Ali
(= H. 19/152 ff.): 12/53. 80. 115; außerdem i^As^\ 10/456. 458, 11/7. 40]. — Der sprin-
gende Punkt ist hierbei nicht der Gebrauch dieser oder jener Worte — die angeführten
sind ja großenteils ganz gewöhnliche Ausdrücke — , sondern ihre (fast) ausschließ-
liche Verwendung in bestimmten Erzählungen. Das gleiche gilt auch von anderen
Erscheinungen, z. B. dem Gebrauch türkischer Lehnworte wie z. B. ^S (Pelz) 9/208
ult.; »Jjyj:^ 11/8/8; (^^.iO 4/165/11, 4/158/13; ^^ä^ (köfte) 9/244. 269 (Ahmed
ed-Danaf; &^JiJ2/6o/5, 7/220/8, t^^J 9/356, (^:S^JLi>ii/7. 8(bis).39; ^^Ijv^^x 0/4 29/8,
ferner dem Gebrauch spezifisch ägyptischer Worte (wie ^j^.jS 9/205/13) oder
neuarabischer (ägypt. bzw. syrischer Vulgärformen) 9/201/4 tjj^u, 9/217/7
J.4.»y.}. 10/236/7 ^^Ju, 10/60/6 und 10/64/ 2'J^y>\^, 10/61/6 ^^S'IjJ, 10/455/10 <i)U;:^Lj,
9/315/13 IjJiyLj ^uc, 9/356/13 c^^* i3i*£, 12/44/2 (^yW, 1 1/438/8 jJoü:j,
n/153/8 eV-^iÄJ, 9/324/6, -jLSL*v.Xj, 9/325/7 j,»_g-y«^Lj. — Selbst wenn wir der In-
konsequenz und Eigenmächtigkeit der Erzähler und Abschreiber manches
preisgeben müssen, so wäre es doch nicht nur unwahrscheinlich, sondern geradezu
undenkbar, daß den erwähnten sprachlichen Eigentümlichkeiten (der auffällige
Gebrauch einzelner Worte, Benutzung türkischer Lehnworte , Vulgarismen usw.) einzelner
Erzählungen, die sich auch inhaltlich als dem späteren Mittelalter zugehörig erweisen,
nicht auch eine verschiedenartige (zeitlich und räumlich differenzierte) Genese zu-
grunde läge.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 7
ÖsTRUP nachlesen mag — scheinen hinreichend zwingend, uns die
Entstehung des ganzen Werkes als eine Kompilation zeitlich und räum-
lich differenzierter Erzählungen nahezulegen. Schon von dem rein
äußerlichen Gesichtspunkt aus betrachtet, nämlich in Hinsicht auf den
Umfang des Buches, schiene es ja kaum glaublich, dafi ein einzelner
Verfasser ein solches Riesenwerk verarbeitet, geschweige gar verfaßt
haben könnte, und daß es nicht vielmehr vieler Generationen bedurft
habe, um einen solch ungeheuren Stoff zusammenzutragen.
Trotzdem wir also aufs Nachdrücklichste die Differenzierung
der lOOi Nacht in bezug auf Genese und Komposition betonen,
so dürfen wir uns andrerseits nicht der Tatsache verschließen, daß das
Werk nach der Art und Weise seiner Ausführung, d. h. vom psycho-
logischen Standpunkt aus doch wieder gewissermaßen einen Zug zur
Einheitlichkeit aufweist. Es ist eine Art »islamischer Patina«, die
sich im Lauf der Jahrhunderte (zwar nicht über alle, aber doch) über
die meisten Geschichten abgelagert hat. Wir dürfen nämlich den Um-
stand nicht außer acht lassen, daß der Islam — vor allem in seiner
späteren Gestaltung — keine spezifisch arabische, sondern vielmehr
eine Weltreligion darstellt, die ihrer universellen Tendenz zufolge auch
das ihr Wesensfremde aufzusaugen und sich zu assimilieren bemüht.
Gerade die Unausgeglichenheif und Unbestimmtheit, d.h. Dehnbar-
keit der zum Teil doch unentwickelten Gedankengänge des Korans
hat der Fortentwicklung der islamischen Religion freieren Spielraum
verstattet und ihr so ungewollt eine gew^isse Elastizität verliehen, die
der Rezeption von Anschauungen und Ideen aus andern Kulturkreisen
und Religionsformen (vorausgesetzt, daß sie sich dem einmal gegebenen
Rahmen irgendwie einfügen ließen) keine allzu große Schwierigkeiten
machte. Das Resultat dieses Endprozesses war schließlich nun das
»islamische Milieu«, das das gemeinsame Bindeglied zwischen all den
kleinen, historisch und lokal bedingten Differenzierungen im einzelnen
darstellte und dessen Ausdruck die islamische Grundstimmung
bildete, die unser ganzes Werk, wie auf Schritt und Tritt
zu beobachten, durchzieht und ihm in psychologischer Hinsicht
den Charakter eines einheitlichen Komplexes aufdrückt. Dieser
Tendenz folgend haben eben auch die Überlieferer und Erzähler
einen großen Teil (nicht alles, wohlgcmcrkt!) dessen, was dem islami-
schen Vorstellungskreis ursprünglich wesensfremd war, nämlich das dem
Persisch- Indischen und Jüdischen entlehnte literarische Gut, teils aus
eigener Initiative teils in Rücksicht auf den Geschmack ihres Publi-
kums auf ihre Art und zu ihren Zwecken gemodelt, verarbeitet, modi-
fiziert, so daß es sich — mochte schon in den Personen- und Ortsnamen
g O. Rescher,
der fremde Untergrund noch durchschimmern ^) — mehr oder minder
dem Ideenkreis der islamischen Anschauungen anpaßte. Daneben
verliert aber auch die zeitliche Differenzierung viel von ihrer Bedeutung,
wenn wir uns die größere Stabilität der Vorstellungen und Sitten im
Orient durch all' die Jahrhunderte hindurch vor Augen halten. • — Aus
all diesen Erwägungen und Betrachtungen heraus dürfte es wohl nicht
ungerechtfertigt sein, die lOOi Nacht, ebensowohl wie das A. T. oder
die homerischen Epen, in einem besonderen Sinn unter dem
Gesichtspunkt eines einheitlichen Ganzen aufzufassen.
Freilich nicht etwa im strikten Sinn einer Einheit, wie sie etwa das
schöpferische Vermögen einer fest umrissenen persönlichen Individuali-
tät zu schaffen weiß, sondern in dem übertragenen Sinne, wie sie der
Volksgeist auf Grund der Rassen-, Religions- oder politisch-sozialen
Gemeinschaft herauszubilden vermag. Diese weiter umgrenzte Einheit
ist es nun, die uns die Berechtigung geben kann, aus der lOOl Nacht
ein zusammenhängendes Bild der Volkspsyche und des Volkslebens
zeichnen zu dürfen. Und daß das Werk auch zu einem solchen Versuch
das nötige Material liefern kann, scheint auch bei nur flüchtiger Durch-
sicht unschwer erkennbar. Denn weitgefehlt, in den Erzählungen und
Mären lediglich das Produkt mehr oder weniger phantastischer Vor-
stellungen erblicken zu sollen, müssen wir vielmehr das Werk als eine
Art ))Wahrheit und DichHmg« beurteilen, insofern unter der Hülle des
Roman- und Märchenhaften immer wieder die Züge des realen Lebens
durchschimmern. »So gewinnen die Erzählungen [H. 24/241], indem
sie uns das Tun und Treiben des orientalischen Mittelalters in allen
Gesellschaftsschichten schildern, als Kultur- und Sittenbilder einen
unvergänglichen Wert.«
Bei alledem ist natürlich leicht einzusehen, daß ein so stark von
Phantasievorstellungen durchwobenes und . mit Romanideen ausge-
schmücktes Buch, dessen Ziel und Zweck kaum je Belehrung oder Er-
bauung, sondern gemeiniglich Unterhaltung und Zerstreuung war, kein
so zusammenhängendes Tatsachenmaterial liefern kann als etwa ein
historisches oder kulturgeschichtliches Werk, und es liegt zudem
auf der Hand, daß man bei der Zusammenstellung des uns interessieren-
den Stoffes aus den verschiedenen Historien seine Ausw-ahl auf das
Neben wirklich »exotischen« Geschichten wie der Einlcitungsgeschichte von
itSchahriar und Schahzemän-, »Kal^ad undSimds'.', »Schah Ba}it toiddn- Vczir cr-Kahtuä?}«.,
den »7 uftd lo FeziraK' usw. existiert aber auch eine Reihe Erzähkingen, bei denen der
»exotische« Schauplatz nur ein äußerlich-fiktiver ist, so z. B. die Geschichte von ' Aladdin
(die nach einer Version in China spielt, obwohl alle Personen sämtlich als Muslims auf-
treten) u. a. m.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. q
Typische und Charakteristische beschränken muß, ansonsten den aus
vereinzelten Fakten deduzierten Generalisationen leicht etwas Bedenk-
liches anhaften müßte. — Auch sind für unsere Zwecke natürlich nicht
alle Erzählungsgruppen gleichwertig. Historien wie der Abenteuer-
zyklus )>Sindbads des See/ahrers« oder Erzählungen vorwiegend ten-
denziös erbaulichen oder didaktischen Inhalts, wie »Der weise
Heykar« oder »Kai' ad und Simäs«, ebenso gelehrte Produk-
tionen, w^ie »Die Sklavin Tawadduda, können für die folgende
Darstellung kaum in Frage kommen, während dagegen die
Romane, die sich um den Chalifen Harun er-Rasid gruppieren
[natürlich brauchen sie nicht notwendig auch wirklich aus seiner
Zeit zu stammen] und die zum Teil mit scharfem Realismus gezeich-
neten Skizzen und Erzählungen aus dem Nillande uns einen wirk-
lichen und anschaulichen Einblick in das lebendige Volkstum des
mittelalterlichen Ägypten, seine Anschauungen und Sitten, verstatten.
Gerade diese letzteren Geschichten bergen einen reichen Fonds von
Einzelheiten unverfälscht orientalischen Gepräges, aus denen sich un-
schwer ein zutreffendes Bild der islamischen Kultur in den damaligen
Zeiten rekonstruieren läßt.
Die Religion (der Islam) in 1001 Nacht.
Aus Chauvin (IV/9) erfahren wir, daß unter den Arabern aber-
gläubische Anschauungen über das Werk in Umlauf waren:
»Dans ses \Contcs populaires de la vallce du NW (15 — 16) Art in Pacha dit: 'II
faut encore qua j'attire ici l'attention sur la croyance gcncralement repandue qua le lecteur
des Mille et une nuits ^prouve un malheiir personnel dans le coujant de l'annee oü il a lu
ce livre. Cette croyance est entretenue et non sans succes par las lettres et
les gens religieux« usw.
Man darf doch wohl vermuten, daß sich in dieser Äußerung die
Tendenz der Gelehrten, d. h. der zünftigen Literaten, das Amoralische
als unmoralisch bewerten zu müssen, wiederspiegelt ^). Tatsächlich
ist ja auch die große Mehrzahl der Erzählungen [mit den Ausnahmen,
die ich gleich besprechen werde], und zwar gleichgültig, ob Liebes-
geschichten, Abenteurerromanc oder Milieuschilderungen aus dem
Volksleben, mehr oder minder sowohl religiös als ethisch indifferent,
und die wenigen erbaulichen Stücke werden durch die Laszivitäten
Tatsächlich stehen die Geschichten der lOOi Nacht bei den gebildeten Kreisen
des Muslims in kaum höherer Einschaltung als — mutatis mutandis — bei uns etwa die
Indianergeschichten. An ihren ehemaligen literarischen .Charakter in besserem Sinne
denkt niemand mehr, und es beschäftigt sich auch niemand mit ihnen. Welch' besserer
Beweis als die — von mir bereits andern Orts erwähnte — große Seltenheit handschrift-
licher Exemplare.
10 O. Rescher,
und Frivolitäten reichlich wieder wettgemacht. — Trotzdem wäre es
andrerseits irrtümlich zu glauben, daß das religiöse Moment in den
Historien der lOOi Nacht völlig ausgeschaltet wäre; das wäre ja völlig
im Widerspruch mit der Psychologie des Orientalen. Aber wenn wir
auch zunächst von den Erzählungsgruppen absehen, in denen der
Islam in tendenziöser und propagandistischer Weise verherrlicht wird
[wie z. B. dem Heldenroman von Gharib und ''Agib, ^Omar en-No^mdii
und den der Kreuzfahrerzeit entstammenden Romanen], so bildet
doch auch in den übrigen Geschichten der Islam als die Religion -/.otT
i^o'/r^v die selbstverständliche und unantastbare Grundlage, auf die
sich das ganze private und öffentliche Leben aufbaut. Freilich ist der
Islam, den wir im Rahmen der lOOi Nacht kennen lernen, kein schlecht-
hin arabischer mehr, so wenig wie die Gesellschaft, der die Gestalten
der Erzählungen entnommen sind, als eine schlechthin arabische gelten
dürfte. Mag man beide a potior! als arabisch bezeichnen, jedenfalls
hatte sich mit der Entwicklung des arabischen Reiches zum Welt-
imperium und mit der — wenigstens angestrebten ■ — Entwicklung
des Islam zur Weltreligion durch die völlige Veränderung der kultu-
rellen Bedingungen [— das höfische Leben, den Luxus der Großen,
die massenhaft einströmenden Fremdelemente, die sich intellektuell
und wirtschaftlich geltend zu machen wußten usw. — ] eine nicht un-
wesentliche Metamorphose der Lebensgestaltung [Entwicklung des
Großstadtlebens!] und der Religion vollzogen. Daneben allerdings
— das soll ausdrücklich betont werden — hatte sich (analog wie
auch im Christentum) aus der Zeit des alten Heidentums noch man-
ches erhalten, das sich teils unter veränderter Form in den Islam
herüberzuretten, sich ihm zu amalgamieren, teils auch wieder — der
Macht der Gewohnheit zufolge ■ — sich wider die Bestimmungen Mo-
hammeds durchzusetzen und zu behaupten. wußte. — Auf diese Art
entstand allmählich - — ebensowohl am Hof des Chalifen wie in den
breiteren Massen — eine Art von laxem Kompromiß- Islam, der
sich gar häufig nach all' den größeren und kleineren menschlichen
Schwächen und Wünschen modeln und modifizieren lassen mußte.
So wurde das Verbot des Weingenusses fast immerund überall über-
treten '), ja in den späteren Zeiten griff man — besonders in den
niederen Volksschichten — zu noch viel gefährlicheren Betäubungs-
mitteln, nämlich dem Haschisch 2) und Opium. Dem Bagdader
>) Erwähnung von Wcinbudikcn (Tavernen) 9/246/1 = H. 12/93 C^^' Zihaq),
H. 12/88 = 912-^2,1 12 ff. usw.
^) Verschiedene Haschischsorten vid. Bas im Üb. 33.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. II
Sprichwort zufolge: )>Wein ohne Musik macht den Kopf dick« [oL^ciJ«
^j^\ öjJ iIjj ^U-w ^lJ]0 (H. 6/194 — C. 11/83/4)^) pflegte man
den Wein, besonders wenn es sich um richtige Symposia handelte,
nicht ohne Musik- und Tanzveranstaltungen zu sich zu nehmen,
obwohl beides durch den Islam strikter Observanz natürlich streng
verpönt war. Infolge des Luxus kam am Hofe und bei den Reichen
ganz allgemein der Gebrauch goldenen Hausrats, d.h. gold-
gefertigter Gefäße und Geschirre 3), auf, obwohl auch dem ein unzwei-
deutiges Verbot durch einen Hadit des Propheten entgegenstand. —
Von den noch aus dem Heidentum stammenden [übrigens auch da
vielleicht nicht einmal original arabischen, sondern auf altorientalischen
Einfluß zurückgehenden] Bräuchen erhielt sich — und zwar bis auf
die Gegenwart herein — die Totenklage mit all' ihren übertreibenden
Auswüchsen, obschon die Theologen gegen letztere, als im Widerspruch
mit der im Wesen des Islam begründeten Ergebung in den göttlichen
Willen, ständig eiferten. — Auch im öffentlichen Leben kam im Laufe
der Zeit die Praxis immer mehr in Konflikt mit der Theorie. Der
immer mehr sich befestigende Absolutismus der Chalifen und späteren
(Provinz) Sultane hatte das Prinzip der Unverletzlichkeit des
Muslims in seinem Hause mehr oder weniger antiquiert. Was wiederum
die religiösen und ethischen Anschauungen anlangt, so bildete
sich allmählich, vielleicht auch unter christlicher Beeinflussung, der
auch heute noch florierende Heiligenkult — (eine Abart davon ist
der Persönlichkeitskultus Mohammeds selbst) — heraus, der
dem alten Islam zum mindesten vollkommen fremd war, wenn nicht
direkt zuwiderlief. Die ethischen Anschauungen hinwieder erfuhren
starke Wandlungen (vor allem wohl durch die wahllose Mischung der
späteren arabischen Gesellschaft, die einen diametralen Gegensatz zu
dem aristokratischen Prinzip der altarabischen Stammes- und Familien-
distinktion bildete), die zweifellos in der ethnischen Deteriorierung des
islamischen Volkstums im Mittelalter begründet, letzten Endes doch
vielleicht mit der Frauenfrage im weiteren Sinn [Entselbständigung
der Frau, Heranziehung von Konkubinen aus niedriger stehenden
(hamitischen und negroiden) Völkerschaften usw.] im Zusammenhang
stehen dürften. Auch die später immer mehr um sich greifende u n
Entsprechend II. 2/135 '-= 3/132/10: »-^5 j.$' La y_Jp bb Oyii.il«.
^) Die Stelle lautet bei Habicht etwas anders (7/192 ult. — 193/0-
3) H. 18/17/9 = 4/149/3, 2/325/12; H. 2/130 = 3/123/11; H. 16/156; vgl. Kremkr
2/43/8 u.; ibid. 2/241/15.
j2 O. Kescher,
natürliche Liebe dürfte vielleicht damit zusammenhängen ') ; ein
Analogen bietet ja auch das zum Teil ähnliche gesellschaftliche Ver-
hältnisse aufweisende griechische Altertum.
Nach diesem allgemeinen Resume, das zur Verdeutlichung des
oben gebrauchten Ausdruckes »Kompromiß- Islam« dienen soll, dürfte
es vielleicht angezeigt sein, etwas auf das Detail der Erzählungen von
lOOi Nacht selbst einzugehen -).
So lesen wir in der Geschichte von Nur eddin 'AH (12/96/4 =
11. 19/174):
»Bei mir« — sagte der Scheich — »ist eine Sklavin, die behauptet, von den Sklavinnen
Harun er-Raschid's zu sein; sie hat bei mir gegessen und möchte nun in meinem Hause
Wein trinken. Ich aber ging nicht darauf ein, und da meinte sie zu mir, daß sie, wenn
sie keinen Wein trinke, stürbe. Deshalb bin ich in großer Verlegenheit und Ratlosigkeit.«
Da entgegnete ihm der Jude, sein Nachbar: »Wisse, daß die Sklavinnen des Fürsten der
Gläubigen ans Weintrinken gewöhnt sind, und wenn sie essen, ohne zu trinken, so sterben
sie. Ich fürchte nun, daß ihr etwas zustoßen könne und Du so Risiko läufst, den Zorn
des Chalifen über Dich heraufzubeschwören; usw.«
Daß man es am Hof des Chalifen mit dem Weintrinken hielt, ohne
sich über das religiöse Gebot (oder Verbot) sonderlich Skrupel zu
machen, ersieht man aus den vielen Szenen, in denen der Fürst der
Der persische Einfluß, den Kremer (2/129) neben der Geschlechtertrennung
für die Sittenzersetzung verantwortlich machen möchte, kann wohl für den Osten der
arabischen Welt nicht in Abrede gestellt werden; aber für den äußersten Maghreb, wo von
irgendwelchem persischen Einfluß nicht gut die Rede sein kann, und wo die Verhältnisse
fast noch schlimmer als im Osten liegen [Mauchamp 166), kann diese Ursache gar nicht
in Frage kommen. — Im übrigen vgl. sachlich (ich zitiere bloß die Stellen): HN- 20 u.,
11/123/2 = H. 18/148/9, ii/iio u. {Geschichte des Drogisten und des Sängers)
[alles indisch], 9/254 u. {'Ali Zthak, H. 12/99), Bäsim Üb. 23 u. (= Text 17/8), 7/51 u.,
7/54/2, 7/62/3 {^Alä' eddin abü 's-Sämät), wohl auch 9/205/7 = H. 12/67 Mitte; ein
witziges Gedicht gegen diese Unsitte (8/31O, wo zu lesen [Basit]: p^j! X»>L50
»'bo! ;Lj0^i ^5). Vgl. auch Snouck-Hurgronje II/ii u., II/55 ob., II/69 Mitte.
-) Obwohl es nach dem bereits in der Einleitung Gesagten fast überflüssig erscheinen
könnte, möchte ich doch noch einmal besonders darauf hinweisen, daß es sich bei all' dem
Folgenden um keinerlei historische, sondern nur um psychologische Fakta handeln
soll. Selbst wo Parallelen aus Aghdni oder andern Werken vorliegen sollten und sich in
einzehien Fällen doch wirkliche Tatsachen nachweisen lassen könnten, lege ich doch für
den ganzen Komplex meiner Darstellung keinerlei Gewicht auf etwaige Differenzierungen
dieser Art, weil ich eben hier keine geschichtlichen, sondern nur sozial-psychologische
Zusammenhänge verfolge. Dagegen habe ich mich bemüht, durch ständige Hinweise auf
Werke exakter Forschung [Lane, Kremer, Snouck-Hurgronje, Doutte usw.] den Zu-
sammenhang der Fiktion einerseits und der Wirklichkeit andrerseits dauernd im Auge zu
behalten.' — Im übrigen kann natürlich jeweils nur eine Auswahl von einigen (mehr oder
weniger charakteristischen) Stellen in Frage kommen, insbesondere wo es sich um typische
Erscheinungen des islamischen Volkstums handelt.
Studien aber den Inhalt von looi Nacht. I3
Gläubigen selbst in der Zecherrundc erscheint; so z. B. in der Gc.
schichte der »Sems ennahdr « (H. 5/1 12 = 3/64/9), wo es heißt:
»Da traf es sich, daß der Fürst der Gläubigen nach seiner Gewohnheit beim Weine
saß, «
oder in der Erzählung vom »Enmchten Schläfer«, wo der Chalife
mit abü 'l-Iiasan zusammensitzt (4/145/4 = H. 18/11):
»Da reichte er (abu '1-Hasan) dem Chalifen den Becher und sagte: Trink ihn zum
Wohl! .... Und sie hörten nicht auf, zu zechen und zu plaudern bis in die späte Mitter-
nacht hinein.«
Nur selten hören wir, daß sich gelegentlich Bedenken wegen
des koranischen Verbots geltend machen, wie z. B. in der Historie
vom falschen Chalifen (H. 6/193 — 7/192/12):
»Der Becher ging in der Runde, bis er an den Chalifen Härün er-Rasid gelangte, der
ihn aber zurückwies. Da meinte der Pseudochalife zu Dscha'far: „Warum will Dein Kame-
rad nicht trinken?", worauf ihm dieser entgegnete: „Seit längerer Zeit schon hat er keinen
Wein (mehr) getrunken"«') usw.
Auch von el-Ma'mün haben wir eine kleine Episode in lOOi
Nacht überliefert (H. 7/49 = Chauvin V/279) 2), in der er einem Ge-
lehrten, der ihm die Teilnahme an einem Weingelage abschlägt, nicht
nur seine Anerkennung ausspricht, sondern ihm auch noch eine fürst-
liche Belohnung zukommen läßt.
Wenn es auch einzelne, auf dem Boden der Orthodoxie stehende
sittenstrenge Chalifen gab (wie el-Muhtadi —vgl. Huart I/306 — oder
'Omar IL — vgl. Kremer 2/204), die Wein und Musik aus ihrer Nähe
verbannten, so bildete dies im allgemeinen doch nicht die Regel, und
wenn man im großen ganzen natürlich auch den Schein der Öffentlich-
keit gegenüber wahren mußte, so drückte man dafür, wenn man sich
von Beobachtung frei wußte, gern einmal ein Auge zu 3). — In den
I) Ähnlich in der Geschichte von //arf/n und den drei Mädchen (H. 1/83 ult.); doch
ist der Text 1/178 anders.
-) Die Erzählung fehlt bei Habicht.
3) L.\NE 94: »Many of the Muslims however in the present day drink wineetc. in secret;
and some thinking it no sin to indulge thus in moderation, scruple not to do so openly ; but
among the Egyptians there are few who transgress in this flagrant manner.« — Auch hatte
man sich allerlei — halb scherzhafte, halb jesuitische — Entschuldigungen zur Beschöni-
gung des Weingenusses und Umgehung der Sünde ausgedacht {Nur eddhi 'Alt): H. 19/173
= 12/93 ult-, wo die nach Wein lüsterne Sitt el-miläh den Scheich fragt: »Sind Honig und
Trauben erlaubt oder verboten?« Auf seine Antwort: Erlaubt, repliziert sie ihm: »Nun,
Wein besteht doch aus Traubensaft und Honig.« Oder H. 2/129 = 3/122 {Ems el-gelh).
Nach dem Essen brachte ihnen [Nur eddin und seinem Mädchen] der Scheich Ibrahim
kaltes, gesüßtes Wasser. „Das ist nicht das Getränk, das ich möchte", sagte ihm da Nur
eddin. „Meinst Du etwa Wein, mein Sohn?", entgegnete der Scheich. Als Nur eddin
bejahte, meinte der Scheich: „Gott behüte, mein Sohn! Seit 13 Jahren habe ich dergleichen
nicht mehr getan. Hat doch der Prophet — Gott segne ihnl — den, der ihn trinkt, aus-
lA O. Kescher,
unteren \^olksschichten machte man dagegen, wie bereits erwähnt,
auch von andern berauschenden Mitteln Gebrauch, der )>hü::a«^)
(vgl. 9/267 ull. und 268/4 = H. 12/108 ein, wie es scheint, bei den
Schwarzen -) beliebtes Getränk), dem »mizr« (1/126/ 12 = H. 1/67,
1/128/8, 1/268/11 — Kremer 2/204) und dann von den Narkotika,
Haschisch und Opium. Zahlreich sind die meist aus Ägypten stam-
menden kleinen Skizzen und Burlesken, die speziell die »Haschisch-
esser« zum Gegenstand haben [[vgl. Chauvin Nr. 278 ff., die kleine
Erzählung (in dem großen Ritterroman von ^Omar en-No^mdn) H.
4/172 — 174 und vor allem die Komödie H. 23/145 [eine ähnliche Ge-
schichte bei Kern, i} Ägyptische Humoristai«, in MSOS. IX, Abt. H,
S. 34 Mitte], in der ein vom Beng- [d. h. Haschisch] Rausch benommener
Fischer auf der von Mondstrahlen übergossenen Straße, die er für ein
glitzerndes Gewässer hält, zum Fischfang auszieht, um schließlich
einen — Straßenköter zu angeln 3)]].
Nicht minder war und blieb die Freude an der Musik — trotz
aller Streitschriften der Theologen und Moralisten (z. B. Ibn abi
'd-Dunjä's: »Kitdb dämm el-malähi) — bei Hoch und Nieder lebendig
und in den Ländern des Islams überall und zu allen Zeiten verbreitet 4).
preßt oder trägt, verflucht." Ihm erwiderte Nur eddin: ,,So hör' doch von mir zwei Worte!"
Der Scheich sagte darauf: ,, Sprich!" Da begann Nur eddin: ,,Wenn der Esel hier ver-
flucht wird, trifft Dich dann von seiner Verfluchung etwas mit?" ,,Nein", erwiderte der
Scheich. ,,Nun gut", fuhr Nur eddin fort, ,,nimm diesen Dinar, diese zwei Dirhem's,
besteig' den Esel und mach' in einiger Entfernung [vom Laden] Halt! Und flndst Du
einen, der solchen zu kaufen sich anschickt, so ruf ihn und sag' zu ihm: ,,Nimm diese zwei
Dirhem's [Trinkgeld]; kauf 'mir für einen Dinar Wein und lad' ihn auf den Esel." So hast
Du ihn weder getragen noch hergestellt noch ihn gekauft, so daß Dich die Verfluchung
auch nicht treffen kann." — Ähnlichen (scherzhaft-beschönigenden) Sophistereien begegnen
wir bei den Dichtern, die den gekochten Wein besingen und anpreisen, weil er bereits des
»Feuers Glut« auf sich genommen und so den Trinkenden frei ausgehen läßt (El-Maträni.
Ta'älibi Ah. ^7 ^ Mt. 284; Ibn el-Mo'tazz: Ält. 284).
') Lane 335 und 94: »'Boozeh' or 'boozah' an intoxicating liquor made with barley
bread, crumbled, mixed with water, strained and left to ferment, is commonly drunk by
the boatmen of the Nile and by other persons of thc lower orders.«
^) Snouck-Hurgronje II/13.
3) Weiteres in dem Abschnitt über »Humor und Witz« in looi Nacht.
4) AuBiN 308: Die Musik erscheint wirKÜch als der unentbehrliche Schmuck des
Lebens. Ohne Musiker und Sänger kein Fest in der Familie, keine Nsaha nn der Gesell-
schaft. — Ähnlicli Lanf. 353: »The Egyptians in general are excessively fond of music;
and yet they regard the study of this fascinating art(like dancing) as unworthy any portion
of the time of a man of sense; and as exercising too powcrful an effect upon the passions,
and leading a man into gaiety and dissipation and vice. Hence it was condenined by the
Prophet; but it is used notwithstanding even in religious ceremonies« usw., und Bel 48:
»Le musulman tlemcenien est tres amateur de chant et de musiquc. En dehors des fetes
publiques ou privees, des mariages et des reunions d'amis, auxquelles sont convies des
Studien über den Inhalt von looi Nacht. I5
Ganz besonderes Ansehen aber genoß die Musik zur Blütezeit des
Chalifats in Bagdad, wo ihr am Hofe das lebhafteste Interesse ent-
gegengebracht wurde. Von Harun er-Rasid ist es zur Genüge bekannt,
daß er für Musik und Gesang Unsummen opferte. Guten Sängerinnen
gegenüber kannte seine Freigebigkeit ^ oder, wenn wir es anders be-
trachten wollen, Verschwendungssucht — keine Grenzen, und wenn
wir den Berichten des )>kUdb el-Aghäm« trauen dürfen (XVI/136 ^
BouvAT 521)), muß die Musikliebhaberei die Einkünfte ganzer Provinzen
verschlungen haben, was allerdings nur insofern möglich war, als Staats-
schatz und 'Privatschatulle für den Fürsten der Gläubigen eins waren.
Des gleichen Ansehens wie Ibrahim el-Mausili bei Harun erfreute sich
sein Sohn Ishäqbeiel-Ma'mün, und von beiden haben uns die lOOi Nacht-
historien [zum Teil natürlich aus andern Quellen als dem »kitdh el-Aghäm«
geschöpft] unterschiedliche Geschichtchen und Anekdoten aufbewahrt,
wie z. B. die Erzählung (H. 8/88 ff. = 8/259 und Chauvin Nr. 225 ff.).
An einer Stelle (H. 19/102 ^ 11/406/11: Tuhfat el-kulüb und Hdrün
er-Raschid) lesen wir, »daß der Fürst der Gläubigen den Ishaq
b. Ibrahim so gern gehabt habe, daß er ihm ein besonderes Schloß
habe zur Verfügung stellen lassen, wo er die Sklavinnen in Musik und
Gesang unterrichten ließ, um sie dann nach ihrer Ausbildung dem
Chahfen vorzuführen«, und Ishäq hatte dafür die Verpflichtung
(H. 19/109 = 11/419/13), die Mädchen, deren Gesang ihm gefiel, vor
dem Fürsten der Gläubigen vorsingen zu lassen. An einer andern Stelle
(in der gleichen Erzählung, vgl. H. 19/111 = 1 1/425/2) berühmt sich
Harun sogar, mehr von der Musikkunst zu verstehen als irgendein
anderer, und nicht selten sind die Episoden, in denen Harun, von dem
Gesang einer Sängerin angezogen, plötzlich inkognito oder auch in
absichtlicher Verkleidung seinen Besuch in fremden Häusern abstattet.
So z. B. H. 6/102 = 7/78/14 ff., H. 6/103 = 7/80/2 {'AW eddm ahü
^sSdmdt); H. 1/82 u. = 1/174/3 {Der Lastträger tmd die drei Mädchen);
H. 2/141 = 3/144/1 {Enis el-gelis), wo der (als Fischer verkleidete)
Chalife zur Nur eddin sagt:
»Du hast Dich gegen mich nobel gezeigt, doch — um Deine Wohltat voll zu machen,
erbitte ich von Dir ein Lied von dem Mädchen, das sie uns vorsingen mag, damit ich sie
höre.«
Doch mag es an diesen (leicht zu vermehrenden) wenigen Bei-
spielen genügen; außer Frage steht jedenfalls, daß man der Musikkunst
musiciens et des chanteurs, les cafcs maures, en etc surtout, sont transformes le soir en
veritables cafe-concerts« usw.
I) »Harun, dont les attentions pour Danänir exciterentla Jalousie de Zobaida venait
souvent chezYahyä pour l'entendre. II luidonna une fois un collier valant 30 ooodinär's. »
Vgl. auch die Episoden: Kremer 2/65 und 2/67.
lg O. Rescher,
und -liebhabcrei in den islamischen Ländern bei Hoch und Nieder
gleich lebhafte Pflege angedeihen ließ und daß den über diese Betäti-
gung absprechend urteilenden religiösen Bestimmungen nie sonderlich
Beachtung geschenkt wurde. Dafür sprechen nicht nur die Erzählungen
aus looi Nacht, sondern auch gleicherweise die Bemerkungen der
Schriftsteller, die wir in den Noten bereits zitiert haben [Lane, Aubin
Bel usw.] i).
Gegenüber der großen Reihe von Geschichten, die — wie oben auf-
gezeigt — zum mindesten als religiös indifferent zu werten sind, findet
sich aber auch eine ganze Anzahl Erzählungen, in denen das religiöse
Moment stärker betont erscheint, ja sogar in direkt tendenziöser
Weise zum Ausdruck gebracht wird. Wenn nun auch die
Gleichartigkeit der Tendenz diesen in Frage stehenden Romanen und
Novellen den Stempel einer gewissen Ähnlichkeit in psychologischer
Beziehung aufdrückt, so ist doch andrerseits die besondere Färbung der
einzelnen Stücke, die wieder in der historischen Genese ihre Motivierung
hat, ganz unverkennbar. Zuerst haben wir da den großen — der
I) Auf einiges andere, hier vorläufig nur Angedeutete, soll in einem andern Zusammen-
hang noch einmal des näheren eingegangen werden (Luxus, Totenklage, Absolutis-
mus, Heiligenkult usw.). Doch soll hier noch auf eine, immer noch nicht einwandfrei
geklärte Frage Bezug genommen werden, nämHch die Bilderfrage. Ohne z.u dem Pro-
blem »verboten oder erlaubt« hier weiter Stellung zu nehmen [eine erschöpfende Dar-
stellungerscheint von Herrn 'All 'Enäni inMSOS. 1019], möchte ich nur die betreffenden
Stellen zitieren; natürlich ist ein ganzer Teil der Zitate aus Geschichten nicht - islami-
scher Proveni enz. Vgl. ferner auch außer Chauvin's »Defense des images« noch Kremer
2/302 Anm. 4; Snouck-Hl-rüronje II/219; Doutte 16; Lane (chapter III: »Ritual atid
moral lazvs<^ p. 95 Anm. 4; Lane-Poole 15 u. — H. 7/59 = 'Iz^h (ües nach Cäiro jy*^^.
,«>wIiJl!): »Zumurrud fertigte einen seidenen, gestickten Vorhang an, den sie mit Figuren
von Vögeln und allen nur denkbaren wilden Tieren verzierte. H. 1/181 u. = 2/48/3
Nur eddin und Semseddin: Ein goldgewirktes Gewarid mit Figuren von Vögeln und
wilden Tieren; H. 4/64 und H. 4/82/4 {' Aziz und' Aztze — fehlt bei Habicht): Ein Stück
Linnen mit Gazellenst ickcrei ; H. 22/106/13 (= Nöldeke »Doktor nndGarkoch« 40/1):
Vorhang mit Abbildung zweier Löwen; desgl. 2/326/2. Ferner H. 10/133 und 134 = 6/392/6
{Messingne Sladl) und H. 7/23 Mitte (Abbildungen von Vögeln und Tieren) fehlt in
Habicht's Text 7/231; H. 12/165.166 = 5/191: Bild der Taube, des Taubers und
des Vogelstellers {Hajäl ennuftis und ArdeSir); H. 16/129 ob. {Ibrahim und Gemile) =
Chauvin Nr. 218: Ein Fraucnl)ii(Iuis ; desgl. H. 13/80 = 7/221/9 {Seif el-muhik);
H. 10/174 = 12/300 {Der Goldschmied, der sich in ein Bild verliebte). Vgl. auch Stumme,
Tun. 80 paen.; H. 21/181 (Skulpturen und Malereien); H. 24/63 {Die Liebenden aus Syrien):
Anfertigung einer Statue; H. 20/120 {Zain el-asndm): Geschichte der 9 Statuen; H. 2/174 =
5/9/10 {Ghänem): Menschenähnliche Holzfigur; H. 16/34=8/168/9 {Kal'dd und Stmds):
Bild eines Knaben. — Bildnisse auf Goldstücken H. 21/63 C^^' Bdbä); HN. 187 =
S/219/2 ='H. 8/51 ult. {Chosrauund Schirin). Vgl. auch noch das 4/17?/" genannte
Studien über den Inhalt von looi Nacht. I7
'Antargesc.hichte nachgeahmten — Heldenroman von Gharib und
'■Agih, dessen äußere Einkleidung im wesentlichen das Beduinenmilieu
darstellt. Die vielen, in der Erzählung enthaltenen Konversionen
[H. II/I47, ii/119, 11/120, 11/87, 11/77, 11/72, 11/215, 11/183] dürften
jedoch wahrscheinlich die Zutat einer späteren Zeit sein, in der solche
Episoden vom Volksgeschmack besonders goutiert wurden, wie es für
das Ägypten der Kreuzfahrerzeit typisch ist. — In der Tat haben all'
die Bekehrungsgeschichten neben dem religiösen Pathos auch
noch einen unverkennbar nationalistischen Einschlag. In den älteren
Romanen richtet sich die Spitze vor allem, ja beinahe ausschließlich,
gegen die Magier (Zoroastrier), gegen die ein richtiger Religions- und
Rassenhaß bestand, wie z. B. aus den Geschichten von Hasan el-Basri,
As'adund Amgad u.a. ersichtlich ist i). [Bekehrung des Magiers
Bahräm H. 6/47 = 3/318/13]. Eine noch viel wichtigere Rolle aber
spielten diese Konversionstendenzen in den späteren Erzählungen
ägyptischer Provenienz. Ich möchte hierfür nur auf die Geschichten
von Nür-eddin und Mirjam, der Gürtelmacherin, verweisen, die vor dem
Chalifen so schön ihr moslemisches Glaubensbekenntnis ablegt (H. 15/91
= 10/415) und die des Oberägypters und seines fränkischen Weihes
(10/427 = H. 15/98); weitere Stücke sind [vgl. Chauvin Nr. 137 ff.] die
Geschichte vom »bekehrten Prior« (8/278 ff. = H. 8/96 ff.), 'Ali Ziba^
(mit der Bekehrung der Jüdin Qamarije bint 'Adra: H. 12/13 1 =
9/302/7), Mesrür und Zain el-mawdsif (H. 14/186 = 10/201), Soleimdn
ben 'Abdelmelik ^Bekehrung der Prinzessin Oamar el-Azraq: HN. 142);
vgl. ferner die Volkslegende von dem Scheich Jüsuf abü H-HaggAg
(Bekehrung der christlichen »Pharaonen «tochter Tharzah vgl. Le'grain
65. 72). Ebenso hoch wie die Bekehrung zum Islam wurde auch di^e
ihm in widrigen Umständen gehaltene Treue gewertet (vgl. 'Ali Sdr
und Zumurrud [H. 7/65 = 7/283/1 1]'-
Der Nazarener sagt zu ihr [Z.]: »Bei der Wahrheit des Messias und der heihgen Jung-
frau, gehorchst Du mir nicht und bekehrst Du Dich nicht zu meiner Religion, dann werde ich
Dich auf alle denkbare Art zu martern wissen.« Da entgegnete ihm Zumurrud: »Schneidest
Du auch mein Fleisch in Stücke, so werde ich doch nicht von der Religion des Islam lassen.«
Ebenso standhaft zeigt sich auch Mirjam die Gürtelverfertigerin,
die an ihrem neuen Glauben zähe festhält und ihren Bruder Bertaut,
nachdem sie seine Aufforderung zum Abfall vom Islam mit den über-
zeugten Worten: »Nie und nimmer! kehrt je wieder, was verstrichen,
oder wird wieder lebendig, wer einmal gestorben? Bei Gott! Nicht
will ich ablassen von der Religion Mohammeds, des Sohnes des 'Abd-
Die EinzeUieiten werde ich später in einem andern Zusammenhang, geben.
Islam IX. ^
lg O. Rescher,
alläh, WO sie doch die Religion der Rechtleitung ist, und selbst wenn ich
des Todes Becher zu trinken bekäme«, energisch zurückgewiesen, nach
einem erbitterten Turnier mit einem Schwertstreich vom Pferde haut
[10/403/11 ff. = H. 15/84]; und yasan el-Basri, der sich lieber halb
zu Tode peitschen läßt, als auf die Versprechung des Magiers, gegen
Übertritt zum Feuerdienst ihm sein halbes Besitztum und die Hand
seiner Tochter zu überlassen, einzugehen [H. 13/141 = 5/282/10]; auch
die Episode in Ghanb wid \4gih [H. 11/146 = 9/108— 109] wäre hier
noch zu nennen. Eigentümlicherweise wurde dagegen auf die Be-
kehrung von Juden augenscheinlich kein Wert gelegt, wobei es nicht
recht ersichtlich ist, ob die wahrscheinliche Aussichtslosigkeit even-
tueller Versuche oder die Geringschätzung und Verachtung der Muslims
den Grund zu dieser Tatsache abgab; vielleicht könnte man aus einer
Stelle [H. 14/117 = 4/327] ^) eher letzteres schließen.
Der Fischer Chalife sagte zu dem Juden: »Ich will von Dir [als Preis für meinen Fisch]
nur zwei Worte.« Da erblaßte des Juden Farbe und er meinte: »Du willst mich wohl meine
Religion verleugnen lassen? Scher' Dich weg von mirl« Chalife aber entgegnete ihm:
»Bei Gott, o Jude! wolltest Du auch Moslem werden, so würde es weder den Moslem nützen
noch den Juden schaden; bleibst Du aber bei Deinem Unglauben, so schadet es weder den
Moslems noch nützt es den Juden.« usw.^).
Recht skrupellose Form zeigen einige Episoden in diesen Kon-
versionsgeschichten, besonders die Bekehrung der Oamarija, Tochter
des Juden 'Adra, die — sozusagen eine ins Maßlose verzerrte Jessica —
nicht nur ihres Vaters Schätze, sondern sogar seinen eigenen Kopf
dem 'Ali Zibak als Brautgabe bringt (H. 12/13 1 = 9/302). Kaum
weniger kraß ist die Episode von der Husn Mirjam (in M/a' eddin abü
^S Sämdt), die ihren Vater dem Helden der Geschichte selbst in die
') Etwas kürzer ist die Fassung bei Habicht: »Bei Gott, oh Jude! mir verschlägt es
und nützt es nichts, ob Du nun Moslem wirst oder Nazarener.« Vgl. übrigens die Stelle
im »Kaufmann von Venedig« (3. Akt, 5. Szene): »Jessica : Ich werde durch meinen Mann
selig werden, er hat mich zu einer Christin gemacht. Lanzelot: Wahrhaftig, da ist er
sehr zu tadeln. Es gab unser vorher schon Christen genug, grade soviel, als nebeneinander
gut bestehen konnten Jessica (zu Lorcnzo) Lanzelot und ich, wir sind ganz
entzweit. Er sagt mir grad heraus, im Himmel sei keine Gnade für mich, weil ich eines
Juden Tochter bin und er behauptet, daß Ihr kein gutes Mitglied des gemeinen Wesens
seid, weil Ihr Juden zum Christentum bekehrt «
2) Interessant ist die Bemerkung Lane's (280): »With the religious zeal of the Mus-
lims I am daily Struck; yet 1 have often wondered that they so seldom attempt to make
converts to their faith. Ca my expressing my surprise . . . at their indifference with respect
tp the propagation of their religion contrasting it with the conduct of their ancestors of the
early ages of el-Islam, I have generally been answered: »Of what use would it be if I could
convert a thousand infidels? Would it increase the number of the faithful? By no means:
The number of the faithful is decreed by God antl no act of mon can increase or diminish it.«
Studien über den Inhalt von looi Nacht. I9
Hände spielt, der ihn dann ob seiner Weigerung, die christliche Religion
zu verleugnen, erdolcht (H. 6/149 = 7l^4^)-
»Als der König (aus seiner Betäubung) erwachte, fand er *Alä' eddin und seine Tochter
auf seiner Brust knieend. Da sagte er: Warum, meine Tochter, hast Du so an mir gehandelt?
Sie entgegnete: Ich war Deine Tochter, doch bin ich zum Islam übergetreten, denn die
Wahrheit ward klar und ich folgte ihr, und dem Trug [dem Eitlen] entsagte ich; so bin ich
nun Deiner los und ledig in dieser und jener Welt. Bekehrst Du Dich nun zum Islam, so
wird es uns eine Freude sein, v/o aber nicht, so verdienst Du (nicht mehr als) den Tod. In
gleicher Weise redete ihm auch *Alä' eddin zu. Da er aber sich dessen weigerte, so zog *Alä'
eddin einen Dolch und schnitt ihm die Kehle von einer Ader zur andern ab.«
Den Bekehrungserzählungen stehen psychologisch die Geschichten
nahe, in denen Wunder für die Wahrheit und Kraft des Islam zeugen
müssen. Eine Stelle ist schon in der Geschichte von Gharib und 'Agib er-
wähnt worden, nämlich die Episode, wo Gharib und Sah im ob ihrer Wei-
gerung, das Feuer anzubeten, diesem geopfert werden sollen, aber durch
ein zweimaliges Wunder gerettet werden (H. 11/146 - 9/108— 109). Ein
anderes Wunder »ad majorem gloriam religionis Islamicae« ist die von
dem Propheten el-Chidr bewirkte Verwandlung der Götzendiener, die
sich weigern, Moslems zu werden, in Stein {[Abdallah ibn Fd4ü vgl.
H. 17/89 und Chauvin V/2) 1).
Verhältnismäßig ganz gering endlich ist die Zahl der Er-
zählungen, die eine religiös-erbauliche Tendenz verraten. Am
markantesten dürfte hierfür wohl das Beispiel der Geschichte der
messingnen Stadt (HN. 284 ff., H. 10/99, 6/334 ff-) sein, die gerade den
düsteren, fast pessimistischen Einschlag des Islam hervorkehrt, wie er
in dem bekannten liadit (6/356/4) ^), »daß die Welt keinen Mücken-
flügel wert sei«, zum Ausdruck kommt. Außerdem wäre hier noch die
Geschichte von Härün's Sohn, die in das Fromm- Asketische hinüber-
spielt, zu erwähnen (H. 8/71 = 8/234 ff.) 3).
Glaube und Aberglaube.
In weit höherem Maße noch als bei uns das »Buch der Bücher«, die
Bibel, bildet für den Muslim »das Buch« schlechtweg das A und
alles Wissens und Wissenswerten, die Grundlage seiner Anschauungen
und Lebensgewohnheiten. Kein Wunder, daß er deshalb in allen Lebens-
lagen darauf zurückgreift, um im Inhalt seiner Suren sich für seine
religiösen und praktischen Bedürfnisse Rats zu erholen. Eine besondere
Bedeutung darf die Fätiha, deren Kenntnis auch für den weniger
1) Fehlt bei Habicht.
2) Fehlt H. 10/107 unten.
3) Eine damit wohl identische Erzählung gibt Lane-Poole (53) von 'Ali dem Lieblings-
söhn des Challfen el-Mci'viün.
20' O. R e s c h e r ,
gebildeten Muslim unerläßlich ist, vor all' den übrigen Koransüren
beanspruchen. Ihre Rezitation pflegt die ■ — beinahe unumgängliche —
Einleitung zu jedem einigermaßen bemerkenswerten Akt zu sein, indem
sie der Handlung, der sie vorangeht, einen gewissen feierlichen Cha-
rakter verleiht, mag diese nun im Antritt einer größeren Reise, in der
Besieglung eines freundschaftlichen Bundes, in dem Vollzug einer
wichtigen Abmachung oder sonst irgend etwas bestehen '); vgl. H. 16/51
= I0/451/12:
Abu Kir sagte darauf zu Abu Sir: »Mein Nachbar! Wir sind nunmehr Brüder
geworden und es ist kein Unterschied mehr zwischen uns. Deshalb wollen wir beide die
Fätha daraufhin rezitieren, daß der, so von uns Beschäftigung findet, den, der keine findet,
mit zu ernähren hat.«
H. 16/87= 11/52 paen. ["Abdallah vom Meer und '' Abdallah vom
Lande) :
»Wir wollen alle Tage hier zusammenkommen. Du bringst mir dann ein Geschenk
von den Früchten des Landes, denn Ihr (Menschen) habt Trauben, Feigen, Melonen, Pfir-
siche und Granatäpfel, und alles soll mir höchlichst willkommen sein. Wir (Seebewohner)
aber haben Korallen, Perlen, Chrysolith, Smaragd, Rubin, mit denen ich Dir den Korb,
in dem Du mir die Früchte bringst, füllen will. Was meinst Du nun dazu, mein Bruder?«
Da erwiderte er ihm: »Die Fätha sei zwischen uns beiden auf dieses Wort.« Auf dies hin
sagten beide die Fätha her.
H. 8/132 = 8/347 paen. {"Ali der Kairenser):
»Der König fragte (die Emire): Nehmt Ihr ihn zu meinem Nachfolger an? Worauf
sie insgesamt antworteten: Wir sind's zufrieden. Darauf sagten sie die Fätha's (!) her.«
Ferner H.' 20/123/7 u. (vor Reiseaufbruch). 7/51/7 = H. 6/87
["Aid'' eddin abü ^s Sdniät) :
»Es pflegte zu dem Obmann der Kaufleute jeden Morgen, sobald er seinen Laden
eröffnet hatte, der naqib des Bazars zu kommen und die Fätha vorzutragen. An diesem
') Vgl. DouTTE 377 Mitte; Snouck-Hlrgronje II/3|i Mitte: »Mit aieser Rezitation
besiegelt man alle wichtigen Entschlüsse, Beilegung von Streitigkeiten, schließt man fast
alle bei Heiligengräbern hergesagten Gebetsformeln, begrüßt man frohe Nachrichten.
Kaufleute, die sich über den Pi-eis der Ware nicht einigen können, suchen in gemeinsam
rezitierter Fätha neue Kraft zum Entschluß usw. Man sagt denn auch von dem vor kurzem
in eine Zunft Aufgenommenen: Er hat beim Scheich die Fätha rezitiert. Ebd. 54/1 und
No*te i; 60 (an Heiligengräbern); 159 (Bekräftigung von Verabredungen); 176 (bei Braut-
zügen); 180. Stumme, Tr/p. 149 Mitte, 152. — Legrain 90 (während der Prozession). —
Reinfried 40 (Note i). — Lane 305: »In general a quarrel terminates by one or both
parties saying: Justice is against me. Often, after this, they recite the fätha together;
and then sometimes embrace and kiss one anothcr.« — ■ Rezitation der ^Fätha bei der
Austreibung des Fiebers vid. Canaan 130; vgl. auch H. 20/109 = Zotenberg 78/13: »Der
(als die heilige Fätma) verkleidete maghribinischc Zauberer legte seine Hand auf die Leiden-
den und rezitierte für den einen die Fätha, für den andern eine Sure aus dem Koran und
betete für den Dritten, ...«Stumme, T»». 67 Mitte wird die Fätha als Zaubergebet
gesprochen. Schwallv 35 : »Wenn sich zwei Parteien nicht einigen wollen, so werden
sie . . . vor die Richter gezerrt, bis . . . sie sich die Hand reichen und vor einem Koran-
excmplar gemeinsam die Fätha aufsagen«; ibd. 25.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 21
Morgen jedoch stellte er sich jedoch nicht ein. Als ihn nun der Obmann der Kaufleute
holen ließ und ihn fragte,' warum er die Kaufleute nicht versammle wie gewöhnlich, er-
widerte ihm der naqib des Bazars, man wolle ihn seiner Stellung entkleiden . . . und deshalb
die Fätha bei ihm nicht rezitieren.«
H. ii/io u. -= 9/320/13 [: Dschüdar- Roman], wo dermaghrebinische
Schätzesucher, ehe er mit Dschüdar ein Abkommen schließt, gemeinsam
mit ihm die Fätha rezitiert. — In eine andere Sphäre, nämlich das
Grenzgebiet zwischen Glauben und Aberglauben, gehören
die sogenannten »Schutzsüren « (Sure 113, 114): el-mu'awwidatäni
(vgl. Kremer 2/262; Canaan 121, Doutte 89 und 217):
»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich! Ich nehme meine Zuflucht zum
Herrn der Morgenröte vor dem Übel dessen, was er geschaffen, vor dem Übel der Nacht,
wenn sie sich einstellt, vor dem Übel derer, welche auf die (Zauber) Knoten blasen und vor
dem Übel des Neiders, wenn er neidet.«
»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich! Ich nehme meine Zuflucht zum
Herrn der Menschen, dem König der Menschen, dem Gott der Menschen, vor den üblen
Enflüsterungen des Teufels, der Übles einbläst in die Herzen der Menschen, und vor den
Dschinnen und Menschen.«
Wie wir aus den Stellen in lOOi Nacht ersehen, bediente man sich
ihrer als Schutz gegen den »bösen Blick« (H. 4/95 ult., H. r9/i55/'6),
wie auch bei Gefahren in Stunden der Not und Anfechtung (H.
10/128/1 I), H. 5/122^-)); ferner II/459/6 = H. 19/127 {Tuhjat el-kulub):
»Sie [Tulifa] weinte bitterhch [in "Sehnsucht nach ihrem Herrn Harun er-Raschid],
als sie plötzlich ein Blasen hinter ihrem Rücken verspürte. Sie drehte sich um und gewahrte
ein Haupt ohne Leib mit der Länge nach geschlitzten Augen, das so groß war wie ein Ele-
fantenkopf oder noch größer, das ein Maul hatte wie ein Ofen, hervorstehende Zähne
(Hauer) wie Enterhaken und Haare, die bis auf den Boden schleiften. D? rief Tuhfa
aus: ,,Ich nehme meine Zuflucht bei Gott vor dem gesteinigten Satan" und rezitierte die
beiden Schutzsüren, während das Haupt sich ihr näherte.«
In dieses Grenzgebiet von Glauben und Aberglauben gehört
auch die Überzeugung von der magischen Kraft des Namen
Gottes 3), insbesondere des »höchsten Namens« und die Über-
zeugung von der übernatürlichen Wirkung des Gebets4). Des-
1) Fehlt bei Habicht 6/387/2 und HN. 316 unten.
2) Fehlt ebenfalls bei Habicht 3/177/8-
3) Darüber weiteres bei Canaan 107: Gott hat mehrere Namen, die seinen verschiede-
nen Eigenschaften entsprechen, und jeder dieser Namen ist heilig und kräftig Jeder
dieser Namen birgt in sich eine göttliche Kraft Die Wirkungen des wirkungsreichsten
Namens »alläh« sind sehr mannigfach. — Kremer 2/38: Von den Juden hatte man schon
früh die Vorstellung von der Heiligkeit des Namens Gottes herübergenommen, und als
später die Kabbalisten die Idee von dem großen Namen Gottes verbreiteten, mittels dessen
man übernatürliche Kraft erlangen und Wunder wirken könne, fand auch dieser Aber-
glauben bei den Mohammedanern Anklang; vgl. auch Doutte 206.
1) Um eine Zauberformel (oder ein Zaubergebet?) scheint es sich H. 12/105/3 =
9/263/12 (Lh-lUa) zu handeln, wo die Zainab, der Dchla Tochter, über der verschlossenen
22 O. Rescher,
halb wurde mit den »hohen Namen« auch gern bei allerhand Zauber,
Beschwörungen u. dergl. operiert, so z. B. {Bedr Bdsini) H. 13/41 —
10/39/11:
»Die Königin nahm eine Schale Wasser in ihre Hand und besprach es mit un-
verständlichen Worten, goß es über ihn [d. h. den in einen Vogel verzauberten Bedr Bäsim]
aus und sagte: Bei (der Wahrheit) dieses großen Namen und allen heiligen Schwüren (?)
und bei Gott dem Erhabenen, Schöpfer Himmels und der Erde verlaß' diese Deine
Gestalt!«
In dem Märchen vom Fischer und dem '■Ifrit ist es die Wunder-
macht des höchsten Namens, mit dessen Hilfe Salomo die wider-
spenstigen Dämonen in die kupfernen Flaschen bannt und durch die
Versenkung in die Tiefe des Meeres dann unschädlich macht (H. 1738 =
1/75/9).
»(Der •Ifrit erzählte): „Als Salomo meiner ansichtig ward, da forderte er mich zur
Unterwerfung auf. Ich aber weigerte mich dessen, und so ließ er diese kupferne Flasche
holen und mich darin einsperren. Dann schloß er sie über mir zu mit Blei und prägte den
höchstenNamen Gottes darauf ein."«
Ibid. (H. 1/40 = 1I78I2):
» Darauf sagte der Fischer: ,, Bei dem hoch s ten N amen Gottes , der auf
Salomos Siegel eingegraben ist, willst Du mir, wenn ich Dich etwas frage, wahrhaftig Ant-
wortgeben?" Der 'Ifrit jedoch erzitterte und erbebte, als er des höchsten Namens Gottes Er-
wähnung tun hörte.«
H. 5/124 = 3/179 [Qaynar ezzemän):
»Als so die Dschinnenmaid Maimüne flog, hörte sie das Geräusch von Flügeln in
der Luft. Sie näherte sich ihm und erkannte einen ungläubigen Dschinn namens Dahnasch,
auf den sie [wie ein Raubvogel] zuschoß. Als dieser sie nun seinerseits erkannte, da über-
kam ihn die Furcht vor ihr, so daß er zitterte und sie um Schutz [Gnade] anflehte mit
den Worten: ,, Ich beschwöre Dich bei dem höchsten Namen Gottes, dem gepriesenen und
verehrungswürdigen, hab' Mitleid mit mir und tu' mir nichts zu leide!" Da sagte sie:
,, Wahrhaftig! Du hast mich mit einem gewaltigen Schwur beschworen "<"')•
Was die übernatürliche Wirlcung des Gebets anlangt, so läßt
sich hier die Scheidung zwischen Glaube und Aberglaube noch viel schwie-
riger vornehmen, denn die Überzeugung von der Möglichkeit der Wunder-
kraft eines Gebets [cf. z. B. B el ädori 228/14] bildet ja zunächst einen inte-
grierenden Bestandteil einer jeden positiven Religion. Deshalb kann die
Entscheidung darüber, was als Glaube, was als Aberglaube zu betrachten
sei, wo ersterer aufhöre und wo letzterer anfange, auch nicht in all-
Tür die Namen der »unim Müsä« rezitiert, worauf dann diese ohne Benutzung eines
Schlüssels von allein aufspringt.
■) Vgl. Lane 263 ult. : »The highest attainnient in divine magic consists in ihc
knowledge of the ,,ism el-a*?am" which is gener? llybelieved, by the learned, to bc
known only to prophets and apostles of God. A person acquainted with it can, it is said,
by merely uttering it, raise the dead to lifc, kill the Üving, transport himself instantly
wherever he pleases and perform any other miracle.« Vgl. auch Doutte 203 ff.
Studien über den Inhalt von looi Nacht, 23
aemein gültiger Weise getroffen werden ^), vielmehr ist es Empirie und
Verstand die jeweils die ungefähre, natürlich ständig fließende Grenze
ziehen müssen. - Analog der [aus den angelsächsischen Ländern
stammenden] »Christian science«. die Heilkunst und Heilmittel ver-
schmäht, muß auch im Volksglauben des Islams - und nicht einmal
allein da ^) — das Gebet gegen Leiden physischer und psychischer
Art helfen (11/199 = H. 18/191). Vornehmlich die durch den Einfluß
der »Dämonen« verursachten Krankheiten (Irrsinn, Epilepsie) können
allein durch die magische Wirkung von Gebeten, die freilich mit Be-
schwörungen unmittelbar Hand in Hand zu gehen pflegen, behoben
und -eheilt werden 3). — Eine besonders charakteristische Stelle für
die m^agische Kraft des Gebets finden wir H. 17/103 ^), wo dem Früh-
gebet der zweimaligen Beugung und jedem Diener Gottes, der dasselbe
ständig verrichtet, Gewalt über alle Scharen der Dschinn zugesprochen
wird Ähnliches in der (übrigens nicht arabischen) Erzählung von dem
.Prinzen und der Ghül« (HN. 167 = H. 10/157 = 12/272/3):
»Da erhob der Prmz seinen Blick zum Himmel, läuterte sein Herz zum Gebet und
rief- Gottl Bei Dir such' ich meine Hilfe vor dieser Geschichte, die mich bekümmert
(hat)'', worauf er auf die Ghül hinwies, die alsbald (vom Pferd) zur Erde stürzte und zu
verbrannter Kohle zerfiel«
und der Legende von dem frommen Negersklaven (H. 9/20 ft. = Chauvin
Nr 353) 4) dessen Gebet um Regen bei Gott Erhörung findet 5).
Es erübrigt sich noch, am Ende dieses Abschnitts emige Worte
über den Heiligenglauben und Heiligenkult zu äußern, der im
späteren Islam bis auf die Gegenwart bekanntlich eine so große Rolle
spielt In lOOi Nacht erscheint diese Äußerung des religiösen Lebens
verhältnismäßig schwach ausgeprägt; nicht, als ob sie vollständig
fehlte aber immerhin sind es nur wenige Stellen, die den Heiligen-
claubcn zum Ausdruck bringen 6) (H. 6/92. 94 = 7/59- 65. 66: ^Ala>
eddin abü 'sSdmdt): . - '-
Der rationalistische Gesichtspunkt scheidet hier bei volkspsychologischen Fragen
natürlich ganz aus. , . j j , i xt,. r-,\
^) So sagt <Abdelmu'min el-Isfahäni (Ubers. der »atbaq ed-dahabo Ni. 52)'
»anstatt zu einem Arzt (und gar noch einem christlichen oder jüdischen) zu gehen, mog
der Muslim bei einer Krankheit lieber im Koran seine Heilung suchen«.
3) Das Weitere bei dem Abschnitt »Beschwörungen« im Kapitel »Aberglaube«.
4) Fehlt bei Habicht. ,.,„,. j
5 Das Gebet um Regen nsiüjao gehört allerdings in den offiziellen Rahmen des
orthodoxen Islam; vgl. Reinfkied 47 f- Doutte 305, Aubin 377 (Canaan 3S). Vgl. auch:
^>Le miracle de l'cau« Legrain 55, Huart 1/177 unten. • ' , ,, . .u,
6) Dieser Umstand weist natürlich auf das verhältnismäßig hohe Alter der Mehrzahl
der Erzählungen.
-^ O. Rescher,
»Dann kaufte der Chodscha eine Kerze und eine Decke für den Sejjid 'Abdelqädir
ül-Öiläni und sie veranstalteten in dieser Nacht ein „maulid" [und ein Fest zu Ehren
des Scheichs 'Abdelqädir el-Giläni] 0* • • • •
(7/65 = H. 6/94) :
»Da hob der Beduine seine Lanze, um sie *Alä' eddin in die Brust zu stoßen [lies:
jagrizuhä], da rief 'Alä' eddin: „Deinen Segen, oh mein Herr 'Abdelqädir el-Gilani!" Und
da gewahrte er eine Hand, die die Lanze von seiner Brust ablenkte.«
(In der gleichen Geschichte: 7/66 = H. 6/95):
»Und *Alä' eddin stieg auf einen Balken der Zisterne und streckte sich aus, indem
er sich schlafend stellte und sagte: Oh Du gütiger Verhüller, (breite) Deine Hülle (über
mich), und Du, meine Herrin [sejjidati] Nefisa, jetzt ist's Zeit für Deine Hilfe! Und da
stellte sich ein Skorpion ein, der den Beduinen in die Hand stach.«
In der Erzählung des sechzehnten Moqaddem (Polizeisergeanten)
heißt es (H. 19/99 = ii/399/io cfr. Chau\-in Nr. 426):
»Der Straßenräuber warf mich zu Boden und kniete auf meine Brust. Da rief ich,
indem ich den Schutz des „Scheichs der Pilger" '-) suchte : ,,Nimm mich in Schutz vor diesem
Missetäter 1" Und schon hatte er sein Messer gezogen, mich abzuschlachten, da tauchte
ein mächtiges Krokodil aus dem ,,Meer" [dem Nil] und schnappte den Kerl von meiner
Brust weg 3). «
Die Emanation der Heiligen, deren der Volksglaube durch die
Verehrung ihrer Reliquien und Grabstätten, ihre Anrufung und Er-
flehung teilhaftig zu werden hofft, ist die »baraka«, die wir natürlich
auch in lOOi Nacht häufig erwähnt finden 4).
H. 12/63 = 9/199/8 {»Delila«):
»Chatün, die Frau des Emirs Hasan, sagte ihrer Sklavin: Geh' (die Treppe) hinunter
und sprich zum Pförtner: „Laß die Scheichin zu (meiner) Herrin eintreten, damit
meine Herrin von jener der „daraka" teilhaftig werde.«
H. 20/109 = Zotenberg 78:
»Der Agha der Eunuchen sagte zu der Herrin Bedr el-Budür: ,, Dieser Lärm rührt
wegen der Herrin [d. h. Heiligen] Fätma her. Wenn Du willst, so bringe ich sie her, damit
Du der , daraJta" von ihr teilhaftig wirst (Als sie nun kam) erhob sich die Herrin
_z
I) Fehlt bei Habicht 7/59 ult.
-) So übersetzt H. aus mir unbekannten Gründen; im Text steht »^N-yXO)
„Li^V^JI«, was natürlich nur »der Scheich el-Haggäg« heißen kann.
J) Die »fünf Scheichs«, die in dem (H. 4/104 sich findenden) Gedicht in der Ge-
schichte von Tag el-mulük angerufen werden [bei Habicht fehlt diese Erzählung], kann ich
weiter nicht nachweisen. —Ein fiktiver Heiliger o^U^i yi\: 9/201 paen. = H. 12/65/1
{Delila).
4) Es ist die »barakao aucli vom Heiligen weiterhin übertragbai;; vgl. Snouck-
HuRGRONjE n/153: »Vom Menschen (und namentlich vom Kinde), der eben vom Grabe
Mohammeds zurückkehrt, gehen auf allerlei Wegen verborgene Segnungen aus.
Solchen küßt man die Hände, man berührt ihr Gewand und ersucht um ihre Fürbitte,
alles wegen der »barakac — Ebd. n/230: »Die Muslims glauben, der Ort des Studiums
sei gar nicht gleichgültig für die Früchte des Unterrichts; welchen Ort aber könnte man
der heiligsten Moschee auf Erden vorziehen? Hier wird die Aneignung der Wissenschaft
durch die „baraka" des Ortes erleichtert.« Vgl. auch Doutte 439.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 2 5
Bedr el-Budür, grüßte sie und sagte zu ihr: Meine Herrin Fätma, mein Wunsch ist.
daß Du dauernd bei mir bleibst, damit ich so die „baraka" von Dir empfange.«
Besonders bei Krankheiten gilt die Erlangung derselben als ein
sicheres Mittel zur Heilung. HN 193:
»)Un roi de l'ancien temps avait une jolie femmc, dont il etait fort amoureux. Un
jour, elie lui demande Tautorisation d'aller chercher la baraka d'un saint, afin d'obtenir
la guerison d'un malaise dont eile souffrait.«
Ebenso die (bereits oben schon zitierte) Stelle, wo der als die
heilige Fätma verkleidete maghribinische Zauber durch Auflegen der
Hand und Rezitation der Fätha und sonstiger Koransuren den Kranken
und Leidenden seine ))baraka« (und damit die Heilung) zukommen zu
lassen sich den Anschein gibt ^).
Der Aberglaube.
Nachdem wir bis jetzt das Grenzgebiet zwischen Glauben und
Aberglauben behandelt haben, wollen wir nunmehr das Gebiet be-
leuchten, das mehr oder minder tatsächlich ^als reiner Aberglaube
angesprochen werden muß; freilich werden wir im zweiten Teil dieses
Kapitels schon wieder auf Phänomene stoßen, die — der orthodoxe
Islam als Grundlage und Kriterium angenommen — doch auch wieder
in das Grenzgebiet zwischen Glauben und Aberglauben herüberspielen.
Der Aberglaube ist eine für die Anschauungen und Vorstellungen
des Orientalen typische Erscheinung, die sich von den ältesten Zeiten
seines Schrifttums bis in die Gegenwart, ebensow^ohl bei den kulturell
hochentwickelten Babyloniern als (wenn auch nicht in dem gleichen
Maße) bei den primitiven Nomaden und Beduinen nachweisen und
ins einzelne verfolgen läßt. Bei dem Hang der vorderasiatischen Völker
zu religiöser Spekulation ist es naheliegend, daß ein großer Teil der
Ideengänge des Aberglaubens nur Ableger und Auswüchse ehedem
lebendiger religiöser Vorstellungen darstellen, während dagegen andere
dem primitiven Nomadenleben entstammende Anschauungen (für die
die altarabischen Lieder reiche Belege liefern), wie z. B. die Tier-
omina, das Wahrsagen aus dem Vogelflug u.a.m., sich
mit religiösen Ideen im eigentlichen Sinn des Wortes kaum kombinieren
lassen. — Von den Tieren, die am meisten Stoff zu abergläubischen
Betrachtungen geliefert haben, wäre der Affe und die Schlange,
sowie von den Vögeln der Rabe, die Eule und der Hahn zu nennen.
Der »Rabe der Trennung« H. 3/180 ob., II. 19/146 ult. = 12/36/12
{£urdb el-bein] ist schon ein. den altarabischen Dichtern wohlvertrautes
Vgl. auch H. 17/113/13 und H. iS/iyi/y = 11/198/9 {Geschichte der unschuldig
verdächtigten Frommen).
26 O. R e s ch e r,
Bild i); hauptsächlich wegen ihrer Vorliebe für den Aufenthalt an den
von menschlichen Lebewesen verlassenen und deshalb unwirtlichen und
unheimlichen Stätten [z. B. 10/121 = HN. 309: Geschichte der mes-
siiignen Stadt; ferner 1/127/2 = H. 1/67] gelten Raben und Eulen als
Symbole des Unglücks. So finden wir H. 8/24 = 5/83/4 ff. [El-Ward
fi ^l-akmäm und Ins el-wugud]:
»Da merkte der Wezir, daß seine Tochter entflohen war, und, wie er auf dem Dach
des Schlosses einen Raben und eine Eule krächzen gewahrte, da hub er an, heftig zu
weinen und sagte [Tawil]: Ich kam zum Haus meiner Freunde, um an ihnen [durch
ihren Anblick] meiner Sehnsucht Feuer und Glut zu löschen; doch fand ich in ihm keine
Freunde vor, sondern traf nur zwei Vögel, einen Raben und eine Eule, an 2). <<
Daneben ist es besonders der Hahn, mit dem sich der Aberglaube
der Volksphantasie beschäftigt; in lOOi Nacht kommt er öfter in den
Zaubergeschichten vor, so z. B. H. 24/20, wo ein Talisman- Siegelring
im Bauch eines Hahnes steckt [Geschichte des Fischers und seines
Sohnes] H. 24/38 (und 41), wo ein weißer Hahn im 10. Monat als
Zauber gegen Dämonen dienen soll; H. 7/32 = 7/242 [Abu Moham-
med el-Kasldn], wo ebenfalls ein weißer Hahn in Verbindung mit
Zauber und Tahsmanen vorkommt 3). — Von den Reptilien sind es vor
allem die Schlangen, die eine dämonische Rolle spielen. Nach derAn-
1) Vgl. Wetzstein 138, Note 22 zu S. 14 — 15; Z. i.
2) Vgl. Reinfried 20, Note 1: »Gewisse Vögel galten als dämonisch, so der Rabe,
der Specht, der Wiedehopf und die Eule« (Smith 152). — Canaan 44: »Das Krächzen der
Eule in der Nähe eines Hauses, wo ein Kranker liegt, gilt als ein ungünstiges Vor-
zeichen, welches auf einen Todesfall hindeutet. Selbst wenn niemand im Hause ist, wird
dieser Tierlaut gefürchtet.« — Ähnlich Knortz 108 — 109. — White 2/259 (aus Sa Mi).
»Sei die Überbringerin guter Nachrichten, oh Nachtigall — schlimme Nachrichten über-
lasse der Eule.« — Mauchamp 144: »Le cri du hibou porte malheur [Vuiller 65: Le cri
thi hibou est un signe de mort] ... et on ne doit pas prononcer le nom de cet oiseau;
il faut dire: Celle de la nuit; ibd. 218: Tout ce qui est noir est bon contre le mauvais oeil
(de meme contre le hibou et les diables).« — Vgl. auch die griechtsclien Volkserzählungen von
Karkawitzas (Reclam 4896 pag. 72 ff.): »Ein Unglückszeichen«.
3) Zur Rolle des Hahnes im Aberglauben vgl. Salzberger 78: »Wenn der Hahn,
der Verkünder des Lichts, kräht, so erschrecken die finstern Mächte, Genien und Satane«
usw. — Reinfried 20: »Der über der Tür aufgehängte Kopf eines Hahnes vertreibt nach
heutiger arabischer Vorstellung in der Geburtsstunde unreine Geister.« — D0UTTE78: »Parmi
Ics animaux, le coq est un de ceux qui sont le plus frcquemment utilises par la magie; l'ani-
mal qui indique la lumiere parait aux yeux des barbares avoir de mysterieuses connaissances. «
LÖHR 37 ob.: ->Ein Hahn — am besten ein weißer — wird an der Türschwelle des neuen
Hauses zum Schutz gegen die bösen Geister geschlachtet« . — Canaan 56, Note i : »Nach dem
„Kanz el-ilftisds" soll auch der weiße Hahn dem Hause Glück bringen. Durchsein Krähen
verscheucht er die Dämonen« usw. — Ibd. 38 (Regenprozession): »Eine alte Frau wird um-
gekehrt auf einen Esel gesetzt, in der Hand hält sie einen Hahn. In solchem Aufzuge
wird sie zum Ortsältesten, dem Schech, geführt. Auf dem Wege dorthin drückt sie
den Hahn so lange, bis er kräht.«
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 2"]
sieht der mohammedanischen Theologen [es-Sibli Rez. 246] verkörpern
sich die Dschinnen eben »in der Gestalt von Schlangen, schwarzen
Hunden und im (Hauch des) Wind(es) oder, nach andern, in Schlan-
gen, Skorpionen, schwarzen Hunden und Wesen, die sich beflügelt
durch die Lüfte schwingen«. Entsprechend diesen, durch die »Wissen-
schaft« vertretenen Ansichten dürfen wir uns nicht wundern, auch im
Volksglauben solche Anschauungen rezipiert zu finden; so z. B. H. ']\iz.
34 = 7/244. 245 {Ahü Mohammed el-Kaslän], wo ein Kampf zwischen
einer braunen und weißen Schlange erwähnt wird, deren letzte-
rer Bruder ein gläubiger Dschinn ist; ebenfalls H. 1/146 = 1/324 ff-
[Geschichte des I. Mädchens = Zo/7azWgJ, wo ebenfalls ein Kampf zwischen
einer Riesenschlange [hi'bdv] und einer andern Schlange [/lajje] ge-
schildert wird, welch' letztere sich in ein Mädchen verwandelt fundsich
als Dschinnije bekennt] I) = H. 17/77 f. ['Abdallah ihn Fdäil]-).
Weiter wäre von den »dämonischen« Tieren noch der Affe zu er-
wähnen, der im Aberglauben und Zauberwesen ebenfalls in markanter
Weise hervortritt und in den Verwandlungsepisoden 3) der Erzählungen in
lOOl Nacht vorkommt. So finden wir einen Affen als Dschinn in der
Geschichte Mohammeds, des Sultans von Cairo (H. 23/30), ferner H.
7/30 = 7/239/10 [Abu Mohammed el-Kasldii) als »Märid« von den
Dschinn 4); im übrigen gilt der Affe als »böses Omen« (H. 1/107 =
1/237/3 u.: Geschichte des zweiten Kalenders):
»Als die Schiffsleute den Affen [d. h. verzauberten Kalender] 5) erblickten, da sagte
einer zum Kapitän: leb will ihn töten, ein anderer: Ich will auf ihn einen Pfeil abschießen,
') Fehlt bei Habicht 1/326/2.
-) Im übrigen vgl. Vuiller 65: »Si vous Irouvez un serpeut dans votre maison,
cparguez-le, c'est un djinn qui partage avec vous la propriete du local«. — Lane 226: »A
curious relic of ancient Egyptian superstition must here be nientioned. It is believed that
each quarter in Cairo has its peculiar guardian-genius, or Agathodaemon, which has
the form of a serpent.« — Lane-Poole 34 — 35: »It is related that 'Ä'isha having killed
a serpent in her Chamber was alarmed by a dream and fearing that it might have been
a Muslim Jinnee gave in alms as an expiation 12 000 dirhems, the price of the
blood of a Muslim.« — Nach el-Kisä'i (Salzberger 102. 103) kamen die Genien und
Satane zu Salomo in Gestalten von Schlangen usw. — Legrain 119: »Car, au
moins dans le Sa'id [Oberägypten] les fellahs le plus souvent meme s'eloigneront
du serpent qu'ils considerent volontiers comme un genie domestique.« — Canaan
83 Mitte: »Die Schlange ist ein dämonisches Tier « usw. — Schlangengeschichten:
White 1/30711., Kunos: Schlangenperi. — Bel 24, Note i: »Beaucoup de Tlem-
ceniens affirment qu'on a vu autrefois dans l'etuve d'un bain maurc un enorme serpent
qui n'etait autre qu'un djinn, le maitre du Heu.« — Stumme, Trip. 107 ff.
3) Vgl. dazu die Voranstellen 2/61 und 5/65.
4) Ebenso Salzberger 108/8 col. a — in, wo ein Satan namens Murra b. cl-H,uit
[Spitzname des Teufels] vor Salomo in eines Affen Gestalt erscheint.
5) Eine Verwandlung in Affengcstalt findet sich auch in der Geschichte von
28 O- Kescher,
ein dritter: Wir wollen ihn crsautcu, denn wo ein Affe sich aufhält, da weicht die „haraka'-''
von dem Ort ")•«
Weniger scharf ausgeprägt ist diese Anschauung in der Geschichte
vom Fischer Chalife und den (Glücks- und Unglücks-) Affekt (H. 14/108 =
4/318/4 u.)^).
Wenn wir den an Tiere sich knüpfenden Aberglauben verlassen
und zu dem durch Menschen selbst bewirkten übergehen, so wäre in
erster Linie der ■ — bei allen Ländern, ganz besonders aber im Orient
verbreitete — Glaube an das »böse Auge« (malocchio) zu er-
wähnen, der tatsächlich auch in looi Nacht oft genug zum Ausdruck
kommt. Eine ganze Reihe von Erzählungen nimmt auf diese in der
Volksphantasie so festgewurzelte Vorstellung mit einer solchen Selbst-
verständlichkeit Bezug, daß wir anderer Schriftsteller Zeugnis gar
nicht bedürfen, um zu erkennen, daß es sich hierbei nicht um roman-
hafte Züge, sondern vielmehr um die Wiedergabe der wirklichen Volks-
psyche handelt. Wie wir von verschiedenen Seiten her wissen (z. B.
Canaan 31), ist die Wirkung des »malocchio« zwar unbegrenzt, aber
doch mit Vorliebe auf bestimmte Objekte gerichtet. »Besonders
empfänglich für ihn sind die Kinder, besonders schöne (runde, blonde)
kleine, weshalb sämtliche Kinder mit allen möghchen Sachen behängt
werden, die als Amulette dienen und gegen die Faszination schützen
sollen. Überhaupt alles Schöne ist dem »bösen Auge« am meisten
ausgesetzt, wie junge Mädchen in der Blüte der Jahre usw.« Genau
Entsprechendes finden wir in der Geschichte der lOOi Nacht; Kinder,
hauptsächlich wenn sie hübsch sind, werden aus Furcht vor dem »Auge«
vor der Außenwelt abgesperrt 3), bis sie (einigermaßen) herangewachsen
Gharib, wo der Held des Romans von der götzendienerischen Königin Dschänschäh ia
einen Affen verzaubert wird (H. 11/206 =9/179/12). — Im übrigen vgl. auch 9/290/5 =
H. 12/123/10, sowie Yahouda p. 10 (Nr. 19): In Syrien heißt der Affe »sa'^dän« (der Glück-
liche, Glückbringende), was ein Euphemismus ist, da der Affe als böses Omen gilt. —
Wetzstein p. 138, Anm. 20: Mit »kird« (Affe) bezeichnet man im gewöhnlichen Leben den
Teufel ; vgl. auch Jacob, Agypt. Jahrmarkt 31. — ■ Zwei Geschichten ferner bei Canaan
9 f. und 55; vgl. auch die Geschichte von den Veziren Nur eddin und Schems cddiii
(H. 1/182 Mitte = 2/50/1), wo es von dem buckligen Bräutigam heißt, daß er (von allen
gemieden) allein (in einer Ecke) dasaß »wie ein Affe*; daneben auch noch die Note i in
Stumme. Trip. 182.
') Der Text ist etwas von mir umgestellt; das »gadaria bind« ist kaum richtig.
^) Der Habicht'scIic Text deckt sich nicht ganz mit dem von Henning übersetzten
Bidaker.
3) Eine charakteristische Beobachtung teilt Lane 57 (chapter 2 : circumcision) mit :
»It is not uncommon to see, in thc city in which I am writing, a lady with all that
appcars of her perso 1 scrupulously clean and delicate .... and by her side a litlle boy
or girl, her own child, with a face bcsmeared with dirt and with clothcs appearing as though
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 29
sind [Oavtar ez-zemän: H. 17/5 = Chauvin V/212 Nr. 121] ^); ebenso
in der Erzählung von 'Aid' eddin ab'u 'S Sdmät [H. 6/84 = 7/46/12]:
»Als er aber sieben Jahre olt geworden war, brachte man ihn aus Furcht vor dem
»Auge« in ein unterirdisches Gemach, nachdem sein Vater sich vorgenommen hatte, ihn
nicht daraus zu entlassen, bis ihm ein Bart(anflug) käme; zu seiner Bedienung aber bestellte
er ihm eine Sklavin« usw. -)
Als 'Alä' eddin dann später seine Mutter um Aufklärung über
den Grund seiner Abschließung von der Welt bittet, da entgegnet sie
ihm (H. 6/86 =7/49/3):
»Oh mein Sohn! Wir haben dir das unterirdische Gemach angewiesen nur au^ Furcht
für dich vor den »Augen« der Leute, denn das »Auge« ist Tatsache, und die Mehrzahl der
Leute der Giäber [der Toten] liegt um »des Auges« willen unter der Erde 3).«
Als Schutzmittel gegen den schadenbringenden Einfluß des
»Auges« verwandte man das Salz (H. 6/83 = 7/45 paen.), das man
ausstreute, entsprechend wie wir 'auch in Lane 505 (ceremonies of
circumcision, chapter XXVI I) lesen : »At the same time, the dayeh,
sprinkles a mixture of salt and seed of the fennel-flower o"r salt
alone which has been placed during the preceding night at the infants
head; saying, as she does this »The foul salt be in the eye of the
envier«4). This ceremony of the sprinkling of salt (^UJl ^^)
is considered a preservative for the child and mother
the had been worn for month without beeing washed .... I naturally inquired the cause
and was inlormed that the affectionate mothers thus neglected the appearance of
their children and purposely left them unwashed, and clothed them so shabbily, particularly
when they had to take them out in public, from fear of the e vil eye, which is excessively
dreaded and especially in the case of children, since they are generally esteemed the greatest
of blessings.« Ebenso Canaan 90 Mitte und F. Dieterici {Reisebilder atis dem Morgen-
lande) 1/64 u.
I) Fehlt bei Habicht.
-) H. 17/75 entschuldigen sich die leer heimkehrenden zwei Brüder bei ihrem dritten
Bruder ('Abdallah b. Fädil) damit, daß sie in der Fremde das »böse Auge« getroffen haben
müsse, was den Verlust ihres Gutes verschuldet habe. — H. 23/17 {Geschichte der drei
Strolche) wird von einem kostbaren Hengst erzählt, der aus Furcht vor dem »Auge« in
einem besonderen Stall unter zuverlässiger Aufsicht untergebracht wird. — H. 1/83 {Nur
eddin itnd Scheins eddin) spricht Hasan auf Anstiften des 'Ifrits zur Braut, er sei der richtige
Verlobte und ihr buckliger Bräutigam sei nur des »bösen Auges« wegen gemietet und vor-
geschoben worden. Habicht gibt jedoch hier (2/56/9) eine andere Motivierung: »^ikUif^
OA>^U ^JLc lJC^^X^ ^'l n^aIsäÜ »lXP J.^£ 1/5 «• — Vgl. weiterhin Lane 249
(Kap. XI: charms), Canaan 30 ff. 120 ff. — Mauchamp 214. — Bel 35 unten. -
Wetzstein Note 26, p. 139. — Doutte 317. — Kremer 2/212 unten; ibid. 2/253 f. —
Snouck II/122.
3) Ebenso Canaan 30 Mitte: »Rab (der in Babylon wohnte) und Chijja der Ältere
meinen, daß von 100 Menschen 99 anr »Auge« und nur einer durch den Himmel sterbe.«
Löhr 107 Mitte.
4) Vgl. Canaan 120; auch Kremer, »Studien« 25; Schwallv 23 Mitte.
30
O. Rescher,
from thc cvil eye« usw.; vgl. auch noch Canaan 133 Mitte: »Eine
alte Frau räuchert vor dem Bräutigam im Hochzeitszug mit Gersten-
mehl, Salz und Alaun, indem sie wirksame Sprüche sagt, um ihn vor
dem »bösen Blick« zu schützen.« — Ein weiteres Kapitel des Aber-
glaubens ist das, welches sich auf körperliche Fehler und Ge-
bresten bezieht, als da sind Lahmheit, Kahlköpfigkeit, Ein-
äugigkeit i), ja selbst Blauäugigkeit. So heißt es bei Canaan 28:
»Gott schütze uns vor dreien: dem Einäugigen -) , dem Kahl-
köpfigen und dem Bartlosen! 3) « Deshalb sind solche Epitheta wie
»a/idab« (bucklig), »a'war« (einäugig) usw. häufig mit dem Zusatz
))nahis{< (unglückbringend) verbunden, so wenn z.B. der Fischer
Chalite den einäugigen Affen )>jd a'-war ennahisu (oh du verwünschter
Einäugiger) [4/321/8] anredet oder Hasan Bedr eddin den Buckligen
»el-ahdab enna/iis« (Unglücksbuckliger) betitelt [2/59/7]. Indem (bei
Habicht freilich völlig verderbten) Gedicht 7/270 (= H. 7/56) heißt es:
Nicht für einen Tag nimm den Einäugigen zum Freund,
Sei auf der Hut vor seiner Bosheit und seinem Falsch!
Wenn irgend etwas Gutes an diesem Einaug' wäre,
So hätte Gott ihm nicht sein Auge hlind gemacht 4).
Auch in der Erzählung von Nur eddin '■Ali und Mirjam, der Gürtel-
macherin erscheint der dem Liebespaar feindlich gesinnte Franke (ein
Kundschafter und Spion des christlichen Königs) als einäugig und
zudem lahm (10/300/13 = H. 15/39 Mitte). — Dagegen wird in der
ziemlich ähnlichen Geschichte von ''Ali $dr und Zumurrud der Naza-
rener Barsüm, der ebenfalls das Liebespaar der Historie auseinander-
bringt, als blauäugig (H. Jljy = 7/300) [d. h. eigentlich als Feind] <)
betitelt:
') Die Stelle H. 2/83 — 84 (in der Geschichte des vierten [einäugigen] Bruders des Bar-
biers) fehlt 2/283 — 284, wahrscheinlich irrtümlich [H. 2/83/18 entspricht ibid. 2/84/9 ^^^
ist wahrscheinlich vom Kopisten des HABiCHx'schen Textes übersprungen].
*) Mauchamp 143: »II faut cviter comme premiere rcncontre du jour un borgne . . .«
3) Vgl. auch Spitta {Gramf/iafii des arah. J'nlgardialekts von Ägypten) pag. 496
Nr. 33: »Der Morgen mit dem Affen ist besser als der Morgen mit dem Bartlosen.«
4) [Serf]
V^ o^ jy''^^^ J" o^^ ^ ^
■Ol i'.'VjC ^/5 iA5>l iOl'i.Ls U«
[Wie der letzte Hemistich richtig zu lesen ist, weiß ich nicht.]
5) Vgl. Miiyit 1/864 col. b, 12 V. u.: ^^ »jtjuiii vAjJsJi.jl blXnjO ,' jj'^^ _.A*JI
Studien über den Inhalt von looi Nacht. ■? 1
(Als man ilm vor die Königin gebracht hatte,) sagte sie [Zumurrud]: »>Weh über
dich, Blauauge! Wie heißt du und wozu bist du zu uns gekommen?« Der Verruchte
aber suchte seinen wahi^en Namen zu verleugnen usw.
wie auch sein Bruder Resid als blauäugig und von gemeinem
Aussehen geschildert wird (H. 7/54/3 u. = 7/269/1). Ebenso ist [in
Hasan el-Basri] die Beschreibung der »Sawähi, umm ed-dawähi«
(H. 14/47 =6/73/11) »der Unheilsmutter« als grauhaarig, blauäugig,
großnasig, kurzum widerwärtig von Form und Aussehen [6/70 ult. =
H. 14/46/9] ^); vgl. noch die der Gaunerin )>Delila« (9/230/7 = H. 12/83)2).
Seltener wird einer andern Art des Aberglaubens, der »Omina«,
Erwähnung getan, doch wäre hier vielleicht noch auf die Stelle (H. 6/83 u.
= 7/46/7) zu verweisen ['■Ald^ eddin abü 'i Sämät], wo es heißt:
»Nun herrschte dazumal der Brauch, daß man den Kindern nach einem »Omen« {fa'l)
den Namen gab; und da nun gerade einer der Anwesenden zu einem Dritten sagte: Oh mein
Herr *Alä' eddin, so sagte der Vater zur Mutter (des Neugeborenen): Nun, so wollen wir's
'Alä' eddin heißen 3).«
Zauberei und Magie.
Ein ungleich wichtigeres Kapitel des Aberglaubens als das vor-
herige bilden die Anschauungen und Vorstellungen, deren Zweck und
[Zusatzbemerkung: Blauäugig werden wohl weniger die Byzantiner selbst als ihre (slavi-
schen) Hilfsvölker gewesen sein.]
') Vgl. auch Canaan 28, wonach die ob des »Auges« gefürchtetsten Menschen die
»blauäugigen« und die mit auseinanderstehenden Vorderzähnen sind: V,: xj^Ji^c |*J^^^J
I», yS »J>IXmi\»,. — Ein Teil der Satane, die vor Salomo defilieren, erscheinen mit blauen
Augen (Salzberger 106, col. a, Z. i und 109 Z. 7) — Vgl. auch das maltesische Sprichwort
(ZDMG. 30/229 Nr. 17: Die maltesische Mundart H von Sandreczki): »'Ainejn zoroq
joqtluynnysfittoroq«(, • _Lii! ^s (j^LäÜ J-^Üj (•)jJ5 q-oLxäJI), wozu der Autor bemerkt:
»Unter der Herrschaft der Normannen usw. wie der Johanniter mögen die schwarzäugigen
Malteser ga'' vielen schrecklich blauen Augen begegnet sein, denen sie gern aus dem Wege
gingen, und manchmal werden sie durch angelsächsische Augen an den Spruch erinnert.«
[Frdl. Mitteilung von Prof. Stumme.] — Canaan 58: »Daß man es gerade von der blauen
Farbe annimmt, sie besitze hervorragende Schutzkraft, mag wohl mit der Anschauung zu-
sammenhängen, daß die blauen Augen als die gefährlichsten angesehen werden usw.« —
Ferner Stumme, Tn/>. ii 1/5. —Löhr 107 Mitte; 37 Mitte: »Hierbei (d. h. gegen den »bösen
Blick«) gilt die blaue Farbe als besonders wirksam« usw.
-) Die Erklärung Henning's: [»Blauäugig«] »Vielleicht im Sinne von blind« ist natür-
lich nicht stichhaltig, würde auch gar nicht in den Zusammenhang passen.
3) Entsprechend Kern MSOS. IX 1906 Abteilung H pag. 37 (nach Ibn Südün): »Die
Bauern nennen ihre Kinder womöglich nach dem ersten Wort, das sie in der Geburts-
stunde hören; sie betrachten das als »Omen«.«
■>2 O. Rescher,
Inhalt die Magic bildet. Wenn wir es in dem bereits Erwähnten nur
mit reinem Aberglauben oder auch mit solchem, der ins Grenzgebiet
von Religion und Aberglauben hinüberspielt, zu tun hatten, Hegt hier
der Fall insofern komplizierter, als manche Erscheinungen als ein
»mixtum compositum« von Wissenschaft, Religion und Aberglauben
aufgefaßt werden müssen. Wie dem religiösen Glauben der Aberglaube,
so steht auch der Wissenschaft, z. B. der Chemie und Astronomie,
die auf abergläubische Voraussetzungen basierte Pseudowissenschaft,
nämlich die Alchemie und Astrologie, gegenüber. Nur dal3 der Orient
es von jeher liebte, all die Künste des Aberglaubens • — die ja auch im
mittelalterlichen Abendland in Gunst und Ansehen standen — noch
mit einem religiösen Anstrich zu verbrämen, teils um ihnen das Odium
des Zauberhalten zu benehmen, teils um ihre Wirkung durch ihre Ad-
aptierung an das religiöse Gesetz zu steigern. — Die verschiedenen
Zweige der Magie, denen wir unser Augenmerk zuwenden wollen, sind
Beschwörungen, Talismane und Amulette, Geomantie,
Traumdeutung, Astrologie und Alchemie.
Als die Heimat (oder doch hauptsächlichster Ausgangspunkt) der
Zauberei galt Babylon (vgl. Kremer 2/263), »denn dort sollten die
beiden gefallenen Engel Härüt und Märüt eingeschlossen sein und ihre
Strafe ausstehen, dort holte man sich von ihnen den Zauberunterricht«.
Tatsächlich wird auch auf Babylon als Stätte der Zauberkunst und
Heimat der Dschinn verschiedene Male Bezug genommen; so H. 16/121
= 5/123 [Abu H-Hasaii el-'^Omdni), wo der Babylonier 'Abdullah,
als erfahren ster Meister in seinem metier, aus einem Karneol unter
Beobachtung der astrologischen Bräuche ein mit »Talismanen« gra-
viertes Amulett gegen die Epilepsie [nach dem Glauben des Volks
eine von Dämonen verursachte Krankheit] herstellt, oder H. 13/81 =
4/224/9 [Seif el-mulük und Bedient el-gemäl), wo es heißt:
»Das jst das Bild von B. el-gemal, der Tochter .".... des Großkönigs der gläubigen
Dschänn (Dschinnen), die auf der »Insel« Bäbil hausen und wohnen.«
Auch in poetischen Beschreibungen^) ist der Ausdruck »baby-
lonisch« (= zauberhaft-verführerisch) ganz allgemein gebräuchlich
(H. 1/77/14; H. 22/48/6 u., 3/193/1, 10/259 ult., 10/232/6 [wo ^xUb
in \JbLj zu verbessern ist], 12/51/5].
Wie bekannt, unterscheiden die Muslims zwei Arten von Magic
[Lane 263 f.], die »spirituelle« [rühdni], die mit Hilfe der Engel oder
auch der Wirkung der mysteriösen Eigenschaften gewisser Gottes-
namen und dergl. zustande kommt, und »natürliche« Magie, die durch
Die Stelle H. 5/118 (»Seine Augen waren größere Zauberer als Harut und Marüt«)
fehlt Habicht 3/175.
Studien über den Inhalt von looi Nacht.
33
mehr oder weniger unerlaubte Mittel oder auch die Mitwirkung böser
Geister ausgeführt werden kann. Daß die Zauberkunst nicht un-
gefährlich war, insofern sie den Verdacht der Ketzerei erwecken
konnte, ersehen wir aus manchen Geschichten, so z. B. der bei Kremer
2/2^5 gegebenen Erzählung, oder aus Stellen wie H. 13/135 == 5/271/11
[Hasan el-Basri], wo wir lesen:
»Hasan setzte den (Schnielz)tiegel ans Feuer. Da sagte der Perser [Magier] zu ihm:
Was willst du denn machen, mein Sohn? Hasan entgegnete: Lehr' mich diese Kunst.
Da lachte der Magier über ihn und sagte: Bei Gott! Du bist doch noch ein rechter dummer
Junge. Für diese hochedle Kunst eignet sich doch niemand, der sie auf offener Straße
(oder) auf dem Markte lernen möchte. Da würden ja die Leute schließlich sagen: Die da
verstehen sich auf die Kunst derAlchemie, und wenn das der Obrigkeit zu Ohren käme,
möchten wir leicht unser Leben dabei riskieren '). «
Trotzdem war die Alchemie, wie bekannt, eine das ganze Mittel-
alter hindurch (und zwar im Abendlande kaum weniger als im Orient)
florierende Kunst-, deren Endzweck, das Goldmachen, immer wüeder
die Gemüter gläubiger Adepten ^), zuweilen auch abgefeimter Betrüger 3),
beschäftigte. HN. 82/3 [Histoire du vizir hafmekide) :
»Le jeune homme obeit; ils allumerent du feu et quand le cuivre fut fondu ä blanc,
le vieillard prit une liqueur qu'il versa sur le metal; il laissa refroidir; le cuivre etait devenu
un lingot d'or pur.«
Ebenso HN. 275 Mitte [Les quatre hommes et Haroun ar-Rasid]:
»Le bedouin . . .me demanda un quintal de cuivre, de plomb ou de fer II le
fit fondre ä grand feu et y jeta une pincee de la poudre et ce fut aussitot une masse
d'or pur.«
Den gleichen Drang nach dem kostbaren Metall verrät eine andere
Kategorie des Aberglaubens, der bekanntlich auch bis in die Gegen-
wart herein sich unter dem Volk stets lebendig erhalten hat 4), nämlich
1) Auch konnte die Ausübung magischer Künste Gefahren mit sich bringen, wenn
nämlich dadurch Dritte zu Schaden gekommen sein wollten, vgl. z. B. die Geschichten
bei Lane 264 f. (chapter XII: Magic): (pag. 265) .... »the magician was banished
from Egypt. — Another enchanter (sahhär) was banished a few days after, for writing a
charm which caused a Muslimeh girl to be affected with an irresistible love vor a Copt
Christian«. — Ferner Legrain 68 (in der Legende von Yotisouf abou ''l-Haggäg)-, sowie
H. 10/175 Mitte = 12/302/8.
^) ^g-^- Snouck-Hurgronje II/215: »Außerdem bemühen sich verschiedene Mekkaner
vergeblich darum, der Natur ihr tiefstes Geheimnis, das Goldmachen, abzuringen
Auch der Schech der Sejjid's war ein Goldsucher.« — Lane 217 (paen.): »Alchymy is more
studied in Egypt than pure chymistry (264). El-Keemiya is also studied by many
persons in this country, and by some possessed of talents by which they might obtain a
better reputation than this pursuit procures them «
3) Vgl. die ergötzliche Geschichte in el-Gaubari 's ))Käsj el-asrdro (Cairo 1316)
F^y- 33 — 35 (Ende des 9. Kap.) auszugsweise in ZDMG 20/494 Mitte.
4) Legrain 106: » Car il suffit que le moindre Maugrab in passe dans le pays
et laisse entendre qu'il possede un grimoire qui permettra ä quiconque lui avancera
Islani. IX. o
34
O. Re sehe r,
die Überzeugung, auf Grund der Kenntnisse magischer Formeln
und okkulter Schriften Schätze heben zu können. Das Thema
der durch Hilfe von Geisterbeschwörungen inszenierten Schatz-
gräberei bildet, wie der Leser von lOOi Nacht weiß, die Grundlage
gerade der berühmtesten Erzählungen der ganzen Sammlung, wie
z. B. '^Alä ^ddin und der Wunderlampe, der Dschüdargeschichte, Bähd
^-Abdallah usw. — Wie man aus der Mehrzahl dieser und ähnlicher
Historien ersieht, waren es vornehmlich Maghrebiner, die in dem
Rufe standen, auf solche Zauberkünste sich zu verstehen [vgl. Chauvin
VI/84 Note I zu» Maugrabinlemagicien«]^). Der »Schatzsucher« [»matä-
libi«, vgl. 5/280/1, zugleich auch Alchimist [kimäwi) und Astrolog
[ndg-im]] mußte ein doppeltes »Wissen« besitzen, erstens zur Eruierung
der Placierung des Hortes und zweitens zur Hebung desselben, wozu
»Besprechungen« und »Beschwörungen« der schatzhütenden Geister
(oder bannenden Talismane 2)) vonnöten waren. Solche Angaben
waren, nach dem gemeinen Glauben, in okkulten Büchern niedergelegt,
wie z.B. aus der Stelle H. 11/15 =9/328/1 [Dschüdargeschichte] her-
vorgeht:
»Unser Vater hinterließ uns, erzählte der Magrebiner, gewaltiges Gut, das wir vei-
teilten: liegende und bewegliche Habe, Schätze, Talismane usw. Als aber die Verteilung
an aie Bücher kommen sollte, da erhob sich unter uns ein Streit, wer das Buch »Die
Historien der Vorfahren« {asdtir el-auwalin) besitzen solle, da kein Preis, keine Goldgrube,
kein Edelstein seinen Wert ermessen konnte, insofern in ihm [die Lage] alle[r] Horte
erwähnt und die Lösung aller [darauf bezüglichen] Probleme gegeben war.«
An anderer Stelle finden wir, daß solche Bücher in »amalekitischen
Charakteren« geschrieben sein sollen HN. 71:
»Qu' Allah conserve le prince, repondis-je: il m'est tombe sous la main un livre
tres ancien, ecrit en caracteres amalekites, oü il est dit qu'une ile voisine de cet empire
et nommee l'ile de Camphre, renferme les tresors du grand Amalec 3), ses joyaux, tous ses
biens et ceux des grands personnages de son empire.« [L'ile de Camphre.]
la forte somme de trouver gräce ä lui un tresor incomparable. Et chaque annee, quelque
niais se laisse prendre ä Pappät «
I) Auch von Algeriern hörte ich diese Ansicht des öfteren. — Im übrigen werde
ich bei dem Kapitel »Rassetypen« in lOOi Nacht auf den »Maghrebiner« noch einmal
besonders zurückkommen.
^) Vgl. den Ausdruck 9/200/14 = H. 12/64/16.
3) Im Anschluß sollen hier einige Notizen über die »Amalekiter« in lOOi Nacht folgen
[vgl. Chauvin V/20, Note 2]: Vorzugsweise gelten sie als die Erbauer alter Schlösser und
Burgen, vgl. HN. 250: »Le Chäteau des Rayons les Amalekites l'ont construit pour
Sakhr, fils du grand Iblis (qüe Dieu maudisse)« [Zrt/^r benLahiq]. — Ebd. 116 oben [Etoiie
de lumiere]: ün chäteau fort sur des fondations de fer . . . . . bäti par les Amalekites
et per les Negres. — Auch von der Stadt el-Karag lesen wir, daß sie ein gewaltiger Amale-
kiter [9/169/2 .WAS» V^^L*^] erbaut habe [H. 11/199]. Im weiteren Sinne gelten die Amale-
kiter schlechthin als die »Recken und Riesen« der Vorzeit, wie z. B. aus dem Gharib- Romane
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 25
Von der Thesaurierung solcher Horte selbst erfahren wir jedoch
nicht viel; nur an einer Stelle (12/9/9: Tuhfat el-qulüb) wird ein solcher
Schatz [matlah] auf » Jäphet b. Nüh<( zurückgeführt.
Eine der wichtigsten Äußerungen des Aberglaubens stellt die »Wahr-
sagekunst« dar, die sich wieder in Astrologie, Geomantie und
Traumdeutung ^ scheiden läßt. Wenn wir bedenken, daß selbst in
Europa nicht nur im Mittelalter die Astrologie hoch in Ansehen stand
[Kepler z. B. war zugleich Hofastronom und -astrolog, wobei man auf
seine letztere Tätigkeit womöglich mehr Gewicht legte als auf die rein
wissenschaftliche Betätigung; Seni im Wallenstein], sondern auch noch
in der Gegenwart die Wahrsagekunst zahlreiche Gläubige und Vertei-
diger findet [Madame de Thebes], so dürfen wir uns nicht wundern, daß
auf die leichter entzündliche und kritiklosere Psyche des Orientalen derlei
Künste noch in weit höherem Grade einwirkten -). An allen Höfen des
Orients gehörten z. B. die Astrologen einfach sozusagen zum unerläß-
lichen »Inventar« des ganzen Hofstaates, die auch bei allen wichtigeren
Ereignissen des menschlichen Lebens [Geburt eines Prinzen, Be-
schneidungsfest, Vermählung, Thronbesteigung] in Tätigkeit zu treten
bzw. ihr Gutachten abzugeben hatten 3). — HN. 151 (- 12/240/14):
»Puis le roi rappela les astrologues et il les pria, de tirer l'horoscope de son fils« [Sieben
Vezire].
ersichtlich, wo das Wort überaus häufig erwähnt wird [8/362/13; 370/2; 377/5; 9/1 2/1 3;
25/10; 37/8; 62/10; H. 11/150 usw.]. V"gl. HuART 1/40.
1) Die Prophetie scheidet hier aus, da hierbei das religiöse Moment naehr oder
weniger den Ausschlag gibt.
2) Die Orthodoxie machte freilich gegen derlei entschieden Front, indem sie den
Glauben an astrale Einflüsse auf das menschliche Leben und seine Gestaltung lebhaft
bekämpfte. Vgl. z.B. »'Abdelmu'min el-Isfahäni« Maqdtnen-ijb. Nr. 23, p. 40:
»Leute, die Gott preisen und loben [d. h. gottesiürchtig sind], huldigen nicht dem Glauben
an Gestirndeutung ,....; der Glaube an Wahrsagekunst gehört in das Kapitel dessen,
was den Menschen verächtlich macht und was verstände auch ein einfältiger Astrolog
[Astronom] von dem verborgenen Wissen [Gottes]? usw.« Freilich dürfen wir uns nicht
verhehlen, daß eben die starre Orthodoxie, indem sie den Aberglauben verurteilt, zugleich
auch die Wissenschaft befehdet.
3) Vgl. auch VuiLLER 55: »Frequemment ä la naissance d'un enfant les familles
maures fönt appel ä l'astrologue. Celui-ci faisant le total de la valeur numerique des
lettres contenues dans le nomd'enfant et dans les noms du pere et de la mere etrapprochant
ce calcul de nombres astronomiques et des signes du zodiaque passe pour devoiler l'avenir
du nouveau-ne.« — Kremer 2/448: »Als der 2. 'Abbaside Bagdad gründen wollte, ließ er
durch einen Astrologen erst die Stellung der Gestirne ermitteln, um in glücklicher
Stunde sein Werk zu beginnen, — Vgl. auch Lane-Poole 86. — White 3/220: »Kommt
der gewöhnliche Zeitpunkt heran, so wird der Muneggim Baschy oder irgendein anderer
Astrolog um Rat befragt, der dann die günstige Zeit [der Beschneidung] , Tag und
Stunde, bestimmt.«
3*
36
O. Rescher,
H. 20/115 [Zahl el-asndm]:
»Der König versammelte alle Sterndeuter und Geomanten und sprach zu ihnen:
'Ich wünsche eure Auskunft über das (zu erwartende) Kind'« usw.
H. 24/156 [Die Tochter des Kaufmanns und der Prinz vom '■Irdq):
»Sobald der Morgen anbrach, berief der Kaufmann die Astrologen, Horoskopsteller
und Herren der Feder und teilte ihnen mit, daß er das künftige Schicksal seiner
rechter von ihnen zu erfahren wünsche «
H. 1/122/4 = 1/272/8; H. 2/72/8 = 2/264/8 [Geschichte des ersten
Bruders des Barbiers):
»Dein Stern [sagte der Scheich zu dem Genasführten] paßt eben nicht zu ihrem
Stern; [wenn du es aber wünschest, will ich das Horoskop deines Ehekontraktes ändern,
damit eure Sterne besser zueinander passen]').«
H. 2/57 Mitte:
»Als dein Vater [sagte der Barbier zu dem Jüngling] zu mir sagte: 'Zapfe mein
Blut ab', da langte ich das Astrolabium hervor und fand , daß das Gestirn der
Stunde unheilvoll war. «
Auch der Zauberer in '■Aladdin und der Wunderlampe wird als
Adept der schwarzen Kunst und gleichzeitig als Astrolog [Zotenberg 2/5
■il^lli OJtj ^^.] geschildert.
Ein häufig genannter und augenscheinlich stark verbreiteter Zweig
der Wahrsagekunst ist die Geomantie [4arh el-mandal: 10/267/14;
3/217/5 usw.], wozu man bei Dozy 2/652/col. b. folgendes findet:
)>^Js^« est un mot indien qui signifie cercle [vgl. Vuiller] et »JA-U-Jl V-J,^« en
p?rlant d'un magicien est proprement »tracer un cercle par terre«. Mais sous ))|^L>:d
i3A>Uii« on entend d'apres Proleg. II/i 77/14 »un magicien qui travaille en fixant ses
regards sur des miroirs ou sur des liquides«; vgl. auch Jacob, »Ägyptischer Jahrmarkt« S. 21.
Davon verschieden ist das »takt er-raml« (Jacob 18, Habicht
Bd. III Glossar S. 6 — 7 sub voce »J^xJl c>.^ö^)«):
»Ein Brett, worauf die Kunst der Geomantie getrieben wird, die darin besteht, daß
man in auf dasselbe gestreuten Sand mit einem Stäbchen mehrere Striche und Punkte
in unbestimmter Anzahl macht, sie dann in jeder Reihe je zu vieren oder zu zweien ver-
tilgt, worauf entweder die Reihe mit einer gleichen Zahl aufgehen oder ein Punkt übrig
bleiben muß; die mehr oder mindere Zahl der rein aufgegangenen Reihen bestimmt das
Gelingen oder Mißlingen eines Unternehmens. In Ermangelung eines solchen Brettes
werden auch Punkte auf Papier gemacht und damit ebenso verfahren.«
und Vuiller 55:
»II est aussi un autre genre de sorciers: les 'ramaia khit3) erramel'; ceux-lä etalent
devant eux une nappe de sable fin dans lequel ä l'aide de l'index et du majeur ils creusent
des trous qu'ils barrent ensuite par trois. Les trous qui restent devoilent, par leur nombre
et leur disposition, le passe et l'avenir.«
>) Der eingeklammerte Passus fehlt in Habicht's Text.
2) Im Druck irrtümlich »o^.^Vj«.
3) Das heißt wohl »Ji5>«.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. ■37
[Lane 264. 268, Lane-Poole 86, Canaan 40 Note 3 und 4, ibid.
iipNote 4, Snouck-Hurgronje II/i27Note i [»SomnambuIismus«(?)],
einige Verse imZ)fz£^«'wvonKu§ägim (Beirut) S. Ii/3ff., Doutte 377 f.:
Le »khett er remel« ou »derb er remel« qui n'est autre que la geomancie, fait appel
au hasard par un procede probablement plus ancien est extremement populaire
dans le Maghrib, repandu aussi en Orient ; on se servait originairement d'une
tablette sur laquelle on avait etendu une couche de sable; on jetait ensuite le doigt au
hasard sur le sable et on examinait les figures ainsi formees. Les modernes ont perfectionnc
le procede: Le täleb algerien prend un crayon puis il jette au hasard des points
sur une feuille de papier qu'il reporte ensuite en colonnes verticales suivant certaines
regles compliquees; apres il elimine certains points suivant qu'ils ont, un numero d'ordre
pair ou impair, puis reunit quelques-uns d'entre eux deux ä deux« usw.
Auch Ihn Khaldoun {Pr oUgomhies \on de Slane übers.) gibt
im I. Band eine weitläufige Beschreibung dieser Kunst (S. 232 — 240),
in deren kühl ablehnender Beurteilung sich sein überlegener Geist
verrät i)]. Um auf lOOi Nacht zurückzukommen, so finden wir das
geomantische Brett des öfteren in der Erzählung von 'Ali Sär und
Zumurrud, wenn freilich hier auch seine Anwendung nur eine fiktive
ist; vgl. 7/300/10, 7/305/7 = H. ylyj bzw. 7/81. Auch im Gharih-
Roman wird diese Prozedur [vielleicht späteres Einschiebsel!] erwähnt
[9/161/7 = H. 11/193:
»Als Gharib dies vernahm, l'ieß er die Astrologen kommen und sagte: 'Versucht eure
Kunst auf dem 'Sandbrett' und erforscht,ob (die Prinzessin) Fahr Tag noch am Leben ist.«
Desgleichen lesen wir in der Geschichte von 'Aläddin und der
Wunderlampe (H. 20/87 = Zotenberg 62/10):
)>Was aber den magrebinischen Zauberer anlangt, so wurmte ihn die auf die Erlangung
der Lampe verschwendete Mühsal ganz gewaltig, und er verwünschte 'Aladdin in ohn-
mächtiger Wut, indem er bei sich sagte: Wenn dieser Lausbube unter der Erde drauf-
gegangen ist, so will ich's wohl zufrieden sein, da ich so die Lampe vielleicht doch einmal
bekommen kann, da sie annoch wohlverwahrt ist. Als er aber eines Tages das geomanti-
sche Brett vornahm und die Figuren zog, um sich von 'Aladdins Tod unter der Erde zu
vergewissern, da sah er in den Figuren wohl die »Mütter und Töchter«, doch nichts von
der Lampe. Da packte ihn die Wut und er probierte es nochmal mit dem Brett, um über
'Aladdins Tod Sicherheit zu bekommen, doch sah er ihn nicht im Schatz[gewölbe]. Da
schwoll sein Zorn noch mehr an, da er nun die Gewißheit erlangt hatte, daß er noch am
Leben sei und zudem die Lampe mitgenommen habe.«
Ebenso dann von dem Bruder des Maghrebiners H. 20/106 =
Zotenberg 76/13. In der Erzählung von Qamar ez-zemän (3/217/5;
fehlt H. 5/152) heißt es (Z. 2):
I) Bd. 1/240: »Les gens qui cultivent la geomancie ou tout autre art de la meme
"^t"^e ces hommes peuvent se ranger dans la classe de ceux qui pretendent decouvrir
les choses cachees en jetant des caillous, en examinant les coeurs des animaux et en fixant
leurs regards sur des miroirs. Quoi qu'il en soit, les gens se servent de pareils procedes avec
l'intention de connaitre les secrets du monde invisible ne fönt et ne disent rien qui vaille.«
ag O. Rescher,
»Als der Astrolog die Herrin Budür mit der Kette um den Hals sah, da glaubte er,
sie sei irrsinnig. Deshalb setzte er sich hin, zog aus seiner Tasche kupferne qalems, zündete
ein Feuer an und brachte Blei und einige Blätter hervor; alsdann fing er an, mit Räucher-
werk zu räuchern, machte das »darb el-mandal« und fing mit Beschwörungen an. Da
fragte ihn Budür: »Wer bist du denn?« Worauf er ihr antwortete: »Dein (gehorsamster)
Diener ist Astrolog, und mein Zweck ist, deinen 'Gefährten' [d. h. den Dschinn] zu be-
schwören, der dich befallen hat, ihn in kupferne Flaschen zu sperren, diese dann mit Blei
zu versiegeln und ihn, so gefangen, dann ins Meer zu werfen.«
Auch in der Geschichte von Delila [Dulailal wird bemerkt
[9/261/6 = H. 12/103], daß diese sich der geomantischen Kunst be-
diente, um den Namen 'Ali Zibak's, des Kairensers, und sein »Glück« 1)
zu eruieren; das gleiche Verfahren schlägt auch der auf Zauberkünste
sich verstehende Jude 'Adra ein [ibid. 9/292/1 = H. 12/124] ^)-
Ein weiteres Kapitel des Aberglaubens bildet die uns aus dem
Alten Testament her bereits wohlbekannte Kunst der Traum-
deutung, welche allerdings ebenfalls — wenigstens zum Teil — Vom
offiziellen Islam als zulässig rezipiert worden ist. In den Erzählungen
der lOOl Nacht bilden Traumdeutungen teils bloße (Neben-)Episoden im
Rahmen der einzelnen Geschichten, wie z. B. H. 14/71 u. [Hasan el-
Basri]; H. 15/110 (= 8/5/12 u. 8/6/9) in der Geschichte von Kal'dd
und Simds; H. 14/149 = 10/72 ult. [Mesrür und Zain el-mawdsif];
H. 11/142 = 9/102 ult. f. [Gharibund 'Agit], ibid. H. 11/60 = 8/353/8 3);
teils bilden sie auch die notwendige Voraussetzung der ganzen folgenden
Erzählung, insofern der Glaul>e an die Wahrhaftigkeit des Trau-
mes den Anstoß zu seiner Ausführung in der Wirklichkeit gibt, wie
z. B. in der Anekdote: Der Traum vom Schatz H. 7/152 = 8/188 oder
in dem Märchen von Zain el-asndm (H. 20/117)4),
^) Wie oben bereits bemerkt, beruhte das »darb er-ramU zum Teil auch auf astrologi-
schen Voraussetzungen [Lane 264 unten: This science is mainly founded on
astrolog}'].
*) Außerdem findet sich noch eine Stelle in der Geschichte von Kal'äd und Simds
(SllSlß; fehlt bei H. 16/26), wo der Knabe, Sohn des vom König getöteten Vezirs, angibt,
die Kunde von dem Briefe des Königs von Indien aus dem »Sand« erlangt zu haben; ferner
H. 20/115 [Zain el-asndni].
3) Die Traumdeuter: »mu'abbirün« (oder »mufassirmi«) erscheinen hier neben den
Astrologen »mune^gimun«.
") Im übrigen vgl. Bel 8: »Chacun [ä Tlemcen] croit a la realite des apparitions
qui surviennent dans les songes.« — Snouck-Hurgronje II/16 [ebenso auch II/138 paen. —
139/1]: In Zweifelsfällen nimmt der Mekkaner seine Zuflucht zur nstihdra<u d- b. überläßt
die Wahl Allah dadurch, daß er gewisse religiöse Zeremonien verrichtet, sich dann schlafen
legt und von dem Inhalt seines Traumes die Entscheidung abhängig macht. Ibid. II/128
Note: »Um die Sicherheit über Zukünftiges oder Unbekanntes zu erlangen , legen
die Weiber in Mekka [S. 129] ein gereinigtes und mit Tuch umhülltes Hammelfleischknöchel-
chen unter ihr Kopfkissen und schlafen in der sicheren Hoffnung ein, daß ihnen ein be-
Studien über den Inhalt von looi Nacht. jq
Eine wichtige Rolle im Leben des Orientalen, Muslim wie Christen,
spielen die Amulette und Talismane. »One of the most remarkable
traits in modern Egyptian superstition is the belief in written charms.
The composition of most of these amulets is founded upon magic«
etc. (Lane 247: chapter XI). Ebenso Canaan ']"]: »Da sich der heutige
Palästinenser überall von bösen »übernatürlichen Kräften« umgeben
und gefährdet glaubt, so legt sich ihm die Notwendigkeit nahe, auf
Schutzmittel gegen diese Gefahr zu sinnen Deshalb begegnet man
kaum einem Kinde [vgl. Kremer 2/254], kaum einem Kranken, die
nicht ein oder gewöhnlich mehrere Amulette trügen. Diese Sitte findet
sich auch im bibhschen Altertum (2. Mose 32/2). In jeder Lage, die
mehr als andere böse äußere Einwirkungen befürchten läßt, nimmt man
immer seine Zuflucht zu Amuletten.« [Ibid. 81.] i) ■ — Merkwürdiger-
weise werden, trotz des allgemeinen Gebrauchs der Amulette im Orient,
überall und zu allen Zeiten, diese in lOOi Nacht eigentlich nicht gerade
häufig erwähnt, so z. B. in der Geschichte von den Veziren Nur eddin
und Sems eddin (2/29/3 — fehlt H. 1/175/4 u. — und parallel damit
271 paen. = H. l/lQOu.):
»Dann schaute der Vezir nach der Scheschia [dem Turban] seines Bruderssohns Hasan,
nahm sie in seine Hand und drelite sie um, indem er sagte: 'Bei Gott! Das ist eines Vezirs
Turban, nur daß er auf Mosuler Art gewickelt ist.' Als er aber merkte, daß in der Kopf-
bedeckung ein Amulett (hirz)'^) eingenäht war, da nahm er es heraus und drehte es um.«
Und in der Geschichte des Abu "l-Hasan el-'-Omdni (H. 16/122
bzw. 123, 124, 125 = 5/1 19/7 bzw. 5/ 123/10) ist von einem aus rotem
»Karneol« 3) gefertigten, mit »Talismanen« gravierten Amulett die
Rede, das gegen die Dämonen der »Epilepsie« (5/122 ult.) schützt 4).
deutungsvoller, aufklärender Traum zuteil wird.« — M.'VUChamp 158 f. — Canaan 43/10:
»Aus den Träumen ziehen die alten Frauen (in Palästina) die weitgehendsten Schlüsse«
usw. ■ — DouTTE 397 fE. — Reinfried 29. — Vgl. die Anekdote bei Lane 213 u. ff.
I) Vgl. auch Snouck-Hurgronje II/120.
-) Ein anderer Ausdruck, nämlich »Aigäb« bzw. pl. »kiigitb«, findet sich 3/220/12;
vgl. Muhit 1/346 col. b. Z. 6, wo das Wort mit »/^jVs« erklärt wird.
3) White 3/145: »Die Talismane sind von verschiedener Größe meist oval und von
Karneol oder Achat.« — Doutte 83: »Les pouvoirs magiques attr-ibu6s aux pierres pr6-
cieuses sont innombrables. « Ikid. 84: On attribue ä Mahomet cette parole: »Celui qui
porte en bague un sceau en cornaline ne cesse pas d'etre dans la b^n^diction et le bonheur. «
Vgl. auch die Tafeln aus rotem Karneol, die der magrebinische Zauberer (9/341/10 =
H. 11/23) bei der Beschwörung zur Hebung von es-Samardal's Schatz zur Anwendung
bringt [Dschüdargeschichte]. — Ferner H. 24/76 Mitte [Siegelring aus K. schützt gegen
Armut].
4) Im übrigen vgl. Mauchamp 217 paen. — Jacob, ^Ägyptischer Jahrmarkt« S. 22;
Doutte 221 ff. ■ — Eine etwas ironische Färbung hat clie Maqäme Hamadäni's (Übers.
67): ))Dcr Talisman«, in der Abu '1-fath tl-Iskenderi aus dem Aberglauben seiner Reise-
40
O. Rescher,
Als Talismane können auch Siegelringe dienen, wie wir z. B.
10/13/14 = H. 13/27 in der Erzählung von Bedr Bäsimund Dschauhare
lesen :
»Da nahm Sälih von seinem Finger einen Siegelring, in den gewisse Namen Gottes
eingraviert waren, und gab ihn seinem NefEen Bedr Bäsim, indem er sagte: 'Steck' diesen
Ring an deinen Finger und du wirst damit vor dem Ertrinken und andern Fährlichkeiten
sowie vor den Gefahren der Meerestiere und (Raub-)Fische sicher sein'.«
Im letzten Abschnitt unseres Kapitels endlich sollen den Be-
schwörungsformen und -formein. die im großen Ganzen (wenig-
stens soviel wir aus den Erzählungen der lOOi Nacht ersehen) wohl
weniger einen Bestand des wirklichen Aberglaubens, d. h. also der
lebendigen Volkspsyche, ausmachten, sondern vielmehr als Märchen-
motive zu betrachten sind, einige Worte gewidmet sein. Im Grunde
lassen sich die hierbei üblichen Prozeduren auf zwei Grundclemente:
Besprengung und Beräucherung [Chauvin V/60 Anm. i], ver-
bunden mit Rezitation seltsamer, meist fremdartiger oder unver-
ständlicher Worte zurückführen; vielleicht mit der Differenzierung,
daß bei den »Verwandlungsmanipulationen« mehr das Be-
sprengen (gewöhnlich mit Wasser i)) und bei den »Geisterbe-
schwörungen«-) (z.B. dem Schätzeheben) mehr das Beräuchern
praktiziert wurde. Im übrigen sind die Stellen in lOOi Nacht so häufig,
daß ich mich auf die einfache Anführung der Zitate ohne weitere Aus-
führung beschränken muß [Beräucherung: H. 11/23, 26, 29, H. 13/11,
H. 14/30 u., 40 Mitte, H. 21/12, H. 20/17 u. — Besprengung: H. 13/53,
55, 56, H. 1/72, H. 1/34/1, H. 1/28 u., H. 17/104, H. 21/30, 32, 204,
H. 12/126 u., 128 vgl. Text 10/62/1, 10/65/11 usw.]. — Seltener kommt
es vor, wenigstens wird es nicht so häufig erwähnt, daß mit den Be-
schwörungen auch noch andere Vorgänge, z.B. das Beschreiben
von (magischen) Kreisen, verbunden waren (vgl. H. i/iii =
1/249/3):
»Darauf nahm des Königs Tochter ein Messer, auf dem der Name Gottes auf hebräisch
genossen mit Erfolg Kapital zu schlagen versteht, indem er ihnen Amulette gegen
Schiffbruch [vgl. Doutte 236] aufhängt. — [Vgl. auch den Vers H. 24/32.]
An einer Stelle H. 1/106 = 1/236/11 findet sich dafür Bestreuung mit Erde.
2) Eine sehr wesentliche Rolle spielen Geisterbeschwörungen im Orient bekann t-
lich bei gewissen Kran kheiten, wie z. B. Irrsinn, Epilepsie usw., deren Ursache
man bösen Dämonen zuschreibt [Canaan 23 Mitte, 43 u.]. Solchen Exorzismus finden wir
auch verschiedentlich in lOoi Nacht, z. B. in Qamar ez-zemäns Geschichte, wo der Astrolog
die angeblich tolle [in Wirklichkeit aber nur aus Liebe gemütskrank gewordene] Prinzessin
Budür mit geomantischen Künsten [darb el-mandal] und Beschwörungen von ihrem Dämon
befreien will (3/217/5 ff.), [Milderungen sind dann Koranrezitationen an Stelle eigenthcher
Geisterbeschwörungen; vgl. z. B. H. 15/103 = j 0/43 5/6 (wo vi^vc-Aa zu lesen).]
Studien über den Inhalt von looi Nacht.
41
eingraviert war, und zog dann mit dem Zirkel einen Kreis inmitten des Schlosses und
zeichnete in ihn einen Namen mit kufischer Schrift und magische Zeichen').«
Für alle Beschwörungen, unterschiedslos, ob es sich um Verwand-
lungen oder Geisterzitierung handelt, ist — wie gesagt — das Hersagen
gewisser seltsamer, meist unverständlicher Worte oder Formeln
charakteristisch, die mehr gemurmelt -) als gesprochen werden [»ham-
hama« 1/236/11, 1/250/1, '9/179/1, 1/359/4 = 1/360 ult.; »damdama ||
hamhama« .^^^j^ j.L\/itAj» ^jxj ilXj» 'iiJjJ.^\^\ eJ,l:^\ J5 *.-.X:s\jt J.i>j^s«
gJI »L^^3 ^h]; vgl. 10/39/10 = H. 13/41, 1/126/1 = H. 1/67/2, 10/29/3,
9/412/2 = H. I3/II, H. 1/69/4 U. = I/I34/6, H. 20/17 = ZOTETSIBERG
10 paen. usw.
Vielleicht dürfte noch der Zusatz von Interesse sein, daß alle die
Zauberprozeduren nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen
ausgeübt werden konnten, wie ja auch aus den Erzählungen zur Genüge
hervorgeht (H. 1/25/5 u. = 1/46/10, H. 1/27 u. = 1/51/6, H. i/iio =
1/248/5):
»Der König fragte seine Tochter: »Woher weißt du, daß dieser Affe ein verzauberter
Mensch ist?« — -Da erwidert sie ihrem Vater: »Als ich noch klein war, da war eine alte,
verschlagene Zauberin bei mir, die mir die Zauberkunst beibrachte, so daß ich zuletzt
70 Kapitel der Magie von ihr erlernte, deren geringstes das ist, daß ich vor Ablauf einer
Stunde die Steine deiner Stadt hinter den Berg Qäf [Kaukasus] schaffte.«
Ähnlich auch die Zauberin »Sawähi dät ed-dawähi« H. 14/90 =
6/152/3 (in der Geschichte von Hasan el-Basri):
»Folgt mir unverzagt (sagte die Alte), denn ich kenne 40 Zauberkünste, deren
geringste die ist, daß ich bis zum Morgengrauen die Stadt in ein wogendes, wellenbrandendes
Meer verwandle und jedes Mädchen in ihr in einen Fisch verzaubere«;
ferner H. 13/44 = '10/44/9 \Bedr Bdsim] :
»Wisse, mein Sohn (sagte der Seih zu B. B.), daß diese Stadt eine Stadt der Zauberei
ist, und daß in ihr eine Königin residiert, die zwar leuchtend wie der Mond, aber daneben
eine ganz tückische und gerissene Zauberin ist. All' die Pferde, Maultiere und Esel, die
du siehst, waren ehedem Menschenkinder wie ich und du, die aus der Fremde kamen.
Jeden Jüngling aber, der diese Stadt betritt, nimmt diese ungläubige Zauberin und sitzt
bei ihm 40 Tage, wonach sie ihn in eins der erwähnten Tiere verwandelt Ihr Name
jedoch ist Königin Lab (was »taqwtm es-sems« bedeutet) « [Vgl. die Circe-Sage.]
H. 11/206 = 9/179/12 [Königin Dschänschäh in: Gharih und ''Agib],
H. i/6g/4 u. ^ 1/134/7 [Geschichte des Prinzen von den schwarzen Inseln]
I) Zu CjLj.JaäJL5 vid. Glossar und Dozy II 397 (aus cp'jXaxt/jpta ZDMG. 31/343)-
*) Vgl. Canaan 14/5; ferner Lane 272 (chapter XII: Magic): »In the magicians
mutterings I distinghuished nothing but the words of the written invocation but
much that he repeated was inaudible«; ibid. 271: »The magician then took one of the
little Strips of paper inscribed with the forms of invocation, and dropped it into the chafing
dish, upon the burning coals and perfumes, which had already filled the room with their
smoke; and as he did this, he commenced an indistinct muttering of words. «
«2 O. Kescher,
^jsw. i). — Wir verlassen hiermit dieses Thema und wollen uns zu dem
folgenden Kapitel wenden, das ebenfalls zum Teil in das Grenzgebiet
von Glaube und Aberglaube fällt, zum Teil aber auch wieder in die
Sphäre des rein Märchenhaften und Phantastischen herüberspielt,
welch' letzteres für unsere Untersuchung im großen ganzen freilich
aus scheidet.
Der Geisterglaube.
Wie bekannt, bildet der Glaube an die Existenz der Geister
ebensogut einen integrierenden Bestandteil des orthodoxen Islams wie
der christlichen Kirchen aller Schattierungen, die ihrerseits wiederum
diesen Glauben durch Vermittlung des Judentums aus dem babyloni-
schen Kulturkreis übernommen hatten, wo ja schon in grauer Vorzeit
eine sehr entwickelte und bis ins einzelne detaillierte »Dämonologie«
bestanden hatte und als »Wissenschaft« von den Priestern gepflegt
ward. Aber auch das altarabische Heidentum hatte (zum Teil wohl
originell, zum Teil auch wohl in Berührung mit jüdischen und christ-
lichen Ideen) den Geisterglauben schon ziemlich weit (wenn auch gerade
nicht systematisch) ausgebildet. Mohammed — der wohl Reformator,
aber trotzdem (so gut wie fast ein Jahrtausend später Luther) in
den Ideen seines Milieus vollständig befangen war — begnügte sich,
das einmal von früher her Überkommene seinen religiösen Ideen und
Zwecken zu adaptieren, so daß schließlich das in synkretistischer Weise
zustande gekommene Amalgam altorientalischen und heidnisch-arabi-
schen Volksaberglaubens vom Koran als orthodoxes Dogma fixiert und
sanktioniert ward. Wie Mohammed selbst verkündete, galt seine Sen-
dung ebensowohl dem Dschinnen- als dem Menschengeschlecht, und
aus dem Koran ersehen wir ein Dreifaches: erstens die Bestätigung
dieser Tatsache, zweitens die Gültigkeit und Verständlichkeit von
Gottes Vorschriften für die Dschinn und drittens die Verantwortlich-
keit derselben Gott gegenüber für ihr Tun und Handeln. — Nun ist es
ja z\veifellos, daß die Rezeption mehr oder weniger phantastischer An-
schauungen aus dem Osten (vornehmlich dem *Iraq) die verhältnis-
mäßig noch primitiven Vorstellungen Mohammeds schließlich zu über-
wuchern begannen, und ebenso ist es auch zweifellos, daß in unseren
Erzählungen zum Teil die märchenhaften Züge und Übertreibungen
') Vgl. aus dem griechischen Sagenkreis Zauberinnen wie »Medea«, »Circe- usw.
DouTTE 33: »Chez les Berberes conime chez les anciens Arabes se sont surtout Ics
femmes qui sont magiciennes «; ibid. 28: »Les sorcieres ctaient plus frc-
quentes que les sorciers« [nämlich bei den Arabern]. — C.^naan 117: »Die Zauberei wird
wohl auch von Männern, doch meistens von Frauen betrieben (2. Mose 22, iS;
I. Sam. 28, 7; Apostelgesch. 16, 16).
Studien über den Inhalt von looi Nacht. ^2
derart kultiviert werden, daß sich irgendwelche Folgerungen volks-
psychologischer Art daraus überhaupt nicht mehr ziehen lassen;
trotzdem aber ist es unbestreitbar, daß bei allen in Frage stehenden
Geschichten ein Fonds von wirklichem Geisterglauben zurückbleibt,
der als solcher einen indiskutablen Bestandteil des islamischen Lehr-
gebäudes und Volksgeistes ausmacht.
Die Dsch innen {genii) zerfallen ■ — volkspsychologisch ausge-
drückt — in »gute« und »böse« oder - — religiös betrachtet — in
»gläubige« und »ungläubige« Geister^). Gläubige 'Ifriten
finden wir H. 14/95 =6/158/13:
»Als Hasan el-Basri den 'Ifrit anschaute, küßte dieser die Erde und sprach: 'Mein
Herr! Fürchte dich nicht Dies ist die erste der Inseln Wäq Wäq , ich aber
bin gläubiger Moslem, der sich zur Einheit Gottes bekennt'.«
H. 5/123 = 3/178/14:
»Als Meimüne Qamar ez-zemän sah, pries sie Gott; sie gehörte nämlich zu den
gläubigen Dschinn.«
H. 7/34 u. = 7/245/12 [Abu Mohammed el-Kaslän]:
»Da wandelte seh die unsichtbare Erscheinung des Rufers ^) in eine menschliche
Gestalt und sagte: 'Fürchte nichts , denn ich gehöre zum Volk der gläubigen
Dschinn'.«
H. 11/157 -9/123/5:
»Gharib und die gläubigen Dschinn aber machten einen Angriff auf die Scharen
Barkän's; die gläubigen Dschinn stürzten sich auf die ungläubigen, indem sie feurige Funken
einander entgegenwarfen, so daß die ganze Atmosphäre von Rauch eingehüllt ward.«
Neben den gläubigen Geistern auf dem Lande lernen wir in der
Geschichte von '^Abdallah el-berri und ^Abdallah el-bahri auch gläubige
Meergeister kennen (H. 16/95 = 11/65 ff.) 3).
Die »bösartigen« oder »ungläubigen« Dschinn galten als die
Erreger von Krankheiten 4) [Canaan 7], besonders des Irrsinns
und der Epilepsie [Vuiller 65/7], weshalb man diese physischen
oder psychischen Störungen durch »Besprechung« derselben (Exorzis-
mus) zu beheben suchte; vgl. 10/435/5 = H. 15/102 [Der Bagddder und
seine Sklavin] :
»Die Sängerin warf die Laute weg und brach den Gesang ab, während ich in Ohnmacht
sank. Da nun die Umstehenden glaubten, ich hätte einen epileptischen Anfall erlitten
[lies: vi>.£._o], so rezitierte man mir [Koränsprüche] ins Ohr« usw.
1) Caxaan 6; Lane 222 usw.
2) Cairo: »Fa 'nqalaba hädä l-hdtif Tva qäla li.«
3) Auch die gläubigen Dschinn können bekanntlich verschiedene Religionen (jüdisch,
christlich usw.) besitzen rvgl. Koran 72/1). Jacob, ))Agypt. Jahrmarkt« 23 u.; Bel
23 u.; Salzberger 100/7 = 103/5; Mauchamp 192 ult.
4) Snouck-Hurgronje II/120: »Kein Wunder, daß die ungelehrte Masse in jedem
ungewöhnlichen Ereignis, namentlich in Krankheiten, das Treiben der Geisterwelt
erblickt.«
^A O. Rescher,
Ihr Aufenthaltsort sind allerlei unreine Orte [Bel 23], wie
Kloaken, Senkgruben, Bäder i), Brunnenusw., deren üble Ausdünstungen
und Miasmen eben dem Einfluß menschenfeindlicher Dschinn zu-
geschrieben werden; auch verlassene Häuser und altes Gemäuer,
Ruinen, Friedhöfe 2) usw. gelten im Volksglauben als von (meist bös-
artigen) Dschinn bewohnt. H, 24/38 [Abu Nijje und abü Nijjatein],
H. 5/122 = 3/177:
»Das Gemach und der Turm waren schon seit vielen Jahren verlassen, und in der
Mitte befand sich ein alter, römischer [byzantinischer] Brunnen, der von Geistern be-
wohnt war [ma'mür'] und in dem eine Dschinnin vom Geschlecht Iblis, des Verfluchten,
hauste.« [Qamar ez-zemdn.'\
H. 7/161 = 1/23 1/6 [Neider und Beneidete]:
»Als nun der 'Neider' den 'Beneideten' in den alten Brunnen hinabgestoßen hatte — ■
der Brunnen war aber von Dschinnen bewohnt [maskün] — , da fingen ihn diese im Falle
auf« usw. [Vg . auch H. 12/106.]
H. 8/1 17 = 8/326/8 ['AH el-misr(\:
»'Warum', sagte ich, 'willst du mich nicht in das große Haus lassen?' 'Weil es',
entgegnete er, 'bewohnt [ma'niür] ist und keiner eine Nacht darin zubringt, der nicht
am nächsten Morgen tot wäre.'«
H. 1/177 u. = 2/38/2:
»In diesem Friedhof aber befand sich ein 'Ifrit, ein Dschinni, der bei Tage dort
hauste, zur Nachtzeit aber in einem andern sich aufhielt.«
H. 1/51/4 = HN. 167:
»La jeune femme disparut parmi les ruines3). Par hasard, le prince regarda par
le treu d'un mur et l'apergut qui causait avec un ogre: c'etait une ogresse [ghül].<<
Was die Erscheinungsform der Dschinnen anlangt, so haben
wir schon oben [Abü Mohammed el-Kasldn] H. 7/34 u. = 7/245/12 ge-
sehen, daß sie menschliche Gestalt annehmen können. Deshalb
werden auch öfters Heiraten 4) zwischen Menschen und Dschin-
nenmädchen erwähnt [Bel 7 u.] 5) :
»On cite couramment aujourd'hui ä Tlemcen le cas d'un musulman qui outre
sa femme legitime avait aussi pour epouse une 'djinniya'.« H. 1/31 = 1/60 ult.: »'Meine
Gattin' (erzählte der 2. Scheich) 'ward zu einer 'Ifritin, einer Dschinnenmaid,
die mich auflud und aus dem Meer auf eine Insel brachte. Am nächsten Morgen aber
") Vgl. Lane-Poole 182: »As the bath is a resort of the Jinn, prayer should not
be performed in it, nor the Kuran recited. The Prophet said: 'AU the earth is given to
me as a place of prayer and as pure, except the burial-ground and the bath'.« Vuiller 68:
»Au hammam Erremini, les femmes ne vont jamais isolement de peur d^etre enlevees par
es djinns dont il est peuple. EUes s'y rendent par groupes. « — Löhr 106 u.
-) Vgl. auch Canaan ii Mitte.
3) Etwas anders H. lolit^j/^; vgl. auch H. 24/9 Mitte.
4) Vgl. Öibli Rez. 245 Note 4; ferner die Erzählung: Canaan 14 oben; auch Sul
heiratet am Ende seiner abenteuerlichen Fahrten außer seiner Kusine Schumül noch die
Dschinnenmaid Nahhäda.
5) Vgl. auch die Geschichte in Lane-Poole 35 — 36; Doutte 93.
Studien über den Inhalt von looi Nacht.
45
sagte sie zu mir: 'Lieber Mann! Gestern habe ich dich vom Tod errettet. Wisse aber,
dai3 ich zum Volk des „Bismilläh" gehöre'« [d. h. gläubige Muslimin bin]. H. 8/23/2 = 5/81/4.
H, 13/162 \Hasdn el-Basri und die Dschinnenelfe von den Insehi
Wäq Wdq\. — H. 19/117 = 1 1/436/2 {Tuhfat el-qulüb):
.»Dann kamen die Könige der Dschann, die a,lle menschliche Gestalt hatten außer
zweien «
Häufiger als in menschlicher Gestalt erscheinen jedoch die D s c h i n n
in tierischen Formen. Nach einem Hadit verkörpern sich die
Dämonen in Schlangen^), schwarzen Hunden und im Hauch
des Windes bzw. in Wesen, die sich beflügelt durch die
Lüfte schwingen [Canaan 15, Sibli Rez. 246], was oben in dem
Kapitel über »Tieraberglauben« [Schlangen] bereits erwähnt worden
ist. — Wesentlich verschieden von dieser im Grunde (alt)arabi-
schen Vorstellung von den Dschinn sind die aus dem persisch-indischen
Literaturkreis stammenden (oder diesen Geschichten nachgeahmten)
ganz und garphantastischen Beschreibungen, die uns die wirklichen
Märchen von lOOi Nacht liefern, die sich aber auch in der (»wissen-
schaftlichen«) Literatur bei Kazwini, Demiri, Kisä'i (vgl. Salz-
berger 105 f. bzw. 108 f.) nachweisen lassen. Wenn schon diese
Phantastereien für die eigentliche Psychologie des Geisterglaubens
auch weniger in Frage kommen, so möge doch der Vollständigkeit
halber eine Blütenlese dieser bizarr-krausen Vorstellungen als Note
mitgeteilt werden ^).
^) Vgl. Canaan 15' Mitte, 18 unten; Lane 226 Mitte.
^) H. 13/55 = 10/66/8 [Bedr Bdsim]: »Ein 'Ifrit mit 4 Flügeln.« — 9/104/3 — 9 [Gharib
und 'Agib]: »Zwei Märids, der eine mit einem Hundskopf, der andere mit einem Affen-
kopf, beide so groß wie langstämmige Palmen, mit Haaren so lang wie Roßschweife und
mitKlauen wie Löwenkrallen.« — 9/106/7 = H. 11/144U. [ibid.]: »Dschinnenkönig Mar*as
mit 4 Köpfen, einem Löwen-, Elefanten-, Panther- und Gepardenkopf.« — H. 14/92 =
6)154: »Das Dscliinnenheer verschieden an Gestalt, Farbe und Aussehen, nämlich
Köpfe ohne Leiber sowie Leiber ohne Köpfe, andere wieder ähnlich Raubtieren oder
Löwen.« — H. 19/117 = 1 1/436/2 ff. \Tuhfat el-qulüb]: »Die Könige der Dschann ,
alle mit menschlicher Gestalt außer zweien, die ihre Dschännengestalt beibehalten hatten
und der Länge nach geschlitzte Augen, hervortretende Hörner und herausstehende Eck-
zähne [Havier] sehen ließen.« — H. 19/127 = 11/459/11 [ibid.]: »(Eine Ghül mit) ein(em)
Haupt ohne Leib, mit zwei der Länge nach geschlitzten Augen, von der Größe eines Ele-
fantenkopfes oder noch größer; mit einem Maul gleich einem Ofen, herausstehenden Hauern
wie Harpunen, und Haaren, die auf der Erde nachschleiften.« — H. 14/94 = 6/158 und
H. 14/91 = 6/152 ult. [^Hasan el-Basri]: »Ein 'Ifrit, dessen Füße in der Erde und dessen
Haupt in den Wolken.« — HN. 23, Fleur des jardins (= H. 1/15 Sahrijdr und Sähzeman):
»Un efrit aux quatre ailes largement ouvertes; le feu sortait de ses yeu.x et de ses narines.« —
H. 10/113 = 6/364 — 365 [Messingne Stadt]: »Ein 'Ifrit von den Dschinn mit großen Flügeln
und Händen gleich Löwentatzen und scharfen Krallen, mit Haar(büschcln) mitten auf
dem Kopf gleich Roßschweifen, mit zwei der Länge nach geschlitzten Augen» aus denen
46 O. Rescher,
Eigenartig sind die Namen der Dschinn, in denen ein doppelter
Gesichtspunkt sich geltend macht: entweder sind es Namen, denen
Naturerscheinungen^) zugrunde liegen, z.B. »duAän<( (Rauch):
H. 19/146 = 12/36/2, >;^M'«'a« (Lichtstrahl): 11/470/14, »s^/s^/^« (Erd-
beben): H. 19/146 = 12/35/11; auch 11/465/10; ferner »sa/idb« (»Wolke«)
in Sül und ^uniül: Chauvin VII/ii, )>sardra<( (Funke): 1 1/437/8,
»gamra« (glühende Kohle) usw., oder Namen, die dem Sinne nach
mehr farblos, aber der Wortbildung nach auffallend sind
(durch Alliteration ^), Reduplikation, als Ouinquelitera usw.), z. B.
»Kurgän und Keilgän« im Gharib- Roman (H. 11/168, 9/1 1 1/4); ferner
Bildungen wie Ka§ka§ (H. 5/132), Dahnas (H. 5/124), Faktas (H. 14/40),
A*ma§ (H. 10/113, aber 6/365/2: Dazma§ b. el-A'nas) sowie Reduplika-
tionsformen wie Ghasamsam (H. 22/184), Gargaris (H. i/iooult., fehlt
1/215/9), die alle von der gewöhnlichen arabischen Wortbildung mehr
oder weniger abweichen 3). — Eine besondere Abart der Dschinn
bilden die 'Ifrits, die Ghüle, die Märids (pl. »marada«), die 'Aune und
die Hexen {sa'-dli) 4). Während die 'Ifrite, Märids und 'Aune (pl. A'wän)
Feuerfunken sprühten, und einem auf der Stirn befindlichen Auge, das wie eines Gepards
Auge glühte.« ■ — • 1/73/3 = H. 1/37 [Fischer und Geist]: »Ein *Ifrit, dessen Füße im Erd-
boden und dessen Haupt in des Himmels Wolken, mit einem Kopf wie eine Kuppel (Hab.:
kalqalih) und Hauern wie Harpunen, einem Maul so groß wie eine Höhle, Zähnen wie Fels-
blöcke, Nüstern wie Trompeten, Ohren (so breit) wie Gewichtplatten, einem Schlund wie eine
Straßeundzwei Augen leuchtend wie zweiLampen.« — H. 5/131 =3/190/11 [Qamar ez-zemdri]:
»Ein lahmer, einäugiger Dschinn, mit einem der Länge nach geschlitzten Auge, mit sechs
Hörnern auf dem Kopf und vier bis auf die Knöchel fallenden Stirnlocken, mit Qutrub- Händen
und Nägeln gleich Löwenklauen sowie Füßen gleich denen einer Ghül. « Eine siebenköpfige
Ghül: Socix, )>Zum arab. Dialekt von Marokko« 189/10. Mehr oder weniger passen
zu diesem Sammelsurium von Absonderlichkeiten auch die extravaganten Zahlen,
die in Verbindung damit vorkommen: H. 17/146 (il/aVw/): 72 Dschinnenstämme mit je
72 000 Köpfen, von welch' letzteren jeder einzelne über 1000 Märids, jeder Märid über
looo *Auns, jeder 'Aun über 1000 Satane und jeder Satan über 1000 Dschinn steht
= 5184000000000000000!!!). Ganz harmlos sind dagegen Zahlen wäe H. 13/100 =
4/256/13 (Tag el-mulük): 600000 Dschinn oder H. 10/114 = 6/365/12 [Messingne Stadt]:
I 000 000 Dschinnenkrieger; ebenso 6/370/8 = H. 10/117: i 000 000 Dschinnenkämpfer,
usw. — ■ [Vgl. auch die Aufstellung in S i bli Rez. 246 Note 2]. — • Ähnlich exorbitante Zahlen
finden sich in der arabischen Literatur übrigens gelegentlich auch sonst noch [z. B. » Weis-
heit des Ostens« Bd. H, Hajj ibn Jaqzän (übers, von Brönnle bzw. deutsch von Heinck-
Rostock 1907), wo die geistigen Wesen, die Gott preisen, sein Lob mit 700003 Zungen
künden u. a. m.].
') Wie z. B. auch »zoba'a« (Wirbelwind). Vgl. Canaan 15/105 unten.
*) So Bas im tr/^^ '. v>jij ^ ^XjJs und 5.x-äi! ^J ^^^^ usw.
3) Noch auffallendere Namen finden wir bei Can.\an ioS u. »hashatkaschli'üsch«
usw. = DouTTE 130 oben.
4) Nur an einer Stelle kommt der Ausdruck »tdbi'« [der (dem Menschen) folgende
(nämlich: Dschinn)] vor (3/21 6/1 vgl. MiiHf: I/157 col. s Mitte: »^M_J^H iW^ CS^""^^ 5-?^'
Studien über den Inhalt von looi Nacht.
47
nur durch eine gewisse Steigerung des Dschinnennatur ins Gigantische
sich von diesen unterscheiden, sonst aber gleich wie jene als gute (hilf-
reiche) oder böse (feindliche) Mächte in Erscheinung treten, sind die
Ghüle und Hexen [sa^äli) ausschließlich unheilbringende und un-
heimliche Wesen, die in manchen Beziehungen Vampiren und ähn-
lichen Schreckgestalten sich vergleichen lassen. Nach der Volksvor-
stellung nähren sie sich gern von Menschenfleisch, besonders Leichen,
die sie auf den Friedhöfen ausgraben usw. ^) (vgl. H. 21/23 • «^^^^ Normans
Geschichte) ; auch in Gharib und ''Agib verspeist der »Gh ül vom Berge «
seine erlegten Feinde mit Haut und Haar (H. 11/75; ibid. 11/107 — 108
=- 8/377/9 [lies: lLoT] bzw. 9/48/1 ff.):
»Darief Sa'dän, der Ghül vom Berge, seinen Söhnen und Knechten zu: 'Zündet ein
Feuer an und jeden, der von den Ungläubigen fällt, sollt ihr mir braten, wohl zurichten
und gar kochen, danait ich ihn zum Frühstück vorgesetzt erhalte." Diese taten nun nach
seinem Geheiß und zündeten mitten auf dem Kampfplatz ein Feuer an; jeden Erschlagenen
aber setzten sie ans Feuer (und brieten ihn), bis er g^r war, worauf sie ihn (dem Ghül vom
Berge) Sa'dän (zum Essen) vorlegten, der dann sein Fleisch abbiß und seine Knochen
zermalmte. «
1/128/6 = H. 1/68 [Prinz der schwarzen Inseln]:
»Die zauberkundige Hexe [die Frau des Prinzen] sagte zu ihrem Liebhaber, dem
kranken Schwarzen: 'Mein Herr und Gebieter! Hast du etwas für deine niedrige Sklavin
zu essen?' Da sagte dieser: 'Nimm den Deckel vom Becken wegl' Sie tat nach seinem
Worte und fand darunter das Überbleibsel von gebratenen (?) Mausknochen 2), die sie
alsdann aß.«
Auch in Seif el-mulük's Reiseabenteuern [H. 13/90 Mitte =
4/239/9] werden »menschenfressende Ghüle« \g-Uan jd'kulü beni Adam]
erwähnt. — [H. 1/5 1/8.]
Von Hexen [si'^lät-pL sa^äli] ist in lOOi Nacht nur an einer (übri-
gens erst zu korrigierenden) Stelle die Rede 3); doch finden sich daneben
verschiedene Stellen, die dem Sinne nach nur auf solche bezogen
werden können; besonders 12/304 = H. 10/176:
V*^"-^ ic:a^;> *'*>->'J i-jwwjJ) ^X'.). Die (als verrückt behandelte) Budür sagte zu ihrem
Vater, dem König: »Warum bringst du mir den da her? Schämst du dich nicht, fremde
Männer bei mir eintreten zu lassen?« Da entgegnete ihr ihr Vater: v.Ich habe ihn bloß
deshalb gebracht, damit er den »tdbi'-« von dir jage, der dich befallen hat« ; usw. [Die
weibliche Form »et-tdbi'-a« findet sich Canaan 26 Mitte q. v. — Eine etymologische Parallele
zu Häbi'-i^ bietet das dänische »fylgie« (Schutzgeist), verwandt mit »folge« (folgen).]
') Lane 227: »the Ghools are generally believed to be a class of evil ginnees,
and are said to haunt burial-grounds and other sequestred spots; to feed upon dead
bodies; and to kill and devour every human creature who has the misfortune to fall in
their way. [Hence, the term »ghool« is applied to any cannibal.]«
^) Vgl. Öibli, Rez. 248/4. • '
3) An der Stelle 12/271/5 ist nämlich statt )>^3L*^J! r^^ xi*.i: wJLJiJ'« viel-
mehr »^kx^\ ^A äbljuw l^sS« zu lesen.
4.8 O. Rescher,
»Ich bin«, sagte der Goldschmied zum König, »zu dir aus dem Lande Negrän
[H. : Choräsän] gekommen und brachte, da die Stadttore schon geschlossen waren,
die gestrige Nacht außerhalb der Stadt zu. Und während ich zwischen Schlafen und
Wachen dalag, da gewahrte ich vier Frauen, von denen die eine auf einem Besen, die andere
auf einem Faß, die dritte auf einem Feuerhaken und die letzte auf einer schwarzen Hündin
ritt, woraus ich erkannte, daß ich »Zauberinnen« vor mir hatte.«
Auch an zwei andern Stellen kommt der Ausdruck »Krugreiterin«
noch vor: H. 22/67 {El-Bundukdnt) und in »Hasan el-Basri« (die alte
Zauberin Sawähi dät ed-dawähi: H. 14/90, 6/151 paen.):
»Hasan und seine Dschinnenfrau gingen aus dem Tor und da sahen sie die Alte mit
einem Gurt um ihre Mitte und auf einem roten, tönernen Faß [lies: zir fahbär] reitend,
um dessen Hals ein Strick von »nasüs« lag (und der huriig unter ihr dahinroUte).«
Der »Satane«, »Märid's« und »*Aun's« [Marada (eigentlich:
»rebellische Geister«) — A^wdn] geschieht in ziemlich vielen Geschichten
Erwähnung (H. 9/151, H. 6/145, H. 24/9, 9/290 ult., 9/296/4, 9/384/5^
BdsimÜh. 12, 60 usw.; »Märid's^)«: 9/336/11 = H. 11/20 u.; 6/49/13 usw.)
und sind sie von den *Ifrit's nicht wesentlich verschieden. Eine Eigen-
tümlichkeit der bösen Geister »Satane« [sejdtin] oder »'Ifrit's« ist es,
aus dem Innern der Götzenbilder trügerische Antworten vernehmen
zu lassen, wie z. B. H. 17/86 u. ['Abdallah b. Fddü], H. 10/114=6/365
ult. [Messingne Stadt]:
Iblis, den Gott verfluche! (sagte der in der Säule eingeschlossene 'Ifrit zu dem
seih *Abdessamad) besaß ein Götzenbild aus rotem Karneol, das meiner Obhut anvertraut
war , ich aber pflegte in dieses Idol zu kriechen, um die Leute (aus ihm heraus
sprechend) zum Irrtum zu verleiten [367/5 u.]. So kroch ich nun wieder in den Bauch des
Götzen in meinem Unverstand und Wahnwitz, in gänzlicher Unkenntnis von Salomo's
Macht und sprach [Regez]: »Nicht furcht' ich ihn, zu keiner Zeil. Sucht er den Kampf.
mir tut's nicht leid. Jed' Ding weiß ich wohl, weit und breit. Raub' ihm die Seel' in
Sturm und Streit. Zum Waffengang bin ich bereit«^) usw.
Als Herr und Meister aller Geister und Dämonen gilt Iblis, über
den ich bereits einige Notizen in es-Sibli, Rez. 249, gegeben habe.
Wie wir aus den, auch von Mohammed rezipierten altarabischen Vor-
stellungen wissen, waren es besonders die Dichter [dann weiterhin
auch Sänger und Musiker 3), denn die Lieder wurden gewöhnlich ge-
sungen], deren Phantasie und Gedanken Iblis durch seine Einflüsterun-
gen inspirierte. Deshalb auch all' die zahlreichen Anekdoten von
Ibrahim el-Mausili, Ishäq b. Ibrahim und andern Dichtern, die
wir (im kitdb el-Aghdni und sekundär dann) in looi Nacht antreffen
') Von schrecklichem Aussehen: 6/400 ult. [Messingne Stadt].
-) H.\BicHT hat den Regezcharakter dieser und der vorausgehenden Verse nicht
erkannt.
3) H. 19/151 Mitte = 12/45/10 spielt Tuhfat el-qulüb dem Chalifen Harun eine Weise
vor, die sie von Iblis gelernt.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. aq
(vgl. H. 12/28 ff.; Chauvin Nr. 226 f. und die Note VI/60/5 ff.); Hama-
däni Üb. Maqdme Nr. 36 S. 123^. sagt Iblis selbst zu 'Is ä b. Hi§äm:
»So wiss' also: Keiner hat je als Dichter sich produziert — • ohn' daß ihm einer der
Unsern [d. h. §eitäne] die Wort' insinuiert — und das, was gedichtet öerir — war ihm
eingeflüstert von mir — und mich selbst, damit du es weißt — den Scheich 'abü Murra' ^)
man heißt. ^<
Mephisto-Manieren zeigt er (in der Geschichte von Harun er-
Rasid und Tukfat el-qulüb) H. 19/119/4U.; ibid. 123/7 = II/442/8.
Eigentümlich ist die aus der jüdischen Legende ins Arabertum
übernommene und dort weiterentwickelte Anschauung von der Macht
Salomos über die Geisterwelt; diese Idee kommt auch in einer ganzen
Reihe von Erzählungen {Der Fischer und der Geist, Die kupferne Stadt
usw.) zum Ausdruck. Speziell Salomos Siegelring mit dem in ihm
eingravierten »höchsten Namen« Gottes [z. B. 1/75 Mitte = H. 1/38 u.]
ist es, der auf Dämonen und Geister einen magischen Einfluß und
zwingende Gewalt ausübt (vgl, Salzberger 99) und mit dessen Hilfe
der genannte alttestamentliche Prophet die widerspenstigen und auf-
rührerischen Dschinnenund 'Ifrits unter Verschluß tut (in eine Säule:
PI. 10/119/7 =6/373/7, in kupferne Flaschen: H. 10/140- — 141 =
6/400/13 ff., H. 10/99 = 6/344/9 [Messingne Stadt], H. 1/38 = 1/75 Mitte
[Fischer und Geist] usw.). Dieser Verbindung von Salomos Ring und
seiner Gewalt über die Geister wird es wohl zuzuschreiben sein, daß
in vielen, besonders späteren Geschichten (M/arfö??fi, Dschüdar, Md^rüf,
Bäsim Üb. 59 usw.) diese letzteren überhaupt nur noch an einen
solchen gebannt als »Diener des (betrefi'enden) Ringes« in Erscheinung
treten.
An verschiedenen Einzelheiten' wäre noch zu bemerken, daß die
Dschinn zwar an Zahl die Menschen übertreffen (e s- Sibli Rez. 246
Note 2), an Wert dagegen weit unter ihnen stehen, wie z.B.
auch aus verschiedenen Stellen ersichtlich. H. 1/39 u. = 1/77 paen.
[Fischer und Geist].
»(In dieser Todesgefahr) sprach der Fischer zu sich: 'Das ist doch (nur) ein Dschinn,
ich aber bin ein Mensch, und Gott hat mir Verstand und einen Vorzug vor ihm gegeben'
[»•■fXc. gXL:ai . . , nUI^I «
H. 17/103 (^Abdallah b. Fdäil)-):
»(Der Dschinnenkönig sagte zu seiner Tochter:) 'Der König der Menschen hat aus
Verschiedenen Gründen Macht über uns; erstens ist er ein Mensch und hat deshalb vor uns
') Vgl. H. 12/31 ob.; vgl. auch Wetzstein 115; besonders, Lane-Poole 169 — 171;
sodann Aubin 310: »Die Tradition behauptet, (der Liedersammler) Masmudi habe die
Inspiration in einein Hause erhalten, in dem Geister umgingen.«
^) Fehlt bei Habicht.
Islam. IX. 4
50
O. Rescher,
den V^orrang, zweitens ist er der Chalife Gottes und drittens betet er olin' Unterlaß das
Gebet der zweimaligen Beugung '<<
Der Geruch der Dschinn (12/35/4 = H. 19/146/7) mag als ein
Pendant zu dem für die Dschinn auffälligen Geruch der Menschen
gelten, von dem in Kunos' Stamhuler Volksmärchen einigemal die Rede
ist. — Zur Abwehr der Dschinnen scheint, wie aus mehreren
Stellen hervorgeht, das Salz zu dienen, vgl. H. 18/25/1 = 4/171 paen.
(womit Lane-Poole 259 Note i übereinstimmt) und H. 6/83 = 7/45
paen. [an letzterer Stelle könnte allerdings auch die Neutralisierung
der Wirkung des malocchio mit dem Verstreuen des Salzes bezweckt
sein]; vgl. Kremer, Studien 21 und 25; Schwally 23.
Der Fatalismus.
In gleicher Weise w-ie die beiden vorhergehenden Kapitel läßt sich
auch der Fatalismus dem Grenzgebiet von Glaube und Aberglaube
zuweisen. Im Rahmen des von mir Gewollten kann natürlich von einer
Darstellung desselben nach seiner religiösen oder ethischen Wertung
oder gar von einer Aufrollung der hier in Frage stehenden Probleme
und Vertiefung in diese keine Rede sein • — dazu gäbe lOOi Nacht auch
kaum eine zureichende Grundlage ab — , sondern vielmehr soll es sich
hier nur um eine Skizze dessen, wie er sich in den landläufigen An-
schauungen des Volkes äußert, handeln. Was immer auch von literari-
scher Seite (Theologen und Philosophen) aus gegen den Schicksalsglauben
geschrieben worden ist, jedenfalls läßt es sich nicht in Abrede stellen,
daß dieser im Volksgeist seit alters her recht lebendig war. Bereits in den
aus dem Heidentum stammenden oder wenigstens den Anschauungen
der Heidenzeit nahestehenden altarabischen Gedichten lassen sich fata-
listische Einschläge^), und zwar nicht nur in vereinzelten gelegentlichen
Äußerungen, sondern in hinlänglicher Menge und scharf genug betont
nachweisen, daß wir sie doch wohl unbedenklich als einen integrierenden
Bestandteil der Volkspsyche betrachten dürfen. Der Koran, der im
wesentlichen auf dem Boden der arabischen Volksanschauungen steht,
wenn er freilich auch ihre psychologische Seite mehr ins Religiöse wendet
und sie weiterhin mit jüdisch-christlichen Ideen kombiniert, hat dann
diese Vorstellungen erweitert und fortgebildet. — Der gewöhnlichste
Ausdruck » jö •, i-Löä« ist natürlich auch in lOOi Nacht am häufigsten
(vgl. z.B. 10/365/8, 11/301/5, 1/260/2, daneben auch ^_)OLiw 1/207/7;
gering variiert 10/369/2 >y_-*-*.il i^lAi^äJU J\'sui\ ys^b« oder [bei üblen
') Zur Ergänzung der folgenden Ausführungen möchte ich auf meinen Artikel: »Fata-
listische Tendenzen in den Anschauungen der Araber«, Islcrm n/337 ff., verweisen.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. ci
Dingen] ^^üil^ pL^il^ ^^LL^^fi) [^ii]). Das Schicksal gilt als ein
von Ewigkeit her bestimmtes (10/24/7 xJj^! ^^oJUJt ; 11/24/3 w«^ -S
^J^' </' i^ j"^)- Identisch mit dem Begriff ^l^^ ^j^j ist das
im Volk vielleicht mehr übliche »lj^jc^^« [»das Aufgezeichnete«], das
sich in lOOi Nacht sehr häufig findet (z. B. 6/324 paen.; 1/278/8: »^y^i^
^Jüi^«), besonders aber Inder Verbindung \^II^\ ^«, vgl. 6/286/4 =
H. 18/90 Mitte; 4/244/11; 11/301/6 >>^Ji^^ J^ii, ^^_-^jl ^j^«,
H. 24/138 u., ibid. 204/11, ibid. 177/5, H. 9/172 Mitte oder ^^Z^HTIII
H. 13/166 u. = 5/332/12. Eine Variierung des Ausdrucks »(^yjCx«,
sonst aber damit identisch ist die Redensart »Was die Feder (der
»^a/am«) aufgezeichnet hat« (H. 7/85 2) Mitte, 4/244/12, 5/16 ult. =
H. 2/179 Mitte, 6/147/8 )>^ L^ ' ^j^\ ^^^ ' ^iäJI ^^.:^«). Meist erscheint
das Fatum als eine »höhere Macht«, wovon der Mensch mehr oder
minder restlos abhängig ist und gegen die anzukämpfen aussichtslos
ist, wie auch die folgenden Sprichwörter zeigen (7/49) : ^^♦.j ^ <JK;^\
jXs}\ [»Vor(aus)sicht wehrt das Schicksal nicht ab«]; ii7ii2/8: l\äJ!
^Js.^! V^-ljtJ [»Das Schicksal besiegt die Voraussicht«]; 10/312/11:
(zu korrigieren nach 5/83/6) ^j^üJI ^^ ^Ä^JJ ^^ ^ [»Voraussicht
frommt nichts gegen das Schicksal«]; H. 24/155/10 u., H. 5/57/5 u.
II u.; ferner 6/93 ult. = 7/285/7 = 10/199/5: y^^\ ^^ pL^äJI j^ \dl
[»Wenn das Geschick eintreten soll 3), wird der Blick blind«]; 11/243/3:
jtriO^ V*"^Liil _.jlXü:>:JL yXsj\ ^c Lf^ L/8 ^^Xis,J!; [nichts nützt Voraus-
sicht gegen das Schicksal, und die Bestimmung ist stärker denn mensch-
liche Überlegung] ; vgl. auch 6/47/7. Hieran anschließend möge noch
das Gedicht 5/291 ult. = 10/313/40. = H. 15/45, H. 2/27 (fehlt aber
2/161 u.) Platz finden [Regez] :
ö - 5 S S s.
tä- ^.j_;iJ| J.^ \J_Ä£ i^Ä^ J.^^ ^ ^-^->r^ i_5-*-^'^ x-^öl ^.>öl
o ^ ^ *.
^
Vgl. H. 4/194/6 u.
^) Statt dieses Gedichtchens steht 7/310 ein ganz anderes längeres Gedicht.
3) Eigentlich: niedersteigt.
4*
52 O. Rescher,
»Nicht frommt die Vorsicht, wenn das Schicksal ein sich stellt,
Fehlt auch der Mensch, das Schicksal nimmermehr je fehlt.
Wenn Gott mit einem Plan sich gegen Menschen trägt —
So macht er ihm, sei er auch sonst verständig, aufgeweckt,
Die Ohren taub, das Auge blind, und seinen Geist
Grad' wie ein kleines Härchen Er heraus ihm reißt.
Bis daß vollendet Sein Entschluß, endlich zuletzt
Er wieder ihn in den Besitz des Geistes setzt.
Dann mag er grübeln und nachdenken, hin und her
Aus dem Geschehenen zu zieh'n sich eine Lehr';
Doch frag' er nie, wie es geschah, warum's mußt sein,
Denn jedwed' Ding, durch's Schicksal wird's bestimmt allein.«
Weiterhin erscheint dann das Schicksal einfach als Gottes Wille
selbst, der in unerforschlicher Weise über den Menschen Freud' oder
Leid verhängt, das er widerspruchslos hinnehmen muß, und demgegen-
über ethische Werte ganz ausgeschaltet werden i); vgl. 11/243 = 3/3^8
[Seri']:
> ■* II ' ■*
^
^,oLÄJt Vj<Xi (^lÄJl !Ä^ || äJLjs- ^^ ^3i.^'^^^*.^5 äI^^ ^ ^ 3)
Eine typische Geschichte ist hierfür ferner die Erzählung von dem
Hawäge Hasan dem Seiler (H. 21/34), in der die beiden Freunde S'ad-
und Sa'di die Probe auf ihre Anschauungen durch die Praxis zu machen
suchen. Sa'd verficht hierbei den Standpunkt, daß »weder Verstand
noch Fleiß« dem Menschen wesentlich frommt (S. 34ult.), sondern
allein das Schicksal seine Wege leitet, während Sa'di der persönlichen
Initiative (d.h. der Arbeit und Umsicht) das Wort spricht. Hasan
der Seiler bekommt nun von Sa*di, dem »Tatmenschen«, zweimal je
200 Agrafis [Goldmünzen], die ihm beidemal auf ungewöhnliche Art,
I) 7/220 ult. sucht mit einem »xUI g^i> iÄi' « ein Dieb seinen Diebstahl zu ent-
schuldigen [die Sache ist hier allerdings nur fiktiv]. Vgl. auchLuKi.^NS »Totengespräche«,
itMinos und Sostraiusa.
-) Lies 11/243 ebenfalls )y,3LJI« statt »^LJI«. Übrigens hat H. 6/40 andere
Veise statt der 3/308 gegebenen.
3) »Manchmal umgeht der Blinde glücklich eine Grube, in die der mit gesunden
Augen hineintappt, und manchmal bleibt der Dummkopf vor einem Wort bewahrt, in
das der Vernünftige, Kluge hineinstürzt. Schweie Mühe hat oft der Recht-
gläubige, sein täglich Brot zu verdienen, während es dem Ungläubigen und Schurken ohne
Mühe zufällt. Nichts nützt (bisweilen) des Schlauen List und Schläue — so hat's eben ein-
mal der 'Bestimmende' (d. h. Gott) bestimmt.« — Diese Verse finden sich auch H. 2/15 f.,
fehlen dagegen an der entsprechenden Stelle 2/143/10.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 53
doch ohne seine direkte Schuld wieder abhanden kommen, während
eine Bleimünze, die ihm SaM, der »Quietist«, gibt, ihm auf ebenso
merkwürdige als unverhoffte Weise zu Reichtum und Ansehen ver-
hilft, so daß er sich als »Meister« ^asan der Seiler großzügig etablieren
kann. Die Pointe ist also die, daß — wie SaMi zuletzt zu SaM sagt —
Reichtum (und irdisches Wohlergehen) nicht von Reichtum [d. h.
Arbeit, Mühsal und Klugheit] kommt, sondern allein aus Gottes Gnade
[d h. dem (verhängten) Schicksal] herrührt (S. 58). — Demgemäß singt
auch der Fischer Kerim (H. 2/137 = 3/137: 'Ali Nur eddin und Enis
el-g-elis) [Basiti:
*" »Der du das Meer befährst, umringt von Schreck und Not,
Oh, kürz' doch deine Müh', nicht Mühsal schafft dir Brot.
[Schau dort den Fischer, der in heller Sternennacht
Nach seinem Netze späht, auf karg' Gewinst bedacht.
Und hat er dann die ganze Nacht sich abgeplagt,
Als Beute einen Fisch dem Meere abgejagt,
Dann gibt er ihn zum Kauf, um einen 'ringen Preis
Dem Reichen, der von Todesnot und -grau'n nichts weiß,
Und kehlt er dann mit einem dürft'gen Lohn nach Haus,
Vergißt er rasch die Pein, auf's neu' zieht er hinaus.
Doch Gott gebührt der Preis, der [dem] einem Wohlstand wehrt.
Dem andern aber reich aus Seiner Gnad' beschert.]«')
Den gleichen Gedankengang finden wir in der Geschichte des
Kaufmanns, gegen den sich sein Glück kehrte (Episode aus den 10 Ve-
ziren) H. 18/47 = 6/215/3:
»(Als dem Kaufmann auf des Königs Befehl die Augen ausgerissen worden waren,
nahm er sie in die Hand, indem er sagte:) 'Wie lang' willst du mich noch verfolgen; un-
glückseliges Geschick {jd t&W manHs); zuerst hast du mir mein Gut geraubt und jetzt
<rreifst du mein Leben an.' Dann aber meinte er, indem er sich selbst tröstete: 'Niclits
hat mich alle Plackerei genützt, wenn das Mißgeschick meine Absichten vereitelt {^
Ji^! p^-w <-a »/.^l J^jlsÜsjX denn weil der Allerbarmer mir nicht geholfen, so
wird auch meine Bemühung zur Unfruchtbarkeit verdammt'*).«
1) 3/137/6 ist iüCJl^i^ natürlich Druckfehler; das Gedichtclien ist nur dem Sinn
nach ganz frei wiedergegeben, nicht übersetzt. —Ein ähnliches Gedicht in Macdonald's
))Fisherman and Jinni« p. 2.
*) Die Konsequenz dieser Passivität führt im praktischen Leben natürlich zur In-
dolenz, die schließlich in ein apathisches »laisser aller« ausmündet, wofür ein Beispiel Lane
217 u.: »Many of the Egyptians in illness neglect medical aid,.placing their whole reliance
on Providence or on charms.« — Vgl. auch die Ansicht <Abde Imu 'min el -Isf ahäni's
{Maqäme Nr. 52, Üb. S. 75): »Du Kranker, du wendest dich im Fieber an den Arzt, aber
c^. O. Reschcr,
Auch die Lebensdauer des Menschen gilt als durch das Geschick
im voraus unabänderlich bestimmt; aus diesem Glauben heraus erklärt
sich auch die Gleichgültigkeit des Orientalen gegen Gefahr und Tod,
die sich ebensowohl in unbekümmertem Wagemut als in stumpfer
Resignation äußern kann. Vgl. z. B. die Anekdote von dem Beduinen-
jungen und Hisäm (7/155 ff. = H. 6/159 ff.) J), ferner das Gedicht-
chen 6/66:
»Es ist mir eine Frist hienieden fest gegeben,
Und eh' sie nicht erfüllt, scheid' ich nicht aus dem Leben,
Ja, kämen auch die Löwen über mich in Haufen,
Ich überwände all', ist sie rieht abgelaufen.«
Viel seltener findet sich dem gegenüber der antifatalistische
Gedanke ausgesprochen, daß man sich um das Geschick [maqädir)
keine unnützen Sorgen machen solle (Gedicht 6/36 ult. = öliT^^jn ff.),
oder gar, daß nicht das Schicksal, sondern der Kern der
eigenen Persönlichkeit es sei, was des Menschen Pfad bestimme
(H. 19/98 = 11/398):
^ w C O f
jjsJw e^oJ.£i (^>>'u i^ÄJ! Jä.9
»Läßt man dir Ruh', so laß die andern auch in Frieden!
Tu wohl! Ein Lohn von Gott dereinst dir wird beschieden.
Von Gott ist all' bestimmt, doch sei dir trotzdem kund:
In deinem eig'nen Handeln, da liegt der letzte Grund 3).«
was vermöchte dieser gegen das festgesetzte Kismet? « [3. 76]. »Such' (lieber) deine
Heilung im Koran, denn er ist ein Meer, das von Ewigkeit zu Ewigkeit wallt, während des
Arztes Worte gleich Schaum im Winde verfliegen« , wo diese Passivität mehr religiös
gefärbt erscheint.
Vgl. 7/156 paen. = 7/157 ult. »^ ^ yo ^ ^Xli ^\ Ji ^^ ^
*) Der Text »LgJ*«giiJ« ist gegen das Metrum.
3) Mit einigen kurzen Worten möchte ich hier noch auf die Bilder eingehen, in denen
sich der Sprachgeist »Schicksal und Tod« vorstellt. Schon in den altarabischen Gedichten
findet sich besonders die Vorstellung von dem »Becher«, aus dem man den Tod schlürft,
oder der »Tränkstelle«, zu der letzthin alle Menschen niedersteigen müssen. Den gleichen
Anschauungen begegnen wir natürlich dann auch in looi Nacht; das Bild selbst bleibt das
Studien über den Inhalt von looi Nacht. cc
Mit dem Glauben an das Schicksal und die sich daraus ergebende
Resignation in Gottes Willen hängt ein anderer Umstand zusammen,
auf den ich in den nächsten Zeilen noch kurz zu sprechen kommen
möchte, nämlich die Seltenheit des Selbstmords bei den Mus-
lims, der, wie bekannt, vom Islam als eine Todsünde erachtet wird.
Immerhin finden sich doch einige Geschichten, in denen Selbstmord
oder doch wenigstens ein Selbstmordversuch vorkommt. Zur Ver-
gleichung dieser übrigens nicht durchweg aus arabisch-islamischem
Milieu stammenden Geschichten möchte ich folgende Stellen zitieren:
H. 10/168 = 12/293 == HN. 174 i) (eine indische Episode aus den
sieben Veziren). Ist es hier das Motiv der Selbstverschuldung und
Eifersucht, die den allzu profitlichen Bademeister zum Lebensüberdruß
bringt, so haben wir in verschiedenen andern Geschichten das Motiv
der Verzweiflung, die zum Selbstmord oder doch wenigstens zum
Versuch dazu treiben kann, so z. B. H. 15/101 = 10/432/4 (in der Ge-
schichte des Bagdddi und der Sklavin) :
»Da sprach ich [sagte der Jüngling] zu mir: Nun hast du dein Leben und dein
Geld zusammen eingebüßt. Und das lastete so schwer auf mir, dal3 ich zum Tigris ging,
mein Gewand über mein Gesicht zog und mich in den Fluß stürzte (Als man aber
mich wieder herausgezogen hatte), kam ein Scheich auf mich zu und sagte: 'Willst du,
nachdem du deine Habe eingebüßt, auch noch dein Seelenheil verlieren und dem Volke
des Höllenfeuers angehören? '«
Ebenfalls wieder indisch ist die Geschichte von dem Weisen und
seinen drei Söhnen (als Episode aus König Schah Backt) H. 18/153 =
11/131/14:
(Der durch seine Verschwendung zuletzt ganz verarmte und von seinen früheren
Freunden verleugnete Jüngling geht in den Raum, wo ihm sein Vater einen Schatz hinter-
lassen haben wollte.)
Dort aber findet er angeschrieben [11/13O/I2]:
»KeinAusweg vor dem Tode. Drumhäng' dichauf, bettle keinen weiter an und stoß'
den Ziegelstein mit deinem Fuße weg, um so mit dem Leben abzuschließen und Ruhe zu
gleiche, nur der sprachliche Ausdruck variiert leicht nuanciert, z. B. : ..^j.X^\ (J*'-^
2/122/12; j.u*^ol ^J^S 4/363/11, 9/162 paen., 5/223/12, 10/158/7, 12/176/9; i-ioJi ^j>.S
10/403 paen.; 2/8/11, 5/197/2; ^[j.^..? ^J^\S 9/181/4; iö^^J! ^J^\.f 12/171/14; 10/S9 ult.,
6/378/3; ^y^:$^\ ^^'S 9/87/10; 0^1 [y^'J'] 3/173/1; '^i-^-J* u-L^ 2/207 ult.;
|.lX*jI V-jLii 9/7/12 [vgl. H. 1/105 Mitte, H. 2/112 u., H. 3/197 Mitte, H. 5/116 u., ibid.
119 ob., H. 11/194 Mitte, H. 10/121 u., H. 12/168 ob., H. 15/84 u.]. Öfters wird das
Geschick auch [mit einem Schützen verglichen, der seine Pfeile auf die Menschen
abschnellt; deshalb der Ausdruck PuAiaüJI ^g^ [5/277/10 = H. 13/138/24, wo »j*„p-« im
Bülaqer Text offenbar fehlt; ibid. 281/14 = H. 13/140 Mitte, H. 3/180 Mitte). Für
weiteres vgl. meinen Artikel im »Islcwi« II/337 ff. ■ •
') Letztere Fassung ist erheblich gemildert; von Selbstmord ist hier keine
Rede mehr.
c6 O, Rescher,
finden vor der Schadenfreude deiner Feinde und Neider und der Bitterkeit der Armut.«
.... Da meinte der Jüngling: »Recht hatte mein Vater.« Darauf legte er sich den Strick
um den Hals und stieß den Ziegelstein mit seinen Füßen weg. (Da aber — brach der
Strick, die Decke stürzte ein und ein großer Haufen Geld ergoß sich über ihn herab.)
Ferner lesen wir in '■Aladdin und der Wunderlampe (H. 20/95 =
ZOTENBERG 68/I4):
»(Als der magrebinische Zauberer vermittelst des Besitzes der Lampe das Seraj samt
der Prinzessin nach Afrika entführt hatte, da ward 'Aladdin tief gebeugt.) Und aus Über-
maß des Kummers ließ er alle Hoffnung fahren und wollte sich in den Fluß stürzen. Doch
als gläubiger Muslim und Bekenner der Einheit Gottes fürchtete er Gott i) (in d. h.) um
seiner Seele willen; so blieb er also am Ufer stehen und vollzog eine Waschung usw. 2)«
Auch einige Liebesgeschichten schließen mit dem Selbstmord des
(oder der) Liebenden, so z.B. die Erzählung der beiden Liebe7ide7i (HN.
198 ff.); vgl. auch Chauvin VI/147 ^- 2 sowie die Erzählung von öäkis
bei Kremer 2/125 f. und das (übrigens nicht arabische) Damaszener
Schattenspiel »Die Liehet^den von Amasia«, wo sich zum Schluß Ferhät
und Shirin beide erstechen 3); ferner Stumme, Tun. 108 (»Oh du
Fliehende, Gottes Verordnung holt dich ein!«).
Im Widerspruch oder doch wenigstens nicht ganz in Überein-
stimmung mit der durch den Schicksalsglauben bedingten Resignation
(in Gottes Willen) 4) scheinen auch die leidenschaftlichen Äuße-
rungen des Schmerzes, die anläßlich von Trauer an den Tag
gelegt zu werden pflegen. Wenn Lane 283 (chapter XIII, uharacter«)
sagt: »Influenced by their belief in predestination, the men display
in time of distressing uncertainty an exemplary patience and after any
afflicting event, a remarkable degree of resignation and fortitude,
approaching nearly to apathy; gener ally exhibiting their sorrow only
by a sigh, and the exclamation of »Allah kerim« — but the women
on the contrary give vent to their grief by the most extravagant crics
I) Ähnlich 'All b. Bekkär 3/54/11 = H. 5/106 IVIitte: »Wäre nicht meine Fur:ht
vor Gott, so beschleunigte ich selbst mein Ende.«
^) Die Note nach Galland: »II allait se jetter dans la riviere . . . mais il crut en bon
Mussulman, fidelle ä sa religion, qu'il ne devoit pas le faire, sans avoir auparavant fait sa
priere« zeigt, wie dieser den Sinn verkannt hat.
3) In zweiter Linie vgl. H. 4/195/8 = Chauvin VI/124 Note i; H. 19/147/6 = 12/36
ult. (der Selbstmord des Dämonen Meimün in der Geschichte von Tuhfat el-qidüb, sowie
H. 10/127 = 6/386/3 u. 10 =[Messingne Stadt] = HN. 315 u. f. (wo die Analogie mit der
Sirenensage deutlicher hervortritt) — Eine bloße Redensart ist die oft sich findende
Drohung »^^.s-ü oJlXä ^Ij« (4/192/8, 12/72 ult., 4/223/11, 5/215/1, 5/247/12, 5/352/8 =
6/26/1 1, 9/21/13, 12/33/12 u. paen.; [etwas anders] 4/305/7).
4) Vgl. die damit übereinstimmenden eigenartigen Worte des 'Abdallah el-bahri an
*A. el-berri, die schließlich zum Bruch zwischen beiden führen: H. 16/106^107.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. cn
and shrieks« ^), so trifft das nur zum Teil zu, wie wir aus verschiedenen
Stellen der Erzählungen sehen, insofern nicht selten auch die Männer
den lauten Äußerungen ihres Schmerzes unbekümmert freien Lauf
lassen: H. 2/162 = 4/381/10 (Geschichte des Eunuclmi Käßr in
t>Ghdneni «) :
»Als naein Herr« — erzählt Käfür — »diese Trauerbotschaft von mir vernommen,
da ward das Licht vor seinem Antlitz Finsternis, und er verlor seine Selbstbeherrschung
• . . ., er zerriß seine Gewänder, raufte sich den Bart, schlug sich ins Gesicht, bis daß das
Blut strömte, und schrie: 'Weh, weh! Meine Kinder, mein Weib! Welch' Unglück
ohne gleichen.'«
»Aber nicht genug hiermit [ich zitiere hier Kremer 2/250 u.], im
Übermaß des Schmerzes ging man noch weiter: man zerstörte den
ganzen Hausrat, zerriß die Kleider, schwärzte die Wände, zerbrach
die Hausgeräte und das Geschirr, man schwärzte sich selbst das Ge-
sicht und schor sich den Bart.« Man vergleiche dafür die eben bereits
zitierte Geschichte Käfürs (H. 2/160 = 4/377/15 ff.), wo es heißt:
»Die Frau meines Herrn« — erzählt der Schwarze — »und seine Töchter begannen,
als sie die Nachricht seines Todes von mir vernommen, zu schreien, ihre Gewänder zu zer-
reißen und sich ins Gesicht zu schlagen , die Frau selbst aber warf ihren ganzen Hausrat
untereinander, machte die Etageren *) kaput, zerbrach Fenster und Gitter und schwärzte
ihr Gesichts) mit Lehm und Indigo [wi] 4), indem sie mir zurief: 'Weh! Käfür, komm'
her und hilf mir, dies Geschirr, die Schüsseln, das Porzellan und die Flaschen zu zerschlagen.'
Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und beteiligte mich wacker an dem Zerstörungs-
werk <
Wenn die Frauen das Gesicht 5), ja sogar auch bisweilen die
') Vgl. [White 3/300 und] 1 1/82/8 = H. 16/106 ['Abdallah el-berri wa 'A. el-
ba/iri]: »Wir weinen und klagen« — erwiderte ihm *A. vom Lande -^, »wenn jemand
gestorben ist, und die Frauen schlagen sich ins Gesicht und zerreißen sich die Busen aus
Trauer über den Toten usw.« — Vgl. die Anekdote von dem PseudoschuUehrer H. 8/80 =
8/247 = Lane 62.
-) Ist statt »iiwo^!^« das dem Duktus nach ähnliche »ä-o»I»l)« zu lesen?
3) Das Objekt fehlt; es könnten, wie aus der in der folgenden Anmerkung zitierten
Stelle von Lane hervorgeht, auch die Wände gemeint sein; vgl. auch die Notiz bei Kremer
2/251, Note I, wo dieser Brauch erwähnt wird.
4) Lane 527 (chapter 28: Ceremonies after a death): »The women dye their
Shirts, head-veils, face-veils and handkerchiefs of a blue, or of an almost black, colour, with
indigo; and some of them with the same dye stain their hands and their arms and
smear the walls of the Chambers. Vgl. auch Lane-Poole 261/1 ff. — Dunkelblau scheint
offenbar die Farbe der Trauer; vgl. auch die Note Hennings 1/127 (in der Geschichte des
dritten Kalenders — 1/282/8 ff., wo alles Mobiliar in dem von den (trauernden) Einäugigen
bewohnten Schloß von blauer Farbe [azraq\ war). Vielleicht ist hier auch noch Vuiller 68
zu berücksichtigen: »La femme, devenuc veuve, portera le deuil pendant une aun^e; si
un de ses parents ou allies succombe, eile proscrira de sa toiiette le jaune et l'orange, nmis
eile pourra se vetir de bleu et de blanc. «
5) Vgl. Bel 20 ult.
'g O. Rescher,
Brüste enthüilcn [vgl. die erwähnte Geschichte H. 2/160 = 4/378/10
(u. 379/1): ■
»Dann ging meine Herrin mit bloßem Antlitz und nur mit einem Kopfschleier bedeckt
hinaus.«
bzw. Die Liebenden von Amasia S. 147 Note 55], die Haare lösen
[H. 18/25 = 4/171 paen.:
»('Ich will mich tot stellen', sagte abü '1-Hasan el-Hali' zu Nuzhet el-fu'äd;) du aber
lös' dein Haar, zerreiß' dein Gewand, schlag' dir ins Gesicht und schrei' laut auf« usw.],
ja sogar bisweilen abschneiden [H. 1/68 — 1/129/10:
»Meine Frau«, erzählt der Prinz der schwarzen Inseln, »hatte ihr Haar ab-
geschnitten und Trauerkleider angelegt (ob des angeblichen Todes ihres Vaters)«],
SO bringen dementsprechend die Männer ihren Turban in Un-
ordnung (H. 18/26 =4/174/4 x:o«u4^ J^>3-) und raufen sich den
Bart (ibid. und 4/381/11, 7/307/8).^ — Altorientalisch scheint daneben
noch die Sitte zu sein, sich Erde aufs Haupt zu streuen (3/256/7 =
H. 5/181; 1/279/14 = H. 1/125 paen.; H. 3/62 ob., H. 9/57 Mitte, H. 22/
175 Mitte), vielleicht auch der Brauch, Trauerkleidung anzulegen
(3/256/11 »oIjwjI ^lyii^ ol^.w.i! (j«^« = H. 5/181; 3/345/13 »o[^l v^'
^.^i^^^lj«, 5/9/14/7/93/13, 3/63/11 fehlt H. 5/111/6 u., 10/443/8)
und das Gesicht zu schwärzen (H. 1/127 u. = 1/283/14; vgl. auch
LÖHR »Volksleben im Lande der Bibel« S. 43).
Das öffentliche Leben in 1001 Nacht.
Mekka — Damaskus - — Bagdad bezeichnen die drei bedeutsamen
Etappen, die das arabische Volk in seiner Entwicklung durchlief, um
aus bescheidenen Anfängen heraus in steigender Machtmehrung zu
einem Weltimperium zu gelangen. Gleichzeitig aber vollzog sich
parallel mit der Expansion nach außen eine Umwandlung im Innern
des muslimischen Volkskörpers: mit der Verschiebung des politischen
Schwergewichts in den Osten, in das alte Kulturland des 'Iräq, drangen
in ständig wachsendem Maße fremde Anschauuns^en und Gewohnheiten
in das arabische Volkstum ein, dessen Lebensweise dadurch stark
modifiziert, zum Teil ganz umgewandelt wurden. Das Entgleiten der
Macht aus den Händen der Araber und ihr Übergang an die Neu-
muslime, die intellektuelle Präponderanz des Persertums und das
damit verbundene Wiederaufleben altorientalischer Staatsideen hatte
die Umwandlung des ursprünglich ganz demokratisch gedächten arabi-
schen Chalifats in einen mehr oder minder absolutistischen Cäsaro-
papismus in die Wege geleitet. Begünstigt wurde diese Entwicklung
erstens durch den Umstand, daß hier an der Peripherie des arabischen
Volkstums sich dessen eigener Charakter nicht mehr mit gleicher Kraft
wie im Mutterlande oder dem daran angrenzenden Syrien geltend
Studien über den Inhalt von looi Nacht.
59
machen konnte, andrerseits durch die Großzügigkeit der neuen Verhält-
nisse, die ihren typischen Ausdruck in dem Leben und Treiben der
Weltstadt Bagdad fanden. In seiner Eigenschaft als Residenz der
Chalifen und als wirtschaftliches Handelsemporium bot die Metropole
am Tigris auch tatsächlich all die materiellen und ideellen Voraus-
setzungen, um ihr eine überragende Bedeutung über die übrigen Städte
des islamischen Reiches zu sichern und in geistiger Beziehung eine
tonangebende Stellung zu verschaffen. Aber neben den Lichtseiten
der »ville lumiere«, nämlich der Pflege von Kunst und Wissenschaft.
Erweiterung des geistigen Horizonts in räumlicher und ideeller Be-
ziehung, der Verfeinerung der Lebensgestaltung usw., konnten auch
die Schattenseiten nicht ausbleiben. »In dieser großen Weltstadt« [ich
zitiere Kremer 2/55], »wo der Reichtum und Luxus von ganz Vorder-
und Mittelasien sich zusammendrängten, herrschte neben der größten
Pracht und Verschwendung auch das größte Elend, und die damaligen
Zustände mögen sich stark jenen unserer modernen Großstädte ge-
nähert haben « Von dem wirklich märchenhaften Luxus und
der Verschwendung-^}, die in Bagdad zur Blütezeit des Chalifats
geherrscht haben müssen ^), gibt uns eine ganze Reihe von Erzählungen
eine — kaum wohl bloß romanhaft zu wertende — Vorstellung; so z. B.
die Geschichte des falschen Chalifen (H. 6/188 ff. = 7/186), wo es heißt:
»An der Spitze des Schiffs gewahrte der Chalife (von seinem Versteck aus) einen
Mann, der eine Leuchtpfanne aus rotem Golde trug 3), die er mit Qäqili-Aloe speiste; er
trug einen Umwurf aus rotem Atlas, auf seiner Schulter hing ein golddurchwirktes Gewand
von gelber Farbe, und ajif seinem Kopfe saß ein Mosuler Turban; ferner aber hatte er über
die Schulter einen grünseidenen Sack, mit Qäqili-Aloe gefüllt, das er statt gewöhnlichen
Holzes verbrannte. Am Hinterteil des Schiffes war ein ebenso gekleideter Mann und
außerdem 200 Mamluken, die sich rechts und links um einen goldgefertigten Thron scharten,
auf dem ein lieblicher junger Mann saß.«
Ibid. 7/197 = H. 6/197:
»Was wir von unserm Herrn, dem Chalifen« [sagt Dscha'far zu dem falschen Chalifen]
»heute Nacht mit angesehen haben, ist eine ungeheuerliche Verschwendung , nämlich
Gewänder im Werte von 500 Dinar Stück für Stück zu zerreißen 4)« usw.
oder die Geschichte des erwachten Schläfers (H. 18/13/4 = 4/148 ult.):
»Als Hasan el-Jiali' erwachte, fand er sich in einem Schlosse, dessen Wände mit
Gold und Lazur bemalt und dessen Decke mit rotem Gold punktiert war. Rings umher
befanden sich Salons, deren Türen mit seidenen, golddurchwirkten Vorhängen behängt
') Einiges ist oben schon berührt worden (in dem Abschnitt »Die Religion [der Islam]
in lOOi Nacht«); vgl. Musik und Sängerinnen; zu der in tolle Verschwendung ausartenden
Generosität der Barmekiden, die ihresgleichen selbst beim Chalifen nicht fand, vgl. die
Nrn. 87 ff. bei Chauvin.
^) Vgl. auch Kremer 2/194 ^- '
3) Zur Beschreibung des »mesä^ili« vid. Jacob, »Ägyptische)' Jahrmarkt« S. 35.
4) Eine ähnliche Legende von Muzaiqijä vid. Huart 1/5 i paen.
^Q O. Re scher,
waren, und überall stand Geschirr aus Gold *), Porzellan und Kristall, während Teppiche
und Polster rings umherlagen und das Licht der Kandelaber flimmerte. Zur Aufwartung
aber drängte sich eine bunte Schar von Sklavinnen, Eunuchen, Mameluken, Dienern,
Burschen, Schwarzen und Pagen« usw.^).
Entsprechend dem Luxus im Wohnen hatte sich auch im
Speisen ein gewisses Raffinement entwickelt 3), das unter den
früheren einfacheren Verhältnissen im großen ganzen undenkbar ge-
wesen wäre. Wie gern man sich mit der Feinschmeckerei zu beschäfti-
gen liebte, zeigen die literarischen Scherzstückchen, in die man sie
hinein verflocht 4); der z.B. aus Hamadäni (vgl. Üb. Nr. 26, 35)
uns schon bekannte Trick der »Illusions «-Mahlzeiten, wo die Auf-
zählung all' der gaumenkitzelnden Gerichte dem Leser das Wasser im
Munde zusammenlaufen lassen, findet sich auch in lOOi Nacht wieder
in der Geschichte des 6. Bruders des Barbiers (H. 2/95 f. = 2/307 f.);
aber auch sonst wird der Künste der feineren Küche des öfteren Er-
wähnung getan (H. 19/172 Mitte =- 12/91/5 f., das »Schlemmergedicht«
5/100 [fehlt H. 16/110 Mittel, das sich an verschiedenen Stellen findet:
1/244, 7/331, 10/115). — In all' den Wandlungen aber, die die neuen
Verhältnisse mit sich brachten, hielt sich eine, zwar schon allgemein
orientalische, aber doch bei den Arabern speziell typisch ausgeprägte
Sitte fest, der wir hier einige Zeilen widmen wollen, die Gastfreund-
schaft 5). Wie groß auch der Unterschied der Lebensweise und
Lebensanschauungen sein mag, der den Beduinen vom Städter, den
primitiven Naturmenschen vom zivilisierten Kulturmenschen trennen
mag, die Gastfreundschaft hatte von jeher unter den orientalischen
Völkern als eine heilige Verpflichtung gegolten. Unnütz also, dies
noch besonders nachweisen zu wollen. Trotzdem aber gibt es doch
manche Einzelheiten, die vielleicht einiges besondere Interesse bear-
spruchen dürften. Das Symbol der Gastfreundschaft ist »Brot und
Salz«, dessen gemeinsamer Genuß als die stärkste Bindung zwischen
dem Aufnehmenden und dem Aufgenommenen gilt; deshalb spielt
»Brot und Salz« überall eine Rolle, wo man neue Freundschaft zu be-
besiegeln oder alte Feindschaft zu beschließen sucht ^) [H. I4/I59 Mitte,
H. 3/30 Mitte, H. 22/105 u. 7), ibid. 173 Mitte, H. 13/136, H. 22/44 ult.,
') Der Luxus im Gebrauch von goldenen Gefäßen, Schüsseln usw. ist schon oben
besprochen worden.
^) Beschreibung eines vornehmen Hauses: 3/294/13 ff. = H. 6/30.'
3) Vgl. Kremer 2/197 ff.
4) Vgl. auch das »hezz el-quAüf« (MSOS. IX 2. Abtlg. S. 41 oben: Kern, »Äygpl.
HumorLslen<i).
5) Lane 288 (chapter XllI: Character); Kremer 2/239 ff.
'')' Vgl. Snouck-Hurgronje II/io; Kremer, Studien 26 f.
7) Parallel damit Nöldeke's: »Doktor und Garkoch« 39 Mitte und Note 3.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 6l'
H. 19/80 ob., H. 7/62 M., 7/280/11, 10/117/5, 11/366/7, 5/273/1, Stumme,
Trip. 120 Mitte, Stumme Tun. 13 ob., 64 u.]; gelegentlich kommtauch
der einfachere Ausdruck Hamdlahaa »das Salz miteinander teilen«
allein vor [H. 2/95 - 2/306/11, 12/6/3 - H. 19/134]. Das gegenseitige
Teilen von »Salz« oder »Salz und Brot« soll dazu dienen, jedem Arg-
wohn einer zweideutigen oder gar feindseligen Handlung eines Dritten
die Spitze abzubrechen, denn Gott selbst ahndet das Vergehen, am
Salz zum Verräter geworden zu sein [Kremer, Studien 27 oben]; vgl.
H. 13/136 Mitte = 5/273/1:
»Hasan setzte dem Magier das Essen vor und sagte : »Esset, mein Herr ! auf daß
'Brot und Salz' zwischen uns sei, und Gott mög' den verraten, der am Salze Verrat übt!«
ibid. H. 13/151 u- ='- 5/301/10:
»Du selbst, verfluchter Magier, hast gesagt, wer an Salz und Brot Verräterei treibt,
den wird Gott verraten. Nun, du hast diesen Verrat auf dich geladen, und Gott hat dich
dafür in meine Hand fallen lassen «
Bekannt ist die des öfteren erzählte Geschichte von dem nächt-
lichen Einbrecher, der im Dunkeln an einen Gegenstand wie einen
Stein im Hause des Bestohlenen stößt, daran leckt und dann, wie er
erkennt, daß es Salz gewesen, die ganze bereits zusammengeraffte Habe
liegen läßt, da nun — wenn auch ungewollt — zwischen ihm und dem
Hausherrn das Salz als Mittler gestanden hat [Chauvin Nr. 368 Anm. -=
VI/196, Lane-Poole 144, Kremer, Studien 240b.]; umgekehrt wieder
sucht es der Verbrecher, der gegen jemand einen Anschlag zu verüben
plant, zu vermeiden, mit diesem irgendwie »Salz und Brot« zu teilen
['Ali BdhdwgX.Ü. 21/88 u.:
»Margäne (die Sklavin) sprach bei sich: 'Das ist also der Grund, weshalb der Schurke
kein Salz essen will, um eine Gelegenheit zur Ermordung meines Herrn zu suchen, dessen
Todfeind er ist'.« usw.]
Als Zeichen ganz besonderer Niedertracht gilt es, über die aus »Salz
und Brot« resultierenden Verpflichtungen sich hinwegzusetzen i), wie
in der bereits zitierten Geschichte von Hasan el-Basri [H. 13/140 =
5/281/10]:
Da schaute der 'Agemi (dh. Magier) den Hasan an und sagte zu ihm: »Du Hund
und Hundesohn! Meinst du, einer wie ich 'kennt' (d.h. kümmert sich um) 'Brot und
Salz'? Tausend Burschen habe ich schon umgebracht weniger einen, und du sollst das
Tausend nun voll machen^).«
1) Vgl. auch Snouck-Hurgronje II/308 u.
2) Vgl. ferner H. 4/194 = Chauvin VI/124 Note i (Verrat der Gastfreundschaft
durch einen Beduinenräuber). — In der Geschichte von '■Ali Sär und dem Nazarener (H.
7/62 = 7/280/1 1) ist die Aufforderung des letzteren, mit ihm »Sjilz und Brot« zu teilen,
nur eine Finte, um 'Ali Sir eine mit Bendsch gefüllte Banane beibringen zu können. Aus
dem Zusammenhang ist nicht ersichtlich, ob der Nazarener überhaupt etwas gegessen hat
und ob also ein Verrat an »Salz und Brot« vorliegt oder nicht.
02 O. Rescher,
Nach einer alten Tradition darf jeder Fremde drei Tage Gast-
freundschaft beanspruchen, was natürlich auch in den Erzählungen
oft genug zum Ausdruck kommt (H. 6/180, H. 16/120 ob., H. 17/28 u.,
H. 17/66 ob., H. 20/123 Mitte, H. 12/35 u., H. 22/25 Mitte, H. 10/141 Mitte,
5/79/4, 6/63/10] I). Die Pflicht der Sitte heischt es aber auch, den Gast nicht
nur mit dem Notwendigen zu versorgen, sondern sich auch persönlich
um ihn zu kümmern, ihn nicht allein essen zu lassen usw. [H. yjÖT^ =
7/281/13]:
»Als 'All Sär dem Nazarener entgegnet hatte, er solle nur allein essen, da meinte
dieser zu ihm: 'Mein Sohn! Die Weisen haben gesagt: Wer mit seinem Gast nicht ißt, der
ist kein anständiger Mann' -), so daß 'Ali Sär sich gezwungen sah, sich niederzusetzen und
mit ihm zu essen.«
Die hohe Bewertung der Gastfreundschaft und der darr.us sich
ergebenden Pflichten brachte es mit sich, daß man oft gröblichen Aus-
nutzungen derselben gegenüber ein Auge zudrückte, wie z. B. in der
Geschichte H. 18/181 f. = H. 6/32 ff. = 3/299 [Episode aus As'ad und
Amg-ad], wo der fremde Eindringling und der Hausherr ihre Rollen
tauschen, oder in den Geschichten, in denen die »Tufaili's 3) «[Schmarotzer]
die Spezialität ihrer Zunft, nämlich uneingeladen Gastfreundschaft zu
»schinden«, praktizierten.
Neben der Gastfreundschaft finden sich noch manche andere Züge
im islamischen Volksleben, die wir als Äußerungen der Humanität
betrachten können, so die Fürsorge für die Bedürftigen und Schw^achen,
für die Kranken und Irren, die Gefangenen, ja selbst gelegentlich für,
die Tiere 4). Da die Armenpflege, wenigstens zum Teil, Gegenstand
der offiziellen Gesetzgebung ist [sekdt; sadaqa], so will ich mich zunächst
Vgl. auch SociN »Zum arab. Dialekt von Marokko« 191 Mitte; Stumme, Tun. 63
Mitte, 74 oben.
*) Ebenso Stumme, Tun. 125 Mitte: »Wer ein Essen auftragen läßt und nicht mit
seinen Gästen speist, aer ist ein Bastard«; ähnlich auch Meissner, »Neuarabische Ge-
schichten aus Tanger« Nr. VI Anfang.
3) H. 6/180 ult.; H, 16/109 u.; H. 19/93 f-; vgl. Lane 289 (chapter XIII: Charaäer),
wo eine Anekdote von zwei Tufaili's; Kremer 2/201 ff.
4) Von letzterer ist allerdings in looi Nacht kaum die Rede; vgl. allenfalls H. 4/167 ob. ^
Im übrigen siehe Lane 284 u. Was Lane 285 u. von Cairo sagt: »In every district of this city
are many small throughs, which are daily replenished with water for the dogs usw.«, trifft
auch für andere Städte, z. B. Konstantinopel, zu, wo in die Steinfliesen von Moscheehöfen,
Gräbern usw. kleine Vertiefungen zum Ansammeln (bzw. Anfüllen) von Wasser eingelassen
sind (bes. für die Singvögel). ^ Bekanntlich ist im Islam das Töten von Tieren außer zwei
Kategorien (nämlich den zur Nahrung dienenden und den schädlichen) nicht gestattet
[ein orthodoxer Muslim könnte sich also kaum Käfer-, Schmetterlingssammlungen usw.
zulegen]. Zu welcher Inhumanität diese Überhumanität führen kann, hat seinerzeit die
Wegführung der Hunde und ihr Verhungernlassen auf der Marmarainsel gezeigt. — • Auch
die Vivisektion wird vom orthodoxen Standpunkt aus scharf bekämpft.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 63
nur auf die Fürsorge für die Kranken und Irren beschränken. »Als
Begründer des ersten Spitals [ich zitiere Kremer 2/482] nennt ein
nicht ganz verläßHcher Berichterstatter den Chahfen Wehd I. In
Baedad scheinen solche schon früh bestanden zu haben. Die Bujiden
..... errichteten gleichfalls Spitäler in der Hauptstadt. In andern
Städten ward dies Beispiel nachgeahmt.« In den Erzählungen der
lOOl Nacht wird ein Hospital in Damaskus [H. 2/42 ob. = 2/187/8 ^),
H. 3/70 u. (im Roman von ''Omar en-No'mdn)] und eines in Bagdad
H. 2/181 u., 182 = 5(20 — 21) -) erwähnt. Eine sonderlich hohe Meinung
scheint man allerdings von diesen Instituten nicht gehabt zu haben,
wenn man nach der Stelle H. 2/182 = 5/21 [in der Geschichte vom
Ghänem] urteilen darf, wo es heißt:
»Als der Marktvorsteher (den) Ghänem in seinena elenden Zustand gewahrte, sagte er
zu sich: 'Ich will.mir an diesem Unglücklichen das Paradies verdienen [d. h. ihn bei mir auf-
nehmen]; denn wenn sie ihn ins Spital schaffen, so bringen sie ihn dort in Einem Tage um.'«
Die Behandlung der Irren war eine unterschiedliche, die sich ganz
nach dem Ausdruck dieser Krankheit zu richten pflegte. Harmlose
Individuen ließ man meist frei umherlaufen, ohne an ihren Extravaganzen
Anstoß zu nehmen. Da nach dem Glauben, der im Orient gang und
gäbe ist, Irrsinnige häufig als halbe Heilige betrachtet wurden, so ließ
man ihre Absonderlichkeiten widerspruchslos durchgehen, selbst wenn
diese gegen die übliche Landessitte in gröblichster Form verstießen.
So ist es ear nichts Seltenes und wird auch vielerseits berichtet, daß
Geistesgestörte vollständig nackt durch die Straßen gehen [vgl. Lane
228, Lane-Poole"63 u., 65 Mitte, Zabel, Marokko 297]; deshalb wird
auch der bis auf die Haut ausgeplünderte moqaddem [H. 19/70 =
11/347 ult.: Geschichte des dritten Polizeisergeanten], der sich nach dem
mißglückten Liebesabenteuer fast nackt aus dem Staube zu machen
beginnt, als )}meg-nün<( betrachtet:
»Als ich so« (erzählt der Betroffene) »nur mit Bedeckung der Scham allein aus der
Haustür trat und zu laufen anfing, da sammelte sich Groß und Klein hinter^iir drein, indem
man zu schreien anhub: 'Ein Verrückter, ein Verrückter!' usw.« [11/348/1].
Während man so die harmlosen Geisteskranken durch ein laisser-
faire recht glimpflich behandelte, wurde mit sonstigen Irren meist
nicht so human umgegangen. Wenn man solche in Marokko (Aubin
250) durch Musik zu heilen (oder wenigstens zu beruhigen) versuchte 3) —
1) Das Wort / i^/ij ist hier aus dem Zusammenhang zu ergänzen.
^) Zur Erbauung von Spitälern in Kairo vid. MuiR 41 Mitte; ibid. 136.
3) Dazu ist wohl auch Vuilt.er 66 zu vergleichen: »Dans les cas de derange-
ment cerebral, il est d'usage constant chez les Musulmans de Tunisie, aussi bien
que chez les israelites, de conjurer la demonialite en appelant dans la
maison un orchestre oü domine le :»rebab«, sorte de violon a long manche; usw.«
64 O. Rescher,
auch Jacob berichtet im »Islam« III/367 von einer analogen Verfügung
durch Bayezid II. — , so war solch' eine schonende Behandlung die Aus-
nahme; die Regel aber scheint eine harte und oft rohe ge"uesen zu sein
(H. 18/19 u. =4/161/7):
(»Als die Leute hörten, wie Abu '1-Hasan Chalife zu sein behauptete, da schleppten
sie ihn ins Spital .... und) als der Spitalaufseher das gleiche aus dem Munde des A.bu
*1-Hasan hörte, da rief er: 'Du lügst, du ganz unglückseliger Narr!' Darauf zog er ihm die
Kleider vom Leibe, hing um seinen H^ls eine schwere Kette, band ihn an ein hohes Gitter-
fenster und gab ihm zehn Tage lang morgens und abends je eine Tracht Prügel.«
Die Anlegung von Ketten ist ganz gewöhnlich [H. 23/34, H. 5/152/I
= 3/217/2, Ibn Gubair 283/16]; bisweilen wird auch den Irren mit
Beschwörungen [Exorzismus] zugesetzt zur Vertreibung der Geister
^[Dschinn], von denen sie besessen sein sollten, und zu diesem Behuf
werden die Geisteskranken [vielleicht dann auch noch wegen der dicken
Mauern] in Klöster eingesperrt [H. '8/95 ob. = 8/270 ult. : »Heraklius-
kloster«; vgl. auch Naumann 192 Mitte, Hamad. Üb. 158 Note il.
Was die Humanität gegen Bedürftige und Gefangene anlangt,
so pflegten allgemeine Speisungen oder Beschenkungen, Amnestieerlasse
und dergl., gewöhnlich bei feierlichen Gelegenheiten, als da sind: Thron-
besteigung eines Fürsten, Vermählung eines solchen, Beschneidung der
Prinzen oder anläßlich politischer Ereignisse, eklatanter Siege usw. statt-
zufinden. So heißt es z.B. H. 19/167 Mitte = 12/80 — 81:
»Als die Nachricht von der Eroberung Choräsäns bei dem Chalifen Harun einlief,
da befahl er in seiner Freude, Bagdad zu schmücken, die Gefangenen freizulassen und
jedem einzelnen von ihnen einen Dinar und ein Gew^and einzuhändigen.«
Im übrigen finden sich solche Stellen so zahllos in lOOi Nacht, daß
sie geradezu als stereotyp zu betrachten sind; ich begnüge mich daher
nur mit einer kurzen Zusammenstellung der Zitate [11/266 paen.,
12/236/4, 10/71/5, H. 19/29 u., H. 7/73 ult. = 7/295/13, 6/340 ult.,
3/231/1, H. 5/178, H. 18/120 ob., H. 17/174]- — Eine erläuternde Be-
merkung zu Obigem dürfte übrigens vielleicht nicht ganz überflüssig
sein, nämlich daß Werke der Humanität ^) [die natürlich bloß im Ver-
kehr der Muslims untereinander in Frage kommen] zumeist nicht sowohl
aus reiner Barmherzigkeit als vielmehr in Hinsicht auf religiös-egoisti-
sche Zwecke (d. h. in der Hoffnung auf dereinstige Anrechnung und
Wiedervergeltung) ausgeübt zu werden pflegten; vgl. H. 2/181 =
5/21/8, H. 18/188 = 11/193/8, wo es heißt: »Ich will mir das Paradies
an diesem Unglücklichen verdienen (indem ich ihm zuhilf e komme)«
bzw. »Ich habe dieses Weib hierher gebracht, in der Begierde nach
») Verschiedentliche Notizen über »Inhumanität« sollen im folgenden noch gegeben
werden [Z.B. »Intoleranz« im Kapitel über »Rassetypen«, Anwendung der Folter in
der Handhabung der Justiz u. a. m.].
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 65
Gottes Lohn [^^! ^s IxaIId], wozu man Lane 284 vergleiche: Bene-
volence and charity to the poor are virtues which the Egyptians possess
in an eminent degree but from their own profession it appears
that they are as much excited to the giving of alms by the expectation
of enjoying corresponding rewards in heaven, as by pity for the distresses
of their fellow-creatures, or an desinterested wish to do the will of God.«
Nachdem wir so verschiedene Einzelheiten der öffentlichen
Fürsorge behandelt hatten, kommen wir auf den weitaus wichtigsten
Punkt derselben, nämlich auf das Gebiet der öffentlichen Sicher-
heit, zu sprechen. Aber vorher scheint es nötig, noch einen Blick auf
die Bedingungen zu werfen, unter denen Staat und Gesetz sich Geltung
zu verschaffen suchten. Die Autorität des Chalifen dürfen wir uns doch
wohl auch in der Blütezeit des moslemischen Imperiums als keine
absolute denken. So wenig der römisch-deutsche Kaiser im Mittelalter
— trotz des räumlich viel beschränkteren Gebiets — all' die Frevler
gegen den Landfrieden, vor allem die mächtigen Raubrittergeschlechter,
seinen Befehlen gegenüber gefügig machen konnte, ebensowenig [oder
noch weniger] vermochte es der Chalife, all' die Häuptlinge der Ge-
birgs- und Wüstenstämme, vor allem Beduinen und Kurden, im Zaum
zu halten, deren Keckheit natürlich dann auch wieder in dem Maße
wuchs, als das Chalifat im Lauf, der geschichtlichen Entwicklung von
seiner Machtstellung verlor. Dieser Zustand dauerte ja schließlich
auch noch in der Osmanenherrschaft bis auf die Gegenwart herein trotz
strafferer Zentralisation und größerer Überlegenheit an technischen
Hilfsmitteln fast unverändert fort. — Deshalb bilden die Erzählungen
von den Räubereien der Beduinen so alltägliche Episoden in den Ge-
schichten von lOOi Nacht, daß sie fast ein stereotypes Thema bilden
[H. 6/105 paen., H. 2/99 Mitte, H. 17/13, HN. 254 Mitte, H. 3/79 u.,
H. 12/100 Mitte, H. 4/187 ob.]. Neben der Wegelagerei auf dem platten
Lande, der Steppe und Wüste, war die von ganzen Banden organisierte
Räuberei auch in den großen Städten, Bagdad, später Kairo, heimisch.
Daß die Weltstadt Bagdad ein »Sp i tzb üb enkl i ma« besaß, dürfte
wohl nicht nur eine Fiktion der lOOi Nacht gewesen sein, wenn wir
z. B. (9/260/2 = H. 12/102 u.) lesen:
»Dieses Bagdad ist der Sitz des Chalifats; in ihm gibt es der Gauner die Menge, und
die Spitzbüberei ') schießt hier wie das Kraut aus dem Boden auf.«
Der große Verdienst, den die Kaufleute in der Stadt fanden
') Das »w-^t;« 9/260/2 ist kaum richtig; Macnaghten III/452/5 liest s^LIiAJi
"J
parallel dem vorausgehenden iL^. — Z. Ausdr. «jljou jlLXi» cfr. das A'. Bagdad
( Keller) Iva/a, Ins Humorvolle gewandt vgl. dazu die Streiche der »Delila«.
IX.
66 O. Re scher,
[H. 6/90 ob. = 7/56 ult.: »Dort gewinnt man an jeder Ware das Dop-
pelte (d.h. 100%); ebenso 4/366/12 = H. 2/154 Mitte , lockte hinter
ihnen das Verbrechergesindel her, das lohnend Gewerbe und zugleich
genug Schlupfwinkel fand, um sich dem Arm der Gerechtigkeit zu ent-
ziehen [vgl. z. B. die Episode in der Geschichte von ^Ali Bekkdr und
Semsennahdr: H. 5/94 = 3/33/14 ff.J. Noch gefährlicher als die ein-
fachen Diebes- und Räuberbanden waren die Gesellen, die durch wirk-
liche oder auch fiktive Prostitution ihre Opfer ins Garn lockten, um
sie dann in der Todesfalle kaltblütig zu ermorden und auszurauben.
Ähnliche Verhältnisse finden wir in den späteren Erzählungen aus dem
Großstadtleben Kairos; vgl. vor allem die schreckliche Geschichte
H. 19/77 = 11/361 [Bericht des 8. [Text: 7] Moqaddem) ^); ziemlich nahe
steht dieser die Erzählung des 2. Bruders des Barbiers [H. 2/90 fi. =
2/226 ff.), die auf ähnlichen Voraussetzungen aufgebaut ist. Harmloser
dagegen ist die Skizze (H. 19/67 = 11/342 ff.), wo die Hochstaplerin
sich mit der vollständigen Ausplünderung des Vogels, der in ihre Netze
gegangen ist, begnügt. — Andere Tricks der Verbrecher bestanden in
der Anfertigung von Falltüren in Garküchen usw., bei deren Betreten
den betreffenden der Boden unter den Füßen schwand und sie selbst
in die Tiefe stürzten (H. 24/98 Mitte: Die drei Prinzen von China 2)). —
Nicht selten war es übrigens, daß Polizei und Spitzbube unter einer
Decke steckten, und noch häufiger, daß man den Teufel mit Beelzebub
austrieb, d. h. Verbrecher selbst in die Polizei einreihte (H. 19/97 '-i- =
11/396 paen.: Bericht des 75. Moqaddem) 3); vgl. auch H. 18/120 u. = ,
6/342/5 sowie die Bemerkung Leonhard's: »Als Kuriosum sei erw'ähnt,
daß man nach dem schönen Grundsatz, den Räuber zum Polizisten
zu machen 4), viele Leute von Karaschehir als Zollbeamte und Regie-
wächter angestellt hat.«
Wenn es auch Pflicht der Polizei war, zweifelhafte Orte auszu-
heben, wo man sich in der Nacht noch ausgelassen amüsierte (: Fik-
tive Erzählung 1/175/10, fehlt H. 1/83 ob.), so verschmähte sie es
doch nicht, selbst Wein- und Animierkneipen unter ihren Schutz zu
') Eine ähnliche Geschichte bei White 3/66 ff.; in der Erinnerung ist noch die Sache
von dem spanischen Hauptmann in Madrid, der seine Opfer sich durch die Mithilfe seiner
eigenen Tochter zuführen ließ und dann umbrachte.
^) Die Verlegung der Szene nach China ist, wie so oft anderweitig (z. B. 'Aladdin usw.),
nur eine fiktiv-äußerliche. Das gleiche Motiv findet sich auch bei Lüderitz, »Marokkanische
Sprichwörter« MSOS. II (1899) S. 35 unten f.
3) Es ist dies die Erzählung von dem Frankolin und dem ermordeten Reisenden, ein
Pendant zu den »Kranichen des Ibykus«.
4) Vgl. auch Lane 119 (chapter IV Government): Many of them (i.e. the olficers
of the Zäbit, the chief of the police) are pardoned thieves.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 67
nehmen (9/238/13, fehlt H. 12/88/6 u.), vorausgesetzt, daß dabei etwas
für sie selbst abfiel. Die niederen Organe ihrerseits waren stets
geneigt, alle Lumpereien äl'amiable zu schlichten, wenn
man ihnen etwas in die Hand drückte (Bäsim Üb. 30):
»j'allais ainsi en tourrant le nez partout et toutes les fois que je voyais une rixe
je m'y faufUais avec mon bäton en me presentant d'autorite De cette fagon j'ai
assiste ä quatre rixes, et l'on m'a donne mes pourboires« usw.;
ibd. 31:
»Tout le monde s'en rejouit [nämlich über das öffentlich verkündete Verbot des
Chalifen betreffs unberechtigter Einmischung der niederen Polizeiorgane in Streitsachen]
et dit: Le Khalif a bien fait; tous ces gendarmes-lä ne se contentent plus ni de peu ni de
beaucoup. Ils se sont rais ä piller les gens ouvertement sans que personne ose souffler
mot et les langues deblataient contre les gendarmes un tas de vilaines choses«;
ibid. 36 — 37/2), und um sich gehörig »schmieren« zu lassen,
drückte die Polizei auch gern mal ein Auge zu (H. 19/71 — 72
= 11/351/8, H. 19/66 = 11/341/11). Deshalb konnte man auch ziemlich
sicher sein, mit Geld sich aus einer mißlichen Lage retten zu können ^)
(H. 2/83 -=2/283/9):
»Dann nahm man« — • erzählt der Barbier — • »meinem Bruder alles weg ver-
bannte ihn und, wäre nicht sein vieles Geld gewesen, so hätte man ihn auch noch getötet.
So aber vermochte er die andern mit seinem Gut zu bestechen \bartalahu7>i\ und damit
sein Leben wenigstens zu retten, aber sonst auch weiter nichts «
H. 19/64 paen. = 1 1/338/2 [Bericht des i. Moqaddem):
»Als der ^ädi diese Wendung der Affäre sah, da zahlte er eine gehörige Summe Geldes
an uns [d. h. die Polizeiorgane], so daß wir ihm dies »Feuer« auslöschten [d. h. die Ge-
schichte vertuschten].«
Es gehörte zu der Aufgabe der Polizei, durch nächtliche Pa-
trouillen-) sich von der Ruhe und Sicherheit der Stadtviertel zu ver-
gewissern; einige Zeit nach Sonnenuntergang pflegt ja auch (mit Aus-
nahme des Ramadäns) das Straßenleben so gut wie völlig aufzuhören,
da jedermann in sein Haus sich zurückzieht. Deshalb war es auch nicht
unbedenklich, nachts — besonders zu später Stunde — sich noch
umherzutreiben, da man eben den Argwohn der Nachtrunden erregen
und festgenommen werden konnte [1/175 ult. f., fehlt H. 1/83 ob.,
H. 19/161 u. = 12/67/1 ff., HN, 260 u., H. 22/146 u., Stumme, Tun. 90
Mitte]. — Aber auch die persönliche Sicherheit im eigenen
Hause (eines der Grundprinzipien des ursprünglichen Islam) ward
durch den Absolutismus der späteren Zeit mehr oder weniger illusorisch
gemacht, da die Häscher und Büttel sich nicht scheuten, auf höheren
') Vgl. auch Lane 1190b.: »The married women are sometimes privately put to
death [nämlich bei evidenter Feststellung einer sittlichen Verfehlung], if they cannot by
bribery or some other artihce, save themselves.«
-) Lane 119 Mitte; H. 19/59/3 = 11/326/10.
5*
68 O. Rescher,
Befehl, ja bisweilen auch eigenmächtig, Tür und Tor der Behausungen
zu sprengen und sich den Eingang zu erzwingen [H. 2/123 Mitte, 125 ob.
= 3/IIO/9, 12/66/3 = H. 19/161 ob., H. 6/125 u. = 7/110/3:
»Darauf bekam Ahmed Kumäkim einen 'Fermän' ausgestellt, mit Gewalt in die
Häuser eindringen und Haussuchungen abhalten zu dürfen«;
H. 14/20 Mitte = 6/13 ult. f.:
»Da sagte Zobeida zu Mesrür: 'Nimm diese(n) Schlüssel, geh' in der Alten Haus,
öffne es, dring' in die (Kleider-) Kammer ein, zerschlag' die Tür, heb' den Fußboden aus,
bring' die Kiste zum Vorschein, brich sie aui und schaff' ihren Inhalt eilends her!«; Bäsim
tlb. 49 paen.].
Was die Justizhandhabung selbst betraf, so verfuhr man trotz
mancher Unregelmäßigkeiten, die die Praxis mit sich brachte, doch im
großen ganzen im wesentlichen nach dem vom islamischen Recht vor-
geschriebenen Prinzip, das die Art und Differenzierung der Strafen
angab; daß sich dabei im Lauf der Jahrhunderte manche Modifika-
tionen der ursprünglichen Bestimmungen einbürgerten [z. B. Er-
tränkung statt Steinigung bei Ehebruch i), vgl. H. 19/189 ob. = 12/408
paen.l, konnte auch der Konservativismus der islamischen Anschauun-
gen natürlich nicht ganz verhindern. Die hauptsächlichsten
Strafen bestanden in körperlichen Züchtigungen [Auspeitschung,
Verstümmelung], Verbannung, Zwangsarbeit, öffentlicher
Umherführung in verkehrter Haltung auf einem Kamel
oder Esel [\yas beiläufig gesagt ungefähr unserem mittelalterlichen
»An-den-Pranger-stellen « entsprach], Gefängnis oder Todes-
strafe, welch' letztere durch Enthauptung oder ■ — bei gemeinen.
Verbrechen oder politischer Rebellion — durch Aufhängen vollzogen
ward. — Die Körperstrafen konnten in einer beliebig hohen Zahl
von Stockschlägen oder Peitschenstreichen verhängt werden,
obw'ohl eigentlich auch hier durch das Gesetz, wenn zur Anwendung
gebracht, gewisse Grenzen gegeben gewesen wären [ico Streiche:
2/273 paen. - H. 2/85/7, 7/1/0/6, 2/266/6, 2/285 paen., 7;3o8/i4; 300
Streiche: 2/279 paen. = H. 2/80 u.; 400 Streiche: 2/278/9-); 500
Streiche: 2/283/7 = H. 2/83/9, HN. 263/5, ibid. 259 u. usw.]. — Die
Verstümmelung bestand im Abhauen der rechten Hand im Falle,
daß der Wert der gestohlenen Sache einen Mindestbetrag [»^»j'L;>.ij«
7/223/10, d. h. ein Gegenstand oder Bargeld im Wert eines Viertel-
') Lane 300 (chapter XIII: Character): Drowning is the punishment now almost
always infli'cted, publicly, upon women convicted of adultery in Cairo and other large
towns of Egypt instead of that ordained by the law, which is stoning.
^) Diese Zahl paßt allerdings nicht in den Zusammenhang; sie fehlt auch bei
H. 2/79/4 u.
Studien über den Inhalt von loor Nacht.
69
Dinars] überschritt. Die Justiz pflegte in Evidenzfällen [Geständnis
oder hinlängliche Zeugenaussagen] gewöhnlich auch sehr prompt zu
arbeiten (H. 2/25 u. = 2/160/4, H. 2/48 = 2/202/3 u.), ausgenommen,
so man durch Bestechung die Sache arrangieren konnte [vgl. Grothe,
»Wanderungen in Persien« 167:
Bastonade und Ohrabschneiden sind in Persien beliebte Strafprozeduren. Jedoch
nur bei den allerärmsten Teufeln wird die Strafe in ihrer ganzen Schwere vollzogen. Wer
mit dem Vollstrecker derselben sich mit Hilfe einiger Tomans auf guten Fuß zu stellen
weiß, der wird erreichen, daß die Stockschläge äußerst sanft seine Fußsohlen treffen und
das Messer statt eines ganzen Ohrs nur ein schmales Stückchen vom Ohrläppchen trennt;
vgl. auch noch H. 2/83/1 1 =2/283/9, welch' letztere Originalstelle deutlicher].
Nicht so häufig, aber doch auch nicht selten war die Strafe der
Verbannung; in den Geschichten von den sechs Brüdern des Barbiers
findet sie sich durchgehends (H. 2/73 Mitte, 2/77 Mitte = 2/273 ult.,
H. 2/94, H. 2/100] ^). — Sehr häufig dagegen ist eine Strafe, die (wie
bereits erwähnt) unserem »An-dem-Pranger-stehen« entspricht, nämlich
die öffentliche Paradierung von Verbrechern, die man ritt-
lings auf einem Esel oder Kamel sitzend und auf lächer-
liche Weise ausstaffiert dem Spott und Hohn des Pöbels preisgab;
häufig ging diese Strafe auch der Hinrichtung voraus. Auch politische
Vergehen wurden auf diese Art geahndet [Kremer 2/91 :
»Die gefangen genommenen feindlichen Häuptlinge oder Empörer wurden umgekehrt
sitzend auf Kamelen, namentlich zweihöckrigen baktrischen, auf Elefanten oder Eseln
durch die Stadt geführt, um dann hingerichtet zu werden, worauf der Leichnam gewöhnlich
an dem auf der großen Tigrisbrücke befindlichen Galgen oft jahrelang hängen blieb.«]
Die Stellen in lOOi Nacht sind so zahlreich, daß ich mich mit einer
bloßen Anführung der Zitate begnügen muß [2/266/7 = H. 2/73 Mitte,
2/285 ult. == H. 2/85 ob., 3/159/2 = H. 2/149 u., H. 19/83 u. - 11/373/6,'
H. 4/198 ob., H. 14/179 u. = 10/180/10 i^j,^^^-)), H. 23/58 Mitte,
HN. 259 u., HN. 263 ob., HN. 275 u. — Vgl.liuch Zabel, »Marokko«
^■75-
»Der Verurteilte wurde rücklings auf einen Esel gesetzt und mit blutendem Rücken
durch die Straßen der Stadt geführt«;
ferner Dane 108 (chapter HI: The Wahhdbbees): »I once saw a woman
paraded through the streets of Cairo and afterwards taken down to
the Nile to be drowned, for having apostatized from the faith of Mo-
hammad and having married a Christian.« — Wetzstein, »Die Lieben-
den von A masia« S. 143 Note 36:
Vgl. Lane 267 (chapter XII: Magic): »The magician was banished from Egypt.
• Another enchanter (sa^här), was banished a few days atter, for wTiting a charm
which caused a Muslimeh girl to be affected with an irresiitible love for a Copt Christian.«
=) DozY, Suppl. 1/186 col. a zur Etymologie:- »On attachait des sonnettes ^JJ..=>■
au bonnet haut dont on couvrait la tete du criminel qu'on promenait en public.«
70
O. Rescher,
»Es war noch bis vor wenigen Jahren eine althergebrachte Gewohnheit in Damaskus,
einem Verbrecher (namentlich einem Meineidigen) einen Schafsmagen auf den Kopf zu
stülpen und ihn so in Begleitung eines Ausrufers, der sein Verbrechen öffentlich bekannt
machen mußte, durch die Straßen zu führen«;
MuiR 41/1: »For example, a bandit stretched upon a cameis back
(a punishment we begin to hear too much of) was paraded about the
city streets tili he died«; vgl. auch Huart 2/137 usw. i)].
Die Gefängnisstrafen hatten (für unsere Anschauungen) das
Eigentümliche, daß sie meist auf unbestimmte Zeit verhängt
wurden -). Die Gefangenen waren oft noch mit Ketten gefesselt, auf
denen bisweilen noch Inschriften (mit Bezug auf die Strafe) ange-
bracht waren (7/103/2 »Geschichte des '■AW eddin abü "s Samdt<^]:
»Da befahl der Chalife, ihn in Fesseln zu werfen, und ließ darauf folgende Inschrift
anbringen: 'Dauernd bis zum Tode und ohne Lösung bis auf die Bank des Leichenwäschers'«;
vgl. ferner H. 2/146 ult. =3/155/3, H. 10/204.
Keine eigentliche Strafe im gesetzlichen Sinne, die jedoch unter den
späterenVerhältnissen gar nicht so selten war, war die Plünderung,
unter Umständen auch vollständige Demolierung des Hauses [3/1 14/13 =
H. 2/125/11] eines, der sich dem Fürsten aus irgendeinem Grunde ver-
dächtig oder mißhebig gemacht hatte. Daß ein solches Vorgehen dem
absolutistischen Charakter der mittelalterlichen Islamstaaten und
keiner Scheriatsbestimmung entsprang, ist schon daraus ohne weiteres
ersichtlich, daß dergleichen Gewalttätigkeiten inszeniert wurden, bevor
der betreffende (Angeklagte oder auch nur Verdächtigte) seines Ver-
gehens überwiesen und rechtlich abgeurteilt wurde; vgl. z. B. H. 2/123 =
3/110/9, 4/158/5 = H. 18/18/10 (: Der erwachte Schläfer), öjiylQ =
H. 2/179 u. (: Ghänem), H. 22/70 Mitte, 71 ob., H. 24/1003), H. 22/142
Alitte, H. 23/79 Mitte, H. 23/92 u., H. 6/46 u. - 3/318/4, H. 24/144 Mitte.
Die Einbringung von Verbrechern wurde, wenn es nich<-
gelang, des betreffenden in flagranti habhaft zu werden, dadurch be-
trieben, da-ß man Preise auf ihre Ergreifung bzw. Strafen auf ihre Ver-
steckung setzte [H. 2/125 Mitte = 3/115/5 ^■- ^^r eddin 'Ali und Enis
el-gelis] oder eine steckbriefliche Verfolgung einleitete oder endlich,
soweit es sich um ganze Banden handelte, den einen oder andern der
Komphcen durch Zusicherung der Straflosigkeit 4) oder sogar von
1) Ähnliche Strafen gab es auch im Abendlande; vgl. z. B. Anatole France: Uoyme
du mail (Paris 1897) S. 322 u. a. m.
') Ähnlich wie früher die Deportation nach Sibirien aus pohtischen Gründen.
3) Vgl. Chauvin VI/74 u. = Note 3 zu Nr. 239 daselbst.
4) Als Unterpfand gab man hierfür ein Taschentuch oder einen Siegelring
^ymendil el-amdm; vgl. 7/215/1 = H. 6/207 ob., 9/241/3 = H. 12/90/5 u., 91 ob., H. 2/94
(Note), ■ 23/21/2, H. 12/189/7 u. (Chauvin V/250/5 u.; tibatem el-amän« 2/278/12 (fehlt
H. 2/80/1).
Studien über den Inhalt von looi Nacht.
n
Vergünstigungen [als »Kronzeugen«] zum Sprechen oder auch geradezu
zur unmittelbaren Auslieferung seiner Spießgesellen bewog; vgl.
7/159 f. = H. 6/161 f. (wo Ma*mün einen Preis von 100 000 Dinar
auf die Aufspürung von Ibrahim b. el-Mahdi aussetzt); H. 15/89 =
10/41 1 [Nur eddin und Mirjam, die Gürtelmacherin) , wo Harun Steck-
briefe {f>fdli^dt«) hinter den Flüchtigen her erläßt; Geschichte des 6.
(bzw. H.: 7.) Moqaddem (11/358 paen. = H. 19/76); H. 19/95 f. —
Die Aussagen der Beschuldigten und Verdächtigten wurden —
ebenso wie bei uns im Mittelalter — durch Körperstrafen [bzw. Folter]
erzwungen ^), d. h. durch Peitschenhiebe, Stockschläge (Bastonade)
usw\; vgl. H. 19/90 Mitte = ii/384ult. und 385/1, H. 1/160 (Fußnote),
fehlt 1/356 ult., HN. 23/6, Bas im Üb. 42/10 u. {yyfalaqa«) 9/369/14,
2/202/13 = H, 2/48 ob., H. 19/191 = 12/412/6, 2/279/1 1 = H. 2/80
(Geschichte des dritten Bruders des Barbiers, in der der Wäli die an-
geblich, tatsächlich aber wirklich Blinden so lange verprügeln lassen
will, bis sie die Augen öffnen), H. 6/138 = 7/127/6 [: ^Ald^ eddin abü
^s Samdt].
Die Hinrichtungen erfolgten gewöhnlich durch Enthaupten,
bei gemeinen (manchmal auch politischen) Verbrechen durch Erhängen.
Um ein abschreckendes Beispiel zu geben, fand das Aufhängen fast
stets in der Öffentlichkeit statt und diente zugleich so auch zur Volks-
unterhaltung; öffentliche Ausrufer gaben überall schon vorher
die Exekution bekannt, so daß groß und klein auf den bestimmten
Platz zur festgesetzten Zeit zusammenzuströmen pflegte -). Daß das
gewöhnliche Volk solche Ereignisse als eine »Gaudi« betrachtete, geht
z. B. aus 1/353 paen. = H. 1/159 Mitte hervor:
»Da befahl der Chalife einera Ausrufer, in den Straßen von Bagdad auszurufen: 'Wer
sich an der Aufhängung des VVezirs Dscha'far und seiner 40 Vettern aus der Barme Ividen-
familie amüsieren will, der komme unter das Schloß und weide sich an dem Schauspiel!«
Vgl. weiter H. 23/122 ob., H. 24/39 Mitte, H. 22/150 u., H. 20/177 Mitte,
(H. 2/9 u.), (H. 6/36 ult. = 3/304/5), H. 2/147 = 3/156/7:
»Ich habe die Absicht« (sagte der Wezir), »in der Stadt ausrufen zii lassen: 'Wer
sich an der Enthauptung von Nur eddin 'Ali erlustieren will, der mög' vor's Schloß
kommen, damit alle Welt daran ihre Kurzweil habe' <•;
') Alte Zeugnisse dafür z. B. Belädori 24/4 (beim Kriegszug gegen Haibar); ferner
Genthe, »Marokko« 2S5; Grothe, »Persienv, in Zur Natur und Wirtschaji von Vorderasien
(Frankfurt 191 1) S. 45. »Daß mißliebig gewordene Großwürdenträger und Großkaufleute
zum Verrat ihrer Geldverstecke durch geradezu bestialische Folterungen gezwungen wurden^
ist eine noch für dieses Jahrhundert verbürgte Tatsache.«
^) War in Konstantinopel noch bis in die Tage der .letzten Revolution und Gegen-
revolution hinein üblich. Die Delinquenten wurden an einem belebten Platze in der
Nähe des Kriegsministeriums coram orbi et urbi exekutiert.
y2 O, Rescher,
7/221/13:
»Wer sich was draus macht, der Bestrafung des Räubers N. N. und dem Abhauen
seiner Hand beizuwohnen, der mög' sich an dem und dem Platz (J>j?v^| ^1 , »'n.-^JyJLS
-j^^läjl) morgen einfinden.«
Am Fuß des Galgens wurden gewöhnlich Wächter postiert
(um ein Abschneiden des Gekreuzigten oder Gehängten zu verhindern) ;
vgl. H. 12/84/4, H. 7/135 ob. = 7/389 ult.^)
Typen aus dem öffentlichen Leben.
Wenn wir hier ans vorhergehende Kapitel anknüpfen wollen, so
müssen wir zuerst auf den Wäli zu sprechen kommen, in dessen Hand
die Leitung der Sicherheitsorgane lag [vgl. Lane 118 2) (chapter IV:
Government)] und der für die Ruhe und Ordnung in den Städten auch
mehr oder weniger direkt verantwortlich war. Wie schon in dem Ab-
schnitt über die öffentliche Sicherheit erwähnt worden, galten all' die
Amtspersonen (Wäli, Radi, Muhtasib usw.) im allgemeinen sämtlich
für mehr oder minder bestechlich, stets geneigt, um materieller Vorteile
willen das Recht zu beugen. So heißt es z. B. H. 7/64 Mitte = 7/282
ult.:
»Der Nazarener steckte einen Beutel Gold mit 1000 Dinar ein, um ihn gegebe-
nenfalls als Bestechungssumme für den Wäli bei der Hand zu haben« [M// Sar und
Zuviurrud\,
Besonders die späteren (ägyptischen) Geschichten betonen — mit
einem gewissen verhaltenen Sarkasmus — gern die unterschied-
lichen Situationen teils komischen, teils peinlichen Charakters, in
die die einzelnen Polizei- und Zivilorgane durch ihre Habgier und
Empfänglichkeit für klingende Münze verstrickt erscheinen [Chauvin
Vn/138 — 141, 148 — 149: La Police jouee], vgl. H. 7/13 1 ff. =7/3840".
[El-Melik en-Ndsir und die drei Wdlzs], H. 19/66 f. = 11/339 f. [Ge-
schichte des 2. Moqaddem], H. 19/71 = li/350f. [Bericht des 5. hzw. 4.
Moqaddem], H. 24/139 Mitte [Mohammed es- Salabi] 3) . Das Charak-
teristische in all' diesen Geschichten ist, daß von selten der Obrigkeit
Vergehen aufgespürt werden, nicht etwa in der Absicht, nach dem
Rechten zu sehen, sondern vielmehr mit dem ausgesprochenen Zweck,
durch die erkaufte Vertuschung von Unregelmäßigkeiten solche Fälle
geschäftlich auszubeuten [vgl. die bereits zitierten Geschichten, ferner
') Ebenso in Chamisso's »Lied von der Weibertretie«.
^) »He [i. e. the wäli] was charged with the appreherision of thieves and other crimi-
nals and under bis Jurisdiction were the public womcn from each of whom he exac-
ted a tax.«
3) äalabi = Irk. Celcbi.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. nt.
H. 19/64 ult. = ii/338/2f. USW., auch H. 12/89/11 = 9/238/13, wo die
Zeinab, der verschlagenen Delila Tochter, behauptet, eine Weintaverne
unter der stillschweigenden Protektion des Wäli gehalten zu haben).
Darum auch die boshaften Verse (H. 15/24 ob. = 10/265 paen.) :
C i
Ü.JCLC j ^bCjSi^Jli ^^JU2J <5i-
^
! iL^J:^ ^ ^\j^ ^JuoJf ^
»Für die Herrschenden wär's eine heilige Pflicht,
So lang's ihnen nicht an Rechtssinn gebricht,
Mit Prügel den Muhtasib zu bedenken,
Den Wäli jedoch gleich aufzuhenken. «
Nicht besser als der Wäli schneidet im großen ganzen der Kadi
ab, der häufig die Zielscheibe für den sarkastischen Hohn witziger
Köpfe abgeben muß (Kremer 2/244) •'
»Als in Isfahän ein Elefant für Geld gezeigt ward, meinte ein Versmacher: »Zwei
Dinge bei uns in Isfahän erregen Erstaunen, der Elefant und der Kady, weder zu demeinen
noch zu dem andern hat man freien Zutritt; wer den Elefanten sehen will, muß dem Wärter
das Eintrittsgeld bezahlen; wo aber ist dein Wärter, oh Kädy?«) '); vgl. auch H. 6/100/10 ^x.
Von weiteren Typen, die in lOOi Nacht des öfteren erwähnt werden,
wären hauptsächlich die Schulmeister, die Barbiere und die
Ärzte zu nennen. Das Charakteristikum der ersteren ist ihre Be-
schränktheit oder auch geradezu Dummheit; vgl. dazu den (auf
sie gemünzten) Vers in Ta*älibi's >'>ahsan md samiHui^ S. 173:
»Wie könnte man Verstand bei einem Menschen finden,
Der nachts bei seiner Frau und tags bei kleinen Kindern?«
Die meisten Geschichten, die Anekdoten von Schulmeistern
bringen, sind eben darauf zugeschnitten, ihre Dummheit oder krasse
Ignoranz ans Licht zu stellen und lächerlich zu machen (vgl. Chauvin
Nr. 288 f.), vgl. 8/243, 245 (246/2: ji ^.,.>^t ^,j4.iü ^,JJJ1 ^^ääjI
JJic *.gj ^jH^ ^U^!), 247 = Lane 62 (chapter II: early education)
= H. 8/80."
Anders die Barbiere, die zwar gelegentlich auch als beschränkt,
aber hauptsächlich doch als geschwätzig [Kremer 2/186 Mitte] und
I) Im übrigen vgl. wieder Lane 115/1: »In general the Naib and Muftee take bribcs
and the Kädee receives from hisNa'ib. On some occasions, particularly in long litigations,
bribes are given by each, party, and the decision is awarded in favour of him who pays
highest « [vgl. auchCiROTHE, f>Auf türkischer Erde« S. 151/4]- — Lane 2S7 Note: »A Turk
.... was accused before the Kädee of having interred his dog with the ceremonies practised
at theburialof a Muslim, and escaped punishment(perhaps a severe one) by informing the
judge that his dog had made a will, leaving to him (the K^adee) a sum of money.« Vgl.
auch Chamisso's Gedicht: »Das Urteil des Schemjäka« (ein russisches Volksmärchen);
Lüderitz, Sprichwörter ans Marokko Nr. 29.
74
O. Rescher,
als neugierige »Gschaf t'Ihuber « gelten, die ihre- Nase in Dinge
stecken, die sie nichts angehen; vgl. Doutte 40: »Comme en Europe,
le barbier est le type de l'intrigant et de la bonne langue.« Aus der
älteren arabischen Literatur möchte ich nur die Maqäme Hamadäni's
(Üb. Nr. 34 S. 109 ff.) zitieren, die eine große Ähnlichkeit mit der be-
rühmten Geschichte des »Barbiers von Bagdad« (H. 2/51 ff.) im Sujet
hat, wenn ihr auch freilich der Humor und die Komik dieser letzteren
Erzählung gänzlich abgeht. Hierher ließe sich auch noch die Ge-
schichte H. 24/107 {Der Jüngling aus Cairo, der Barbier und der Haupt-
mann) ziehen. — Gleichzeitig bilden die Barbiere, wie bekannt, im
islamischen Orient als Heilgehilfen eine Übergangsstufe zu den Ärzten,
deren Wirkungskreis sie zum Teil mit übernehmen [Doutte 40 Mitte^ 0.
Im großen ganzen waren aber auch diese ■ — soweit es sich nicht um
Christen (Griechen, Syrer) und Juden oder Perser -) handelte, die sich
wirklich mit medizinischen Studien befaßt hatten — elende Quack-
salber, die ihr Handwerk um so leichteren Herzens ausüben konnten,
als einerseits weder Kontrolle noch Verantwortlichkeit existierte
[Kremer 2/186 f.], andrerseits aber das Kurpfuschermetier mitunter
sehr lukrativ war [vgl. z. B. die (allerdings indische) Geschichte des
Webers, der auf Befehl seiner Frau Arzt wurde: H. 18/198 = 1 1/2 10. 3)
Weiteres soll im nächsten Abschnitt noch zur Sprache kommen.
Rassetypen.
Neben den Volkstypen spielen auch die Rasse- (und Religions-)
typen in den Erzählungen der lOOi Nacht ihre Rolle, die in Anbetracht
der ethnologischen Buntscheckigkeit des vorderen Orients, wo Semiten,
Hamiten, Neger, Arier, Mongolen, zivilisierte Städter und primitive
Nomaden seit undenklichen Zeiten schon ihre Wege gekreuzt haben,
als eine ziemlich bedeutsame betrachtet werden muß. Beginnen wir
mit den Arabern zuerst, und zwar mit den Beduinen, die in einer
großen Anzahl von Geschichten, zwar meist nur flüchtig, aber doch
charakteristisch genug gestreift werden. Sie genießen (damals wie
') Lane 217 u. (chapter IX: Science): »The Egyptian medical and surgical practitio-
ners are mostly barbers, niiserably ignorant of the sciences which they profess <•;
vgl. auch die Bemerkungen Grothe's in i>Anf lürkiscJier Erde<' S. 45 "Mitte, 149 Mitte.
-) Vgl. H. 18/200/1 =11/214/4, H. 6/57 Mitte = 7/18/4; vgl. auch Kremer 2/1S1
Mitte, 2/183/4.
3) Vgl. des weiteren E. Wiede.mann, »Beiträge zur Geschickte der Naturzvissoi-
scha/tcn« XXVI; Cber -aCharlatanc hei den Muslims nach el-Gaubari«. [Erlangen 191 1,
Sitz.-Ber. der Phys.-Mediz. Sozietät, Bd. 43]; id. y>Üher diarlatanc unter den arabischen
Zahnärzten« usw. {Korrespondenzblatt für Zahnärzte, Heft 3, 1914)-
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 75
beute!) den denkbar übelsten Ruf als »Buschklepper, Wegelagerer und
Räuber« schlimmster Sorte (vgl. H. 6/105 u., H. 17/13/8, H. 3/79 u.,
H. 4/184 ult., ibd. 187/4, H. 2/99 Mitte =2/312/10, an welch' beiden
letzteren Stellen ihre von Geldgier diktierte Gefühllosigkeit und Roheit
besonders hervortritt, HN. 254 Mitte, 7/58/1 1 und 7/64/4 ff . = H. 6/
91/12, H. 6/93 Mitte ['Aid' eddin abü 's Sämdt], H. 12/100 Mitte =
9/256/12)1). Wie aus der bereits zitierten Stelle H. 4/184 ult. zu er-
sehen, wo neben den Beduinen auch die Kurden genannt werden, sind
diese letzteren gleichfalls als ein räuberisches und wildes Gesindel ver-
rufen und berüchtigt-) (vgl. H. 7/70 Mitte = 7/291/6: Der Strolch [sdHr]
Dschawän der Kurde, das Haupt einer 40köpfigen Räuberbande in der
Geschichte von 'Ali Sdr und Zumurrud, H. 7/6/7). — Ein ebenfalls
ziemlich übles Renommee genießen die Schwarzen, die zwar weniger
als gewalttätig denn als boshaft und lügnerisch, dumm und diebisch
hingestellt werden. Vgl. dazu die Geschichte des Eunuchen Kafur
(H. 2/159 — 164 = 4/375/14 ff.), der sich und die andern durch seine
ebenso dummen als boshaften Lügnereien in Schaden bringt; ferner
7/358/ 1 f. = H. 7/1 14 Mitte:
»Alle Welt stimmt über den Unverstand des Schwarzen überein, und das Sprich-
wort sagt: 'Ein Schwarzer und Verstand schließen einander aus 3)'«
\Geschichte der sechs Sklavinnen] und H. 15/80/10 = 10,394/6 (wo ein
Schwarzer »Alas*üd der Rossedieb« [Jo^i^Jl ^'^J auftritt). — Viel inter-
essanter als die vorhergehenden Typen sind die in lOOi Nacht auf-
tretenden Maghrebiner. Es ist bekannt, dal3 geradein den Anschauun-
gen der islamischen Volkskreise die Scheichs und Zauberkünstler aus
dem Maghreb einen groi3en Ruf als Geisterbeschwörer und Schätze-
sucher 4) haben und dementsprechend einen abergläubischen Respekt
genießen ^). Gerade die berühmtesten Geschichten der lOOi Nacht,
'Aladdin und die Wunderlampe, der Dschüdar- Roman u. a. zeigen uns
I) An beiden Stellen (7/58/8 f. und 9/256/1 1) ist natürlich identisch \J:iS ^y^ i^Ol^
zu lesen und nicht »Hundetal« (wie Hexning 12/100 Mitte und 6/91/9) zu übersetzen.
-) Vgl. die Bemerkung Sachau's in »Reise in Syrien und Mesopotamien« S. 356 u. :
»Zwischen Beduinen und Kurden besteht dieser beachtenswerte Unterschied, daß die erste-
ren wohl den Reisenden berauben, aber niemals [ist wohl zu viel!] ihn ermorden, die
letzteren dagegen ohne viel Skrupel beides miteinander verbinden«; ferner »Islam"
ni/i79/i- , . ..
3) Vgl. dazu das von mir im »Islam« III/170 zitierte türk. Sprichwort: ^_^^y« ^jS
.^Ai^ ^^S\yX:^j^6\ ^.J ^l^ [Vj^: var.] («Der Verstand von 40 Schwarzen
lullt noch nicht einmal ein(en) Feigenkern(chen) aus«).
4) Vgl. VuiLLER 68: »Les sorciers marocains ont la specialite de veiller ä la garde
des trescrs en meme temps qu'ils passent pour avoir le privilege de les decouvrir.«
5) Auch im Gespräch mit Algeriern hörte ich diese Ansicht.
^6
O. Rescher,
die Rolle, die der Maghrebiner als Adept der Magie (der »schwarzen
Kunst«) in den Volksvorstellungen spielt; vgl. Zotenberg 2/4 =
H. 20/6:
»Dieser Derwisch aber war aus dem Innersten des Magreb und ein Zauberer, der
durch seine schwarzen Künste Berge aufeinandertürmen konnte und sich auf Astrologie
[hei'a] verstand«;
ferner H. 20/105 paen. undH. ii/io, 15, 18 (im Dschüdar- Roman) '). —
[Als Wahrsager findet sich ein Maghrebiner H. 23/29 ult., in der harm-
loseren Betätigung als Pförtner^): H. 12/62/3 ^ 9/196/12].
Einen ganz andern Typus bildet die Figur des Iraniers, die uns
in doppelter Weise, nämlich als Magier 3) (in den älteren Geschichten)
und als Perser (in den jüngeren Erzählungen), entgegentritt. Daß
auch sie gelegentlich als Schwarzkünstler (Alchimisten: 5/288 = H. 13/
144) 4) auftreten, ist weniger von Belang; was dagegen sofort in die
Augen fällt, ist der bittere Rassen- und Religionshaß, der die
Muslims gegen sie beseelt. Eine ganze Anzahl von Geschichten könnte
fast ad hoc geschrieben sein, dem Leser all' die Schandtaten vor Augen
zu führen, deren sie der islamische Volksgeist für fähig zu erachten
schien: Treubruch, Falschheit, Tücke, Haß gegen die Lehre Moham-
^) Vgl. Chauvin VI/84 Note zu Nr. 252 »Maugraby le magicien«; Snouck-Hurgronje
II/119: »In Mekka gilt der muslimische Westen als das Stammland der gröbsten Formen
des in Mekka eingebürgerten Aberglaubens; namentlich die Kunst, seinen Feinden Krank-
heit und Unglück jeder Art zu verursachen, soll magribinisch sein.« Goldziher ZDMG
41/48 ff. Legrain 106: »II suffit que le moindre Maugrabin passe dans le pays Le
nouveau venu laisse entendre qu'il possede un grimoire qui permettra ä quiconque lui
avancera la forte somme de trouver, gräce ä lui, un trcsor incomparable. Et chaque annee,
quelque niais se laisse prendre ä l'appät «; Canaan 45 Mitte [wundertätige Krank-
heitsheilung durch den schech, derwisch und mograbi]; Doutte 34, 50/2: »Pourlesmusul-
mans d'Orient, le sorcier, s'il n'est ni juif ni chretien, doit etre maghribin; dans le looi nuits,
les rnagiciens sont regulierement originaires du Maghrib «; Lane 268/3 (chapter XII:
Magic): »He (i. e. the magician) was called the sheykh 'Abdelqadir el-Maghrabee« (vgl.
auch H. 8/83: ^ Abderrahmdn el-Maghribi); Kahle {Krokodilspiel 298), wo zum Ende der
Posse die Maghrebiner infolge ihrer besonderen Befähigung zu Beschwörungen das Krokodil
mit Weihrauch und Zauberformeln einschläfern und so unschädlich machen (vgl. auch
Basset, »Diäons satyriques« Nr. 18 S. 36 Mitte — S.-A. aus J. A. 189O; ferner Nöldeke,
»Doktor und Gar koch« 48/6).
*) Vuiller 68: »La ponctualitd avec laquelle les Marocains ex6cutent une consigne,
leur mutisme et leur fid^lit^ ont pu taire naitre ces sortes de legendes. A Tunis, ils sont
gardiens des maisons V6ritables chiens de garde, ils n'admettent ni dis-
cussion ni r^plique. «
3) Über die Stellung der Magier (und die Fiktion, sie den »Schriftbesitzern« [Juden
und Christen] beizählen zu können) vid. Belädori 79 — 81.
4) 5/280/1: »„tSi-iji , C»Lt^ -JÜm«.
Studien über den Inhalt von lOOi Nacht. 77
meds und ihre Bekenner, Verleitung zu Apostasie, selbst Ritualmord ^)
suchte man ihnen in die Schuhe zu schieben. Ganz besonders in den
beiden Geschichten von »As'ad und Amgad« und ^)Hasan el-Basri«
wird diese zoroasterfeindliche Tendenz durchgeführt und betont
(5/281/10 - H. 13/140 Mitte):
»Da sagte Hasan zu dem Magier: 'Wo ist der Eid, den du mir geschworen, und wie
konntest du dich über 'Salz und Brot' hinwegsetzen?' Der Magier aber schaute Hasan
(verächtlich) an und sagte: 'Du verfluchter Hund und Hundesohn 1 Was kümmert meines-
gleichen 'Brot und Salz', wo ich schon 999 Burschen wie dich umgebracht habe und du
das Tausend vollmachen sollst.«
Ibid. 5/282/9 = H. 13/141:
»Der Magier meinte dann zu Hasan: 'Blick' auf dieses Feuer, die Herrin 2) des Lichts
und der Funken. Willst du es gleich mir anbeten 3), so will ich dir meines Besitzes eine
Hälfte geben und dich obendrein mit meiner Tochter verheiraten?' Da Hasan aber sich
dessen weigerte , so ließ er ihn mit einer geflochtenen Geißel züchtigen« usw.
H. 6/24 u. =,3/289 — 290:
»Als der Magier mit As'ad in den Saal trat, gewahrte derselbe 40 betagte Scheiche
rings im Kreise um ein brennendes Feuer herumsitzen, vor dem diese anbetend sich nieder-
warfen. Da erschauerte As'ad; der Scheich, sein Führer, aber rief den 40 Alten zu: 'Welch'
glücklicher Tag! 'Dann befahl der Scheich, As'ad in ein unterirdisches Verließ zu
sperren, ihn Tag und Nacht zu martern und ihn mit etwas Brot durchzufüttern, um ihn,
wenn die Zeit gekommen, zum Schluß auf dem Feuer(tempel)berg als Opfer zu schlachten 4). «
[Nochmals: 3/3 15/12.]
Umsekehrt wiederum scheint es für den muslimischen Hörer oder
Leser der Geschichten eine Befriedigung gewesen zu sein, wenn man
den Feueranbetern nicht nur Gleiches mit Gleichem vergalt, sondern
noch ein Übriges dazu tat, wie z. B. aus der Geschichte von dem König,
der alV sein Gut verlor und dann wiedergewann, hervorgeht, wo der
schuldige Magier mit den denkbar raffiniertesten Martern langsam und
stückweise zu Tode gebracht wird (H. 19/35 - 1 1/277/9 ff.) 5).
Juden und Christen.
Wenn wir die Verhältnisse und Bedingungen, unter denen die
Andersgläubigen inmitten des islamischen Volkskörpers lebten, richtig
beurteilen wollen, so dürfen wir natürlich billigerweise nur analoge
1) H. 13/139= 5/279 ult.: Dieser Magier haßte die Muslims grimmig und jeden,
den er von ihnen in seine Hand bekam, brachte er (unweigerlich) um; 3/289^290.
2) »Feuer« ist im Arab. femin.
3) Analog die Episode H. 11/145 Mitte in »Gharib und '■Agib<'.
4) Weitere Stellen, wo Feueranbeter erwähnt werden, sind: H. 1/143 Mitte, H. 11/79
Mitte = S/383/14, H. 13/50 = 10/56/13, H. 19/30 u.; ibid.35.- 7/54/1 ist »^^^j^/i« wohl
nicht wörtlich, sondern als Schimpfwort zu verstehen.
5) Von den »Persern« ist nicht viel die Rede, außer daß sie Ärzte sind (vgl. Note 2
S. 74).
78 O. Rescher,
Umstände zum Vergleich heranziehen. Nichts müßte demgemäß ver-
kehrter erscheinen, als wenn wir etwa heutige Anschauungen als Maß-
stab der Beurteilung anlegen wollten; vielmehr müssen wir, um dem
historisch gegebenen Milieu gerecht zu werden, auf die Verhältnisse
des mittelalterlichen Europa zurückgreifen. Dagegen nun gehalten,
werden uns die Lebensbedingungen der Nichtmuslime ^) — trotz vieler
Beschränkungen und Ungerechtigkeiten im einzelnen — im ganzen
genommen doch mindestens als ebensogut, wenn nicht besser erscheinen
als die der Nicht- (oder auch nur Anders-) Christen in Europa bis hart
an die Schwelle der Neuzeit heran. — Kein Mensch, der die Psyche
der Islamvölker einigermaßen kennt, wird behaupten wollen, daß
irgendwo oder irgendwann je wirkliche Toleranz, im Sinn einer An-
erkennung der Gleichwertigkeit der religiösen Anschauungen, aus-
geübt worden wäre -) [die Ausnahmen von Einzelerscheinungen wie
Kaiser Akbar oder Toleranzideen einzelner mystischer Dichter und
Derwisch (orden) sind praktisch natürlich kaum irgendwie von Be-
deutung], trotzdem aber hat es in den Islamländern systematische
Verfolgungen Andersgläubiger in großem Stil allein aus
religiösem Fanatismus kaum je gegeben 3). — Um aber wieder auf
die Erzählungen von lOOi Nacht zurückzukommen, müssen wir, rein
objektiv betrachtend, doch zugeben, daß ein großer Teil der Geschichte,
in denen Christen oder Juden auftreten, diesen gemeiniglich irgend
') Vgl. auch für einzelnes die Ausführungen Kremer's 2/166 u. f.
2) Einzelne Züge von Intoleranz: HN. 43/5 ff- {Histoire de Mo/iamniedel-Qairoiiani):
»Le vendredi, les oiseaux louent Allah et le prophete; le samedi, ils maudissent les
juifs; et le dimanche. les chretiens.« — H. 9/41 (ein Hadit): »Redet die Juden und
Christen nicht mit dem Saläm an, und wenn ihr ihnen auf der Straße begegnet, so drängt
sie auf die schmälste Stelle.« -^ HN. 279 u. Maslama ben 'Abdelmelik, wo die Tötung von
Mönchen erzählt wird, die im Islam eigentlich ausdrücklich verboten ist (vgl. H. 3/22/8)
usw. — • Umgekehrt kommt aber doch gelegentlich wieder eine gewisse Rücksichtnahme
auf die Andersgläubigen zum Ausdruck, wie z.B. H. 7/61/4 = 7/278 paen. Q-Ali Sdr):
(Als der Nazarener einen Schluck Wasser von 'Ali §är verlangte), da sagte dieser zu sich:
Dieser Mann ist ein tidimmi« [Schutzbefohlener] und ich will ihm (also) seine Bitte
nicht abschlagen.« Dagegen ist diese Annahme christlicher Bräuche seitens Mohamme-
daner (Beten in christlichen Kirchen, zu christhchen Heiligen, das Kreuzschlagen, selbst
Taufen usw.) selbstverständlich nicht als Zeichen von Toleranz, sondern als ein aber-
gläubischen Voraussetzungen entspringender Synkretismus zu beurteilen [vgl. Goldziher,
»Alois MusiVs ethnologische Studien in Arahia Petraea<< in Globus XCIII Nr. 18 (1908) S. 287,
Canaan 72 oben, 131 Mitte u. a.]. Ebenso möchte ich auch die Stelle H. 18/131 u. =
11/92/13 verstehen; das »sanamo ist wohl auf ein »Ikon« zu beziehen.
3) Für einzelne Tatsachen, die gegen diese Behauptungen zu sprechen scheinen,
lassen sich andere Erklärungen finden; für die Armenierhetzen sind doch wohl in erster
Linie Gründe politisch-wirtschaftlichen Charakters maßgebend gewesen, nicht aber lediglich
oder gar ausschließlich der Umstand ihrer Zugehörigkeit zu einem christlichen Bekenntnis.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 79
etwas anzuhängen sucht, und wahrscheinlich sind die Erzähler in der
Unterstreichung dieser Tendenzen dem Geschmack ihres Publikums
gern noch weiter entgegengekommen. Daß auch die politischen Zeit-
läufte eine gewichtige Rolle in dieser Frage spielten, liegt auf der Hand,
und wie die hochgehenden Wogen der Kreuzfahrerzeit sich Hterarisch
ausgetobt haben, sehen wir an den spätägyptischen Geschichten mit
ihren von Christenhaß diktierten Tendenzen (: Nur eddin und Mirjam,
die Gürtelmacher in). ■ — Immerhin dürfen wir nicht außer acht lassen,
daß der Gegensatz zwischen Muslims und Nichtmuslims individuell
auf verschiedenartigen Gründen beruhte: Der Christ war in erster
Linie der politische Gegner und wurde als solcher offen mit den
Waffen bekämpft, während der Jude wirtschaftlicher Konkurrent war,
oder, wo dies nicht zutraf, als Repräsentant seiner eigentümlichen
Rasse befehdet wurde, so daß, wenn es auch selten zu wirklichen »Po-
groms« (d.h. offenen Ausbrüchen des Volksfanatismus) kam, doch so
eine Art von latentem Kriegszustand zwischen Muslims und
Judentum bestand.
Dem Beruf nach sind die Juden in lOOi Nacht (wie übrigens
auch heute meist noch) Goldschmiede (9/218/10 = H. 12/75 paen.),
Geldwechsler (4/325/10, 4/323/1 = H. 14/113). Juweliere (H. 21/48
Mitte; vgl. Huart 2/93 ult.) oder- Ärzte (H. 2/6 u., H. 2/41) ^). — im
allgemeinen waren, wie bereits angedeutet, die Juden zwar nicht recht-
los (davor schützte sie letzten Endes ebenso die islamische Gesetz-
gebung als das materielle Interesse der Regierungen), aber man begeg-
nete ihnen doch meist mit Mißtrauen und selbst Verachtung: 10/ 180/3
(= H. 14/179 Mitte, wo der Text übrigens nicht ganz identisch):
»Wie kannst du, Feind Gottes« [sagten die vier Kädis zu dem Gatten der Zain el-
mawäsif] »dich unterstehen, diese Frauen zu Juden, den ungläubigsten von
Gottes Geschöpfen allesamt [üwJlil / äJLi> -äi'i], machen zu wollen?«
und in {'Aladdin und die Wunderlampe) Zotekberg 25/7 = H. 20/36:
»Weißt du denn rieht, mein Kind,« [sagte der muslimische Juwelier zu 'Aiaddin],
»daß das Gut der rechtgläubigen Muslime den Juden für »erlaubt« gilt und daß sie die-
selben stets zu betrügen suchen? ^)«
In einer Geschichte (H. 24/179 u.) wird sogar auf den Ritualmord 3)
') Lane 556 u. {The Jews of Egypt): »Many of the E. J. are 'sarräfs' (or bankers
and money-lenders) : other are seyrefees ..... some are goldsmiths or silversmiths and
others pursue the trades of retail grocers and fruiterers« usw. — Vgl. auch Kremer 2/167
paen., 2/1 81 Mitte, 2/183 Mitte.
-) Der Jude, dem 'Aladdin zuerst seine Platten verkaufte, wird Zotenberg 23/10
= H. 20/34/2) als »^xijLxi-Jt ^A ^i>.>J>U [schlinuner als die Satane (selbst)] be-
zeichnet.
3) Da solche Behauptungen von muslimischer Seite aus gleichzeitig gegen Juden.
8o O. Rescher.
angespielt. Im übrigen gelten sie dem Volksglauben als Zauberer,
was sich auch in mehreren Geschichten widerspiegelt [Chauvin V/249
Note, Kremer 2/265, Canaan 119/4, Doutte 481), Huart 1/155,
H. 12/122 u. ff. = 9/289/1 1:
»Der Jude 'Adra« — ■ sagten die andern zu *Ali dem Kairenser — »ist ein ganz
listenreicher, verschlagener und tückischer Zauberer, der sich die Dschinn dienstbar gemacht
hat« usw.].
Alle Erzählungen haben im Grunde gleichermaßen mehr oder
minder die Tendenz, die in ihnen vorkommenden Juden in möglichst
ungünstigem Licht erscheinen zu lassen, und es darf wohl vorausgesetzt
werden, daß die Erzähler damit psychologisch auf den Geschmack
ihrer Zuhörer richtig spekulierten [vgl. die Geschichte von Zain el-
mawäsif, deren Gatte — nachdem er vor und in der Gerichtssitzung
schon gehörig zerzaust worden (H. 1 4/179 = 10/180) • — zum Schluß
von der Sklavin seiner Frau in deren Auftrag in das offene Grab hinein-
geworfen und darin lebendig verschüttet ward; ferner die Geschichte
H. 24/89 ff., Stumme, Tun. 93 ff., 116 ff., Trip. 176 ff. (vgl. Nasr eddin
Hogä); in der Geschichte von '^Ali Zibaq, dem Kairenser, bringt am
Ende der Erzählung die Qamar, Tochter des Juden 'Adra, selbst ihren
Vater um und wirft seinen Kopf dem 'Ali Zibaq vor die Füße (H, 12/131
= 9/302); besonders kraß ist die Episode {'m'-Ald' eddin abü 's-Sämdt),
wo Ahmed ed-Danaf zwei Juden unterw^egs einfach ausraubt und er-
mordet, ohne daß anscheinend der Erzähler irgend etwas dabei findet,
was ihn veranlassen könnte, die Sache etwas zu mildern (H. 6/130 =
7/1 16/12) 2); ebenso frivol wie unverfroren ist auch der Bericht des li.
Moqaddem (H. i9/89f. = 11/383 f.) von dem Juden, dem zuerst sein Geld
weggestohlen und hintennach, um ihn zu verderben, eine Totenhand
mit einem Goldring am Finger heimlich in das Haus praktiziert wird, —
Gerade letztere Geschichte freilich stammt bereits aus einer Zeit, in
der die Korruption, die Verlotterung und. der moralische Tiefstand
(gerade bei den ausführenden Organen der öffentlichen Gewalt) schon
Christen (H. 15/66 u. = 10/360/13) und Magier (H. 6/25 Mitte = 3/290/2) geäußert
werden, so dürfte es sich wahrscheinlich im Grunde nur um Vorstellungen der Volks-
phantasie in den niederen muslimischen Schichten handeln. — Andere Anklagen seitens
der islamischen Massen (z. B. aut sittlichem Gebiet) sind die Behauptungen von nächt-
lichen zuchtlosen Orgien, die die Sektierer sich zuschulden kommen lassen sollen (Jacob,
»Die Bektaschije<t., München 1909, S. 37 u. ; Sachau »Reise in Syrien unv.v. 338 Mitte
u. a. m.).
') »Les juifs et les chretiens . . . sont les sorciers par excellence (dan-; le Magh-
rib)«; vgl. auch die Geschichten SociN, •s>Houwara<i. 116, »Zum arabischen Dialekt von
Marokko<i. 161.
^) Freilich scheint dergleichen auch sonst gelegentlich vorgekommen zu sein: Aubin
325/8. Vgl. auch Chamisso's Gedicht: »Die Sonne bringt es an den Tag<>.
Studien über den Inhalt von loot Nacht. 8l
einen bedenklichen Grad erreicht hatten; daß übrigens durch die Rechts-
unsicherheit und die Gewissenlosigkeit der Polizeiorgane und Beamten
die Muslime in letzter Hinsicht ebenso getroffen wurden wie die Nicht-
muslime, zeigen die andern Historien aus der Sammlung der dem
Sultan Rukn eddin Beibars gemachten Berichte.
Im Unterschied zu den über das Verhältnis von Muslims und Juden
gemachten Ausführungen läßt sich bei der Beleuchtung des Verhält-
nisses zwischen Muslims und Christen leicht feststellen, daß, abge-
sehen von den in erster Linie politisch tendenziösen Kreuzfahrer-
geschichten, eine besondere Animosität des islamischen Volksgeistes
gegen die letzteren nicht nachzuweisen ist. Wohl kommen gelegentlich
Ausfälle gegen sie vor (besonders in dem großen Ritterroman ^>^Omar
en-Na'-mdnn und. »'■Ali Nur eddin undMirjar,i<); diese sind aber durch-
aus mehr als Niederschlag des politischen Antagonismus denn als Aus-
fluß eines Rassenhasses oder psychologischer Antipathie (wie bei der
Feindschaft gegen Magier und Juden) aufzufassen. Nur an einer Stelle
(in ''Ali Sär und Zumurrud) wird von dem Versuch einer gewaltsamen
Bekehrung einer Muslimin zum christlichen Glauben erzählt (H. 7/64 u.
= 7/283/10 f.) • — was natürlich zur Aufstachelung des muslimischen
Fanatismus dienen soll — , dagegen ist es vielleicht noch erwähnens-
wert, welch seltsame Vorstellungen sich anscheinend die Volksphantasie
von den Bräuchen der Christen gelegentlich machte [10/337/1 = H.
15/56 Mittel
«Die Alte sagte zu Nur eddin: 'In dieser Stunde noch wird die Tochter des Königs
mit 400 Mädchen, Töchtern von Emiren und Granden, in diese Kirche kommen; wenn aber
ihr Blick in dieser Kirche auf dich fiele, dann würdest du unfehlbar von den Schwertern
(ihrer Begleiter) in Stücke gehauen'«,
wobei natürlich eine Übertragung muslimischer Anschauungen zu-
grunde liegt i); H. 15/66 u., 700b. = 10/366: »Schlachtung von Mus-
lims als Opfer für den Messias« (was oben schon besprochen wurde);
H. 3/170 (Mitte bis unten): Eine ebenso anstößige als lächerliche Ver-
leumdung; vielleicht auch eine Übertragung zwar nicht muslimischer,
aber doch in muslimischen Ländern praktizierter Bräuche, wenn wir
den Angaben von Genthe, »Marokko« S. 225 trauen dürfen. — Die
Beurteilung der Ikone als Götzenbilder »asnäm« (H. 15/91 Mitte =
10/416/4) dagegen dürfte schon mehr den Anschauungen des offiziellen
Islams konform sein -).
1) Es sind doch wohl Stellen wie H. 20/48/13 = H. 20/37 u. und H. 1 7/16/5 u. zu
Obigem zu vergleichen (Verbot bei Todesstrafe, eine Königstochter [oder sonst eine hoch-
gestellte Frau] bei ihrer Ausfahrt [oder ihrem Ausiitt] zu betracliten).
2) Obwohl eigentlich das Kapitel der Rassetypen zum Abschluß gebracht wäre,
möchte ich doch noch einige Worte über eine allerdings weniger ethnische als religiöse
Islam. IX. 6
g2 O. Rescher,
Über Witz und Humor in 1001 Nacht.
Wie wir schon verschiedene Male bemerkt haben, kann (wenigstens
vom Standpunkte des Orients aus) die Sammlung von lOOl Nacht
nicht als ein »literarisch« zu bewertendes Buch gelten. Mag auch ein
gewisser Kern — nämlich die aus dem indisch-persischen Literaturkreis
übernommenen Erzählungen, besonders die didaktischen und ethi-
sierenden Stücke — ursprünglich als »Literatur« bestanden haben, so
ist doch lOOi Nacht in der späteren Gestaltung mehr und mehr zum
Typus eines Volksbuches geworden, dessen Textformung im einzelnen
vielfach dem subjektiven Ermessen der Erzähler und Überlieferer
anheimgestellt blieb. Demzufolge müssen wir bei unserem Thema ein
Doppeltes unterscheiden, nämlich einerseits das Stoffliche, das in den
Erzählungen selbst liegt, und andrerseits die Nüancierung im besonde-
ren, d. h. das ausschmückende Beiwerk, das die mündlichen (oder auch
schriftlichen) Überlieferer in die Geschichten einfiochten, teils um den
gegebenen Stoff als »Nachdichter« nach eigener Phantasie zu modeln,
teils um dem Geschmack des Publikums entgegenzukommen, d. h.
die Erzählungen pikanter zu machen. So zweifle ich z. B. nicht, daß
jedenfalls manche Stellen, deren Witz im Erotischen liegt, Ausschmük-
kungen der Erzähler bilden und nicht zum Kern der betreffenden Er-
zählung gehören, die auch ohne dieses Beiwerk in sich abgerundet
erscheint ^).
Wirklichen Humor finden wir vor allem in einer der köstlichsten
Erzählungen von lOOi Nacht, nämlich der Geschichte des »Barbiers
von Bagdad<i, dessen »Gschaftlhuberei« und Geschwätzigkeit in tragi-
komischer Weise den unglücklichen Liebhaber um seine Hoffnungen
bringt und ihm noch einen Körperschaden zuzieht -). Eine groteske
Gemeinschaft, die in lOOi Nacht öfters erwähnt wird, nämlich die Rafiditen, hinzu-
fügen. Mehrere Stellen zeigen, daß die Sunniten sie ebenso haßten als fürchteten. 7/125
paen. = H. 6/137 (ungenau: »Renegat«), wo ein solcher einen Anschlag auf den Chalifen
verübt. 7/63/3 = H. 6/92 : »Man verschließt die Stadttore Bagdads zeitig bei Sonnen-
untergang aus Furcht, die Rafiditen [arfa^l könnten durch einen Handstreich sich der
Stadt bemächtigen und alle Bücher der sunnitischen Orthodoxie in den Tigris werfen.«
7/1 19/7 = H. 6/132 ob. und Kote (die R. hatten bekannthch die Gewohnheit, die Namen
der beiden Scheiche [lies im Text Z. 6 »^^ajS^va-CcJI* statt des sinnlosen »^5>LCi-*Jl«]
Abu Bekr und 'Omar aus Haß gegen dieselben auf ihre Fußsohlen zu schreiben, um sie so
ständig mit Füßen zu treten).
I) Dafür sprechen auch noch zwei weitere Umstände, erstens daß solche Stellen sich
in verschiedenen Erzählungen gleichermaßen finden (z.B. 3/270-274 = 7/318—319,
Qamar ez-zeman bzw. '■Ali J§dr) und zweitens die Analogie mit den Versen, die ebenfalls
häufig nur individuelle Einschiebsel der Erzähler sind.
^) Die Erzählung hat Berührungspunkte mit zwei Maqdmen Hamadäni's; was die
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 83
Komik bietet auch die Geschichte Bäsim's, wenn freilich hier auch
das Humoristische nicht ganz so ungetrübt rein erscheint. Mehr in
das Gebiet der tollen Schwanke und Schelmenstreiche gehören die
listigen Tricks der abgefeimten Delila (Dulaila?), die mit ihren Gauner-
stückchen ganz Bagdad rebellisch macht (9/193 ff. = H. 12/67 ^•)- ^^
diese gleiche Kategorie gehören die zahlreichen Diebs- und Spitz-
bubengeschichten, die in lOOi Nacht so reich vertreten sind
{H. 19/76 = 11/359: Die Schwindlerin, die die Polizisten an der Nase
herumführt, indem sie auf der andern Seite einer Passage ganz gemüt-
lich entweicht, während diese vor derselben auf ihre Rückkehr warten) ;
H. 19/15 = 11/236 ff. {Der gerissene Gauner) ^]; H. 19/13 = 11/231 (eine
Eulenspiegelei, worin eine Schwindlergesellschaf t durch ein abgekartetes
Spiel mit verteilten Rollen einen Geldwechsler dazu bringt, einen
»goldmistenden« Esel im Werte von 50 Dirhems für 5000 Dirhems zu
kaufen); H. 18/169 (der übertölpelte Dieb); H. 7/136 (ein Diebeskunst-
stück); H. 7/133 f. u. H. 7/137 f. (Gaunertricks); H. 8/43 =8/206/14
(eine Eulenspiegelei). In dieses Kapitel gehört auch das Thema von
der orenasführten Polizei, dessen Pointen sicherlich nicht ohne
beifällige Schadenfreude von den Zuhörern der Erzähler goutiert
wurden 2) (H. 19/65 — 66: Geschichte des entwischten Jude^i] H. 19/71 — 72:
Der Wdli und die Zechgesellschaft = H. 7/13 1— 133; H. 7/133— 135 :
Der Wdli und die Diebesbeute usw. ■ — Eine Art von Pendant zu diesen
Geschichten, wenn zwar schon auf anderem Gebiet, bilden die zahl-
reichen Anekdoten und Erzählungen von den Weib er listen, die aller-
dings zum Teil schon auf die ältesten Quellen, d. h. den persisch-indi-
schen Kern der lOOi Nacht, zurückgehen. Daneben findet sich aber
auch eine Reihe Historien, die — ganz jungen Datums — ihre Sujets
aus dem Volksleben und insbesondere dem Großstadttreiben schöpfen.
Den obengenannten Gaunerstückchen gegenüber haben wir in H. 19/57 ff-,
ibd. 67 ff. Tricks von Hochstaplerinnen, die die Polizeiorgane sogar selbst
in ihre Netze locken und mit Erfolg hereinlegen. — Eine viel größere
Rolle jedoch als auf diesem Gebiet spielen die Weiberlisten in den
Liebeshändeln. Stark an die Komödie der »Lustigen Weiber von
Windsor«, jedoch ohne deren moralisierende Tendenz, erinnert die (in
Geschwätzigkeit des Barbiers anlangt, mit der Nr. 34 der Übers. S. 114 u. ff., und was
die üblen Folgen der Geschwätzigkeit (für der andern notabene!) anlangt, mit der Nr. 22
der übers. S. 51 ff.
I) Die Ausführung dieser und der folgenden Geschichten im einzelnen wäre zu weit-
läufig und muß deshalb der Inhalt im Original eingesehen werden.
^) Die bissigen Ausfälle gegen die Polizeiorgane in »Bäsim« habe ich schon oben
erwähnt (im Abschnitt über die öffentliche Sicherheit).
6*
gA O. Rescher,
dem Geschichtenzyklus von Schah Bäht und seinem Wezir cr-
Rahwän sich findende, indische) Erzählung von dem ^)Drogisten und
dem Sänger« ii/iooff. = H. 18/136^), die ihrerseits inhaltlich wieder
manche Berührungspunkte mit der Geschichte »Qamar ez-zemän''s und
seiner Liebsten« (H. 17/5 ff.) und der Geschichte vom. )>Walker, seiner
Frau und dem Soldaten« [H. i8/i58ff. = 11/140 ff.) aufweist. In diesem
Zusammenhang mag auch die — übrigens ebenfalls indische — Geschichte
(H. 10/210 = 12/348 und H. 19/22 == 11/246) mit der paradoxen Pointe,
daß, infolge der verschlagenen Tricks einer Kupplerin, der Gatte in der
Erzählung sich mit seiner unschuldigen Frau überwirft, um. sich dann
mit der schuldig gewordenen wieder reumütig zu versöhnen, genannt
werden. Auf all' diese Historien soll übrigens noch einmal im letzten
Kapitel [Über die Frauen] besonders Bezug genommen werden -J. —
Im Anschluß an diese Geschichtchen, in denen der Witz auf sexuellem
Gebiete liegt, mögen noch kurz die Pikanterien gestreift werden,
denen wir in 100 1 Nacht begegnen. Da nun gerade einige der typisch-
sten Stellen (3/270 — 274 = 7/318 f. : Die Wiedererkennung der ver-
kleideten Hajät en-nufüs bzw. Zumurrud mit ihrem Gatten) sich doppelt
finden, so ist es, wie bereits oben erwähnt, nicht auszumachen, ob wir
in diesen (und den andern noch zu erwähnenden) mehr oder weniger
obszönen Episoden Bestandteile der eigentlichen Erzählungen oder
nicht viel mehr Einlagen der Rhapsoden erblicken sollen. Das gleiche
dürfte vielleicht wohl von dem Passus 1/161— 168 3) in der Geschichte
von dem »Lastträger und den drei Mädchen« anzunehmen sein. Auch
sonst bildet das sexuelle Motiv die Pointe einer Anzahl von Geschichten
teils indischen, teils arabischen Ursprungs, nämlich H. 10/167 ff. =
12/289 ff. = HN. 174 bzw. 8/205.206 (Anekdoten aus dem intimen
Leben Harun er-Ra§id's); 12/326 paen. = H. 10/201 (wo die Erzählung
natürlich stark gekürzt) 4); ferner einige Gedichteinlagen, worunter die
bereits oben zitierten witzigen (vom Herausgeber leider ganz verball-
hornten) Verse zum Lob der natürlichen (gegen die unnatürliche)
Liebe: 8/310 [vergl. S. 12 Note i am Ende].
') Die Übersetzung H.'s ist aus stofflichen Gründen stark gekürzt, wenigstens in
der zweiten Hälfte.
^) Man könnte natürlich noch manche andere Historie hier aufführen, z. B. H. 18/164 :
der (uns aus Boccaccio bekannte) Zauberbaum (übrigens ebenfalls indisch) u. a. m.
3) Ähnliche zweideutige Benamsungen für eine eindeutige Sache 7/75/2—4-
4) Die Geschichte der t,Lailat el-qadr<- [»Schicksalsnachto (am Ende des Ramazän)]
war wohl ursprünglich ebenfalls indisch, ist dann aber in eine ganz muslimische Form
gekleidet worden.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 85
Neben den sexuellen Anzüglichkeiten verschmähen die Erzähler
auch die derben Spaße im Stile Eulenspiegels nicht; da die Vorträge
der Rhapsoden nur für ein männliches Publikum berechnet waren, so
brauchten sie sich auch keine allzu große Reserve in der Wahl ihrer
Themata aufzuerlegen; ebenso konnte man ja auch bei uns im Mittel-
alter, wie aus den alten Volksbüchern und Schwänken zu ersehen,
ein ganz gut Teil Derbheiten ertragen, die heute in jeder Form lite-
rarisch unmöglich wären. Bei verschiedenen Anekdoten beruht der
Witz auf der t>darta<>. (8/225 = H. 8/58 f.: Harun, Dscha'-\aY und der
Beduine-, H. 19/94 = 11/392: Der Dieh unter dem Kessel). Grobe Spaße
enthalten auch sonst manche Episoden, wie z.B. die Groteske vom
)yKä4i, der ein Kind bekam« H. 23/132 ff. und die Szenen (in '■Aladdin)
H. 20/53/3 "= Zotenberg ^^7 paen. = H. 1/184 bzw. 2/56 paen. (in der
Geschichte der Wezire Nur eddin und Sems eddin), wo der ungeeignete
Bräutigam von einem 'Ifrit (kopfüber) in die Kloake des »bet el-md^c
gesteckt wird, sowie einzelne Stellen wie H. 23/151 Mitte, H. 3/170
Mitte, wozu ich schon an anderer Stelle die Parallele aus Genthe,
»Marokko« 225 zitiert habe. — In der indischen Erzählung H. 10/
152 f. = HN. 163 {die »billigen« Brotjladen) haben wir ein anderes
Motiv, nämlich das desEkels über eine genossene Speise, wozu Hama-
däni Üb. Nr. 37 S. 134 ein arabisches Pendant gibt.
'■Ein besonderes Kapitel bilden die Täuschungen und Foppe-
reien, wozu wir auch wieder Parallelen aus Hamadäni haben, z. B.
H. 2/95 ff. = 2/306 {Geschichte des 6. Bruders des Barbiers), die Skizze
von der fiktiven Mahlzeit, die stofflich ziemlich genau Ham. Üb. Nr. 26
und 35 entspricht, aber viel besser erzählt ist. — Aus den Schnurren
Hodscha Nasr eddin's ist uns die Einleitung zu der Geschichte des
dritten Bruders H. 2/77 u. = 2/275 her bekannt. — Eine Mystifi-
kation enthält auch die Geschichte vom »erwachten Schläfer«, deren
Thema als Einleitung (d. h. Rahmen) zu »der Widerspenstigen Zähmung«
weltbekannt ist und sich auch in andern Stücken der europäischen
Literatur, z. B. Holberg's »Jeppe pä bjerget«, Hauptmann's »Schluck
und Jau« usw. wiederfindet.
Einen dankbaren Stoff zu komischen Szenen bieten Haschisch-
esser, die auch sonst das Sujet zu allerlei Ungereimtheiten hergeben
müssen [Vgl. Ibn Südün in MSOS. IX Abt. 2/34 Mitte (1906)], so
in der bereits oben zitierten drolligen Geschichte H. 23/145, in der ein
haschischberauschter Fischer nachts auf der mondbestrahlten Straße,
die er für einen Fluß ansieht, die Angel nach einem Straßenköter aus-
86 O. Res eher,
wirft, den er in seinem Dusel für einen großen Fisch hält usw.; ferner,
H. 14/118/9 u. ^), der iauxov xi\napou\ievo^.
Eine Anzahl ergötzlicher Anekdoten gruppiert sich ferner um
Harun, der häufig allerdings nur als Attrappe figuriert. Von diesen
Geschichten und Geschichtchen, von denen einige schon besprochen
worden sind [8/205. 206 — ferner die Mystifikation des Abu '1-Hasan
el-Hali*], möchte ich nur folgende nennen: H. 8/71 = 8/231 ff. {Mesrür
und Ihn el-Kdribi: die bekannte Anekdote -) von der Teilung des Ge-
schenks des Fürsten, das hintennach — aus Prügeln besteht ■ — vgl.
dazu auch H. 14/138 u.), H. 8/32 [Er-Rasid und ahü Nowds), H. 18/
24 — 2id (I^^G Schwankidee des Abu *1-Iiasan, sich nebst seiner Favoritin
für tot auszugeben und tot zu stellen; vgl. Stumme, Tun. 112) 3). Da-
neben sind noch die verschiedenen Szenen zu erwähnen, in denen die
Situationskomik zu ihrem Rechte kommt (H. 14/123: Harun und
der Fischer Chalif, H. 2/138 = 3/139/2: Harun und der Fischer Kerim,
wo der Chalife mit letzterem Kleidung und Rolle tauscht und an Stelle
seiner Prachtrobe das zerschlissene, aus allen möglichen Fetzen zu-
sammengeflickte, verlauste Jackett des Fischers anlegt, nicht ohne
daß das in der Jacke sitzende Ungeziefer ihn bald zu quälen und zu
peinigen beginnt 4).
Die Ironie ist in den Geschichten der looi Nacht nicht eben
häufig zu finden; die eine — übrigens indische — Stelle mit der para-
doxen Pointe, daß ein Ehemann der unschuldigen Gattin zürnt und
mit der schuldigen sich reumütig versöhnt, ist schon oben erwähnt
worden (H. 10/210 f. = 12/348 und PI. 19/22 f. = 11/246). — Eine
Groteske bildet die Geschichte von dem Ranzen ''Ali des Persers
(H. 7/5 ff. = Chauvin Nr. 162) [vgl. dazu moderne Nachahmungen
1) 4/330/13 fehlt allerdings der Zusatz, daß der Fischer Chalif »im Haschischrausch«'
so handelt.
*) Vgl. z. B. Meissner, »Neuarabische Geschichten aus Tanger« Nr. IV.
5) Dort wird diese Idee unpassenderweise (aber in Übereinstimmung mit den Volks-
büchern) (dem) Abu Nowäs zugeschrieben, der bekanntlich gar nicht verheiratet war.
4) Die einzelnen geistreichen Züge in den Erzählungen der lOOi Nacht sind
meist indisch und uns aus den Parallelstellen in der europäischen Literatur zur Genüge
bekannt; so z.B. H. 23/6 (= Stumme, Tun. 123: »Die drei Muhammad«), vgl. H.^uff,
t>Abner der Jude«, Voltaire, »Zadig« usw.; vgl. auch H. 18/142 ff. = ii/ji3ff. >'Die Ge-
schichte von dem König, der das innere Wesen der Dinge kannte« und H. 18/201 = 1 1/2 16. (»Die
Geschichte von dem Weber, der auf Befehl seiner Frau ein Arzt ward«). — Schlagfertige
Antworten: HN. 137 (aus den Sieben Weziren). Treffende Urteile: H. 10/232 = 12/
.377 {Der gestohlene Geldbeutel und der kleine Junge); H. 21/92 ff. {Der Krug mit den Oliven);
H. i8/i63.(Z)a5 Gewicht eines Elefanten). H. 2/85 ff. = 2/288 {Geschichte des fünften Bruders
des Barbiers), identisch mit H. 15/117 {Der Asket und der Butterkrug) = 8/16 (die »Milch-
mädchenfabel« La FC NTA ine's).
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 3?
MSOS. IX Abt. 2 S. 72: Der Guckkasten der haue el-Kadddbe] ^). —
Auch Wortspiele sind verhältnismäßig ziemlich spärlich -).
(Ehe und) Frauentypen in 1001 Nacht 3).
Bekanntlich hat Mohammed 4) die Ehe 5) als einen Pfeiler des
Islams bezeichnet, und zwar einerseits als Gegensatz zu der Möncherei
im Christentum (H. 4/33 ob.) und andrerseits zur Einschränkung und
Unterbindung der sittlichen Libertät, wie wir sie wohl zum Teil als im
heidnischen Arabertum bestehend annehmen dürfen, wenigstens soweit
aus einzelnen Stellen (z. B. bei I m r u ' u 1 q a i s) hervorzugehen scheint. —
So heißt es 3/1 7 1/8: »^u^^^^Jf J^ä -^üjj?« [die Verehelichung ist eine
Fessel (ein Band) für die Männer], und entsprechend H. 13/166 ob. =
5/331/10: »^L.^ ^L^^JI^ ^L:=Ui '^\ ^Lv^JI vi^Jli u« [die Frauen
sind (eben) nur für die Männer und diese (wiederum) für jene ge-
schaffen] ^). — Ursprünglich bestand bei den Arabern (in erster Linie
^) Übertreibungen: Abgesehen von dafür t^-pischen Geschichten wie dem Gharib-
Roman (ein türkisches Pendant dazu bildet der Roman von Sajjid Ba/ßäl), die dem
entarteten schlechten Geschmack der späteren Zeiten aufs Konto zu schreiben sind und
dessen Einzelheiten aufzuführen überflüssig ist, möchte ich folgende Stellen vermerken:
H. 3/57 Mitte: »Ein Stück Beng von solcher Wirkung, daß ein Elefant hätte ein Jahr lang
schlafen müssen, wenn er daran zu riechen versucht hätte«; ebenso H. 15/78 Mitte =
10/390 ult.; 9/423/6 = H. 13/17 Mitte; H. 1/142 oben: »Ein Edelstein von der Größe eines
Straußeneis«; 9/196/4 = H. 12/61 u.: »Ein Rosenkranz von der Größe einer Tracht Holz«;
9/102 Mitte: »Man beschoß ihn mit Pfeilen, bis er wie ein Igel aussah« (vgl. aber auch
HuART 1/250/8 u.). — Zu den Zahlenübertreibungen siehe die Note über die phantastischen
Zahlen bei den Dschinnen; des ferneren die Gharib-Geschichte.
2) H. 19/176 u. = 12/99/11 ff. (Oj^: Holz und Laute); H. 6/119 u. (Jasmin: Blume
und Name); H. 24/122 ff.: Seltsame Namen (vgl. »Niemand« hat mir das angetan: in der
Odyssee); auch 8/23/13 liegt wohl ein Wortspiel vor: »^.^Jj^ji^ ^ \JUI ^1 uÄJ L««
statt »..^LJal.Mju «, wenn freilich auch dem Zusammenhang nach der »sara^dn«
wohl am Platze ist.
3) Vgl. für einiges auch meinen Aufsatz im »Globus« 98 Heft 12 (Sept. 1910) S. 186 f.:
■»Weib und Ehe in der Spruchweisheit der Araber«.
4) Vgl. die Tradition: »i;LÄ.;>\J5^ .Ia*xJI» >^U^1 qaJLw-«.]! ,-yX^ ^^yi *.ij\
_L^-ülj« [vgl. Soj. Maq. (Stambul 1298) 4/15].
5) Bel 55 oben: »A Tlemcen, comme dans tout I'Islam, le celibat est tres rare,
dans les deux sexes.« Lane 155 (chapter VI: Domestic Life): »To abstain from marrying
when a man has attained a sufficient age, and when there is no just impediment, is esteemed,
by the Egyptians, improper, and even disreputable« usw. Löhr 50 Mitte.
^) Dabei bleibt freilich die Frau dem Mann untergeordnet; vgl. 2/7/13: »J>.*iist J iAj!
^^ii^^ ^«; S/301/7: i>,^iJ-'l ^^ y joi ^^b ^.L'! ^.^<'. — über den Wert des
gg O. Rescher,
den Beduinen) das Prinzip der Heirat zwischen Vetter und Base ^);
diese Sitte findet sich auch natürlich in verschiedenen Erzählungen
der lOOi Nacht, so z.B. H. 1/166 ff. = 2/4 ff. [die Wezire Nur eddin
und Semseddin); H. 19/23 = 1 1/253/7 [Geschichte der hübschen Frau
und ihres häßlichen Mannes); H. 4/45 [^Aziz und'Azize); H. 1/65 Mitte
= 1/123/2 [Geschichte des Prinzen der schwarzen hiseln), nicht zu
vergessen Härün's und Zobaida's usw. Die Vetternheirat kam
allerdings später — besonders in den großen Städten — immer mehr
in Abnahme, zumal da das demokratische Prinzip des Islam die
altarabischen (beduinischen) Anschauungen von Rassenreinheit und
Ebenbürtigkeit allmählich ganz auszuschalten begann. Tatsächlich
war ja auch die ethnische Zusammensetzung der späteren muslimischen
Geseilschaft in sich selbst so inkohärent, d. h. äußerlich zwar einiger-
maßen nivelliert, ihrem Ursprung und ihrer Veranlagung nach aber so
sehr differenziert, daß die alten, auf der schematischen Einteilung nach
Stämmen und Clans beruhenden Anschauungen und Bräuche, wie sie
die arabische Halbinsel aufwies, für die große Masse der islamischen
Völker als etwas völlig Fremdes, Überwundenes gelten konnte. Infolge-
dessen wurde auch das Frauenleben und die Ehe in ganz andere Bahnen
gelenkt; anstatt richtiger Ehefrauen oder aber neben diesen
nahm man häufig Sklavinnen, von denen besonders die abessini-
sehen sehr geschätzt wurden [vgl. Snouck-Hurgronje n/r33]. Des-
halb heißt es H. 6/81 Mitte =; 7/42/9 ["Aid' eddin abü 's Sämät):
»Du hast mich [sagte der Obmann der Kaufleute zu seiner (unfruchtbaren) Gattin]
am Hochzeitstag schwören lassen, keine Abessinierin oder (sonstige) Konkubine neben dir
ins Haus zu bringen «.
Ein Schritt weiter war der, daß man, vor allem im Bann der Mode
der großstädtischen Kultur, auch auf die intellektuelle Ausbildung
der Sklavinnen mehr Gewicht zu legen begann, so daß — ähnlich wie
bei den Hetären im griechischen Altertum — diese oft meist gebildeter
waren als die eigentlichen Ehefrauen. Hand in Hand mit dieser Mode
Mannes bzw. seine Bewertung seitens der Frau heißt es 6/149/8: »,3-xJ ^ öL*..;' qI
^) Bel 17 ob.: »Lorsque les parents ont convenu de marier deux enfants (un cousin
avec sa cousine generalement) « ; ibid. 54 u. : »Le mariage tlemcenien, entre con-
sanguins, ä un degre assez rapproche, est prejudiciable ä la sante des enfants.« Vgl. Kremer
2/104 u. f. und Lane 156 u. : »It is veiy common among the Arabes of Egypt and of other
countrys, but less so in Cairo than in other parts of Egjrpt, for a man to marry his first
cousin. In this case, the husband and wife continuc, to call each other 'cousin'« usw. —
Yahouda: »Bagdadische Sprichwörter <'^ Note i ad Nr. 41 S. 16 des S.-A. — Stumme, Trip.
149 Mitte; Stumme, Tun. 79; Wilken, »Matriarchat« 59; Schwally passim.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. So
ging natürlich auch das materielle Interesse der Sklavenhändler, die
einen um so höheren Preis fordern konnten, je größer die Kenntnisse
und künstlerischen Fertigkeiten ihrer Sklavinnen waren. Meist unter-
richtete man die Befähigteren unter ihnen in der Musik, d. h. Gesang
lind Lautenspiel (H. 19/103 ob. ff.: Tuhjat el-qulüb, H. 7/109 Mitte =
7/349/8) wo »pLotI5 ääUasj oli.Lc« zu lesen), aber auch manchmal
in literarischen, ja selbst wissenschaftlichen Fächern (H. 2/
106 u. = 3/73/3 ff.: Enis el-gelis »iüsJÜl^ JääJÜI_5 _b^n c>Jl*:i" As L^I
:«.ftÄJI j^yofj Cjal\*, j.^uJt_5 ^.^yv-ÄiCi?^ '»^j^\^<', H. 15/48 Mitte: Mirjam,
die Gürtelmacherin; H. 7/57 u.: Zumurrud] H. 8/136: die Sklavin
Tawaddud usw.) ^).
Trotzdem nun, zumal in der späteren Entwicklung, die Stellung
der Frau sich in mancher Beziehung eher verschlechterte -), wäre es
doch verfehlt, manche Einzelheiten in einseitiger Weise zu betrachten.
Von den gesetzlich normierten Rechten, die die Frau besitzt, ganz ab-
gesehen, finden wir in den Erzählungen von lOOl Nacht viele individuelle
Züge, die beweisen, daß auch die Frau ihre Wünsche geltend machen
kann. Nicht selten ist es, daß sie vor Vollzug der Ehe besondere
Stipulationen aufsetzt [H. 18/198 = 11/210 ult.: Die (allerdings
indische) Geschichte des »Webers, der auf Befehl seiner Frau ein Arzt
ward«, wo der Mann einen Vertrag unterschreibt, seiner Frau stets
bedingungslos zu gehorchen], häufig, daß sie dem Bräutigam die Ver-
pflichtung auierlegt, keine zweite Frau mehr neben ihr zu nehmen
[H. 23/38 u., H. 12/62 ob. = 9/197/3, H. 6/81 = 7/42/9, H. 2/1 12 Mitte
= 3/86 ult.].
Übrigens ist auch eine ganze Reihe von Frauengestalten in lOOi
Nacht mit durchaus aktiv männlichem Charakter gezeichnet.
So die handfeste »Griechin«, später Muslemin Mirjam, die Gürtel-
macherin (H. 15/61, 80, 83, 93), die mit dem Schwert offenbar besser
umzugehen weiß als mit der Nadel. Häufig finden wir auch den Typus
der »virago« direkt ins Amazonenhafte 3) erweitert, so H. 3/21 ff,,
^) Gelegentlich scheint man allerdings doch auch die Mädchen besser unterrichtet
zuhaben, vgl. H. 24/158 Mitte; H. 22/164 ob.; H. 3/90 Mitte; H. 19/36 u. = 11/279 ult.;
H. 6/49 ob. — ■ Über gelehrte Frauen vid. Kremer 2/12 i f.
2) So liest man z. B., daß bei den Häuserplünderungen, die man in den späteren Zeiten
des Absolutismus gegen Verdächtige, Angeklagte oder Mißliebige ohne weiteres inszenierte,
die Frauen des Betreffenden einfach weggeschleppt und womöglich als Sklavinnen ver-
kauft wurden, eine Ungesetzlichkeit, von der man in den älteren Zeiten des Islam nichts
hört; vgl. z. B. H. 23/79 Mitte; ibid. 92 u.
3) Die Schilderung des Amazonenstaates findet sich in der Erzählung von Hasan
el-BasrVs Abenteuer auf den Inseln VVäq ]l'äq; vgl. H. 14/35 ^'^'^ HN. 40 u. ibid. 54/2.
90
O. Rescher,
H. 3/50 ff. (die Königin Abrise im Roman von *^Omar en-No''mdn),
HN. 246 f . : Histoire de Zäfer hen Lähiq; vgl. auch Socin, »Zum arab.
Dialekt von Marokko« 183 ff.; Meissner," »Neuarabische Geschichten aus
Tanger«Nr.'K. Daß solche Darstellungen nicht bloße Fiktion sind, läßt
sich unschwer aus verschiedentlichen andern Berichten erkennen ^). —
Bei alledem liegt es natürlich auf der Hand, daß solche männliche Typen,
die in primitiven Verhältnissen (wie z. B. bei den Beduinen) nicht eben
so selten sein dürften, doch in einer entwickelteren Kulturstufe nur noch
Ausnahmen bilden können, und demgemäß läßt sich im allgemeinen
behaupten, daß es im großen ganzen nicht die Kraft oder Gewalt, son-
dern vielmehr die List ist, wodurch die Frau zu ihrem Ziele zu kommen
sucht. Und tatsächlich ist auch die Anzahl der Geschichten, deren
Pointe eine Weiberlist ist, eine recht große; sind es auch zum großen
Teil solche indischen Ursprungs, so fehlen doch auch die echt arabischen
nicht. Da es zu weitläufig wäre, alle in extenso abzuhandeln und einiges
davon auch in einem andern Zusammenhang bereits im vorausgehenden
schon erwähnt worden ist, so möchte ich mich mit einer kurzen Zitierung
der betreffenden Stellen [vgl. auch Chauvin Nr. 331 ff.] begnügen
(H. 1/49 = H. 10/148: Der Papagei; H. 1/17: Schahriar und Schahzemän;
HN. 191 f., 193 f., 169 f.; H. 10/153 f.; Die Frau und ihre zwei Liebhaber
[alles indisch]; H. 24/107 f., H. 24/126 f. [Die Frau und der Knecht) \
H. 17/5 ff. [Kamar ez-zemän und seine Liebste; vgl. Lane 297ff. -)).
Allerdings sind diese Geschichten — mit Ausnahme von H. 24/138 ff.:
Mohammed es- Salabi (Celebi), wo eine Frau durch ihre List ihren Mann,
der sich eine Verfehlung hat zuschulden kommen lassen, aus dem Ge-
fängnis rettet — fast alle im üblen Sinn gemeint, weil eben die Beur-
teilung der Frau seitens des Orientalen dahin tendiert, daß ihr Charakter
listig und intrigant (und zwar eben zur Erreichung des Verbote-
nen) sei 3). — Die gewöhnliche, fast einzige Gelegenheit, die eine in der
') Vgl. Belädori, Üb. 91 u.; ibid. 119 u.; Kremer 2/233 ob.; Reisinger »Griechen-
land« 33 ob.: »Es spukte damals [schreibt Fr. Theod. Vischer in einem Brief] im unteren
Rumelien eine Klephtenbande, worunter ein Weib, schön, mit Säbel bewaffnet, wilder
noch als die Männer, die erst kürzlich einen Mann und eine Frau zusammengehauen hatte.«
^) Stumme, Ttni. 78 ff. {Die schlechte Frau), erinnert natürlich ganz an Chamisso's
»Lied von der Weibertreue 0; die Quelle ist die bekannte Episode in Petronius Arbiter ,
»Die Witwe von Ephesus«; vgl. Duklop (ed. by Wilson) »History of prose fiction''
[London 1896] I p. 94 f.
3) Lane 296 (chapter XIII: C/iaracler): »Some of the stories ot the intrigues of women
in looi nights present faithful picturcs of occurrences not unfrequent in the modern metro-
•polis of Eg^^pt.« »It is believed that they [the Egyptian women] possess 2 degree of cunnmg
in the management of their intrigues which the most prudent and careful husband cannot
guard against . .<■; ibid. 297: »Innumerable stories of the artifices and intrigues of the
women ot Egypt have been related to me. .!...<< — • Lane-Poole 219: »That women are
Studien über den Inhalt von looi Nacht. qi
Stadt wohnende Orientalin hat, um aus der ihr gesetzHch gebotenen
Zurückhaltung herauszutreten, ist der Besuch in den Kaufläden
der Bazars, wo sie zur genaueren Besichtigung der Ware ihren Schleier
heben darf. Die Einkäufe (oder Scheineinkäufe) sind so oft das
probateste Mittel zur Annäherung (2/169/12 = H. 2/32 Mitte; H. 2/17 u.
usw.) i). — Viel gewagtere Mittel sind natürlich richtige Tricks =),
wie z. B. in Körben oder Kisten den Liebhaber ins Haus zu prakti-
zieren (7/175 --= H. 6/176: Eine Erzählung des Ishäq el-Mausili,
H. 2/36 = 2/174/13 ff. usw.). — Im übrigen war es das Geschäft der
Kupplerinnen, die gegenseitige Annäherung (gleichgültig ob in ehr-
barer oder unsittlicher Absicht) zu vermitteln [Chauvin VI/17 Note i] 3),
Ein beliebter und, wie es scheint, nicht einmal seltener Trick dieser
Weiber bestand darin, unter dem Deckmantel der Frömmigkeit
(als »heilige Frauen «4)) zur rituellen Waschung und Gebetsverrichtung
in die besseren Häuser sich Eingang zu verschaffen, die Verhältnisse
dort auszuspionieren und dann dementsprechend ihre Ränke und In-
triguen zu spinnen [Chauvin VI/147 Z. 2, ibid. VI/17 Z. 7, H. 23/167 f.,
H. 10/215 f- == H. 19/20 f.: der bekannte Trick mit dem angebrannten
Schleier (=12/348 ff. bzw. 11/246 ff.), H. 12/61 ff. [Delila], H. 6/50
Mitte (Na'-ama uvd Na'^ani) usw. 5). — W'ährend die Tätigkeit der
deficient in judgement or good sense is held"as a fact not to be disputed even by themselves,
as it rests on an assertation of the prophet; but that they possess a superior degree of
ot cunning is pronounced equally certain and notorious.« — ■ Deshalb heißt es auch, daß
kein Hindernis eine Frau von ihrem Ziel abbringen kann, das sie, wenn nicht offen, so doch
um so gewisser durch eine List erreicht: H. 14/15 u. =6/6/1 [(J^-^ ^■^ i-\^ ^^^ ^s^-^J! ,.,I
Jcol L^>.Jlij U t -Ü -s]- H. 1/17 ob. und 1/15/4 »Aa^" ^ic ii^JliwJ ^aXx.«^5
♦Jac *.PJc>ji" jj,^' ^Ij^U<; 2/19S/13: »^^jC^ ^a ^'^j ^ s-Im^XjU'-, 11/319/12;
HN. 158 u.; vgl. auch HN. 240b. »Je me suis promis de me donner ä tous
pour bien prouver k mon tyran que l'on ne saurait garder une femme malgre eile.«
') Seltener suchte man andere Orte auf; so nach Snouck-Hurgronje II/67 ob.
den Friedhof; heimliche Übermittlungen in einer Moschee vgl. H. 5/101 ob; = 3/45/12.
-) Der öfters sich findende Trick der Herstellung eines unterirdischen Ver-
bindungsganges (jQamar ez-zemän und seine Liebste; Der Walker, seine Frau und der
Soldat, vgl. Meissner, »Neuarabische Geschichten aus Tanger« Nr. VHI) dürfte wohl eher
ein wirkliches Märchenmotiv darstellen.
3) Vgl. Snouck-Hlrgronje II/38 ob.; 105 Mitte. Über die List der »alten Weiber«
vgl. Wetzstein 108 Mitte» J^^^i /**« jjU^*JI J>>^« und ibid. 112/6 u. »ij^.>'\jjl jC/O
4) Wirkliche heilige Frauen: H. 20/107 ob.; H. 21/1S3 ob.; H. 1S/191 ob. usw.
5) Im übrigen vgl. im allgemeinen H. 2/74, H. 4/156, HN. 175 = HN. 19 u. (geistes-
gegenwärtige Schlagfertigkeit der Ehebrecherin); H. 4/95; ferner die »Umm Schkurdum«
in den »Liebejiden von Amasia« usw.
Q2 O. Rescher,
Kupplerinnen, obwohl häufig mehr als zweideutig, nicht direkt unter-
drückt oder doch wenigstens stillschweigend geduldet wurde, so stand
dagegen die Prostitution natürlich völlig außerhalb und im un-
mittelbaren Gegensatz zu dem Gesetz des Islams. Trotzdem sehen wir
aus den Geschichten der looi Nacht ebensogut wie aus andern Quellen
über die Islamländer, daß auch hier die Praxis manches autorisierte,
was das Recht als solches streng verpönen mußte ^); und besonders in
dem Großstadtleben, wie es sich in Bagdad und später in Kairo ent-
wickelte, ließ sich das Verbot wohl nie ernstlich in seinem ganzen Um-
fang durchführen. Ich begnüge mich auch hier nur mit einer kurzen
Zitierung der Stellen; ganz eindeutig ist wohl 5/107 2) = H. 16/114
(Geschichte des abü H- Hasan aus'' Oman); H. 12/148 u. = Kairoer Aus-
gabe, fehlt in Habicht's Text 5/160); 3/117/11 (wo wahrscheinlich
»VL^üJI« ZU lesen) = H. 2/126; H. 7/131 f. = 7/385 f.; H. 23/215 (wo
die Sache nur fiktiv); H. 24/122 und H. 19/67 f. (beides Geschichten
von Gaunerinnen); H. 19/77 ff. (die »Mörderhöhle«) ist schon in einem
andern Zusammenhang erwähnt worden. —
Wenn wir all' das Vorhergehende insgesamt ins Auge fassen, so
finden wir vielleicht vieles verständlicher, was wir an weib er feind-
lichen Aussprüchen in lOOi Nacht lesen. Geht manches allerdings
auch schon auf indische Quellen zurück, so hat doch auch der Islam
nicht gezögert, einen Teil dieser und verwandter gemeinorientalischer 3)
I) Vgl. Lane 118 u. (chapter IV: Goverwiieni): »Under the 'Wälee's' Jurisdiction
were the public women [welcher Religion??], of whom he kept a list and from each
of whom he exacted a tax and when he tound a female to have been guilty of a
Single act of incontinence, he added her name to the list of the public women, and
demanded from her a tax, unlessed she preferred to give him a considerable
bribe.« Ibid. 297 Mitte: »the ghawäzee, who are professed prostitutes « — • Ibid.
119 Anm. 1 lesen wir dann allerdings wieder: »Since this was written, the public women
throughout Egypt have been compelled to relinquish their licentious profession.« — Aubin
278: »Außerdem hat der Moqaddem [in Fes] die Dirnen unter seiner Jurisdiktion, und sie
liefern ihm freiwillig oder gezwungen ihre nachweisbaren Einnahmen ab.« Ibid. 292:
»Die wohlhabenderen Familien pflegten ihren Söhnen eine zuverlässige Negerin
beizugeben, um sie vor gemeinen Liebeshändeln zu bewahren, da sich in den verschiedenen
Stadtvierteln [von Fes] eine Menge von Dirnen aus allen Ecken des Landes jedem beliebi-
gen anbieter.« — Huart 1/365 u.: »Der Muhtasib mußte den öffentlichen Dirnen
und den Sängerinnen Verweise erteilen, ja sie sogar aus der Stadt jagen.__« — • Mauchamp
166 oben. — DiETERici i>Reisebilder aus dem Morgenlaiiden (Berlin 1S53) 1/120 f.
^) 5/107/4 »..L^-JÜI ..^/o'w/i3« ist natürlich falsch; » .^Ljli« paßt aber auch nicht
in den Zusammenhang.
3) Darunter verstehe ich den Kultürorient im Gegensatz zu den mehr oder weniger
primitiven Verhältnissen auf der Halbinsel Arabien (speziell Zentralarabien mit dem
Ausschluß des Jensen), wo von frauenfeindlichen Tendenzen natürlich nie die Rede sein
konnte.
Studien über den Inhalt von looi Nacht. 93
Auffassungen sich zu eigen zu machen und in sich aufzunehmen ^).
So lesen wir z. B. 8/174/2: »^yj^*, (^^^j^ ^.^"^'^-5 *^"'*^^ V^^ ».AxaÄ^J! Js-x^i
^».xX^JI J^fti. lii- ^^^^ [.,^ ^-i5 J.xJl^ ^ry<; 8/219/7: »^., Jj.xj -i
^-M.^_^,0 ^5 1^0 ^-.w.^ CT^'y y^^" CT'' O^ ^L^iil c5|; ^S>^« 8/1 24/1:
II/319/12: »^^Jlx£>3 v_Ä>o».j ^ ,jr^^^3 O^-^'*-^ o1iA*^^j5 ^P j^l.%«.J5 ^.,13
Vgl. auch" das Gedichtchen H. 17/41 ob., H. 3/100 Mitte (ein
Ausspruch 'Ali's) :
»Hütet euch vor der Bosheit der Weiber und nehmt euch vor ihnen in acht; fragt
sie in keiner Sache um Rat usw «; ebenso H. 7/70 oben.
Diesen Anschauungen und Beurteilungen gegenüber finden wir
allerdings auch eine ganze Reihe Erzählungen, in denen die stand-
hafte Treue [H. 18/187, H. 8/82, Chauvin Nr. 391 ff., vgl. Stumme,
7mw. 8off. [Wie gute Frau«)] und Auf opferungstätigkeit der Frau
zum Ausdruck kommt. Andrerseits wieder haben gerade die alten, aus
dem Beduinenmilieu stammenden oder in diesem Genre behandelten
Liebesdichtungen eine charakteristische Vorliebe für eine gewisse
schwärmerische Sentimentalität, mit der sie die Frauenliebe
verherrhchen, und »Werther «-Typen wie Megnün Lailä haben über
den Kreis der arabischen Literatur hinaus Nachdichter gefunden.
Solch' sentimentaler Novellen und Episoden finden wir in lOOi Nacht
eine ganze Anzahl, so z.B. GemiVs Geschichte der Liebenden vomStamme
'■Adra fH. 12/31 ff.); Sül und Suniül; Die drei unglücklich Liebenden 4)
1) Snouck-Hurgronje II/187: Die muslimische Literatur enthält zwar vereinzelte
Ansätze zu einer richtigen Würdigung der Frau, aber die später immer mehr zur Geltung
gelangte Ansicht findet doch ihren Ausdruck nur in den heiligen Traditionen, welche die
Hölle als voll von Weibern darstellen und dem Weibe, von seltenen Ausnahmen abgesehen,
Vernunft und Religion absprechen (vgl. H. 18/29 = 4/180/11 J^Äxil oLköSÜ ^L.M.^JI (_.,!«
. JiAÜ^«); in Gedichten, die alles Übel in der Welt schließlich auf die Frau zurückführen;
in Sprichwörtern, die eine sorgfältige Erziehung von Mädchen als reine Verschwendung
hinstellen.«
2) Text falsch »^.^^\^«. 3) Text »^.^*-^L«.
4) Ähnlich, wenn auch nicht ganz identisch damit ist Heine's GtAicht {Lyrisches
Intermezzo 1822/3) Nr. 39 : ' • '
»Ein Jünghng liebt ein Mädchen,
Die hat einen andern erwählt;
94
O. Rescher, Studien über den Inhalt von looi Nacht.
(H. 8/92 = 8/266 = Chauvin Nr. 44), vor allem 'Aziz und ^Azize
(H. 4/45 ff., eingelegt in Tag- el-mulük), worin die entsagende Liebe
ihre dichterische Darteilung findet; ferner der Roman von ^Ali b.
Bekkdr und Semsennahär (H. 5/58 ff.) sowie Ghänern und Küt
el-kulüb (H. 2/153 -4/365 ff.)- — Die eigenartigste Frauenge-
stalt in lOOl Nacht ist aber unstreitig die Erzählerin, Scheher-
zäde, selbst, die ihr eigenes Ich zum Opfer bereitstellt, um ihre Ge-
schlechtsgenossinnen von dem Wahnsinn eines tyrannischen Despoten
zu retten, und der es dank ihrer Unverzagtheit und Klugheit gelingt,
nicht nur das erstere Ziel zu erreichen, sondern auch ein höheres zu-
gleich, nämlich den durch seine Verbitterung krankhaft gestörten Geist
des Autokraten wieder zur Selbstbesinnung zu bringen und auf die Bahn
des Menschlichen zurückzulenken. So erscheint es als ein seltsames —
vielleicht aber doch nicht ganz ungewolltes— Spiel des Kreislaufes all*
der Geschehnisse, daß eines Weibes Hochsinn das wieder zu sühnen
versteht, was eines andern Unverstand und Leichtsinn über ihr Ge-
schlecht heraufbeschworen, und mehr noch, durch ihre selbstlos-mutige
Hingabe zur Verteidigung der unterdrückten Menschenrechte diesen
wieder Geltung zu verschaffen weiß. Es spielt hier (in der ursprüng-
lichen Konzeption des [indischen] Dichters i)) unzweifelhaft ein Er-
lösungsgedanke herein, der von der opferwilligen Hingabe und
selbstlosen Treue eines Weibes ausgeht und der ja in der Dichtung der
indogermanischen Völker auch sonst des öfteren seinen Niederschlag
gefunden hat [)>Der arine Heinriche, Senta im »Fliegenden Holländer«,.
Goethe's Faust], der freilich aber dem Vorstellungskreis der semitisch-
muslimischen Völker fremd und unbegreifhch bleiben, wenn nicht gar
ungeheuerlich erscheinen muß.
Der andre liebt eine andre
Und hat sich mit dieser vermählt«
usw. und die Szene zw ischen Hermia, Helena, Lysander und Demetrius im >>Sommer-
nachistraum<'-
I) Für die arabische lOOi Nacht ist — wie entschieden betont werden muß —
Scheherzäde nur die Märchenerzählerin -/.otr ihyfi^ wie Harun der Romansultan par ex-
cellence und die Rahmenerzählung eine belanglose Episode wie etwa der Rahmen zu der
»Widerspenstigen Zähmung«. In den Augen des muslimischen Erzählers ist einfach alles
unterschiedslos novellistischer Stoff, während dem ursprünglichen Dichter jvohl die ethisch-
dramatische Idee vorgeschwebt haben mag.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Julius Wellhausen,
geb. 1844 zu Hameln, gest. 1918 zu Göttingen.
Geschichte schreiben ist ebensowenig lernbar wie Geschichte machen. Staats-
männer und Historiker werden geboren. Historischer Sinn ist ein Geschenk Gottes,
aber er macht noch nicht den Historiker. Der wahre Historiker muß die Kleinarbeit
des Kärrners mit der Kunst eines Baumeisters verbinden. Der historische Sinn muß
die mühsam herbeigeschaffte Masse meistern und die künstlerische Gestaltungskraft sie
adeln. In diesem Sinne ist Wellhausen ein echter Historiker gewesen.
Schreiber dieses Nachrufes hat Wellhausen nie gesehen, aber er hat ihn erlebt.
Schon auf der Schule haben die Prolegomena seine Berufswahl bestimmt, und wie
persönliche Geschenke hat er zeitlebens die historischen Arbeiten Wellhausen's mit
Ungeduld erwartet und mit Dankbarkeit genossen. So darf er sich wohl einen Schüler
des großen Toten nennen. Wenn er es andern überlassen muß. den Menschen
Wellhausen zu schildern, so fühlt er sich doch berechtigt, ja verpflichtet, zu bekennen,
wie er den Historiker Wellhausen gesehen, und was er in ihm verehrt hat.
Auf drei Gebieten hat sich Wellhausen's großes Können ausgelebt; er hat die
alttestamentliche Wissenschaft völlig umgestaltet, er hat die Geschichte des Arabertums
geschrieben und die' neutestamentliche Wissenschaft befruchtet. So verschieden diese
Gebiete bei der heutigen Arbeitsteilung auch erscheinen, für Wellhausen waren sie
der eine große Schauplatz der Auswirkungen des Semitentums. Indem er stets das
Ganze übersah, konnte er im einzelnen bahnbrechende Erkenntnisse finden. Das Genie
sieht den Zusammenhang, die Epigonen die Disziplinen. Die Geschichte der Wissen-
schaft wird stets Welihausen's Bedeutung für die alttestamentliche Disziplin in den
Vordergrund rücken, aber wohl nur, weil der Kreis der Arbeiter hier größer,
die Auswirkung seiner Ideen hier weiter war. Die Genialität der individuellen
Leistung war aber auf arabistischem Gebiet wahrscheinlich stärker.
Im Alten Testament hatte er Vorläufer, die Fragestellung war dort gegeben, das Problem
lag in der Luft, wenn auch erst sein Eintreten den Stein ins Rollen brachte. Ganz
anders bei seinem Aufriß der Geschichte des arabischen Reiches. Hier hat er mit bisher
unerhörter Kraft Richtschneisen durch einen undurchdringlichen Urwald geschlagen und
einzelne Teile in einen wohlgepflegten Park umzuschaffen begonnen. Er selbst liebte
dies Arbeitsgebiet und wußte genau, was seine Arbeit hier bedeutete. Ein Jahr nach
Erscheinen seines Arabischen Reiches schrieb er: »Daß das Interesse für arabische
Geschichte und das Verständnis dafür gering ist, wußte ich wohl ; daß es aber so
minimal sei, daß überhaupt keine Besprechung meines Buches erschienen ist, hatte ich
doch nicht geglaubt. . . . Die Ernte ist hier reich, aber der Arbeiter sind gar zu wenig.
Alles stürzt sich auf das Alte Testament und auf die Keile. Niemand mag die weit-
schichtige arabische Literatur durchlesen, auch die meisten Professoren tun es nicht.«
Qß Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Wellhausen hatte damit gewiß recht, aber er übersah doch auch, daß das Schweigen.
das sein Buch empfing, ein Schweigen der Ehrfurcht war. Die große Wirkung ist nicht
ausgeblieben, aber es war den wenigen Mitarbeitern sofort klar, daß dieser Leistung
gegenüber ein jahrelanges Studium nötig war, ehe man es wagen durfte, sich dazu zu
äußern. Dies Buch ist für den Historiker des alten Islams zu einer Art von Bibel
geworden, aber man würde sich am Geiste Wellhausen's ebenso versündigen, wie es
auf dem Gebiet des Alten Testaments die sogenannte WELLHAUSEN'sche Schule getan
hat, wenn man sein Werk als Evangelium hinnähme. Sein Standpunkt war der:
»Probleme zu haben, richtige und wichtige Fragen zu stellen, ist der Anfang alles
Guten; die Lösungen kommen daim durch das Zusammenwirken mit anderen wie von
selbst.«
Je weniger zahlreich der Kreis derer ist, die Wellhausen's vielleicht größte
geistige Leistung mitarbeitend erlebt haben, um so notwendiger ist es. das Wesen
dieser Leistung zu charakterisieren. Es wird sich dabei zeigen, daß die Methode
Wellhausen's dem Alten Testament wie den islamischen Quellen gegenüber die gleiche
ist daß sie die gleichen Vorzüge, aber auch die gleichen Schranken aufweist.
Im Mittelpunkt der WELLHAUSEN'schen Arbeit steht die literarische Quelle.
Er fragt zunächst nach ihrer Tendenz, nach ihrem Verhältnis zu anderen Quellen.
Jahvist, Elohist, Priesterkodex, Deuteronomium — diese Namen genügen, um den
Kennern seiner Prolegomena und seiner Israelitischen und jüdischen Geschichte klarzu-
machen, wie das gemeint ist. Genau in der gleichen Weise geht er an das altarabische
Heidentum heran. Er rekonstruiert das zu seiner Zeit nur sekundär erhaltene Götzenbuch
{Kitäb al-asHäm) des Ibn al-Kalbi und überläßt sich dann seiner Führung, indem
er freilich Ergänzungen von allen möglichen anderen Seiten herbeischafft. Im Vorwort
zum Arabischen Reich zeichnet er mit Meisterhand die syrische und irakische Über-
lieferung in ihren Hauptrepräsentanten und behält diese Scheidung bei seiner Schilderung
des alten Kalifats folgerichtig bei. Zunächst erscheint diese Methode selbstverständlich,
sie ist es aber gar nicht, wie die Geschichte der alttestamentlichen Wissenschaft und
die islamische Geschichtsforschung beweisen. Nur von letzterer kann hier die Rede
sein. Die stoffliche Masse ist so ungeheuer, daß alle vorwellhausen'sche Darstellung
darin unterging. Alle frühere Kritik war Einzelkritik gegenüber bestimmten Wider-
sprüchen, erst Wellhausen übersah die Masse, gliederte sie und gewann neue
Resultate durch Synopse und Kritik. So gründlich wie er hatte noch keiner seiner
Vorgänger die nichtarabischen Quellen, einen Theophanes, den Continuator Isidori, die
syrische Chronistik usw. herangezogen. Zunächst zog er die chronologischen Richt-
linien, dann baute er die Quellenstellen ein, und schließlich zeichnete er mit genialem
Strich die handelnden Personen.
Überall ist er dabei ganz er selbst. Es ist ein persönliches Ringen mit der Mo-
les des Quellenstoffes. Er hat das Gefühl, daß alles von Grund auf neu getan werden
mußte. So stand er sehr souverän der Fachliteratur gegenüber. Er hat sie oft bewußt
beiseite gelassen und gar nicht gekannt, öfters wohl sie gekannt, aber für nicht der
Mühe wert erachtet. Die Fälle sind selten — und dann handelt es sich um sehr grund-
sätzliche Anschauungen — , daß er sich mit seinen Vorgängern, wie A'. von Kremer
undA. MÜLLER, auseinandersetzt. Er glaubt zwar gelegentlich von der Fragestellung
der Früheren abhängig zu sein, aber in Wahrheit ist gerade die Unabhängigkeit, die
Neuheit der Fragestellungen das Überraschende an seinen Büchern. Er trägt aber die
Fragestellungen nicht an den Stoff heran ; er läßt sie sich vom Geist der Quelle auf-
zwingen. Er sieht nur mehr als alle vor ihm die Quelle als Ganzes. Diese Me-
thode ist für den Darsteller der politischen Geschichte der einzig richtige Weg, nicht
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 07
der einzig mögliche. Man denke nur zum Vergleich an so bahnbrechende Forscher wie
I. GoLDZiHER oder Henri Lammens, denen die Fragestellungen bei einzelnen Stellen
aufsteigen, zu denen sie dann anderswo Belege finden und so mit einem System von
Kategorien an die Arbeit gehen. Für die literarische Kritik Goldziher's war das
der gewiesene Weg. Die Übertragung der Gold ziHER'schen Methode auf die histori-
sche Kritik hat ihre bedenklichen Seiten, wie niemand besser aus eigner Erfahrung weiß
als der Schreiber dieser Zeilen. Lammens ist bei aller Genialität an diesem Punkt ge-
scheitert. Man vergleiche die Zettelkastensammlung seiner Omajjadenbücher mit dem
Monumentalbau des Arabischen Reiches, und bei aller Hochachtung vor dem wunder-
vollen Scharfsinn des gelehrten Jesuiten werden wir der schöpferischen Wucht des Göt-
tinger Meisters die Palme zuerkennen. Lammens malt seine Figuren Strich um Strich,
greift dabei oft zu einer falschen Farbe, das fertige Bild wirkt überraschend, prickelnd,
ja aufregend und sensationell; Wellhausen verzichtet auf impressionistische Mätzchen,
er schenkt dem Leser nichts von der Ode und Breite der Quelle, aber er haut seine
Gestalten ohne Vorlage und akademische Kunstregeln aus dem lebendigen Stein.
Dabei geht er mit einem sittlichen Ernst und einer Treue im Kleinen zu
Werk, die vorbildlich sind. Obwohl ihm die freudige Variantenschnüffelei des echten
Philologen völlig abgeht, treibt er zunächst ernste Quellenkritik des überlieferten Textes.
Seine Glossen zu Tabari sind dessen Zeuge. Aber hat er einmal Vertrauen zu einer
Quelle gefaßt, so verläßt er sich auf sie, wohl manchmal zu stark. Ich erwähne nur
sein V^erhältuis zu Belädhori im Vergleich zu jüngeren Quellen. Er hat gelegentlich
nicht gesehen, daß Belädhori nur einen Auszug aus Quellen darstellt, die uns bei
jüngeren Autoren vollständiger erhalten sind. Er hatte nun einmal ein fast persön-
liches Vertrauen in diesen als zuverlässig erprobten Autor. Ich würde mich nicht wun-
dern, wenn er sich auch im Umgang mit Menschen entsprechend verhalten hätte. Je-
denfalls hatte er ein sehr starkes Gefühl von dem wissenschaftlichen Ethos eines ge-
lehrten Arbeiters. Deshalb mag er sich auch seinen Vorgängern gegenüber so ableh-
nend verhalten haben. Am meisten hat er an A. von Kremer und dem ihm nachfol-
genden A. Müller auszusetzen. Des ersteren Kulturgeschichte war ein einzigartiger
Wurf, in dem das Interessanteste der Versuch nach Zusammenfassung und Synthese ist.
Als literarisches Erzeugnis einer wissenschaftlichen Spätromantik wird sie stets ein klas-
sisches Denkmal bleiben, aber wissenschaftlich ist sie mehr gefährlich als nützlich.
Viel besser sind die Streifzüge oder das Abbasidenbudgef^ aber auch hier mehr Eleganz
als wissenschaftlicher Ernst. Nach der allgemein als langweilig erfundenen, stellen-
weise auch wirklich ledernen und poesielosen Geschichte der Califen von Weil schien
A. von Kremer's Werk wie eine Erlösung ; man vergaß nur zu leicht, welch' großes
Verdienst Weil's mühselige Arbeit darstellt. Aus den Arbeiten beider und aus den
Werken des als Philologen großen, aber als Historiker ungemein überschätzten Dozy
hat dann August Müller mit frohem Sinn und gutem Geschmack seine Geschichte
des Islams zusammengezimmert. Für eine Verlegerarbeit eine glänzende Leistung. Die
unerfreuliche Mischung von Kritik und Vertuschung liegt im Wesen der Aufgabe. A.
Müller hatte gesunden historischen Sinn und hat wohl nur, der Not gehorchend, dies
Buch geschrieben. Wellhausen hat nie zu Witz und Kunst gegriffen, um die Lücken
seines Wissens zu verbergen. Der Enzyklopädist mit dem historischen Sinn am un-
tauglichen Objekt muß ihm unsympathisch gewesen sein: er hat sich ganz bewußt be-
schränkt. Das Ende des Omajjadenreiches (750) bildet die nirgends überschrittene
zeitliche Schranke seiner Arbeit. Ebenso fern lag ihm die wissenschaftliche Art des
weltmännischen Kulturphilosophen und Staatsmannes, der das Kompendium schrieb,
ehe die Volumina vorhanden waren, der die Fülle des historischen Geschehens fassen
Islam VIII. 7
98
Kleine Mitteiliingren und Anzeigen.
wollte, ohne ein Mommsen zu sein. Wf.lliiausf.n'.s Art war anders. Er schloß wohl
auch wirtschaftsgeschichtliche Forschung nicht aus, aber sie war ihm nur Illustration
zu staatspolitischer Entwicklung. Auch seine rcligionsgeschichtliche Forschung ist,
wenigstens auf dem Gebiete des Islams, völlig dem politischen Gesichtspunkt unter-
geordnet. Ihm war Geschichte p o 1 i t i s c h e G e s c h i c h t e. Er hat auch andere
Auffassungen anerkannt, aber sie mußten auf dem gleichen wissenschaftlichen Ernst be-
ruhen und so frei von Eitelkeit sein wie seine eigne. So wird es erklärlich, daß er
sich einst in einem Brief über seine Vorgänger folgendermaßen geäußert hat: ,,Es
tut mir leid, nicht gesagt zu haben (im Arabischen Reich), daß Weil derjenige ist,
der sich trotz allem die weitaus größten Verdienste um die arabische Geschichte erwor-
ben hat. Es ist kein gutes Zeichen, daß man ihn gegenüber von Dozy, Kremer und
Müller zurückgesetzt und fast verachtend behandelt hat. Er war ein überaus fleißiger
und allein ein ganz ehrlicher Arbeiter."
Diese Stellung Wf.llhausen's ist für seine Auffassung von wissenschaftlicher
Arbeit unendlich charakteristisch. Möge sie uns zugleich eine ernste Mahnung sein.
Sein wissenschaftliches Ethos in besonderer Einstellung auf die literarischen
Quellen war wohl daran schuld, daß er sich an diese Schranken gebunden fühlte.
Geistreiche Spekulationen über Verbindungslinien mit Nachbarkulturen lehnte er still-
schweigend ab, namentlich wenn er sich auf den zum Vergleich heranzuziehenden Ge-
bieten nicht zu Hause fühlte. Bekannt ist sein Verhältnis zur assyrisch-babylonischen
Welt. An der gewaltigen Auseinandersetzung, die sich an die Entzifferung der Keil-
schrift auf alttestamentlichem Gebiet anknüpfte, hat er sich nicht beteiligt. Er erklärte
Israel und Juda aus dem Alten Testament. Genau so steht er zu den Anfängen des
Islams resp. zum altarabischen Heidentum. Der südarabische Kulturkreis und vor allem
der vom Islam vorgefundene christianisierte Hellenismus werden von ihm nur gestreift
und vorausgesetzt, nirgends aber die Verbindungslinien energisch gezogen. Das ge-
schah nun nicht etwa aus Enge des Blicks, nicht aus Überschätzung der eignen Dis-
ziplin. Er hat dem Verfasser dieses Nachrufes einmal geschrieben, daß er die Arbeit,
die auf dem Gebiet Hellenismus — Islam zu tun sei, für wichtig, ja grundlegend halte,
nur habe er sich für seine Person stets gescheut, tiefer in diese Probleme hineinzu-
steigen. Er war eben ein M e ist er in derBeschränkung, er haßte die bei solcher
Kulturvergleichung so leicht einsetzende Hyperkritik und das unvermeidliche Phanta-
sieren. Er mischte, wie gesagt, keine Farben, sondern er hielt sich an den Marmorblock.
Jede Kunst ist abhängig von dem Stoff, in dem sie sich ausdrückt, Wellhausen's
Arbeitsstoff war nun einmal die literarische Quelle. Auch wenn er ein Ganzes schuf,
kann man an seinem wissenschaftlichen Stil noch immer die Quellenart nachfühlen.
Man vergleiche nur einmal in seiner Israelitischen und jüdischen Geschichte die erste
größere Hälfte des Buches mit dem völligen Umschlag bei Beginn der Makkabäerzeit
und dem nochmaligen Wechsel der Diktion im Schlußkapitel, das dem Evangelium
gilt und mehr in die schöne als in die wissenschaftliche Literatur gehört. In gleicher
Weise ist er im Arabischen Reich abhängig von den Quellen; kritische Erörterungen,
Erzählung und Bekenntnis wechseln auch hier. Am größten ist er, wo er nicht mehr
quellenmäßig beweist, sondern bekennt. Sein literarischer Stil, den schon sonst knappe,
klare Hauptsätze auszeichnen, . frei von dem üblichen Ballast differenzierenden und
schmückenden Nebensatzgeranks, hier wächst er sich zu weihevoller Größe aus. Und
der Form entspricht der Inhalt. Intuitiv erfaßt er die von den Quellen nur vorausge-
setzten Zustände und gestaltet sie zu greifbarer Deutlichkeit. Hier wird der in seiner
Methode so objektive Forscher zum subjektiven Pragmatiker, wobei dieses Wort ohne
Schatten von Kritik gebraucht wird. Nicht aus Zettelkästen erwächst ihm
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. gg
das Bild ein er Per i o de , sondern aus dem e ignen Unterbewußtsein ,
jener verborgenen Werkstatt, in welcher der wahrhaft schöpferische Geist, seinem Träger
unbewußt, die Fülle des erarbeiteten Stoffes synthetisch reiht, bis, wie Athene aus dem
Haupte des Zeus, so die neue Erkenntnis, das neue Bild plötzlich dasteht, vom Meister
selbst und vom Publikum wie ein Geschenk, wie eine Begnadung bewegt und dank-
bar empfangen. Daß dem so war, hat Wellhausen selbst bescheiden angedeutet in
dem schönen Kapitel seines ^rß^/j«:/;^« /{"«V/i^j, das 'Umar II. gewidmet ist. Hier ist das
Gebiet, wo Künstler und Forscher sich treffen. Mir will es fast scheinen, als ob
Wellhausen die strenge Zucht der methodischen Arbeit sich auferlegte, weil er im
Grunde seines Wesens zur künstlerischen Schöpfung neigte. So ist er ein großer
Gelehrter geworden, aber zugleich ein Künstler, mit aller Objektivität des Gelehrten und
mit aller Subjektivität des Künstlers. Beide Eigenschaften flössen zu vollendeter Har-
monie zusammen und schufen die einzigartige Persönlichkeit, um die wir heute trauern.
C. H, Becker.
Die Bedeutung des Namens der Türken.
Im Sni-Su d.h. in der Geschichte der Dynastie der Siti fsSg — 6i8) lesen wir
nach der Übersetzung von Visdelou (bei d'Herbelot, Bil>l. or. Suppl. la Haye 1779
ji. 82) : »Der Berg (im Kin-san 'Gold-Gebirge' = Altai), an dessen Fuße sich das Lager
der T-ti-küe befand und der die Form eines Helmes hatte, gab ihnen seinen, Namen,
und da diese Völker in ihrer Sprache Helm tu-küe hießen, so nannten sie sich Tu-küe<t.
Dazu bemerkt O. Franke {Beiträge zur Kenntnis der Türkvölker und Skythen
Berlin 1904 S. 13): »Die Et>-mologie macht keinen Vertrauen erweckenden Eindruck,
zumal auch die Namen der Wu-huafi und der Sien-pi von Bergen abgeleitet werden«.
Man wird diesen Bedenken Franke's sicherlich beistimmen, aber an der Richtigkeit
der vom Verfasser des Sui-Su beigebrachten Tatsache, daß tu-küe »Helm(e)« bedeutet,
wird man kaum zweifeln dürfen und so doch zu einer richtigen Erklärung des Namens
der Türken gelangen können.
Die Zeichen ^S FMt , die die alten Jesuitenmissionäre Tu-küe umschrieben,
werden heute im Pekinger Dialekt T^u-cüe ausgesprochen, in dem Idiom von Canton
aber, das von allen chinesischen Mundarten die altertümlichsten Lautverhältnisse auf-
weist, Tat-küf^). Da die Chinesen silbenauslautendes r init t wiedergeben^), so müssen
wir in Tat-küt ein türkisches Törküt sehen d. h. Törk'i) + die »mongolische« Plu-
ralendung üt, die wir in den köktürkischen Inschriften noch vereinzelt antreffen'').
Dieses törk, das nach dem chinesischen Annalisten »Helm« heißt, finden wir zwar
mit dieser Bedeutung in dem uns bekannten türkischen Wortschatze nicht mehr, wohl
aber im neupersischen ^ ,j farg, das wir nach dem vorhergehenden mit um so
größerer Berechtigung als türkisches Lehnwort ansehen können, als ein indogernia-
') a = engl, tt in but, sun, also kurzes a mit gespreizten Lippen, die englischen
Sinologen umschreiben es mit i.
*) S. HiRTH, Nachworte zur Inschrift des Tonjukuk 6.
3) Ich umschreibe Törk, weil sowohl das Canton, tut, als die koreanische Aus-
sprache toi des ersten Zeichens eher für einen 0-0 Vokal als für ü-u sprechen.
Törk sagt man für Türk in Kazan (Radloff, Türkwörterb: 3, 1289).
1) S. Radloff, Die alttürk, Inschr. Neue Folge 67, wo unter andern der plur.
oglut von ogul »Sohn« verzeichnet ist.
7*
100 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
nischer Ursprung dieses Wortes bis jetzt nicht nachgewiesen wurde'), und die Türken
vor dem Sturze des Reiches der asiatischen Avaren ("Aßct'pei?, chin. Zou-zan, Canton:
Vau-Tn, jungavest. Hyaoiia-') um 552 für diese ihre Herren als Schmiede im Altai
das Eisen bearbeiteten (Visdelou 82 f., Chavannes, Dociimcnts sur les Tou-kme
occidenfaux 222).
Diese berühmten Waffenschmiede werden nun auch eiserne Hauben oder Helme
angefertigt und getragen haben und danach benannt worden sein, gerade wie ein anderer
Türkstamm nach seinen schwarzen Mützen Kara-Kalpak heißt, um nur einen der
zahlreichen Fällen anzuführen, in denen eine Volks- oder andere Gemeinschaft nach
ihrer Kopfbedeckung bezeichnet wird^).
Die Türken sind also wohl die »Eisenhauben« oder »Helme«.
J. J. Hess.
Ein Rechtfertigungsschreiben des Mustafa Pascha von Ofen.
Mustafa Pascha, der Neffe des berühmten Großvesirs Mehmed Sokolli, nimmt unter
den türkischen Statthaltern von Ofen eine hervorragende Stellung ein; noch von Sülejman
dem Großen 1566 auf den Posten berufen, verwaltete er sein kw\X 12 Jahre hindurch, wie
die von ihm erhaltenen türkischen und ungarischen Urkunden bezeugen, mit großer Umsicht
und Tatkraft. Aus noch niclit aufgeklärten Gründen fiel er dennoch 1578 in Ungnade,
wurde hingerichtet und durch den Höfling Ovejs Pascha ersetzt. Auf die Wichtigkeit
folgender Urkunde, die ich in Text und Übertragung gebe, hat mich zuerst Herr Geh. Re-
gierungsrat Prof. Dr. Georg Jacob hingewiesen, wofür ich hiermit meinen besten Dank sage.
Sie verbreitet neues Licht über die .Amtstätigkeit des verdienten Bejierbej. Das
Original ist uns leider nicht erhalten, sondern nur die alte Kopie eines Schreibens, welche
das Manuskript Nr. 137 der k. k. Konsularakademie in Wien eröffnet. Für die Erlaubnis,
die wertvolle Handschrift im Lesesaal der Königlichen Universitätsbibliothek zu Kiel
benutzen zu dürfen, sage ich der Direktion der k. k. Konsularakademie meinen verbind-
lichsten Dank. Eine ungedruckte Abschrift und Übersetzung, die vor langen Jahren
Behrnauer anfertigte, konnte ich gleichfalls in Kiel einsehen, doch enthielt namentlich die
Übersetzung so zahlreiche Versehen, daß ich diese von Grund aus neu gestalten mußte.
,^j»Jü-o i8(A.iJ n^-c ä.aj1j" JiAÄäi ...»oJ" a'^y ,L3 » SO\A eU.5 »Li ,o
') Das echt pers. Wort für »Helm« ist höd, altpers. tjattda-, jungavest. fjaoda-,
*) Vgl. z. B : Kyzyl-has »Rothköpfe« , die Bezeichnung der Perser bei den
Türken; 'J'aral/ostesei = ytiM^aXi {Jornandes 5,40) »die Edlen der Daker« (sollte farl>üs,
dessen Etymologie trotz Völlers, ZDMG 51, 308 unbekannt ist, damit zusammen-
hängen?); Gugler, die französisch-englischen Scharen, welche 1375 die Schweiz heim-
suchten und von ihren Gugeln (cucullae), d. i. Kapuzen, so genannt wurden; Chatti,
nach J. Grimm zu germ. *hattuz zu stellen und also wie unser Törküt »Helme«
bedeutend.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. jqi
^l-^^ *;J--j^ ^h"^3 l5^'^ ^-^HjtIj'^^^^^ *->^-t-i^ _^J ^_^i^ ^Jli Awä^Jt ^^.,r,t;5>
Lj^j öJ\^3.j<^^ i^LJUai »w^J^! i3'>.'«'^'i^ \ÄA«L?^^>o ^Av\*Jlä j,lj / iiuj \JLj! ;3u:>.
Vj^-:^'*-'^ C)*^^ Ji'-^ xi/abL^f ^.<^£ ^^^5^3 5 ^i^^-H \-^'^^-\ r^-^ *
^.,UJjJ «J^.*.iLj ij^J^jS (^Xj! 8u\iJ>XAj) [?] i:ik4.jAj.5'! 0JJ.J3I s^^.?:;^ *J^->^
3 OiAj j*JLi> XÄS.^ j,^l^! ^jr^ji ^-^rV^J ^J-^ ^^^^^t^ i^^-^^-^ *.Ä/^j
V3;J-^3^ ^büw ^3-^3" j<^Avy^*3" \A*«^uL\.ä o5^to.i'^ }L: *.JIj! ^.<^c . ii^a ^^
o^oJ-^^^ -5 S^^^r^ a^v^-***-^ ^030.^ c»-^*^ a-9^j^ ^^' ^■^^•h''-^ ^-^.j
y.s ^^i5 \xiLäx> ^iL*:j' xiJ! J^x.=> ^Li> £\jL^*iJ> ^♦5>L^oLj ^jrjLc ol*J5 'Aa.^^
QA*,\l25L^s\^ ,^Äj"^3 C)*'^^ j^*-^^ O^-^ '••'■rJ^-^ c?-^'"^ C5j^jr'>^^ "^"h-^ ^-jLliL«
3 ^^Xa^ 3 iiAAjli ^.,L..io ^Li ^j!j53j3 J>5j Vj't^'^J'' j^^' L?^'"^ ^^j'j^
j.^^i ^X.w.£ ^^ÄaÜc q^j' U^'*;:^3 o^iLÄi>5 j.Uj Vj^jIs i3I *.Jj.( ^JJ^j"^.
') In der Handschrift ^\j^ Ü i)Li>,
TQ2 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
eUj ^^t ll^ 3 ^j:^y' O^-^' Ölj^i ^Jüjj^l *j^ ^^ 3 ^3j»0 »cXj!
^iVj■JtI^Üw >.Lt ^'l^X^^I ci^iO. ,.Lj J^f> »OJ>|yi ,^l^ . <AjL£ *^^-v« l31^3
tiJ^[j-* ^\ Ä^ojj Vj-b-^3^ J^v^"^* ^^^^^-^^^ >.U:^iLj ,^l'i^^>^,X^ S'^^MjijA
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») Für Ä.JL)CJb.
2) Graphisch kann es so oder ^\y:i oder ^.,!vA5 oder i)LV5 sein, vermutlich aber
unorthographische Schreibung für Oi-a5.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. lOj
^^-yal \aw.J,j,aJ c>.jLÄt ^ x2w\.o *ijV,ij» »jjJj^ •si>.j'^5 l5"'^^ ^"^r^y^ ^
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^.^Ax j^jJC; ^5 i^vAj yjJ^t J^Afll:^ ^.iaiai jj.j . Vj^j-J' r^"^^^ ^^^5
^j^iü^Lc! »Lr,>3 ^U^.5 ^iLJ ,^0^^^^ {jOj£ ^ic j'J ^AiL> «.s!^ ^^y-^ ^'^^3^
»An den Staub des den Mittelpunkt der Welt bildenden kaiserlichen Hofes und
des wie das sich drehende Himmelsgewölbe mächtigen Thrones ist die Bitte des geringen
Dieners folgende:
Jetzt ist dem Hof, der die Zufluchtsstätte der Welt bildet, nicht verborgen, daß die
Statthalter der Provinz Ofen von der großherrlichen Eroberung bis auf den heutigen Tag
für ihre unter kaiserlichen Auspizien geleisteten Dienste, ihren Eifer für den Staatsschatz
und ihre Pflichterfüllung ein jeder hohe Beförderung erhalten, viel Berücksichtigung ge-
funden und ihnen manche Wünsche erfüllt worden sind. Tausend Lob gebührt Gott, doch
hat für diesen geringen Diener die genannte Provinz zur Zeit des Ramasans ') kein Gnaden-
geschenk erhalten. Der Böses tuende König füllte mit Heeresmassen, die Gebirge gleichen,
die Ebene der Festung, Raab mit Namen, völlig aus, er nahm vom türkischen Reich die
Festungen mit Namen Tata,Veszprem^), Gestusch 5) undWitan4), unterwarf sie vollständig
und ließ den Arslan Pascha mit dem islamischen Heere bis nach der Festung Ofen vor sich
fliehen; ferner wurden die Festungen Gran und Stuhlweißenburg durch bezwingende
Gewalt des verfluchten Ungläubigen belagert. Als er . . . (?) im Begriff war, holte ich ihn
mit den bei mir befindlichen Reitern aus dem Sandjak Bosnien ein, und indem wir iür die
Ehre der islamischen Tüchtigkeit unser Leben in die Schanze schlugen und für den kaiser-
lichen Dienst unsere Köpfe zu Kugeln machten, leistete ich mit meinen Kampfgenossen
•) Es ist das beim Feste des Fastenbruchs verabreichte Almosen gemeint,
i) VgL Hammer, Geschichte des Osmanischen Reiches, 3. Band, S. 437.
3) Gesztes liegt gerade in westlicher Linie von Budapest, südlich von Komom.
4) Die Burg Vitan wird bereits im 14- Jahrhundert genannt. Ihre Ruinen belinden
sich im Komitat Komarom, südöstlich von Tata; das Volk nennt die Stelle noch heute
Vitam (GoLDzmEK).
104 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
und einer Handvoll von dem geschlagenen Heere dem Böses verübenden König tapferen
Widerstand und widersetzte mich ihm. Von neuem übcrraimten vir mit der gnädigen
Unterstützung Gottes jeden Tag das Heer des Verworfenen, überfielen seine Lager, zogen
aus Gefangenen Kundschaft ein und ließen keinen aus dem Lager entrinnen. Wir eroberten
die Festungen Gestusch und Witan zurück. Als unser hochseliger und unbescholtener,
siegreicher Padisehah, der im Leben glücklich und im Tode Märtyrer wai, Nachbar des
Staubes ward (möge Gott der Erhabene ihm eine Stelle in der Nähe des Gottgesandtcii
anweisen), hatte er niemand [sonst] zugleich mit der Wesirwürde zur Bewachung der
Provinz Ofen auserkoren. Als von Lebensmitteln keinerlei Spur sichtbar war, und es um
Aufenthalts- und Zufluchtsorte hunderttausend Streitereien gab, sind, obwohl bei mir
(Eurem Diener) so zahlreiche Janitscharen, so viele Kapu-kolu und Galeeren nebst zahlreicher
Bemannung gut behandelt wuiden, alle mit Proviant und Wohnung versorgt worden.
So haben wir die kaiserliche Provinz von dem ungläubigen Feinde, wie es sich gehört,
bewahrt und beschützt. Als der verfluchte Lazar sich in die Verhältnisse der Provinz
Siebenbürgen (Erdel) einmischte und gerade Unruhen zu stiften im Begriffe war, wurde
hinter ihm her ein islamisches Heer geschickt; so ist er mit Gewalt und notgedrungen
aus der genannten Provinz zurückgeschlagen. Der Böses tuende König hat sich, ob er
wollte oder nicht, der glückverheißenden Schwelle des hochansehnlichen Padisehah unter-
worfen; wir zwangen ihn, indem wir ihm keine Wahl ließen, in die Entrichtung des Tributs
einzuwilligen. In jeder Weise ist er gehorsam und fügsam und sendet nun Jahr für Jahr
unausgesetzt seine Steuern, zu denen er sich verpflichtet hat. Bei der über die Donau
aufgeführten Brücke sind mehr als zehntausend bereitgestellte Soldaten eine Schutzwehr für
diese Gegend geworden. Außerdem ist das früher aus den Anlegeplätzen erzielte kaiserliche
Einkommen auf den doppelten Betrag erhöht, und in allen Punkten, die sich auf den Staats-
schatz beziehen, wurde durch vollen Eifer, Aufmerksamkeit und Sorgfalt eine jede Staatsver-
pachtung gesteigert; alle bis jetzt ertragverschlingenden, -verhehlenden und -verzehrenden
Stätten ') sind samt und sonders aufgehoben und alle für den kaiserlichen Schatz: in Beschlag
genommen worden. Die Sandjaks der genannten Provinz sind alle von neuem aufge-
zeichnet worden. Der Sold vielei Leute, die Bezüge bezogen, blieb im Staatsschatz
zurück und die Timar der ausgeschiedenen Aufsässigen [?] wurden an Ersatzmänner ver-
liehen. Unsere neuen Domänen ergeben ferner um einige Jük (Last) Aktsche mehr als
die alten. Aus Konstantinopel kommt auch alljährlich eine Summe von io6 Jük. Den
Anwärtern auf Bezüge der genannten Provinz wurde jährlich ein Gehalt ausgezahli.
Trotzdem trat kein Geldmangel ein, in den meisten Zeiten fehlte es unter den Truppen
nicht an Gratifikationen [?]. Jetzt aber sind es ein, zwei Jahre, daß wir mit den Über-
schüssen von 40 — -50 Jük Aktsche der Provinz Temesvar und einkassierten Staatsein-
kommen dieser Provinz aushalten, und in sechs Monaten ^) wurden einmal ihre Gehälter
ausgezahlt. Die Mannschaften wurden diplomfähig und befanden sich in voller Ruhe
und Bequemlichkeit. Ferner kommt von Ägypten Pulver. Während früher diese Pro-
vinzen und die übiigen kaiserlichen Länder alle in Not und voller Bedürfnis waren, steht
nunmehr — Gott sei Dank — durch unseren Eifer und Bemühung die Provinz Ofen voll-
kommen auf der Höhe. Außerdem wird nach andern Orten gesandt, .was sie brauchen.
Auf jede Weise hat die Kraft des Islam und die kaiserliche Macht den Höhepunkt erreicht. Es
wurde mit dem haßerfüllten Feinde in jeder Weise höflich verkehrt, und unsere Grenzen sind,
wie es sich gehört, beschützt und bewacht. Die Untertanen waren ununterbrochen von
') Der Ausdruck ist auch im Original unbestimmt.
•) d. h. ordnungsmäßig.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. jq-
Zlisammenkünften und Heeresansammlungen bedrückt; nun aber -^ Gott, dem höch-
sten König, sei Dank — sind sie alle ruhig und zufrieden; die Gehenden und Kommen-
den sind frei von Störung und sind Tag und Nacht mit Segenswünschen für das Bestehen
der kaiserlichen Herrschaft beschäftigt. Obgleich wir durch solche Dienste, die wir
Eurer glückseligen kaiserlichen Majestät, dem wie das Schicksal mächtigen Padischah
geleistet haben, vom hohen Gnadenblick getroffen wurden, so wurde dennoch durch zu
große Berücksichtigung für die übrigen Grund zur Eifersucht gelegt.
Wenn mir (Eurem Diener) also die genannte Provinz mit dem Range eines
Wesirs als Gnadengeschenk verliehen würde, so wäre es sicher, daß die erwähnte Pro-
vinz durch gerechte Anordnung mit Recht und Scharfsinn so verwaltet würde, daß es
hinfort für die speziellen Ausgaben der Länder genügen würde. Vielleicht würden einige
mit ihnen verbundene und durch die gnädige Unterstützung Gottes mit leichter Eroberung
ausgezeichnete Orte mühelos genommen werden. Gleich den Schätzen von Ägypten würden
jedes Jahr aus dem Gebiet von Ofen an die Schwelle des Throns Schätze gesandt und dem
Staatsschatz zugute kommen. Der Glaube des Islam würde mächtig und kräftig dastehen
gegen die Heere, welche außer den Königen der niedrigen Ungläubigen in diese Länder
kommen würden; man würde nicht mehr aus dem Reiche Hilfe herbeizuschaffen nötig
haben. Mit der Kavallerie des Sandjaks Bosnien und dem Heere der Provinz- Temesvar
würde den erwähnten Verfluchten entgegengetreten werden. Mit Hilfe Gottes, des
allgütigen Königs, würde in den gesegneten Tagen des beglückten Padischahs an dem
ungläubigen Feinde ^ in jeder Weise Rache genommen werden. Etliche Siege und
Eroberungen würden noch glücken.
So wie es dem wahren Sachverhalt entspricht, ist der Hohen Pforte berichtet
worden. Im übrigen jedoch hat der erhabene Hof zu befehlen.«
Mit dem »Böses tuenden König« am Anfang der Urkunde ist natürlich Maximilian II.
gememt; zu seiner später erwähnten »Unterwerfung« vergleiche das bei Feridun abge-
druckte 'Ahdnäme (2. Aufl. II S. 324); über Mustafa Paschas im folgenden genannten
AmtsvorgängerArslan Pascha namentlich Petschevi I S. 29/30, 36. —Das Bild der Köpfe,
die zu Kugeln gemacht werden, bezieht sich auf das beliebte, zu Pferde mit einem ge-
krümmten Schlägel gespielte, oft dargestellte Ballspiel, vgl. Jacob, Hilfsbuch I S. 61 Vers 9.
Man beachte die tiefe Ehrfurcht mit der Mustafa Pascha von Sultan Sülejman Kanuni
redet; denn dieser ist natürhch mit dem »hochseligen, unbescholtenen, siegreichen Padischah«
gemeint. In den berührten wirtschaftlichen Fragen werden wir erst dann klar sehen, wenn
von dem überreichen Textmaterial erheblich mehr publiziert vorliegt; jetzt über die vielen
darin noch unklaren Punkte Hypothesen aufzustellen, halte ich für verfrüht. In einer
größeren, selbständig erscheinenden Urkundenpubhkation gedenke ich die wirtschaftlichen
Fragen in größerem Zusammenhange später zu behandeln. Jedenfalls gewinnen wir aus
diesem in mehrfacher Hinsicht interessanten Rechtfertigungsschreiben den Eindruck eines
Mannes, der um die ihm anvertraute Provinz große Verdienste hatte, namentlich hinsichtlich
ihrer Finanzverwaltung. Fa i k B ey-Sade.
I06 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Zu den Türkischen Urkunden
(Bd. VII, S. 269—298 u. VIII, S. 113— 133).
VII, S. 272 f. .
Die Worte Z. 2 f. dieser Urkunde sind vom Hrsg. nicht richtig entziffert worden;
ich erkenne auf dem Faksimile: ^jLxÄj ^*ÄU.S -x^jb ^asI^ä >JUI A.Äi> i*Ä^»0
l_5 •• • • ^ _j" • • ^ 1 j ■^
^JLöL.^\j| ; -JLxJo ist Schnitzer für ...L^J; ich übersetze: »Unserem Freunde —
Gott beschere ihm ein seliges Ende ! — spenden wir zur Festigung des Gebäudes der
Freundschaft und Eintracht die Perlen des in Aufrichtigkeit endenden Grußes und die
Glanzstücke der durch die Vertraulichkeit bestimmten Botschaft usw.«
Prof. Jacob übersetzt ..& mit »Morgenschimmer« ; der Parallelismus membrorum
verlangt in solchen Phrasen Wörter ähnlicher Bedeutung an den entsprechenden Stellen, und
da kommen neben den Perlen nur Juwelen u. dgl. in Betracht, namentlich wenn es
sich um ein Geschenk handelt; wie kommt überhaupt der Pascha von Bodon dazu,
»Morgenschimmer« zu verschenken? Auch »zerstreute Perlen« eignen sich nicht dazu.
Im Datum zum Schlüsse ist ..»iAj Ä.AJt\.«J zu lesen und nicht ,..^l^ s-^^d^y^^^
oder, wie Herr von Kraelitz will, O.j-o ; letzteres wäre schon dem Sinne nach
nicht am Platze. Denn der Pascha schreibt aus der Stadt und nicht aus dem Feldlager
von Bodon. Die BiANCHi-KiEFER'sche Erklärung aus (j^^O,*! *o ist ganz verfehlt,
und ich bedauere nachträglich, daß, als ich zuerst mit dieser Formel mich befaßte —
in meinen Berichtigungen zu Almkvist's Ausgabe des Upsalaer Dragomansdiplom in
den Schriften der Upsalaer Ges. der Wiss. III 2 (1894) — ich mich nicht energisch
genug gegen diese Erklärung ausgesprochen habe.
S. 277. Über .^3-».:^- geben die Urkunden und Historiker des XV. u. XVI. Jhdts.
mehr Auskunft als die Lexika; gelegentlich wird dafür j_j»i-L/* geschrieben. Der alte
Leunclavius hat in seiner Übersetzung des Neschri und Muhjieddin das Wort
-richtig erklärt und mit den sapayopiSe? des Ch al kok ondy li s verglichen: er schreibt
Hist. 346 f.) : cunicularii sunt et alias oheunt operas in cxercitic sordidas et tnoksias, sie
dicti Ungtia Ttircorum, quasi spotitanci. Et ante qiddem hoc tcmpus ex Europaea Rumelia
Sarachorcs colligi non solcbant quod nunc primuin iussii Bajasitis [IJ fieri coeptum ; 514,
32 ff. : sarachores, qui vias stcrminf,/ossas complanant, cuniculos agunt, aliasque sordidas
obeunt operas ; vgl. auch noch 51 8, 14 ff. und ZMG. XV, 262. Weiteres handschrift-
liches Material bei anderer Gelegenheit; der P'orm j^j-^»;^, die Jacob aus Red-
HOUSE anführt, bin ich sonst nirgends begegnet; mit .yiA hat das Wort nichts zu tun.
S. 281 ff. Es ist mir, offen gestanden, schmerzlich gewesen, daß Prof. Jacob mir
mit der Herausgabe dieser von mir entdeckten Urkunde zuvorgekommen ist. Wenn er
schreibt, daß ich in der ßyz. Zeitschrift »eine kurze Inhaltsangabe gegeben, die sich
zwar an den Wortlaut des Originals anlehnt, jedoch nur einen Teil desselben wieder-
gibt«, so möchte ich feststellen, daß ich zwar von den 1 1 Zeilen der Urkunde die erste
Zeile — den sog. scbebi tahrir — und den Schluß von Z. 2 bis Schluß Z. 4 wegge-
lassen, den Rest aber, nämlich den wesentlichen und größeren Teil vollständig übersetzt
habe. Allerdings habe ich dabei die unnützen und unbeeiuemen Epitheta wie z. B.
die ^aJLaoj beim Namen des Propheten u. dgl. gestrichen, dagegen die Lücken Z. 10
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. I07
u. iiA. ergänzt. Das ist doch etwas mehr als kurze Inhaltsangabe von nur einem
Teile.
Zur Sache ist zu bemerken, daß die Umschrift verschiedentrich nicht mit dem
Originale übereinstimmt. Es ist zu lesen:
, Z. I, üJ^Os-i^l *.Ä, v_jllai> ^.ji-Ia.M^j' <._^>j^3 ^ia ujLäJ ji;'^^ '■r*"^*"j
„ 2. ali^tj Jjs» 0^5»;
„ 5. *.ÄÄJi '^)>^ T'* ^*^^ (»wir smd unter den Mauern der Festung ange-
kommen«) nicht \Äjlj was für sXS *i\ stehen soll;
„ „ |»Lj^! ^*:^ f- -"^ O^"^' nicht c,^;
„ ., jJli^ijt, nicht xljUi^^ ;
„ 6 is.*JLs (üjiJLs) fur j\*Ai;
„ „ K>>»Ä^;jt für ,..LÄ.^ii ;
„ 8 i^A4.JbCjLN (Jacob : ^^^)S jJo) ;
„ „ *.JLä.*Jj.av^S statt *.iji.«.j^„ii5.3 ;
„ „ ^*>^LS statt ^iJ.iH';
„ 9 ^jJLs statt ^^j.!-»;
„ „ *>JÜ! J«.Ai3ftJ statt \ii! JsAA^aaj;
10 Zu Anfang sind die Spuren von ^y^ Nxls noch deutlich erhalten;
„ ., &JLi*.ÄJ^I, statt i*.lÄ4.ÄJ^);
„ I t stand in der Lücke ^.«^iJ^) A-s- J.i^2 \
S. 288 ff. Die erste der von Herrn Neumann bearbeiteten Urkunden ist eine durch die
Tughra als solcher gekennzeichneter kaiserlicher Erlaß {^>-) mit einer notariellen
Verhandlung in tergo. Den ersteren Text übersetze ich, unter Wcglassung der über-
flüssigen, für den Übersetzer unbequemen und für den Leser störenden Epitheta, wie folgt') :
»Von den Geldern, die Mein Vesier Abdurrahman Pascha, z. Z. Statthalter in
Bosnien, infolge seiner Versetzung von Ägypten her schuldet, sind unter dem 21. Mo-
harrem F093 88676 Aspern als durch den Tschausch der Artilleristen Meiner Kais.
Residenz, Hadschi Hussein eingegangen und verauslagt, in die Bücher des Reichsschatzes
eingetragen worden, damit dieser Betrag verwendet werde für die Zahlung von Sold
nebst Zulagen, auf welchen 59 zur Besatzung der Festung Uiwar kommandierte Artille-
risten von dem Artilleriekorps Meiner Kais. Residenz bei einer täglichen Löhnung von
zus. 501 Aspern für das IV. Quartal des J. 1092 und das i. Quartal 1093 Anspruch
haben, und demgemäß dieser Kais. Erlaß ausgefertigt worden, um als Ausweis zu
dienen usw«.
1) Der Text ist vom Herausgeber richtig entziffert, doch ist in der 8. Zeile
j^jj.j^ statt Vj-^jH^! '•" Tizium ^^J^-^c^ j^JlXJI und ji;^ q^ (statt ^■.^)
und zum Schluß K^}aih.M^i iu«j5j.5\*J zu lesen.
I08 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Der im Texte genannte Abdurrahman Pascha ist der Pascha dieses Namens, der
als letzter türkischer Statthalter von Budapest weiter bekannt geworden ist. Er war,
nachdem er andere Posten bekleidet hatte, im J. 10S7 zum Statthalter von Ägypten
ernannt und 4 Jahre später im J. 1091, von dort abberufen worden (Annalen
des Raschid I, S^t, und 91 vs. der Fol. -Ausgabe). Im J. 1092 fmden wir ihn als
viu /laß z \on Bosnien wieder (Raschid a.a.O. 93 vs.). Als im folgenden J. 1093 der
Gouverneur von Budapest, Uzun Ibrahim Pascha, zum Serdar (Generalissimus) gegen
Osterreich ernannt wurde, erhielt A. Pascha Befehl, mit dem Aufgebote eines Ejalets
zum Heere des Serdars zu stoßen (ib. 97 vs.; vorher werden Ereignisse aus dem Red-
scheb dieses Jahres berichtet); wenige Wochen später wurde er als vnihäfiz nach Kamie-
niec versetzt (ib. 98 r.); im J. 1096 übernahm er den Statthalterposten von Budapest
und fiel am 13. Schavval 1098 beider Verteidigung der Stadt auf der Bresche (Raschid
I.e. ii6r; v. Hammer O.G. 6, 470 und 475)0-
Aus unserer Urkunde erfahren wir, daß der Pascha von seiner ägyptischen Zeit
her noch dem Fiskus gewisse Beiträge schuldig geblieben war: der Fiskus zog im
vorliegenden Falle einen Teil davon dadurch ein, daß er ihn anwies, den rückständigen Sold
der Artilleristen von üiwar zu zahlen. Die Buchung erfolgte in der Form, daß der
Betrag als Einnahme für Rechnung des Schuldners und Ausgabe für Besoldung der
fraglichen Artilleristentruppe eingetragen wurde; als Einzahler figurierte der Tschausch
Hadji Hussein, der mit dem Inkasso betraut wurde und den >_s.j..i; /»-^s* etwa wie
"-^ r
eine Tratte als Ausweis erhielt.
Der Herausgeber hat den Sinn der Urkunde nicht erfassen können, weil er die
Bedeutung der beiden Wörter -AiX) und öiAJ Z. 5 verkannte. -xa* musir bezeich-
net das erste, OiAj Iczez das vierte Quartal des mohammedanischen Jahres. Diese
und die beiden Ausdrücke «i^^j rcdschcdsch und .-v*«. rcsclun für das zweite und
dritte Quartal, aus den üblichen Abkürzungen*) der betreffenden Monatsnamen zusam-
mengesetzt (mit Ausnahme des . in nschcn für ^i>.V mustr = Moharrem, Safer,
Rebi I, rcdschedsch — Rebi II, Dschemazi I und II, rcsclun = Redscheb, Schaban, Ra-
mazan, Iczcz — Schawwal, Zilkade, Zilhidsche3).
Ebenso ist dem Herausgeber die Bedeutung von 1 -Ä^ entgangen; darunter sind
die Extrazulagen zum Solde, w^i>-!^, bezw. zur täglichen Löhnung zu verstehen, die
einmal oder mehrmal im Jahre zur Auszahlung kamen, auch OJuC oder |»l*j! ge-
nannt (siehe Aini Alis Abhandlung S. 90, 98, 1 13 und sonst). ^^,mz'Jji> bezeichnet
') Die biographischen Daten im Sidschilli Osmani 3, 316 sind nicht ganz korrekt.
Auflfallig ist, daß in dem Bericht des Raschid über die letzten Tage von Budapest
A. Pascha mit keiner Silbe erwähnt wird. Um so ausführlicher sprechen die europäischen
Quellen von ihm; sie nennen ihn Abdi Pascha, wie er auch einmal bei Raschid [}. c.
93 vs.) heißt.
(• = Moharrem, (jo ^ Safer, i. = Rebi I, . -^ Rebi II, L=ä. --^ Dschemazi I,
— = Dschemazi II, ^= Redscheb, (ji; = Schaban, ... =^ Ramazan, ^ = Schavval,
«-> = Zilkade, ö = Zilhidsche.
3) fehlen in unsem Wörterbüchern; dagegen kannte sie der so viel verschriene
v. Hammer {ßtaatsverf. 2,167; vgl. ferner Aini Ali, kawanin risalessi S. ?>6, 88,
113 etc. Die Erklärung von öÄJ bei Redhouse ist ganz schief, richtig v. Kraelitz
oben VII 139).
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. jOg
jemanden als Inhaber eines Lehens oder Postens und darf nicht mit mutesarrif wieder-
gegeben werden, das erst in der Neuzeit zum Titel des Gouverneurs eines Sandschaks
geworden ist; daher übersetzt wohl auch der Hrsg. »mutesarrif in der Provinz Bosnien«.
Nachdem Abdurrahman P. Vali von Ägypten gewesen, wäre seine Ernennung zum
Mutessarif d. i. Sandschakbej eine Degradation gewesen. Übrigens gebraucht Raschid
a. a. O. 97 vs. genau denselben Ausdruck von unserem Pascha. ^^^\1 ist hier
nicht »Anweisung«, sondern Versetzung.
Die oben vorweggenommene Erklärung von -xjlx und ÖlXJ wird bestätigt durch
die Angabe über die Summe der geschuldeten Soldbeträge; die tägliche Löhnung
betrug 501 Aspern, was für die 6 Monate OlXJ 1092 und .^.sai 1093 501 X 177
= 88677 Aspern (also i Asper mehr als angegeben) ausmacht.
Der zweite Teil der Urkunde, S. 291 f., ist ein sog. ->1.:S\*» ^.-^ 'Notariats-
akt in tergo' ; über (nicht wie bei uns unter) diesem Akte stehen die Worte, mit denen
der instrumentierende Beamte die Verhandlung geschlossen hat, der sog. 1*12x1 wie
die technische Bezeichnung lautet (s. die Sammlung solcher Formeln in dem Formular-
buch iJijCciJI XÄj^'ü des Tabakzade aOt-.cLJj S. 380 ff.). Der Hrsg. hat diese
Formel unrichtig gelesen und das richtig Gelesene zum Teil falsch übersetzt. Es ist
zu lesen :
*L.^ÄJ!t. ^Jfc^i^ iA^5»l JL*j» äJL:»^aav \j^\ .xääi! i^Sü^ \*s .5'ö L.«.x.w.>- j^^\
xÄc , <*^ iss'l^li» Q-"^*-^ Ä.ÄjtA.«j jj;jCw«^*J!
d. i.
Die Sache verhält sich so 7vie darin angegeben (entsprechend dem actum ut supra,
verhandelt wie oben unseres Aktenstils); atifgenommsn hat es der stellvertretende Molla
und Nachlaßrichter der Stadt Bodin, Ahmed usw.
Die Verhandlung besagt, daß der Tschausch Mustafa von den in üiwar gamiso-
nierenden Artilleristen vor dem Kadi von Bodin') erschienen ist und erklärt hat, daß
die 59 Artilleristen von Uiwar bei einer täglichen Löhnung von 501 Aspern an Sold
und Zulage für das IV. Quartal 1092 und das erste Quartal 1093 zusammen 88676 Aspern
zu fordern hatten ; daß durch das umstehende tejnessUk befohlen sei, diesen Betrag von
dem derzeitigen Statthalter von Bosnien, Abdurrahman Pascha, der von seiner Ägyp-
tischen Statthalterschaft her dem Reichsschatze Geld schulde, einzuziehen und mit ihm
zu verrechnen; daß er infolgedessen von dem genannten Pascha 739 Löwentaler,
die zum Kurse von i Löwentaler = 120 Aspern, 88676 Aspern ausmachen, baar und
richtig ausgezahlt erhalten, sowie daß er beantragt habe, das darüber aufzunehmende
Protokoll auf den Rücken der Urkunde zu setzen.
So oder ähnlich würden wir die Verhandlung auf deutsch gefaßt haben. Sie
diente dem Pascha als Quittung und stammt wohl aus dessen Archiv.
Außer den bereits oben gegebenen Berichtigungen sind noch folgende Stellen zu
verbessern:
Im sebebi-tahrir ist zu lesen: \J ,iAJ») \^m*.^ .j..;<U v^*.a<w. Hier wie auch
S. 296 wird !sS,».J») umschrieben, und Prof. Jacob hat sogar ^-J^ÄJ») daraus gelesen.
*) In dem verzierten Stile des Originals :
wörtlich : 'vor dem hohen verehrlichen Scheriatgerichte' vom Hrsg. verlesen und irre-
führend übersetzt.
l]() Kleine Mitteilunfjen und Anzeigen.
Z. 7 ist zu lesen: ->j-^ol ,•-/» äJ xb! --^J',
„ 12 „ ,, „ XX.>*\J j»j.X.»J) ,.jUA*-«i -yA.
Von den zugezogenen Zeugen hieß der Agha der ghurebäi-jemin nicht -♦awjJI,
sondern J<<^ _?^' * ^^^ seriopdschian von Bodin nicht {^jj^, sondern ^^, «.i; letzterer
erhalt den Ehrentitel OLotil ..^^^s f nicht O^Xxi! ->^i") : \xa*«.J i^s J \X'S ist nicht
der Notar — diese Funktionen kommen nur dem Kadi zu — , sondern der Diwans-
sekretär des Ejalet Bosna.
VIII, S. ii3fif.
In der Titulatur des Beilerbej von Bodon (Z. i) ist j»i.Ä£>'^'U statt ^Ls'^1»,
zu lesen.
Der Eingang der Urkunde ist vom Herausgeber völlig mißverstanden ; es ist zu
übersetzen:
»Du hast soeben Meiner Hohen Pforte mit Bericht gemeldet, daß der Anführer der
verworfenen Ungläubigen, der Herzog genamte Verfluchte, mit seinem Heere vor die
Festung Estergom gerückt sei, sowie daß ein eben aus der Gefangenschaft entkommener
Freiwilliger namens Atai ausgesagt habe, im Lager der Ungläubigen gäbe es eine
Unmenge Reiterei und Fußvolk, und ihre Absichten gingen auf Bodon und Pest :
zugleich hast Du ihn (seil, den Atai) mitgeschickt. Ich habe von allem, was darüber
gesagt ist, und von der Aussage des Genannten Kenntnis genommen« usw.
Z. 2 ist ^ öJS Fehler für ,.^^^^0015^: Z. 3 ist die Lücke durch ■y^tJ'jS^
zu ergänzen.
Z. 6 ist das erste Wort 0«./ixi^L> (heutige Schreibung L-J^-ii^x?), / i^-zii-i^O o^i
abpatrouillieren : »Es ist dafür gesorgt worden, die Festung durch andauernde (das
liegt in dem doppelten u^ij Patrouillenentsendungen zu sichern«.
Z. 6. Das Fragezeichen, mit dem der Hrsg. seine Übersetzung der Worte:
^,jJuJ»l , -JW aJ^jU^ c>"*Jjfc ^A^A^J' XJLxi — _^5 ^5^3* versieht, deutet daraufhin, daß
er die einzelnen Ausdrücke nicht richtig verbunden hat. *.JL/)) r^j^^ L? j^ '*^ ^^^
Begriff: -»a-oberunger hoff ender Feldsug\ der Dativ ist abhängig von «o-^jjC, das mit
*.x4jl3,j durch die Izafe verbunden ist, also wörtlich: »Da die Absicht meines Kaiser-
lichen Auszuges in den eroberiingenerhoft'enden Feldzug fcßfleht«. oder auf deutsch :
»Da meine Absicht feststeht, persönlich in diesem Krieg, der uns neue Eroberungen
verheißt, zu ziehen.«
Z. 6 Ende ».;»! viVy»^jj.i^ *••>» ^^^ »wie Du es für angebracht gehalten hast«.
Z. 9 1. ^:S\xj;
Z. 10 ,, ,.,A4.Jwäa3 c>->..:5^'» : ebenda a. E. .j'ui ^Si» i-i-*^l 'i*jXi .
Z. II ist das so bei ,..jJ».xÄX*.t nicht gerechtfertigt; man begegnet dieser
Schreibung recht oft in Werken des 16. Jahrhunderts; — ebenda a. E. ist
zu lesen: ^JLi> j»k^S ^ib »^«-^^j^w^/w^r 6'«rö'^'«, d. i. der besoldeten
Truppen der Residenz; -^t;c ist wohl nur ein Druckfehler für -iiLc.
Z. 12 ^jr.j^iJ iSwAoL^ sind die Reit- und Lasttiere, die für den Gebrauch des
Sultans bestimmt sind. — Für ^J ist ^j = ^j zu lesen und zum vor-
hergehenden, Z. II mit ^^>l\>o beginnenden, Satze zu ziehen. Dieser
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. I i i
Sat?. ist recht liederlich redigiert: »Aitch ich bin, indem der Rest Meiner
kaiserlichen Garde und das Aufgebot von Auatolien vollzahltg beisammen
sind und Befehl gegeben ist, den kaiserlichen Troß Z2ir Stelle r.u bringen,
im Begriffe anf^iibrecheti.f.
Z. 14 Der Herausgeber läßt den Sultan dem Bali bej befehlen: »Gegen die Ge-
bäude von Ofen und auch gegen die von Pest treibe bei Tag und bei
Nacht Minenstollen vor.« Da beide Städte noch in den Händen der Türken
waren, so ist die Übersetzung unmöglich. In der Tat ist im Texte nicht
von *.ii Minenstcllcn, sondern von -Ol J/^«jt7/^« die Rede, die der Pascha
zusammentreiben soll, um, wie aus dem Folgenden hervorgeht, die Ver-
teidigungswerke auszubauen.
Z. 16 lies O-Aü^ für ^^^-Ai2X ;
Z. 18 Der Herausg. tibersetzt die Worte:
.iA.Ci»^>Ü3i ;j:aj_jÄJ ^XÄjLao s\^ ii)^M ^j»r^ jy^^ dV.>.i^> y^^
»Dieses Reiches Angelegenheiten sind Deiner Einsicht anvertraut«, vielmehr:
Die gesamten Angelegenheiten jener Gegenden sind Deiner treffenden Ent-
scheidung überlassen.« Für \X.;CjLao i-\ ^ dürfte NXi^jL^l ^j;!^ zu lesen sein.
Z. 21 lies u.ÄiL;i=;/9 statt ^.JlLs^/o;
Z. 23 „ (.^^! ^>^> statt j»^Lvi iw^xi>. also die Heerscharen, des Islam;
L-^:> kann nicht ,Länder' bedeuten. — Zu Ende der Zeile ist zu lesen
J«^3 JLüisi :_^j ^:^j 'viel Erfolge und Segen' \nheY r;^i\ j%Ji geben
die Wörterbücher Auskunft.
Z. 24 Daß Bali bej die Verhältnisse und Lagen der Religion der Ungläubigen
fleißig erforschen soll, ist natürlich ausgeschlossen und beruht auf einem
Lesefehler.- Es ist vielmehr die Rede von den ^J[^=>1 ii)v.;jO^ ^Ui ,
von den Verhältnissen der gottlosen Ungläubigen, die er auskundschaften
soll, ferner, ob der König Ferdinand wirklich im Anzüge ist und sich mit
dem Heere des Herzogs vereinigt hat, endlich : J^m^s^ q-^3' s^J;_j->-"'^'
.Ji^=>l ^-^^J ^-i^-^Hr^ (so ist Z. 24 E. zu lesen, s. Leunclavius
1. c. 791 Z. 16) die Lage der in seinem Lager befindlichen, der Niederlage
geweihten Truppen, ihre Anzahl, und= ^jXi\.J*, oLj (so zu lesen Z. 25
nach der Lücke) ihre Ausrüstung
.yjJLxt^S in der Bedeutung .befestigtes Lager' wird in dem Siegesschreiben
Soliman's 1. vom Djemazi II 948 = Sept./Okt. 1541 bei Feridun münsckPät 2. A.,
I 551 ff. wiederholt von dem unter dem Gerhardsberge bei Ofen angelegten Lager der
Kaiserlichen gebraucht. In der Überschrift wird daher diese Urkunde als ^j^x*«)
^A«».xL>L5\Xs — so ! — bezeichnet: es handelt vielmehr von dem ungarischen Feldzuge des
J. 1541 (vgl. V. Hammer OG. III 230). Eine andere Abschrift findet sich in dem
Inscha der Orientalischen Akademie zu Wien Nr. XClX des IvRAFFTschen Verzeichnisses,
wo es als Siegesschreiben »wegen der Eroberung von IstoborQ) vom J. 1048« — so! —
bezeichnet wird.
Pera, 17. 12. 1917. J- H. Mordtmann.
j j 2 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Al-Abhari's (t663 = 1265) Isagügi und al-Fanäh's (f 834 = 1431)
Kommentar dazu: Bemerkungen zu Gothanus 1178 und Enzyklopädie
des Islam I, 74 a.
Durch die rühmlichst bekannte, so äußerst dankenswerte Liberalität der Direktion
der Herzoglichen Bibliothek zu Gotha ist mir neben andern, meist geographischen Hand-
schriften auch der kleine arabische Kodex 1178 (versehentlich) zugeschickt worden, den
ich dann natürlich auch einer näheren Einsichtnahme würdigte. Es sei mir deshalb
gestattet, einige kritische Bemerkungen zu Pertsch's Beschreibung in seinem im all-
gemeinen so sorgfältig und exakt gearbeiteten monumentalen Katalog zu machen (vgl.
dazu ZDMG 69 (1915), S. 405— 411: Gothanus 643). Pertsch sagt: »Die isäghügi
mit dem Kommentare des (J^LxäJ! Si^?» q.j Js^.:5\/a j^JuNJ) ,j*^4.^ (f 834)^
welcher von H.H. I, 503 erwähnt wird und auch bereits gedruckt ist (Zenker 1325).
Nach diesem Druck und nach sonstigen Angaben soll dem vorliegenden Kommentare
der l'itel is.j.LÄftJi iAj|käii zukommen; es wird diese Angabe indessen weder durch
H. y. a. a. O. noch durch unsere Handschrift bestätigt. Auch finde ich die Behaup-
tung H. H.'s, der Verfasser gebe am Ende seiner Arbeit selbst an, daß er dieselbe an
einem Tage fertiggestellt habe, durch unsere Handschrift nicht bestätigt. Andere Hand-
schriften u. s. f.« .... Beide Einwände Pertsch's sind nun .aber doch hinfällig, da
sowohl bei H. ii. I 504, wie sonst sehr häufig al-Fanäri's Kommentar als X.jjLÄäji lAjU-äJi
bezeichnet wird, vgl. nur Dresd. 114, Berlin 5237 ff., Escorial 633- u. v. a. Ebenso
istH. fi's Angabe, daß al-Fanäri's Erläuterungen zur logischen Isagoge al-Abharl's
das Werk eines Tages (daher (^c;».3Cj Loth, India Office 497) seien, richtig, nur ist
unrichtig, daß er sagt Jv.=>L ^».a 'z a,.5- Ki\ B.i>i -5 jTÖ, da statt »-i>l stehen
müßte *>i»L weil er es gleich in der Einleitung sagt, wie T.ä sköprizäde (a. R. von
Il)n Ijallikün, Kairo 1310, I 26) richtig zitiert: nJl<wJ) ^j^.LÄäJ) Jj..«.J) f ^^
s»>X£. i^t o/^.ii..ü. xx>.laj> Ji Sli» Läaw.=> LäaIiJ 'l5>..Üi ,.,!iA4ji , Ji A-j-o ji
-^ •• j • !_? ^ •• -> ^) j" Lr "^
j.^lxi! e^JL^-i! .-jj**^ XJ-i/« ^.jtöl «-» c>.4.Xi>3 *Jn>\ jiJi$\ ^A j^j. Pertsch hat
also weder den H. H.- Abschnitt über die Isagoge^i 502 — 505 genau gelesen, noch
die ersten Zeilen des »sehr flüchtigen, etwas zum Diwänl neigenden, fast ganz unpunk-
tierten Neshi«. Die übrigens für eine kritische Ausgabe einmal wohl zu verwertende,
besonders zum Schluß winzig klein geschriebene Handschrift (fast ganz ohne diakritische
Punkte) verdient doch eine etwas nähere Beschreibung, i a trägt einige links beschnit-
tene und oben links abgeriebene türkische Kritzeleien ohne Belang, gegen oben rechts
steht von "^ verschiedenen Händen der Titel: 2 mal , c-Ä5 _:>».£ L.«a«.j) ,- -^i 1 mal
j^.LJLs — - ( j^-*'5 fenär und -Äs fener von neugriecli. cpavctpt, Leuchtturm, das
Griechenviertel Phanar am Goldenen Hörn in Stambul). In der Mitte steht ohne Punkte
, c,».J! Jiuuw Lj NJ-xil ^^.iJ}\ Lj. Darunter kommt dann noch:
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 11^
•l^^il 5i\>3 x*jLJI^ C)^y »J>.>-_j iLiiwiil^
J3,<äJ5 sJo-^) ii.JL/iLiil_5
Die 13 ersten Zeilen von ib lauten:
v^Äi'l ^.j! i;L^/>^ ^Laa3 Jj" i^^s ^l ^\ ^y:i\ ^Ä ^_^•^•e3 '^'^ J-i^i^i^
*^*il /M_j'*'? ''O-*^ r)^*^^ /^^ ^ü^4.Ä:>^ r»L:^'^5 ^*ai! Q./a *^J 8»|l\c *.>j5 ui^C-^
;^i! "b^/i?» LixÄ \ax<w< 1-jj-JCj "b^ lijL.ccJ5 5^> "-^'^^j-^-^ ''■•^^H^^ *— ^*:^ \^)^i
Blatt 3 und 4 haben einige Randnoten, 5 b — 9 b, besonders 9 a haben zahlreiche
Rand- und Interlinearbemerliungen; 21a bringt den Schluß:
XÄJ^? (AjUxÜ ,)»;Ma;<;j ..."b ^c. "b' ..,wP.>.Jt _jj? ^r^-^^ iA^Xsu.i5 \^\ äiA^^^jt^
1) H. cy,^*A.«.il
2) Deshalb ä.j,'l>;äJ! iAjS^äJI
3) H. hat noch ^ (Dittograph).
4) Escor.2 633' hat vXjf^J
5) Berlin 5237 jr^jj", 52383. J.JÄj ■ .
•>) Berlin 5237f. Q.X-J3, vgl. Catalogus Lips. Senat. 33' (••^.XaJ», 33? q.xJ»
7) Berlin 5237 f. ÜUÄJ*
Islam IX. 8
Ij^ Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Am Rand steht noch schief: ^j^i^LJ IjÄij (j//.x:s05. Über den Verfasser der ara-
bischen Isagoge hat Brockelmann in der Enzyklo-pädie des Islam I 74 a einen Artikel
geschrieben, der jedoch folgende Berichtigungen und Ergänzungen erfordert.
Da früher Fleischer — Dorn, Drei astronomische Instrumente p. 93 ist mir nicht
zugänglich — nach einem späten Glossatorenfündlein Abahri von einer sonst unbe-
kannten Kabile Abahr (s. Catalogus Lips. Senat, p. 349 Anm.) lesen wollte (so u. a.
Flügel in \\A\., vgl. auch noch Ahlwardt, Berlin 5228 elabhari und elabahri),
so hätte diese Aussprache wenigstens angeführt und abgewiesen werden können, da
unser Autor doch wohl nur von einem der beiden persischen Abhar herstammt, von
denen das nördliche westlich von Kazwin das bekanntere (in dem flüchtigen anonymen
Artikel der Enzyklopädie des Islam einzig genannte) ist, während von dem südlichen
bei Isfahän bei al-Sam'änl und Jäküt mehr Gelehrte stammen als vom andern. Statt der
artikellosen Namensform Mufaddal hätte vielmehr die mit Artikel gewählt werden
sollen, da die erstere die spätere, besonders bei Türken vorkommende ist, während die jün-
geren Zeitgenossen und bewundernden Schüler al-Kazwini und b. Hallikän al-
Mufaddal sagen. Statt bloß als »philosophischer Schriftsteller« muß al-Abharl
zugleich als Mathematiker und Astronom bezeichnet werden, da er in diesen Fächern
nach Angabe seiner Schüler ganz hervorragend, noch bedeutender als in Theologie und
Philosophie war. »Von dessen Lebensumständen nichts bekannt ist«, ist falsch. Der
Kosmograph al-KazwinI II, 310 berichtet uns von seinem hochverehrten, »in der Geo-
metrie unvergleichlichen« Lehrer Rühmliches, wie er am Hofe in Mosul lebte; ähn-
liches berichtet sein ebenso dankbarer Schüler b. Hallikän (transl. III 468 f.) auf
einer langen Seite im Leben eines der größten Mathematiker, Ibn Jönus, wie er von
Mosul nach Arbela (Irbil) kam, wo b. Hallikän sich gerade aufhielt, worüber jeder-
mann den eingehenden Bericht seit 1900 lesen kann, bei dem sehr genauen Forscher
H. SuTER Die Mathematiker und Asfronojnen der Araber und ihre Werke, S. 141,
145 f. und 219. »Gestorben im Jahre 663 (1264; nach Barhebraeus schon 1262)«
aus Gesch. d. arab. Lit. 1 464 übernommen, obwohl Suter S. 219 die Un-
richtigkeit dieser BROCKELMANN'schen Behauptungen zurückgewiesen hatte. Das nicht
anzuzweifelnde genaue Datum seines Todes stammt aus einer von Casiri bemerkten
Randnotiz zum Escorialer al-Kifti-Kodex (1773, II p. 332 ; Casiri 's viel zitierte, bei
ihm anonyme Bibliotheca Arahica Philo sophor um) s. dessen Bibliotheca Arabico-Hispana
I, i88a: — »Athireddinus Abharita, — qui, sicut notatum reperio in Bibliotheca
Philosophorum ad pag. 99 imperitante Holacu [_^^P, _»5"b^? 1256— ösj.supre-
mum obiit diem vespertinis horis feriae i, die 19 Rabü posterioris anno Egirae 663,
Christi 1264.« Suter 219: »Der 19. Rabi' II 663 fiel in den Febr. d. J. 1265«, noch
genauer: 9. Febr. 1265. Während Abulfarag = Barhebraeus (f 1289) gar kein
Todesjahr angibt (woher stammt diese apokryphe Notiz Brockelmann's?), sagt er uns
aber doch mit einem Wort (»^j^l-J etwas über al-Abharl, was -auch Suter ent-
gangen ist, nämlich daß er nicht bloß in Mosul, wie oben erwähnt, gelebt habe, sondern
auch im seldschukischen Kleinasien (al-Rum), aber nicht gerade in der Hauptstadt
Könija, da er gleich nach al-Abharl zwei anderen Gelehrten speziell Könija als Wohnsitz
zuweist. Den guten Perser al-Maibudi von Maibud nordwestlich von Jezd macht
») Berlin 5238 Li^jJ^
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 1 1 5
hier Brockelmann zum Inder, während er in der Notiz Über ihn II, 210, wo übrigens
nicht einmal auf seine Kommentare im ersten Band zurückverwiesen wird, den Persem
gelassen wird (gdm geti nutnä 1. gäm-i-geti numä; H. H. II, 449 1. 499). Auch in
VAN Dyck's Bibliographie arabischer Druckwerke, Kairo 1897 {kitäb ikti/ä alkaniV- bimä
huwaniatbü'-) ist S. 109 über al - Abhari ungenügend und fehlerhaft; ebenso weiß Beale's
Oriental Riograp/iical Dictio7iary, 1894, p. 164, 165 über unsern MaibudI nicht* anzu-
geben als »Husain-ibn-Muin-uddin Maibadi ^(^lXaa/i q.jAJ1 ^^t^'* Q'^ Q;^-**^>"}
author of a work on religion, entitled Fawätah!« »Kitäb al-Tsäghügi« , sagt Brockel-
MANN : bei dem berühmten Handbüchlein der Logik (diese Begriffsbestimmung läßt
Bkockelmann einfach weg) wird kitäb meist fortgelassen, s. H. IJ., Berlin 5228—55,
ist also nur Ballast; ebenso hat es im guten Arabisch keinen Artikel: es ist Eigenname;
nur schlechte, späte, türkische Handschriften setzen den falschen Artikel hie und da:
1898 I 46 und 1902 im Register II 601 hat Br. den falschen Artikel zugesetzt, was
auch 1908 bleibt. H. li. im langen Isagogeabschnitt I 502 — 5 und sonst, Berlin 5228
bis 5255 haben z. B. nie diesen barbarischen Artikel. Den Erklärer der Isagoge Sems-
eddln Mohammed hat Br, 1898 (I 465) in einen Ahmed b. Hamza al-Fanäri
verwandelt, der dann im Register unter Ahmed nochmals auftaucht, während ich ihn
seinerzeit unter al-Fänäri, wie II 233, gestrichen habe, wie ich z. B. auch den
falschen b. al-'Abbär I, 340 im Register in das richtige b. al- Ab bär korrigiert habe,
ebenso Qaräbäg! I 429, 465 in richtiges — gi u. v. a. Da al-Fanäri im Regeb
834 starb, welcher am 15. März i43i beginnt, so ist 1430 falsch. I 464*"., H 233f.
sind noch viele Einzelfehler zu verbessern und Ergänzungen notwendig, auf die hier
nicht eingegangen werden kann; ich erwähne nur II 233 '■awtsat, 1. —ät\ Kairo VII
615 und 617 sind noch 2 Schriften al-Fanäri's erwähnt und erhalten, die bei Br.
fehlen; »II 234/6. al-mantiq. gedr. Stambul 1304«. Dazu wäre zu untersuchen gewesen
ob dieseLogik al-Fanäri's, wie wahrscheinlich, eben sein >^w,w*.j) <^ y^ = iAjUä^i
iCji-LäJi I 465 (worauf nicht rückverwiesen ist) = Goth. 1178 ist. Da die Kommen-
tare zur hidäjat al-hikma meist nicht den i. Teil {mantiq Logik) mitbehandeln, sondern
nur die wichtigeren 2 folgenden über Physik und Metaphysik, so müßte darüber immer
genau berichtet sein. Die Glossen des Lärl Berl. 5o67f. (nicht 5076— 8 !) u. a. werden
fälschlich zum direkten Kommentar gemacht; daß wir diese Glossen Läri's und Mai-
budI 's Kommentar auch in Tüb. 78 haben, ist auch Pertsch, Goth. 12 18 entgangen,
ebenso besitzen wir Mewlänäzäde's Kommentar in Nr. 80 (auf Titelseite allerdings
fälschlich dem al -Sa jjid al-Serif [al-Gurgänl] zugeschrieben). Zu Mewlänäzäde
fehlt bei Br. die bezeichnende, in der Aussprache freilich noch nicht ganz gesicherte
Nisbe -JtJV.^ii, Der Schluß enthält noch im letzten Sätzchen ein Mißverständnis:
»Außerdem schrieb al- Abhari noch drei kleine astronomische Abhandlungen«, während
doch SuTER 1900 nicht weniger als 5 astronomische Schriften kennt, die vorhanden
sind, wovon der Abriß der Astronomie, allein 22 Kapitel auf 67 Folia doch nicht klein
zu nennen ist. Außer diesen nennt b. Hall ik an unter anderen berühmten Werken
noch mit Namen eine taHlka ßHhiläf (über Kontroverse. Disputation) und astronomische
Tafeln {^ig). Zudem hat Br. obigen Abriß der Astronomie Paris 2515 von den 21
Seiten des Leid. 1104 (nicht 1102!), was höchstens ein Auszug aus jenem sein könnte,
nicht unterschieden. Als IV, führt B:?. I 465 die Abhandlung über das Astrolab Paris
25445 (nicht 22445!) an; als V. nennt er kasf al haqäiq fJ taJirlr aldaqä'iq; Kairo \'II
647, was 119 folia umfaßt und über Philosophie /»/ivÄ« handelt, wie der Katalog augen-
fällig am Rand angibt. Es ist also keine kleine astronomische Abhandlung, wie Bi<.
hier behauptet, indem er V. mit III. und IV. vermengt. C. F. Seybold.
8*
1 15 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Zur Geschichte der arabischen Algebra und Rechenkunst.
Die widersprechenden Urteile über die Art und den Grad der Abhängigkeit der
arabischen Algebra und Rechenkunst von griechischen und indischen Quellen, zu denen
neuere Forscher gelangt sind, ließen eine Nachprüfung des Sachverhalts durch einen
Arabisten wünschenswert erscheinen. Ein Zustand der geschichtlichen Erkenntnis, in
dem ein Urteil das andere aufhebt, ist unhaltbar; die Wahrheit ist eindeutig und
muß, unlösbare Einzelfragcn vorbehalten, eindeutig aus einer umsichtigen Analyse der
geschichtlichen Tatsachen gewonnen werden können. Dazu gehört, daß mit philologisch-
kritischer Methode und nicht bloß mit mathematischer Sachkunde an die Quellen heran-
gegangen wird; die vielfach dilettantische Behandlung philologischer Fragen durch
Mathematikhistoriker ist der Hauptgrund für die Verwirrung, der wir gerade in der
Geschichte der Mathematik bei den Arabern begegnen.
In einer der Heidelberger Akademie der Wissenschaften eingereichten Abhand-
lung -dZuv ältesten arabischen Algelira nnd Rechenkunst«. ') habe ich den \'ersuch
gemacht, über den angedeuteten Zustand hinauszukommen. Frei von jeder Voreinge-
nommenheit für oder gegen Griechen, Inder, Araber hatte ich nur das eine Interesse,
aus den literarischen Urkunden und geschichtlichen Tatsachen sichere Schlüsse zu ziehen,
gleichviel, ob sich die Wagschale im Einzelfall zugunsten der Griechen oder Inder
senken würde. Den Ausgangspunkt der Untersuchung mußte selbstverständlich die
»Algebra« des Muhammad b. Müsä al-Hlwärazmi bilden. Sie bietet uns als
ältestes Originalwerk einen festen Bestand und Verband mathematischen Wissens, der
ebenso maßgebend wurde für die Weiterentwicklung, wie er selbst bestimmt ist durch
die Quellen und die persönliche Leistung des Verfassers. Die kritische Schwierigkeit
liegt nur darin, daß wir die unmittelbaren Quellen des Verfassers nicht
kennen, also gezwungen sind, die Art der Quellen und das Maß der persönlichen
Leistung aus dem Text selbst und den anderweit bekannten griechischen und indischen
Werken verwandten Inhalts zu erschließen. Drei Angriffsflächen boten sich einer solchen
Untersuchung dar: der mathematische Inhalt der Algebra, ihre Terminologie und ihr"
literarischer Aufbau. Der elementare Inhalt erschwert begreiflicherweise den Nachweis,
daß hier aus griechischer, dort aus indischer Quelle geschöpft ist. Der Aufbau des
Ganzen • — mit seiner Vereinigung verschiedenster Bestandteile — läßt eher an indische
als an griechische \'orbilder denken. Die in großer Breite behandelte Praxis der Erb-
teilungswissenschaft scheint vom Verfasser selbst herzurühren. So konnte für die Ent-
scheidung griechischen oder indischen Ursprungs der übrigen Teile der Algebra nur
die genaue Untersuchung der mathematischen Fachausdrücke zum Ziel führen.
Die beiden Untersuchungen über die Erbteilungsaufgaben und die ursprüngliche An-
wendung der Termini mal und schaP, sowie über die Terminologie der quadratischen
Gleichungen in Kap. VT und VII bilden daher den Kern der Abhandlung. Neigt sich
schon hier die Entscheidung zugunsten vorwiegend indischer Anregung, so wird die
indische Herkunft des Kapitels von den Geschäften und des größten Teils des Kapitels
von der Messung in Kap. X und XI zur Gewißheit erhoben und stützt dadurch das
frühere Ergebnis.
Die seit Rosen (1831) gang und gäbe gewordene Ansicht. Muhammad li. Müsä
habe die im Titel seines Werkes auftretenden Ausdrücke algabr -loalnmkäbalah nirgends
erklärt, wird in Kap. I widerlegt und die Geschichte der Termini von D i o p li a n t bis
') Sitzungsberichte der H. Ak. d. W,, Philos.-IIist. Klasse, Jahrgang 191 7, :?. Abb.
Eingegangen am 14. Juli 1916, erschienen Ende No\ ember iyi7; 125 S. geh. 4 Mark.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 1 I 7
Ibn yaldün verfolgt. In Kap. II wird der Nachweis geführt, daß ein nur dem Titel
nach bekanntes Werk des Muhammad b. MOsä, das / äjÄxJL ,«.^:^jt ^\.'jS
kitäb algam^ waliafrik nichts mit dem Liber atig?nettti et diminutionis zu tun hat, wie
man seit Woepcke (1863) annimmt, sondern das nur in lateinischer Bearbeitung erhal-
tene Rechenwerk desselben Verfassers bezeichnet. Eine Würdigung der wissenschaft-
lichen Gesamtleistung Muhammad b. Müsä's versucht das Schlußkapitel XII zu geben.
In loserem Zusammenhang mit dem Hauptinhalt der Abhandlung stehen die Kapitel
über die arabischen Zahlbezeichnungen, über den Aufbau des Zahlensystems
und die Namen der Ziffern. In dem zuletzt genannten Abschnitt wird mit den phan-
tastischen Hypothesen aufgeräumt, die noch bis in die letzte Zeit über die Herkunft der
im II. /12. Jahrhundert auftauchenden seltsamen Namen der arabischen Ziffern vorge-
bracht wurden. Anlaß zur Wiederaufnahme der Streitfrage war die Überzeugung, daß
alle Erklärungsversuche als methodisch verfehlt zu betrachten sind, die außerhalb
der geschichtlich allein möglichen Verbindung des Arabischen und Lateinischen die
Lösung suchen. Nach Radulf von Laon sind die »chaldäischen« Namen der Ziffern
von I — 9 die Worte igiti, andras, 07'fnis, arbas. quiiiias, calcis, zenis, tevienias^ celentis.
Die Unvereinbarkeit der meisten dieser Worte mit den entsprechenden arabischen Zahl-
wörtern hat zu den kühnsten Spekulationen Anlaß gegeben, zumal auch der Ausdruck
»chaldäisch« völlig mißverstanden wurde. Er bezeichnet nichts anderes als die zeitge-
nössischen Araber, und die Namen für die Ziffern müssen aus dem Arabischen erklärt
werden. \'erzichtet man auf gewaltsame Umformungen und stellt die lautlich verwandten
Worte nach den Handschriften zusammen, so ergeben sich innerhalb der zu erwartenden
graphischen Varianten Wortgruppen, die mit arabischen Zahlwörtern identifiziert werden
können, während andere fehlen. Die überlieferte Reihe ist einerseits unvollständig und
enthält andrerseits Doppelungen, die an falscher Stelle stehen: dies ist das nüchterne
Ergebnis einer nüchternen Untersuchung.
Es sei noch bemerkt, daß für die Nichtarabisten unter den Mathematikern alle
Stellen übersetzt, alle Termini in Umschrift wiedergegeben sind. Auch werden die
Register das Zurechtfinden in den zahllosen Einzelheiten der Abhandlung erleichtern.
Meine Anzeige kann nur ein Hinweis sein, und ich hoffe, daß die Ergebnisse bei den
für die Geschichte ihrer Wissenschaft interessierten Mathematikern nicht unbeachtet
bleiben.
Heidelberg. Julius Rus k a.
Muhammedanisciu Glaubenslehre. Die Katechismen des Fudäli und des Sanusi übersetzt
und erläutert von M. Horten. {^Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen 139).
Bonn, Marcus und Weber, 1916. 57 S. M. 1.40.
Horten, dem wir für das Verständnis der philosophischen Ideen im islamischen
Kulturkreis so viel verdanken, hat sich nun auch die Aufgabe gestellt, die Kenntnis
der religiösen Durchschnittsanschauungen im heutigen Islam weiteren Kreisen zu ver-
mitteln. Der Glaube des Islam findet seinen prägnanten Ausdruck in den kurzen '■aktdd'%,
Glaubensregeln angesehener Theologen und Mystiker, die viel gelesen und zur \'er-
mittlung eines tiefer dringenden Verständnisses der Probleme der Lehre, mit Kommen-
taren und Superkommentaren versehen werden. Diese 'a^'/i/a-Literatur hat daher als
Quelle für die Kenntnis der islamischen Glaubenslehre mit Recht auch im Abendland
Beachtung gefunden; man vergleiche nur Carra de Vaux' Artikel '■Alßda in EJ. und
die dort verzeichnete Literatur. Nachzutragen dazu ist von neueren Übersetzungen etw-n
1 [g Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
noch die von Glaubensbekenntnissen von Asch'arl, Ghazäli, NasafI, Fudäli
im Appendix von Macdonald, Development of Muslim Theology (London 1903), HeLL's
Wiedergabe der "-akida des Tahäwi I^Die Religion des Islam, I, Jena 191 5, S. 39 ff.)
und H. Bauer, Die Dogmatik al-GhazälJ's (Halle 1912).
Horten legt hier nun in Übersetzung die, wie wir eben sahen, auch schon von
Macdonald wiedergegebene "-aklda des Fudäli, also seinem Zweck entsprechend ein
junges Dokument dieser Literaturgattung, vor, dem er zum Vergleich die kurze sughra
des Sanüsi folgen läßt. Das etwas ausführlichere Bekenntnis des Fudäli gibt in der
Tat einen guten Einblick in die Dogmatik des Islam. Selbstverständlich gibt sie nur
ein Bild dessen, was jeder gute Muslim wissen soll — er weiß es durchaus nicht
immer — , nicht eine ausführliche theologische Erörterung der Probleme ; aber doch
lassen sich diese Probleme hier und dort in der knappen Formulierung der Ergebnisse
noch erkennen. Und es ist ein Vorzug von Horten's Übersetzung, daß er, der ja in
der Kenntnis der zugrundeliegenden philosophischen Fragen gewiß all seinen Vorgängern
auf diesem Gebiet voraus ist, sie durch kurze Bemerkungen auch dem Verständnis
seiner Leser näher bringt. Die philosophische Schulung Horten's kommt seiner Über-
setzung auch im Vergleich mit der Macdonald's natürlich zugute. Es ist stets erfreu-
lich, wenn ein geeigneter authentischer Text zum Verständnis der Religion des Islam
weiteren Kreisen in so bequemer Form erschlossen wird. Wir freuen uns doppelt, wenn
es durch einen so sachverständigen Führer geschieht.
Was die Ausführung der Arbeit betrifft, so wird man Horten gewiß zustimmen,
wenn er sich nicht sklavisch an den Wortlaut des Textes hält. Freilich ist auch selbstver-
ständlich, daß man gelegentlich über die Zweckmäßigkeit der Art der freieren Gestal-
tung verschiedener Meinung sein wird, daß man z. B. zweifelt, ob bei der Auflösung
einer größeren Konstruktion in einzelne Sätze der innere Zusammenhang des Originals
noch voll gewahrt wird. In solchen Fällen hat oft das Geschmacksurteil mitzusprechen
und soll mit einem Übersetzer nicht gerechtet werden. Dagegen mögen hier noch
einige Einzelheiten der Übersetzung richtig gestellt werden, die mir bei der flüchtigen
Vergleichung mit dem arabischen Original des Fudäli und genauerer Kontrolle be-
stimmter Abschnitte aufgefallen sind. Ich habe den Druck des Textes nebst Bä-
dschürl's Kommentar von 1291 benutzt, der gelegentlich richtiger zu sein scheint als
der von Horten gebrauchte von 1303. So hat ed. 1291 an der Stelle Horten, S. 24,
Z. 14 richtig (^JLjw. was Horten erst aus (»»Jot» emendieren muß. Horten, S. 19,
Z. II »Heuchler« läßt darauf schließen, das er , isLÄ.» las, während ed. 1291
richtig / i^Lä hat (zu diesem Begriff vgl. Jlynboll, Handbuch, S. 316).
Zu Horten, S. 6, Z. 35 fr. ; »Man kann also von der Gültigkeit einer rituellen
Waschung oder eines Ritualgebetes erst reden, wenn deren Subjekt die koranischen
Dogmen kennt oder als sicher behauptet auf Grund der entgegenstehenden Lehren«:
Der Sinn der letzten Worte ^^ ^ ^^^Ls^i! -JLc wird auch durch Horten's
beigefügte Erklärung »d. h. deren Widerlegung und der positiven theologischen Beweise«,
die doch an sich schon eine recht gekünstelte Umdeutung ist, nicht getroffen. Sie be-
deuten vielmehr: »je nach der [erwähnten] Verschiedenheit der Auffassung« d.h. je
nachdem man ein Verständnis der Dogmen für Pflicht hält oder sich'mit bloßer äuße-
rer Annahme begnügt. — Nebenbei bemerkt kann ich die Einführung des Begriffes
»koranischcr Dogmen« nicht sehr glücklich finden, da ich mir nichts oder doch nur
Falsches darunter vorstellen kann. Und sollte ein Leser von Horten's Übersetzung nicht
gar annehmen, der Begriff stamme aus dem Original.^
Zu Horten, S, 8 Z. 42 : v^Äj,>iJi Ä.J^.>J! —laJ heißt doch nicht: »Ausdrücke:
Majestät, der Edle« sondern »der heilige Gottesname« ! Wenn Horten dieser Ausdruck
Kleine Mitteilung'en und Anzeig-en. I [q
seltsamerweise wirklich völlig fremd gewesen sein sollte '), so hätte er die unzweideutige
Erklärung — ebenso übrigens wie im vorgenannten Fall — im Kommentar Bä-
dschürl's finden können, den er doch benutzt hat! Auch Macdonald hat das Richtige.
Horten, S. lo, Z. 13: Merkwürdigerweise übersetzt Horten Jil stets mit
»ewig dauernd«, also genau so, wie er s-läi mit »ewige Dauer« wiedergibt, während
es doch heißt »v o n Ewigkeit bestehend«. So kommt er zu der wunderbaren Defini-
tion, daß das Ewigdauernde dasjenige sei, »das keinen ersten Augenblick seiner Exis-
tenz aufweist« (S. lo, Z. 20 f.). Ich freue mich übrigens feststellen zu können, daß
Horten diese schiefe Ausdrucksweise jetzt nicht mehr vorkäme. So erklärt sich denn
das Entsetzen, mit dem er meine Übersetzung des Wortes mit »unendlich« unter der
— freilich falschen — Voraussetzung, daß ich damit den Begriff des Bestehens in
Ewigkeit im Unterschied vom Bestehen seit Ewigkeit verbinde, also eben den, den er
hier unzweideutig versehentlich dem Wort beilegt, in Islam VIII, 333,9 ff- (vgl. dazu
341,14 ft".) kritisiert, zugleich als eine stillschweigende Kritik seiner selbst.
Zu Horten, S. 40 Z. 27: Zu der Übersetzung: »Nach Malik hat der Prophet
keinen einem andern vorgezogen« könnte Horten wohl ein Druckfehler veranlaßt haben,
ijsj?-! ^xXäo nJÜI dj^j xx^i ^ J^Al3s!"b5 heißt vielmehr: »er hat dem Fleisch und
Blut des Gesandten niemand vorgezogen«. Der Kommentar hätte übrigens auch hier
das Richtige zeigen können.
An diesen kleinen Bemerkungen mag es genug sein. Sie sollen ein Zeichen sein
für das Interesse, das auch diese kleine Arbeit Horten's verdient. Möge sie dazu mit-
helfen, in weitere Kreise wirkliche Kenntnis des Islam zu tragen.
R. Hartmann.
Arabische Traditionssammlungen. 2. Mitteilung.
1. Im Anschluß an die erste Mitteilung (s. Der Islmn VII, S. 357f.) haben sich
folgende Mitarbeiter .aufgegeben: Frl. Dr. V. de Bosis (Rom), Prof. J. HoRoyiTZ
(Frankfurt a. Main), Prof. I. Kratschkowsky (Petrograd), Dr. J. Pedersen (Kopen-
hagen), Dr. A. E. Schmidt (Petrograd).
2. Beiträge zu den Vorbereitungskosten haben eingesandt oder versprochen : die
Utrechter Gesellschaft für Künste und Wissenschaften, das kgl. Institut für die Sprach-,
Landes- und Völkerkunde von Niederländisch-Indien, Teyler's Stiftung, die de Goeje-
Stiftung.
3. Auf Prof. Snouck Hurgronje's Rat hin haben die Mitarbeiter zunächst den
Text des Buhäri in Kastallänl's Bearbeitung in Angriff genommen, so daß dieser
Text in einigen Jahren bearbeitet sein könnte.
4. Wahrscheinlich noch im Laufe dieses Jahres werden die Herren C. van Aren-
DONK und J. L. Palache in Leiden zu dem Kreise der Mitarbeiter hinzutreten. Ange-
sichts des ümfangs der Unternehmung bleiben jedoch neue Kräfte erwünscht.
Leiden, Juli 1918. A. J. Wensinck.
I) Der Ausdruck ist auch den heutigen Türken noch geläufig, vgl. Zija Gök
Alp, Kyzyl Elma, 101,7.
{ 'jQ Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Zwei arabische Parallelen zu einer Angabe in Livius Buch 21 Kap. 37.
Wir lesen an dieser Stelle [Hannibals Alpenübergang 218] : . . . Soldaten wurden
herangeführt, um die Straße gangbar zu machen. Da der Fels gesprengt werden mußte,
wurden ringsherum sehr große Bäume gefällt und ein ungeheurer Brandstoß aufgeführt.
Diesen zündeten sie an, wobei auch die Windrichtung sehr günstig war, und brachten
die glühenden Felsen durch darüber gegossenen Essig zur Auflösung usw. In Nr. 255
der Bibliographie des ouvrages arabes VI »Les looi nuits«. bringt Chauvin die Geschichte
von el-Ma'mün, der den (mißglückten) Versuch macht, die Pyramiden zu zerstören, um
die darin supponierten Schätze in die Hand zu bekommen. Dazu bemerkt der Verfasser
in einer Anmerkung (pag. 91): »Le procede pour briser les pierres des pyramides a
consiste ä les asperger de vinaigre quand on les a chauftees comme l'a fait Hannibal«
[Verweis auf die zitierte Liviusstelle und Rev. d. irad. pop. 6/492]. Eine weitere Stelle
findet sich in el-Belidori (Text 106/10, meine Übersetzung pag. 107/2) in dem
Kapitel von dem Abfall von el-Aswad el-'Ansi und seines Anhangs im Jemen, wo es
heißt: »Nach einer andern Version machten sie eine Bresche in seine Hausmauer mit
Zuhilfenahme von Essig und drangen so bei Morgengrauen bei ihm ein, während er
betrunken auf seinem Lager schlief usw.« [Ebenfalls mit Verweis auf die angeführte
Liviusstelle]. O- Rescher.
Abb. I.
Abb. 2.
Der Islam. Band IX, Tafel i.
Zu „Ritter, Mesopotamische Studien".
Verlag- von Karl J. Tnibner in Straßl)ur^.
Abb. 3.
Abb. 4.
Der Islam. Band IX, Tafel 2.
Zu „RitteV, Mesopotamische Studien".
Verlag- von Karl J. Trübner in Straßburg.
Abb. 5.
Abb. 6.
Abb. 7.
Der Islam. Band IX, Tafel 3.
Zu „Ritter, Mesopotamische Studien".
Verlag von Karl T. Trübner in Straßburg-.
Abb. 8.
Abb. 9.
Abb. II.
Der Islam. Band IX, Tafel 4.
Zu „Ritter, Mesopotamische Studien"
Verlag von Karl J. Trübner in Straßburg-.
Abb. lo.
Abb. 12.
Der Islam. Band IX, Tafel 5.
Zu „Ritter, Mesopotainische Studien".
Verlag von Karl J. Trübner in Straßburg-.
Abb. 13.
"7^::
'^■-;^^^
Abb. 14.
Der Islam. Band IX, Tafel 6.
Zu ,Ritter, Mesopotamische Studien"
Verlag- von Karl J. Trübner in Straßburg.
Abb. IS.
Abb. i6.
Der Islam. Band IX, Tafel 7.
Zu Ritter, Mesopotamische Studien"
Verlag von Karl J. Trübner in Straßburg.
Abb. 17.
Abb. 18.
Der Islam. Band IX, Tafel 8.
Zu Ritter, Mesopotamische Studien"
Verlag von Karl J. Trübner in Straßburg.
Abb. 19.
Abb. 20.
Der Islam. Band IX, Tafel g.
Zu „Ritter, Mesopotamisclie Studien".
Verlagr von Karl J. Triibncr in Straßbiirg.
Abb. 2 1.
Abb. 22,
Der Islam. Band IX, Tafel lo.
Zu ^Ritter, Mesopotamische Studien".
Verlag- von Karl J. Trübner in Straßburg-.
Abb. 2^.
Abb. 24,
Der Islam. Band IX, Tafel 11.
Zu „Ritter, IVIesopotamische Studien",
Verlag- von Karl J. Trübner in Straßburar.
Abb. 25.
Abb. 26.
Der Islam. Band IX, Tafel 12.
Zu jRitter, Mesopotamische Studien".
Verlag von Karl J. Trübner in Strafiburg.
Abb. 27.
Abb. 28.
Der Islam. Band IX, Tafel 13.
Zu ,,Ritter, Mesopotamische Studien"
Verlag- von Karl J. Triibncr in Straßburg.
Abb. 29.
Abb. 30.
Der Islam. Band IX, Tafel 14.
Zu „R^i 1 1 e r , Mesopotamische Studien".
Verlag- von Karl J. Trübner in Suaßburg,
se*5.
Abb. 31.
Abb. 32.
Abb. 33.
Der Islam. Band IX, Tafel 15.
Zu „Ritter, Mesopotamische Studien",
Verlag- von Karl J. Trübner in Straßburg-.
Abb. 34.
^Jkl^
Abb. 35-
Abb. 36.
Der Islam. Band IX, Tafel 16.
Zu ,Ritter, Mesopotamische Studien"
Verlag- von Karl J. Trübner in StraßHurg-.
Abb. 37.
fi:";i^&3»:
Abb. 3«-
Der Islam. Band IX, Tafel 17.
Zu ,Ritter, Mesopotamischc Sludien".
Verlag- von Karl J. riubiier in Straßburg.
Abb. 39-
Abb. 40.
Der Islam. Hand IX, Tafel 18.
Zu .Ritter, Mesojiotauiische Stuilien"
Verlag- von Karl j. Irübner in Straßburg.
. r "•
Abb. 41.
•.? I
• •
Abb. 42.
Der Islam. Band IX, Tafel 19.
Zu „Ritter, Mesopotamische Studien".
Verlag von Karl |. Trübiier in Strafiburg.
Abb. 43.
Der Islam. Band IX, Tafel 20.
Zu „Ritter, Mesopotamische Studien-.
Verlag von Karl ). Trübner in Straßbure.
Mesopotamische Studien.
Von
H. Ritter.
Arabische Flußfahrzeuge auf Euphrat und Tigris.
(Mit 20 Tafeln und 5 Zeichnungen.)
Käzim Dugeili hat in verschiedenen verdienstlichen Auf-
sätzen in der Luyat el 'Arab (I 472: Das Kelek, II 93: Die Schiffe
im Irak [Es-sufun fil-Hräq), II 152: Schiffs ähnliche Fahrzeuge {asbäh
es-sufun), II 198: Benennungen dessen, was im Schiffe ist {asmä* mä
fis-seflna), II 393: Schiffsgeräte [adawät es-sefina), III 82: Die Be-
satzung des irakischen Schiff es ^ {rigäl es-sefina el-Hräqija); III 126:
Namen der Winde bei den Schiffern im Irak (asmä' el-arfäh Hnd ahl
es-sufun el-Hräqifa), III 243: Tätigkeiten der Schiffsbesatzung {af^dl
lata '■allaq bi ahl es-sufun)) die Flußfahrzeuge im Irak aufgezählt und
beschrieben. Der Gegenstand ist in der Tat einer eingehenden Behand-
lung wert; finden sich doch in jenen Breiten noch heute Fahrzeuge
in Gebrauch, die uns durch babylonisch-assyrische Reliefs und griechi-
sche Schriftsteller als zu den ältesten Wasserfahrzeugen der Menschheit
gehörig dokumentiert werden. Gewiß haben dieselben Fahrzeuge noch
im arabischen Mittelalter, als der Irak das Zentrum von Handel und
Verkehr bildete, eine überragende Rolle gespielt. Würde jedoch die
geschichtliche Behandlung des arabischen Schiffahrtswesens den
Gegenstand zu einer besonderen literarischen Untersuchung abgeben
können, so ist andrerseits eine auch nur einigermaßen vollständige
Behandlung der gegenwärtigen Verhältnisse nur möglich auf Grund
umfassender Studien an Ort und Stelle, denen die augenblicklichen
kriegerischen Verhältnisse nichts weniger als günstig sind.
Die folgenden Zeilen wollen daher nur einige Beobachtungen und
Nachprüfungen der Dugeilischen Angaben darstellen, die fast
sämtlich auf dem sehr beschränkten Beobachtungsgebiet der 2 km
langen Tigrisstrecke unmittelbar bei Bagdad während einiger dicnst-
I»lam IX. 9
122 "• Ritter,
freien Stunden gemacht wurden. Dugeilis Angaben erwiesen sich
dabei als nicht durchgängig frei von Mißverständnissen, ebenso-
wenig wie es vermuthch die folgenden Notizen sein werden. Denn
die Feststellungen sind ganz außerordentlich schwierig. Abgesehen
von dem Schiffer »platt«, das, wie ich zu meiner Genugtuung fest-
stellen konnte, dem gewöhnlichen Bagdader Araber oft ebenso schwer
verständlich war wie mir, sind in jedem Ort andere Ausdrücke
gebräuchlich. Ich habe oft die Schiffer selbst sich untereinander um
die Ausdrücke streiten hören. Eine reinliche Scheidung zwischen den
einzelnen Gewährsmännern und Orten zu machen, war nicht durch-
führbar. Die unten gegebenen Ausdrücke sind im wesentlichen das
nnUtafaq 'aleih in Bagdad. Auf Handels- und Wirtschaftsfragen
einzugehen, machten die abnormen Verhältnisse des Krieges unmöglich.
Nur über Technisches konnte berichtet werden, und auch das nur in
amateurhafter Weise, da genaue schiffstcchnische Angaben mit Messun-
gen und Zichnungen, wie sie sich von Rechts wegen gehörten, nur mit
Hilfe eines Fachmannes möglich gewesen wären. Die beigegebenen
Photographien werden bis zu einem gewissen Grade diesen Mangel
ersetzen; vielleicht regen die vorliegenden Aufzeichnungen einen Fach-
mann an, sich für den Gegenstand zu interessieren. Von einer etymo-
logischen Erklärung der arabischen Fachausdrücke mußte ich WTgen
Mangels jeglicher Hilfsmittel absehen. An Entlehnungen findet man
am häufigsten solche aus dem türkischen, persischen und englischen
Sprachkreis. Der Freundlichkeit des Herrn Seemanns Willy Rogge,
zurzeit in Mossul, der selbst in einer muhele den Tigris befahren
hat, verdanke ich die Mitteilung verschiedener Fachausdrücke und
die Erklärung einiger Segelmanöver.
Das vollkommenste der auf Euphrat und Tigris verkehrenden Fluß-
fahrzeuge ist das hauptsächlich in Basra aus Teakholz [säg) gebaute
{■wa^sar), in Bagdad muhele, südlich Kut auch sefine genannte Schiff
(Abb. i). Es ist etwa i8 m lang und trägt bis zu 60 tyär (i fyär
gleich 1600 Stambulhokka gleich 2 t). Der Längsschnitt der 7nuhcle
hat etwa folgende Form:
Die Linie a würde den Kiel [bis], b b die beiden Steven [mil) dar-
stellen. Die Verbindung von Kiel und Steven ist durch Winkelhölzer
Mesopotamische Studien. 12 3
verstärkt c [^agrah). Wenig bearbeitete, meist sehr unregelmäßig aus
verschiedenen Stücken zusammengesetzte Spanten ('0//, ^utüf) (Ab-
bildung 2 a) bilden das Gerippe des Schiffes, welches sich im Quer-
schnitt etwa so darstellt:
U
Die Seitenspanten werden im Gegensatz zu den am Boden liegen-
den auch Selniän genannt. Als Stützpunkt für die Spanten am Heck
findet sich öfter hinter dem hinteren Winkelholz ein 30 — 40 cm hoher,
20 cm dicker Pollar, dringa genannt. Eine Anzahl (6 — 10) wie gefaltete
Finger übereinandergreifender Verstärkungsspanten nahe dem Bug wird
viawälic genannt. Der Vordersteven ist öfters durch einen ellen-
langen Stevenschutz [da'-'-ära [Längsschnitt d]) verstärkt. Die Steven
laufen oben in verzierte, meist hakenförmige Köpfe aus, deren vorderer
giibhet und deren hinterer ^aragcin (Schwxißkappe) heißt. Beispiel eines
besonders reich verzierten guhbet zeigt Abb. 3.
Die Spanten werden von außen mit Planken {löh) benagelt [rag-
gam). Die Fugen werden mit mit Sesamöl [Sireg) getränkter Baum-
wolle, die mit Hammer und Meißel {mingär) hineingetrieben wird,
gedichtet (kalfatert). Diese Arbeit heißt kilfät, der Arbeiter kiljetci.
Die Innenseite des Schiffes wird mit Tran {syll) bestrichen.
Die unterste, wagerecht auf dem Kiel liegende Planke wird tähyq
genannt. Sie ist mit einer Rinne (Längsbilge) [masha] versehen, in der
sich das Wasser nach der tiefsten Stelle sammeln kann. Wasserdurch-
laßkerben {^enät) in den Bodenspanten entsprechen ihr.
Die oberste der Seitenplanken, die die Reeling bildet, heißt tirrlc.
Der Bordrand ist außen durch ein starkes, 40 cm breites Brett ver-
stärkt {cantä) (Abb. 4 a), das etwa 9 cm über ihrem unteren Rande mit
einer ausgehobelten Leiste versehen ist {getan) (Abb. 4 b), die als Lade-
marke dient. Der cauta entspricht auf der Innenseite der Rippen
ein zweites Brett {durmelj (Abb. 2b). Wagerecht ist der Bordrand
durch eine 30 cm breite starke Bohle abgedeckt {zubedra) (Abb. 2c).
In ihr befinden sich drei Zapfenlöcher [^enät), in die mit den ent-
sprechenden Zapfen {icäjih) ein den Bordrand um 4c cm erhöhendes
Brett [darräb) als Waschbord aufgesetzt werden kann, wenn über-
gehende Wellen bei schwerer Ladung dies nötig machen. Er reicht
von dem Achteraufbau (s. u.) bis zum vorderen Verdeck, kann aber
durch Ansatzstücke {seddäwijät) bis nahe an den Vordersteven ver-
längert werden. Die Ritze zwischen Bordrand und Waschbord wird
mit Lehm abgedichtet,
9'
124 H. Ritter,
Von Bordrand zu Bordrand laufen vier Versteifungsbalken, suwär
(Reiter) genannt. Der am Vorderteil {sadr) des Schiffes und der im
Achterschiff [hlr) liegende Querbalken bilden zugleich die Träger zu
den beiden Verdecks [fenne] (Abb. 2d, 5a). An dem zweiten »Reiter «von
vorn steht der Mast [digal) angelehnt. Er heißt demnach suwär ed-digal
(Abb. 2e). Der zweite Balken von hinten ist ganz frei und wird des-
wegen suivär el-hattäl (Abb. 5 c) genannt. Die Verbindung der Quer-
balken mit dem Bordrand wird durch L-förmige Winkelhölzer [käura]
(Abb. 5k) verstärkt. Die durch die »Reiter« gebildeten Schiffsabschnitte
heißen rab^a.
Auf dem Vorderverdeck, der Back, erhebt sich ^ m hinter dem
Steven ein kastenartiger Bretterverschlag {snedlc oder scec), der durch
Herausht ' 1 n eines beweglichen, senkrechten Brettes geöffnet werden
kann (Abb. 6a). Ein ähnlicher Kasten, hdef genannt, befindet sich in
dem hinter dem Achteraufbau freibleibenden Dreieck [ryg''a) am Heck
(Abb. 4c). Er hat öfters einen doppelten Boden. Die untere Lade
wird dann kämera genannt.
Der Raum unter dem Verdeck führt die allgemeine Bezeichnung
kibirit. Der enge Raum zwischen Verdeck und den Spanten nahe am
Steven heißt cäftö. Bei beladenem Schiff schließt die Ladung den Raum
unter dem Deck ab, so daß man nur durch ein Loch im Verdeck, einen
Niedergang, in den so gebildeten abgeschlossenen Raum {hendär)
hinabsteigen kann.
Der Achteraufbau {^ar^e) (Abb. 4d, 5) bildet einen mannshohen,
zimmerartigen Raum. Sein Dach wird getragen von etwa 14 Pfeilern
{gäim) (Abb. 5). Die nach dem Schiff zu führende Wand mit der Tür
tritt etwas zurück, so daß eine kleine, überdachte Veranda [gai^ a)
(Abb. 5d) entsteht. Die Ständer dieser Veranda heißen sam*- a (Abb. 5 c),
der darauf ruhende Dachbalken /wr (Abb. 5f). Man sieht bald schön
bemalte Holzhäuschen, manchmal einfache Hütten aus Rohr und
Binsengeflecht. Zum Besteigen der '■arse dient eine Art Bank auf
beiden Bordrändern von % m Länge [sibe) (Abb. 5g), deren freies
Ende auf einem Anbindepflock {rummäni) (Abb. 5 h) ruht, sowie ein
in halber Höhe angebrachter Tritt (Abb. 5i), käura genannt.
Zum Festlegen der Wanten, Schoten, Ankertaue und Trossen
dienen außer den beiden genannten Pflöcken noch zwei Pflöcke in der
Nähe des Vorderstevens (Abb. 6b), ebenfalls rummäni oder eteme
genannt, sowie der celib (Hund), ein quer über der Schiffsspitze liegendes
3/4 m langes Holz (Abb. 6c). Für die Schoten dienen außerdem Ringe
am Ende des vordersten Querbalkens {ras el-fenne) und an den Enden
des »Mastreiters«. Letztere Stelle heißt besär.
Mesopotamische Studien.
125
Auf dem Dache des Aufbaues ist der Platz des Schiffsführers
{n5{ä)hd-e), von dem er das Ruder [sukkän] regiert und seine Kommandos
gibt (Abb. i). Um ihm beim Stemmen gegen die Ruderpinne [käne]
Halt zu geben, sind als Ruderbank auf dem Boden einige Hölzer parallel
zum Schiff aufgenagelt. Sie heilBen mastari, masäfir.
Das Ruder selbst (Abb. i u. 4) besteht aus einem aufrechten Ruder-
schaft [gäim) (Abb. 4c), an dessen oberem Ende auf einer der beiden
Seiten ein ausgekerbter Backen angebracht ist, der mit dem Schaft
zusammen ein Loch zum Durchstecken der Pinne bildet [kalha) (Abb. i).
Da bei der ungenauen Arbeit die Pinne {käne) meistens nicht in das
Loch hineinpaßt, wird sie mit einem Strick hochgehalten (Abb. l),
der mit einem Querholz {lawwäja) durch Drehen gespannt werden kann.
Der Ruderschaft ruht mit zwei Haken {dakar) in zwei Ösen {nitje)
am Hintersteven des Schiffes (Abb. 4^)- Damit er aus diesen beim
Aufstoßen auf Grund nicht herausgesetzt wird, wird sein Kopf durch
einen Strick {tesläma), dessen anderes Ende am Kopfe des Schiffs-
stevens befestigt ist, festgehalten (Abb. 4g).
An seinen »Reiter« angelehnt steht der Mast [Sajjäl, digal) (Abb. 2g).
Sein Fuß ruht in einem schweren Holzschuh [jüis) (a). Dieser selbst
C
c
6
b
c
c 1
c
c
a
ci:>
[z:>
wird durch zwei Längshölzer (b), diese wieder durch Querriegel (c) [mäcri^
mawäcir) am seitlichen Rutschen verhindert. Zwei ähnliche Hölzer
sind auf dem Versteifungsbalken rechts und links vom Mast angebracht,
um dessen seitliches Rutschen zu verhindern. Auf der dem Mast ent-
gegengesetzten Seite des Querbalkens steht in demselben Schuh wie
der Mast ein 11/2 m hoher Stützpfahl {'abid) (Abb. 7), mit dem der
Mast durch eine Verschnürung {/lizäm) (Abb. 7a) verbunden ist.
Zwischen ihm und dem Mast ist mit langen Eisenbolzen [käwija) ein
I m langes Verstärkungsholz [zuyha] (Abb. .7b) auf dem »Reiter«
festgemacht. Mast, Reiter und 'ahid werden außerdem noch mit einer
kreuzweisen Verschnürung [fringijät) (Abb. 7c) miteinander verbunden.
J26 H. Ritter,
Rechts und links vom Mast, in i m Abstand voneinander, laufen
vom zweiten zum dritten Querbalken 2 parallele Hölzer [mesSäjät]
(Abb. 2h). Der von ihnen eingeschlossene Raum wird beim Laden
freigelassen. Besteht die Ladung aus rutschenden Dingen, wie Getreide,
so wird er mit einem Gitter von Holzständern [scäjih) und Binsen-
gefiecht {herdi) dicht gemacht, so daß ein Schacht in der Ladung zu-
stande kommt (Abb. 8). Aus diesem, gamma genannten Schacht wird
mit einem an einem Strick befestigten kleinen Eimer [feimel] das sich
im Schiff ansammelnde Wasser von Zeit zu Zeit ausgeschöpft. In Er-
mangelung eines Eimers erfüllt ein Lappen (Feul), kebüra genannt,
denselben Zweck. Der Raum zwischen /«wwa und Bordrand auf beiden
Seiten heißt had'-a.
Das obere Ende des Mastes zeigt Abb. 9. Etwa 3/4 m von oben
her ist er an beiden Seiten abgeplattet. Dieser Teil heißt jese. Da,
wo die Abplattung beginnt, sitzt der oft aus einer Kette bestehende
Stropp [tög) (Abb. 9 b) für die Wanten (c) {'^umrämje, 'umräfii, ^am,än).
Eine der Wanten ist am Vordersteven als Stag {bewär) befestigt. Die
andern werden auf der Luvseite in die Ringe am Bordrand gesetzt. Sie
sind durch einen einfachen Block [bakra) zu spannen und werden nicht
unmittelbar in die Ringe, sondern vermittelst eines Querholzes {darräk)
an Seilringen (Grummets) [darka) festgelegt, die ihrerseits an den
Ringen befestigt sind (Abb. 2i). Die Länge dieser Seilringe wechselt
mit der Höhe der Ladung. Unterhalb der Abplattung sind in den
durch zwei Backen iluyd) (Abb. 9d) verstärkten Mast zwei große Rollen
[gidüb) eingelassen. Deren Achse heißt sinjir. Auf diesen Rollen laufen
die beiden Falle (e) [henze). Um zu verhindern, daß die Falle in den
Mast eine Rinne {hazz) scheuern, sind zwei kleine Brettchen unterhalb
der Rollen auf ihn aufgenagelt [lö'-be) ^). Ganz oben am Top befinden
sich zwei kleine Rollen für die Treidelleinen (f) {g[q)unnab), bkär awäHl (g)
genannt. Auf dem Top oben steht die Windllagge (h), (Flögel)
{bendera, bei kleineren Schiffen tat). Muß der Mast aus irgendwelchen
Gründen umgelegt werden, so kommt der Fuß auf den Achteraufbau,
der Top {ca'b) auf den Mastschuh zu liegen. Am Nachvornrutschen
verhindert ihn ein bis zum »Reiter« reichendes senkrechtes Brett
(*arrän), welches vor den Top gestellt wird.
Die Takelung ist durchweg die als Lateinertakelung bekannte.
Die lange Rahe {farmal) (Abb. loa) ist oft aus zwei Stücken zusammen-
gesetzt, die etwa i m übereinandergreifen und mit zwei Schnürseilen
aneinandergehalten werden [wasl). Dieses Schnürseil (Abb. lob)
\\t.\Qt seiy.sejäji. Die Verbindung ist durchwein Verstärkungsholz {znyha)
') Diese Erklärung zweifelhaft.
Mesopotamische Studien.
127
(Abb. lOc) verstärkt. In die Schnürung eingeklemmte Klemmhölzer
heii3en g:[q)ine, i[q)ijan (Abb. 66). Die Rahe kann durch eine Stenge
{nahbäs) verlängert werden (Abb. 6e).
Die Befestigung der Rahe am Mäste zeigt Abbildung 10. Um den
Mast herum, liegt ein Kranz von zweimal durchbohrten Hölzern
(Abb. lOd, vergl. 21) {hirze, kiraz), 12 Stück bei mittelgroßen Schiffen, die
an einer Schnur {maltäni) aufgereiht sind. Das eine Ende dieser Schnur
ist an der Rahe, das andere Ende an einem Rack (Abb. lOe), d. h. einer
ovalen Holzscheibe [ragga), festgebunden, die zugleich die Rahe vom
Mast abhält. Die Schnur geht durch das obere Loch des Racks, die
obere Löcherreihe der ^zVa0, um die Rahe herum, in die andere Löcher-
reihe und durch das untere Loch des Racks zurück, wo sie mit ihrem
Anfang zusammengebunden wird. Die ganze Einrichtung heißt gläda.
Um das Gleiten am Mäste zu erleichtern, sind zwischen den hiraz
I — 4 Rollen eingefügt [dahrüg-a) (Abb. 10 f, vergl. 21).
Die Rahe ist an zwei Fallen {henze) aufgehängt (Abb. lOg), die
durch die beiden Rollen am Top und außerdem durch zwei große
Blöcke laufen. Der obere der beiden Blöcke ist beweglich, der untere
ist mit einem Stropp vermittelst eines Grummets (darka) an der Mitte
des hinteren Versteifungsbalkens befestigt. Bisweilen ist dort ein
besonderes, durchbohrtes Holz für die darka angebracht. Dies heißt
dann bedär. Der Stropp, der um die Blöcke läuft, heißt gyrdal. Die
beiden Fallenden, an denen die Mannschaft beim Segelhissen zieht,
heißen migdab, mag-ääib. Sie werden an dem Querholz, das Seilring
und Stropp des Blockes verbindet, festgelegt (Abb. 11). Zum Herunter-
holen des unteren Segelrandes bei gesetztem Segel dient eine ierid
genannte Talje.
Das trapezförmige Segel ist in drei Größen gebräuchlich. Das
größte heißt '■öd, das mittlere wasßni und das kleinste terket. Ganz
große Schiffe sollen noch ein Ballonsegel führen, das bei Wettfahrten
oder auf der Flucht gesetzt wird. Nur erfahrene Schiffer sind in seinem
Gebrauch geübt.
Die Ecken des Segels haben fol-
gende Namen: a: dämen. Ebenso heißt
die daran befestigte Schot, die an einem
der Ständerköpfe des Achteraufbaus
festgesetzt wird und nötigenfalls mit
einer Talje {g-arräj) gespannt werden
kann, b, der Hals, heißt güs. Er wird
je nach der Windrichtung auf der aus
celib, eteme, hesär und ras el-fenne (s.o.)
J28 H- Ritter,
bestehenden Nagelbank festgesetzt. An der oberen Nock der Rahe d
[tarjije) ist ein Tau [ruwese] befestigt, das das Umschlagen der Rahe
bei plötzlichem Windwechsel verhindert. Sie wird mit der Schot zu-
sammen festgelegt. Die untere Nock, c, heißt döhme. Die kleinen Seile,
mit denen das Oberliek [ras ed-durür) an der Rahe befestigt wird, die
Reeleinen, heii3en dirr, durür (Abb. 12). Die rings umherlaufende
Liek myhhije. Der Rand des Segels von a nach d heißt iajra, der von
a nach b dazag. Während des Segelsetzens wird das Segel durch einen
Aufholer, hammäri, in die Höhe gehalten, damit der Steuermann freies
Sehfeld behält.
Stromaufwärts wird das Schiff getreidelt. Dazu dient eine der
beiden durch die Rollen am Top laufenden und an einem der Ständer-
köpfe des Achteraufbaues festgelegten langen Treidelleinen {g{q)u7inah).
Deren freies Ende läuft in eine Zieheinrichtung für 5 — 6 Mann aus.
Diese besteht aus Ziehbändern von etwa 10 cm Breite [türlje, tawäri),
die aus Palmbast {sefife) geflochten sind und von der Mannschaft über
die Schulter genommen werden. Eine davon ist am Ende der Treidel-
leine angebracht, die übrigen sind mit kleinen Nebenstricken {sa^d)
an ihr seitlich befestigt.
Auf der gespannten Treidelleine läuft ein Eisenschäkel, an der
ein Dr-osselstrick {hannädg) befestigt ist, dessen freies Ende von einem
auf der Uferseite des Schiffes sitzenden Manne bedient wird. Zieht er
an, so winkelt sich die Leine nach unten aus, und das Schiff wird mehr
nach dem Ufer zu gezogen.
Zum Stechen und Absetzen vom Ufer dient die mit einem spitzen,
eisernen Kopf [lawwät) versehene Stoßstange (m^r^z), zum Messen der
Wassertiefe eine /latra genannte und von dem hatraci geführte Lotstange.
Ein charakteristisches Wahrzeichen der Schiffe im Irak bildet
ferner der auf dem Vorderdeck, der Back, auf einem Fußbrett {seredän)
stehende Lehmofen {tannür) (Abb. 13). Unten an der Seite hat er ein
Luftloch [rawäg), oben hat er eine kreisförmige Öffnung. Auf ihm wird
Essen gekocht und Brot gebacken, letzteres, indem man. den durch
Hin- und Herschlagen in den Händen zu einem dünnen Fladen ver-
arbeiteten Teig von oben durch das Loch hindurch an die Innenwand
des Ofens anklebt.
Als Beiboot führt die Muhele entweder eine kleine,- giSr genannte
Kuffa (s. u. (Abb. 3 a) oder ein langes, schmales Ruderboot, helem 'isäri
genannt (s. u.), mit sich.
Mesopotamische Studien. I29
Die Schiffe werden meist nach ihrön Besitzern genannt: '^Abbästje,
Rakmänije, Huseinije, Fätimije; doch sind auch andere Namen ge-
bräuchlich: Rahmatulläh, Herlje, Hurrije usw.
Der verantwortHche Führer des Schiffes und der eigentliche
Meister des Schiffergewerbes ist der nö(ä)hde. Ihm steht gegenüber die
gesamte andere Bemannung, die unter dem Namen göge^ malälih
zusammengefaßt wird. An deren Spitze steht der Bootsmann [awwali).
Er zieht beim Treideln an der vordersten Stelle und ist auf dem Tigris
verantwortlich für den Rest der Mannschaft. Wenn einer von diesen
ausreißt, muß er Ersatz beschaffen oder 10 Medschidi bezahlen.
Seine rechte Hand ist der baivwäb, der gleich hinter ihm an der
Treidelleine zieht. Der Rest der Mannschaft steht in gleichem Rang,
doch gibt es unter ihnen einige Spezialisten: der sä'-üd, der, wenn
Tauwerk zerrissen ist, es spleißt oder knotet und auf den Mast entert,
um es einzusetzen,, sowie der Koch, ahci. Zuweilen wird ein Schiffs-
junge, mleia, mitgenommen.
Ist die Mannschaft in Bagdad zusammengebracht, sind die Kurden
mit dem Beladen fertig, und ist vom liman, dem Hafenamt, der Paß
[raftije] eingeholt, so kann, wenn der Wind günstig ist, die Talfahrt
[jerük haddär) beginnen {iarr). Am angenehmsten wird dem Schiffer
der Nordwest, simäli, sein, der fast das ganze Jahr hindurch stetig
weht, während der im Frühjahr oft plötzlich und unerwartet ein-
tretende Südost {ßerg-[q)i) mit seinen Staubmassen stets ein unwill-
kommener Gast ist. Der Wind, der von den persischen Bergen kommt,
wird nach K. D. ^gajfa oder /iwezi genannt. Der Südwest heißt
g[q)ibli. Hseni ist ein Wind, der aus dem Meschhed liusen, aus Kerbela,
kommt. (Dieser Ausdruck soll zwischen Musejjib und Kufa gebräuch-
lich sein.) Ist alles klar, so begibt sich der Führer auf seinen Platz,
das Dach des Achteraufbaues, läßt die Trossen [rbäf) einholen, die
Festmachepfähle {häleS, hawälu [mit langem i] durch einen seitlichen
Schlag [tarrU!) mit dem Holzschlägel [tohmah] lockern und an Bord
holen und endlich die Landebrücke [döse), ein kaum ^/a m breites,
mit Querhölzern dicht benageltes Brett, einziehen. Schon vorher hat
er gerufen: ja sbojän, durrü sirä'-kuml (Kinder, bindet das Segel
an die Rahe!). ' Darauf wurde der Segelsack [jerde) hervorgeholt,
das Segel herausgenommen und mit den Reeleinen an die Rahe geknüpft.
Jetzt begibt sich die Mannschaft an das Ankertau [sebne] und holt
den Anker {enger) empor, um ihn vor dem Bug aufzuhängen. Beim
Hieven des Ankers singt sie einen jener behebten dreihebigen Arbeits-
gesänge {höse), etwa:
130
H. Ritter,
-^§^
V
»Ziehe den Anker, mein Chalil! Mein Schatz brachte mich
um meinen Verstand!« oder: Jömleje seile jömlejel O Herr, mach' es
uns leicht 2)1 oder: Ja Käsim hamminnä boSl Kazim, belade uns
leer! oder: Ja hahl ta'äl ^alejel Komm her, Strick, zu mir!
Dann setzt man vom Ufer ab und läßt sich ein Stück treiben,
bis der Steuermann ruft: SUü\ Heißen! Auf dies Kommando begibt
sich die Mannschaft an die Falle, heißt das Segel und singt etwa:
ims^a rahmatullähl Gottes Barmherzigkeit ist groß! {Rahmatulläh
ist oft auch Name des Schiffes.) Ist das Segel gesetzt, so begibt
sich jeder an seinen Platz an den Fallen und Schoten, und hat
man einen längeren Schlag [ridd, rudüd) vor sich, so wird auf das
Kommando kendir '^aleha d-dämen\ die Schot am Ständerkopf fest-
geknotet.
Kommt der Wind von achtern, so sitzt der Hals am heSär, d. h.
dem Ring am zweiten Querbalken. Wendet sich der Fluß so, daß der
Wind mehr seithch kommt, also gewissermaßen aufschralt, so wird sie
ras el-jenne gesetzt. Bei weiterer Biegung kommt er an den eteme-
Ring, und endlich auf das Kommando cellib el-güsl auf den i^elih. Die
Großschot wandert dementsprechend auf den eine hintere Nagelbank
bildenden Ständerköpfen des Achteraufbaues in umgekehrter Richtung.
Biegt der Fluß noch weiter um, so daß er seiner alten Richtung ent-
gegenläuft und der Wind von vorn kommt, so kündigt sich das durch
Flattern des Segels an [ju^guf). Ist die Stelle nur kurz, so sucht man
mit der kurfi genannten Segelstellung darüber hinwegzukommen. Der
Steuermann ruft etwa: karrif 'alehä swejje, und die Mannschaft holt
Schote und Hals nach dem Mast zu etwa in halbe Höhe des Segels
hinauf und überläßt die Fortbewegung des Schiffes dem Strom. Das
Segel fängt noch soviel Wind auf, daß das Schiff steuerfähig bleibt.
Dasselbe Manöver soll bei Flaute angewandt werden, damit das Schiff
I) Eine Erklärung für diese Form konnte mir niemand geben.
i) Dies soll der Sinn sein. Käzim Dugeili führt a.a.O. III 243 die Formen
ämölesa und möleseüe auf und leitet sie aus mauläja sahhilah ab. Sie hängen wohl
jedenfalls mit gewissen im ganzen Orient verbreiteten Schifferrufen zusammen. Vgl.
z. B. Ä'eieä Szeinlc X, 42 Anm.
Mesopotamische Studien. ] 3 l
nicht querstrom treibt, (Ob die beschriebene Wirkung fachmännisch
einwandfrei ist, wage ich nicht zu beurteilen.)
Ist die Biegung vorüber, so daß das Schiff in der alten Richtung
und mit der alten Segelstellung weiterlaufen kann, so sagt man haumat
el-muhele, d. h. istirähat, sie ist zur Ruhe gekommen. Ist die Stelle länger,
so wird auf den Ruf des Steuermanns: hejje hejje tajjih, tajjikU) das
Segel geborgen, bis die böse Stelle — man nennt sie zgäfa — vorüber ist.
Ein Kreuzen ist mit den Flußschiffen nur in sehr beschränktem
Umfange möglich und wird nur auf kurze Strecken und in der Nähe
des Anlegeplatzes angewandt. Zu diesem Zwecke wird die Großschot
an die Ruderpinne gesetzt, wodurch zugleich das Schiff am Winde
gehalten wird, und der Hals auf den eteme an der Leeseite oder gar an
eine Leewant gesetzt. Diese Stellung heißt lab/i.
Biegt sich der Fluß so, daß die Luvseite zur Leeseite wird, so wird
auf das Kommando hajjir] die Vorderstag losgebunden und die Rahe
herumgedreht, ein Manöver, das etwa unserem Halsen entspricht.
Legt sich das Schiff, vom Winde gedrückt, auf die Seite über,
so sagt man: ^a'-fat el-muhele.
Fällt ein starker Regen, so ruft der Steuermann: höhö ja shojän
hahrije\ »Kinder, macht den Marineknoten!« Darauf wird das Segel
geborgen und unter der Rahe zusammengerollt festgebunden, damit
es nicht zu naß wird. Auch wird wohl ein Regendach [maiigar] auf-
gespannt. Wird der Wind stärker {nawwaf el-hawa), so daß Seegang
{rög) entsteht, so refft man das obere Drittel des Segels weg {ugtul
es-iirä'- basia), oder man läßt es auf halbe Masthöhe herunter {^ellis
es-sirä''\).
Hat das Schiff viel Wasser gezogen, so beginnt es zu rollen [läbat
el-muhele). Ab und zu läßt der Schiffsführer nachsehen, ob Wasser in
der Bilge ist. Ist keines da, so kommt die Antwort: sälimin: »Wir
sind in Ordnung. « Andernfalls wird es mit dem feilem ausgeschöpft
{wahhirl), bis sie trocken ist {leb£-{q)e). Lockert sich eine Want, so wird
sie nachgezogen {dugg el himränil). Ein leichtes Schiff, das auch in
flachem Wasser gut fährt, nennt man beSra. Bei einem Schiffe, das
tiefes Wasser [nemis mai) braucht, ist die Gefahr groß, daß es bei dem
bis zu 5 m Unterschied wechselnden Wasserstande den Grund scheuert
[t^aöcir) oder aufsitzt [sehlet).
Rammt das Boot irgendwo an, so kann es vorkommen, daß ein
Splitter von den Planken abfliegt. Dann sagt man: tärat Shäsa, und
') Der Ruf fajji^, tajjih! ist von übler Vorbedeutung, .denn gar oft wird er dem
aglosen Schiffer vom Ufer aus von räuberischen Muntefiks zugerufen, die ihm das Schiff
ausplündern wollen.
j , 2 H. R i 1 1 c r ,
der Schiffer muß den Schaden reparieren {gatl el-^aib). Das neu einge-
setzte Plankenstück heißt ebenfalls s/iäsa. Eine Muhele, die ohne
eigene Fahrt mit dem Strome treibt, heißt mseise, was besonders un-
angenehm ist, wenn sie in eine Rückströmung {höra) gerät. Liegt sie
vorn zu tief im Wasser [maglüda], so muß die Ladung nach achtern
umgetrimmt werden.
Will der Steuermann, am Ziel angelangt, anlegen {jegaddim,
jewacci > jöci), so sucht er sich einen passenden Anlegeplatz aus, was
zumal, wenn im Hafen ein ganzes Geschwader von Schiffen [kär] liegt,
nicht immer leicht ist. Dann läßt er die Segel bergen, den Anker fallen
und ruft: jUl ed-durür\ fukkül kull dürr mural »Mach die Knoten auf!
Knüpft auf! Jeder Knoten ein Weib!« Haben die Schiffer das Segel
von der Rahe gelöst, so ruft er: cödü isrä'-kum ja ulidil »Faltet das Segel
zusammen, Kinder!« ilzam el-ferde\ »Halt den Segelsack!« Das Segel
wird hineingestaut, der Sack an den Rändern gefaßt und ein paarmal
auf den Boden gestoßen, damit sich das Segel setzt. Dazu singt die
Mannschaft: '■azzehteni ja iäib, jebu Med e9-däih\ »Gequält hast du
mich, Alter (der Nöchde), du mit den zarten Wänglein!« Dann werden
die Pflöcke eingerammt, das Schiff vom celih aus mit der Trosse {rbät)
und nötigenfalls auch noch am Heck mit dem cotläni genannten Tau
festgemacht. Ist der Aufenthalt nur kurz, so toppt man, namentlich
bei kleineren Schiffen, die Rahe, d. h. bindet sie aufrecht an den.Mast
[sallab). Sonst wird die leere Rahe mit ruwesi und ^is in wagerechter
Lage festgelegt^).
Flußaufwärts ist das Fahren beschwerlicher. Die Mannschaft
marschiert der Rangordnung nach, der Bootsmann an der Spitze,
in langsamem Gleichschritt, die Treidel auf der Schulter, das Ufer
entlang und versüßt sich die Arbeit mit dem Gesang:
»O Haidar, dich lasse ich an ihr arbeiten« {imzzam gleich sa/i/iar);
oder: ja sejjid geddak wijjäna: »O Sejjid (damit ist ein Steuermann
gemeint), dein Ahn ist mit uns«; oder: ahne minteslin 'ald llah »Wir
vertrauen auf Gott«, und was dergleichen Sprüchlein mehr sind.
Die Ausdrücke, die Käzim Dugeili a.a.O. anführt, waren meinen Gewährs-
leuten unbekannt oder wurden in anderer Bedeutung gebraucht. Die hier aufgeführten
Kommandos und Bezeichnungen der verschiedenen Situationen stammen von einem Nöch-
den aus Kut.
Mesopotamische Studien. 123
. Der Steuermann sitzt auf dem Dache des Aufbaues und steuert {je-
sakkin). Geht das Schiff zu weit vom Lande ab [fäzat, sähat), so läßt
er die Drosselleine ziehen (s. o.). Gehen die Treidler zu weit vom
Lande ab, so ruft er tarrihl, kommt der Leine ein Hindernis in den
Weg, etwa ein Mast oder ein Baum, so ruft er: ihrizl, worauf das Seil
um das Hindernis herumgetragen wird. Ist es nur niedrig, so kann
man die Leine mit einem geschickten Schwung darüber wegschnellen
{nisifl). Will er den Treidlern noch einen Mann zu Hilfe schicken,
so ruft er ihm zu: ing-izl oder hawwill »Geh' an Land!«. Reißt die
Treidelleine, so wird sie gespleißt [säi/il). Ist dazu keine Zeit, so genügt
ein einfacher Kreuzknoten [sedda). Andere Knoten: terbVa: Web-
leinenstich, Santa: zwei halbe Schläge, 9akar bintä: Fallreepsknoten.
Ist das Schiff nach Bagdad zurückgekommen, so wird abgerechnet.
Die Aufgabe der Schiffsmannschaft ist damit erledigt, sie suchen
Arbeit auf einem andern Schiffe. Von Kut an abwärts und auf dem
Euphrat bleibt die Mannschaft dauernd auf demselben Schiffe und
rechnet nach jeder Hin- und Herfahrt ab. In Kut ist folgende Ab-
rechnung üblich:
Von dem Frachtsatz — von Bagdad bis Basra 5 Medschidi der
iyär — werden zunächst alle Unkosten für Verpflegung usw. abge-
zogen, der Rest [wasta) wird halbiert. Die eine Hälfte erhält der Besitzer
des Schiffes, die andere teilen die Schiffer igöge) unter sich. Der Schiffs-
führer erhält so viel, wie ein Anteil der g-öge beträgt von der dem Schiffs-
eigentümer zufallenden Hälfte. Außerdem gibt der Kaufmann, dessen
Güter befördert werden, ihm noch 4 — 5 Pfund Bachschisch [Serhe).
Der Bootsmann iawwali), Koch und säHid erhalten je einen Medschidi,
der hawwäb einen halben Medschidi, d. i. ein jasmaq, ein Kopftuch,
als Bachschisch. Außerdem liefert der Kaufmann vor Beginn der
Fahrt ein geschlachtetes Schaf. Wenn dieses fehlte, würde die Muhele
unterwegs verunglücken. (Es wird sich dabei wohl um ein altes Opfer
handeln.)
Als besonders berühmte Nöchden nennt Käzim Dugeili a. a. 0.
III 84 yuwedi es-Sälih el-yajjäwi (aus Hai) und yuwedi
el-Kitäwi (aus Kut) auf dem Tigris, und auf dem Euphrat Täfil
ed-Dyäri (aus Dyära nördlich Diwänije). Er soll durch die Strömung
an derHindijesperre gefahren sein, was ihm niemand nachzutun wagte.
Die besten Schiffer kommen nach K. D. aus Lemlün oder Nemnün
(Abu Dschewärir nördlich Samaua, vgl. über den Ort K. D. a. a. 0.
lil 85). Als berühmte Schiffsbauer nennt er am Euphrat: El-Iiägg
Muhammed ibn Qurüf aus Kuweit in Kufa, Erfinder des gurüfi
genannten Bootstyps, und am Tigris ^usen Abu 'Eir. Dieser ist
134
H. Ritter,
vor 15 Jahren gestorben. In Bagdad wurde mir sein Sohn Muhammad
als Fortführer des väterlichen Gewerbes genannt. Neben ihm wurde
mir Tüna el-BaYdädi genannt, etwa 55 Jahre alt. Auf der Alten
Werft ^güdi) in Bagdad arbeitet jetzt Usta 'Ali ibn Selmän
Schähin. Er baut hauptsächlich Brückenpontons (s. u.). Alle drei
wohnen im Stadtviertel Schawwäke.
Als Schiedsrichter in Schiffsangelegenheiten {'ärija) nennt K. D.
a. a. O. am Euphrat den erwähnten Fäfil, Muhcsin el- Tedäwi
und Husen el-IJanzal, am Tigris Sejjid Tähir ibn cl-Hägg
'Abdallah und Däüd el-Öcnäbi. Letzterer wurde mir als Schiffs-
besitzer genannt.
Andere Schiffstypen:
Zum Passieren von flachen Stellen wird die Last auf eine kleine,
5 — 10 m lange muhele geleichtert von derselben Bauart, jedoch ohne
Achteraufbau, die cäje genannt wird.
Eine Abart der muhele ist das sogenannte belem (indisches Wort.?),
nach K. D. zur Unterscheidung von andern Belems belem Hräqi genannt.
Es unterscheidet sich von der muhele durch einen eckigeren Quer-
schnitt und einen symmetrischen Längsschnitt. Es hat auch keinen
Achteraufbau, ist aber sonst von derselben Größe wie die muhele. Die
Steven laufen nicht in Haken, sondern in schneckenförmige Ver-
zierungen aus.
ke'-d ist ein kleines, etwa 15 m langes belem, das mit Asphalt über-,
zogen wird. Es fährt hauptsächlich auf dem Euphrat.
Muhele und belem werden in Basra gebaut und verkehren zwischen
Bagdad und Basra. Neben ihnen gibt es eine Anzahl von Fahrzeugen,
die, schwächer gebaut, an eine beschränkte lokale Zone gebunden sind,
die sie selten oder nie überschreiten. Zu dieser letzteren Klasse gehört
ein Schiff, das in seinem altertümlichen Aussehen den Beschauer tat-
sächlich wie ein Nachkomme der Arche Noah anmutet: das Asphalt-
schiff [seflne g[q)ajjärlje). Es wird in Bagdad gebaut und dient
hauptsächlich dazu, Holz und Stroh aus den Dörfern unterhalb Bagdads
zu holen. Es fährt nicht über 'Azizlje hinaus. Eine allgemeine Vor-
stellung gibt die Abbildung (14)- Es ist etwa ebenso groß wie die muhele,
aber sehr viel roher gearbeitet. Es wird in Bagdad (zu meiner Zeit
in der Nähe der Sultan Ali-Moschee) gebaut, wo die Schiffsbaukunst
noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in Basra. Alle Hölzer sind
gröber und werden, nur oberflächhch bearbeitet, halb im Naturzustande
verwendet.
Dia £-ajjärl je hat keinen Kiel, sondern nur einen einfachen, mandel-
Mesopotamische Studien. 1^5
förmigen Bretterboden [täbyq), der sich bei einem mittelgroßen Schiffe
vorn 7 — 8m vom Ende an langsam bis 2, hinten von 6 m vom Ende an
bis zu 3/4 m über der geraden Ebene erhebt (Abb. 15 u. 16). Der Vorder-
steven, etwa 8 m lang, ist leicht gekrümmt und mit einer hier "^unnq
genannten Schnecke versehen. Der hintere Steven (Abb. 15a) ist
6 m lang und gerade. Quer zur Schiffsachse über dem Bretterboden
liegen die geraden Bodenspanten [cäbeS, cawäbes) (Abb. 15b). Die
geraden Seitenspanten heißen gün (Abb. 15c). Auf den cawäbes liegt
der Länge nach von Steven zu Steven ein Bündel recht krummer und
roher, dicker Balken, g[q)ebte genannt (Abb. IIa). Sie dienen zugleich
als Schuh für Mast und '^abid. Das Material ist fast durchweg ein-
heimisch und schlechter als das in Basra aus Bahrein bezogene säg Holz :
die unter Wasser .liegenden Teile: täbyq und Steven, sowie die Planken
bis eine Elle über dem Wasserspiegel sind aus Maulbeerholz [tut), die
Seitenspanten [gün)' aus dem Holze der Euphratpappcl [yarab) . Die
Querbalken, die bei der ?nuhele suwär heißen, führen hier die Bezeich-
nung gesit, liegen dichter, etwa 15 Stück in einem Schiff und sind
aus Pappelholz gaivag (Abb. 17). Aus demselben Material sind lange
Balken, die längs der Seitenwände auf der Innenseite des Schiffes
entlangliegen [mi/imal, mahämil) (Abb. i ib, 2 la) und die Rahe (/^rwa/).
Der Mast ist aus säg Holz, die Rollen aus Maulbecr. Die Lebenszeit
des Asphaltschiffes ist dementsprechend nur kurz: etwa 12 Jahre,
gegenüber der muhele, die 40 Jahre und darüber erreicht. Ihre Trag-
kraft erreicht 70 000 Hokka.
Das, was der gajjärije ihr charakteristisches Gepräge verleiht, ist
der Asphaltbezug, der alle Ungenauigkeiten des Bohlenbelags mit
einem breiigen, schwarzen Mantel bedeckt (Abb. 18).
Der in Hit gewonnene Asphalt wird in einem rechteckigen, ge-
mauerten Becken [küra], das von unten befeuert wird (Abb. 19), je
nach Wunsch dünnflüssig [sejjäli] oder dick [döse] hergestellt und in
asphaltierten Körben [gujfa) dem g{g)ajjär zugetragen. Zuerst wird
das Schiff mit einer dünnen Asphaltschicht bestrichen, dann mit der
dicken, teigartigen dö^e. Wie der Bäcker den Kuchenteig mit der Rolle,
so breitet der gajjär mit einem «=> förmigen Instrument [sebag, bei
K. D. a. a. O. II 95 söbeäsius persischem ^öbek[q]) auf der zu bestreichen-
den Fläche aus (Abb. 20). Im Sommer wird der Asphaltüberzug w^ich
und das Schiff erhält ein sonderbares, runzeliges Aussehen (Abb. r8).
Der Waschbord [darräb] ist beim Asphaltschiff auf dem Bordrande
festgemacht und wird mitasphaltiert. Die Fuge, ist an einem Wulst
zu erkennen (Abb. 12). Der Bordrand ist mit keinerlei Brett in der
Art der zubedra bedeckt, die Spantenenden [nyül) stehen roh hervor
136 H. Ritter,
und dienen zugleich als Anbindepflöcke (Abb. i8a). Ein Achteraufbau
ist nicht vorhanden, nur ein Verdeck vorn und hinten, ibäya genannt.
Die Bilge ig-amma) wird gern am Vorderverdeck durch Freilassen
eines Zwischenraumes zwischen ihm und der Ladung gebildet.
Der Mast gleicht dem der muhele, nur ist er noch mit zwei Back-
stagen versehen [Sehäwljät), die dicht vor dem Hintersteven rechts
und links an einem der Spantenköpfe befestigt werden.
Das feste Ende der Treidelleine wird nicht direkt an einem Pflock
festgelegt, sondern endigt in einen 'l förmigen Holzhaken {gase), der
seinerseits in einen der Grummets [dräk) am Bordrand eingehängt wird.
Sehr auffallend ist das Ruder [sukkän] (Abb. 18) gebildet. Der
Ruderschaft läuft oben in eine Gabel aus, in der die Pinne ruht. Deren
äußeres Ende kann in verschiedene Sprossen des äußeren senkrechten
Ständers [rise) (Abb. iBb) gelegt und mit einem »Esel« [himär)
(Abb. iSc) genannten Strick festgebunden werden. Ist die Ladung,
auf der der Steuermann oben aufzusitzen pflegt, sehr hoch, so wird
das Außenende tiefer angebunden, damit die Handhabe höher kommt.
Zwei parallele und mit Sprossen verbundene Stangen, die vom Kopfe
des Ruderstevens schräg nach unten zum Ende des Ruderblattes
laufen, heißen duwäjin (Abb. 18 d), eine kleine Stütze rlSe zeyire
(Abb. l8e). Ein Rahmen von 2x2 Balken bildet mit den von ihnen
gehaltenen kurzen, senkrechten Brettern das Ruderblatt [mhaffa] (f).
Andere Boote, die in der Nähe von Bagdad verkehren, oder wenig-
stens zuweilen in Bagdad auftauchen, sind:
Die tarräda, ein etwa 10 m langes, schmales Asphaltschiff. Das
Fischerboot [sammäclje). Es ist ein kleineres Asphaltschiff, nicht
größer als ein gewöhnhches Ruderboot, oft zum Rudern und Segeln
zugleich eingerichtet, von den Fischern bei Ausübung ihres Gewerbes
benutzt. Das Schiff ist vorn überdeckt und asphaltiert, um die feuchten
Netze daraufzulegen.
Zum Übersetzen von Personen von einem Tigrisufer zum andern
dient in Bagdad ein Ruderboot, das sich nicht wesentlich von den bei
uns gebräuchlichen Booten unterscheidet. Es besteht aus Maulbeer-
holz und faßt etwa 7 Personen. Meist ist es mit weißer Farbe {höja,
mayar) angestrichen. Der Sitz der Passagiere ist hinten am Steuer,
doch läuft die Sitzbank bis zu einem Drittel der Länge an beiden Seiten
entlang. Mit den Bänken {dräy, dräyät) läuft ein 10 cm hohes Gitter
auf dem Bordrand entlang [muhag-gar[l]) . Die gitterförmigen Fuß-
bretter (Greetings) heißen Sibhäc. Am Kopfe des Ruders das übHche
Querholz (Joch) [käne] mit zwei Steuerleinen [ge/än, gejätin). Der
Bootsrand wird gegen Abscheuern und Stoß geschützt durch Fender
Mesopotamische Studien. j-iy
{töha). Die Ruderdollen (Zepter) {basämir) ruhen in oft mit Messing
verkleideten Dollenlüchern {bäbüc, bawäbiä). Zwei Löcher in dem kurzen
Vorder- und Hinterverdeck tragen im Sommer zwei l m hohe Stützen
für ein Sonnendach {tente), welches auf einen der Riemen {kerek) aufge-
bunden und in das Loch am Vordersteven senkrecht aufgesteckt,
auch als Segel dienen kann (Abb. 22). Das Belem ist für zwei Ruderer
{balläm, belemöi) eingerichtet.
Es gibt auch Ruderboote für 6 [jüka) oder 8 Ruderer [kik)
(Gig). Diese werden jedoch nur von Paschas, Generalen, Walis
und andern Würdenträgern benutzt und meist von Matrosen [bahrlje]
gerudert. Bei ihnen heißen die Dollen qarmüz [iskarmüz in Mossul,
K. D. a. a. 0.).
Die Belems werden mit einer aus Palmblättern hergestellten Leine
[särije] getreidelt. Eine Boje zum Festlegen heißt semendöra. Kom-
mandos: ZiQhenlig-dif, uhud\ Streichen! seje, ukuä sejel^), Anlegen!
wacäil
Das Rettungsboot der Dampfer heißt gäliböt (jollyboat).
Schiffstypen außerhalb Bagdads.
K. D. führt noch eine Menge von Schiffsnamen mit Beschreibungen
auf, die leider deswegen unklar sind, weil er Namen und Beschreibung
nicht örtlich bestimmt. Beides, Typen und Namen, sind aber in jedem
Orte so verschieden, daß man sich immer nur auf solche Angaben
verlassen kann, bei denen der Gewährsmann die Typen seiner Heimat
beschreibt. Eine Nachprüfung dieser Angaben am Objekt war um so
weniger möglich, als in das Gesichtsfeld von Bagdad nur ein kleiner
Teil der gebräuchlichen Typen kommt. Das eigenthche Hauptgebiet
der Schiffahrt, der Unterlauf der beiden Ströme, blieb der Kriegslage
wegen überhaupt unzugänglich. Ich beschränke mich daher auf einige
Namen und Notizen.
In Basra und im Golf fahren Segelschiffe, die die Ausmaße der
Flußsegler bedeutend überschreiten. Sie haben teils eine Art Yawl-
takelung, so daß hinter dem durch das Heck hindurchgehenden Ruder
ein zweiter, kleiner Mast sitzt, bald drei Masten. An Namen solcher
Typen werden genannt: bayla [hehe] -), büm, büt, sumbuk, dignlje,
bärkai (Barkasse), süH, ^übe (dies nach einer Angabe der von den See-
fahrern gebrauchte Name des von den Basraern bayla genannten
Schiffes). ' . '
^) Über das Türkische aus dem Italienischen.
>) K. D. a. a. O. 111 244.
Islam IX. 10
J38 H. Ritter,
Leute aus Amara nannten als in ihrer Heimat gebräuchlich fol-
gende Namen und Typen:
sejlne gleich muhele.
mas/iüf: ein kleines Asphaltschiff, gebräuchlich zwischen Kurna
und *Ali el-Farbi, von 2 — 3 tyär Tragkraft. maShüf ist nach ihnen
der städtische Name, während die Ma'dän-Araber in denHörs bei 'Amära
dasselbe Schiff bärkaS nennen. Bei denselben Moor-Arabern ist ein
kleiner Kahn namens tarräda in Gebrauch, ein Boot aus Platanenholz
mit Asphaltüberzug, 7 m lang und 70 cm breit, das bis auf 5 cm ins
Wasser sinkt, so daß es bei der geringsten Bewegung kippt und nur
von den darin geübten Ma'dän-Arabern gefahren werden kann. Es
hat weder Mast noch Steuer und wird ohne Dollen aus der Hand ge-
paddelt [yarräf, die Paddel). Hinten sitzen zwei Paddler, vorn am
Bug einer und zwei Mann Besatzung in der Mitte. Jede Hütte in den
Hörs besitzt ein solches Boot. Vornehme Schechs lassen sich ihr Boot
mit einem Sonnensegel bespannen und mit Farbe bemalen. Was dem
Beduinen sein Pferd, ist dem Moor-Araber seine tarräda. Auf ihr
werden Stammesfehden und Schlachten ausgefochten: jedermann legt
Patronen und Gewehr vor sich hin ins Boot, um jeden Augenblick
gefechtsbereit zu sein. Wird ein Stamm geschlagen, so zieht er sich in
größter Eile zurück, wobei er seine flinken Boote selbst über den
schlüpfrigen Lehm hingleiten läßt {tezUg[q)) ^).
Eine kleine Flottille solcher Boote, die zum yazu ausfährt, heißt
riebe.
Ein Asphaltboot mit besonders hohem Vordersteven, von 10 tyär
Tragkraft, zwischen Kurna und *Ali elTarbi, heißt däneg.
Dem Nahverkehr zwischen Amara und dem 6 Stunden davon
entfernten Migarr el-kebir dient ein kleines Asphaltboot mit beweg
Hohem Mast, etwas größer als die tarräda, abüwälim genannt. Die
Überfahrt kostet 2 Kran.
mesik wird eine muhele ohne Achteraufbau genannt.
sammädije ist nach meinen Amaraer Gewährsleuten eine cäje,
die zum Befördern von Palmendünger in der Nähe von Basra in Ge-
brauch ist. K. D. beschreibt sie als ein Boot ohne Mast und Steuer,
das 2 — 3 tyär trägt.
säge (pl. süg), nach K. D. ein 4 — 5 m langes Boot zum'Stechen oder
Paddeln, das 5 — 10 Mann faßt. Meine Gewährsleute beschrieben mir
unter diesem Namen einen bei Basra gebräuchlichen Einbaum von
2^4 rn Länge.
») K. D. nennt das beschriebene Boot mashüf, unter tarräda versteht er III loi
eine wm//?/<; ohne *Arse, die 30 Mann tragen und hauptsächlich auf dem Euphrat fahren soll.
MesopotamischQ Studien. I ^q
calläbije: ein bei den Moor-Arabern gebräuchliches winziges Boot
aus Rohr oder Reisiggeflecht, das mit Asphalt überzogen ist, 1—2 Mann
faßt und zum Jagen und Fischen mit Büchse und Harpune {fäla) dient.
Dasselbe Boot soll auf dem Euphrat z'-eme genannt werden.
Ein etwas größeres Boot derselben Bauart, Hsblje genannt, dient
bei Hit zum Abtransport von Asphalt.
Unter dem Namen gurüfi beschreibt K. D. ein Segelboot, das ca.
40 Mann auf dem Euphrat fährt. Der Name stamme von seinem
bereits genannten Erfinder El-^ägg Muhammed ibn Qurüf aus
Kut, der noch zu seiner Zeit sein Wesen in Kufa gehabt habe.
Über die Schiffsnamen 'abädtje, nigme, kesteri siehe K. D. HI 247.
Ein besonders merkwürdiges Gefährt ist die" Kuffa (Abb. 23)
iM^ff^)- So muß etwa das Körblein gewesen sein, in das der neu-
geborene Mose gelegt ward, denn die Kuffa ist nichts anderes als ein
runder, aus Schilf geflochtener Korb, der mit Asphalt bestrichen ist.
Abb. 24 zeigt einen Kuffabauer bei der Arbeit. Ringförmige,
I cm dicke Bündel aus dem Mlfa genannten Schilfgras werden aufein-
andergelegt und mit Palmblättchen (Ms) miteinander verbunden. Dann
werden Rippen aus Granatapfelzweigen [rüi, stüb) hineingesetzt, die mit
Seil aus Kokosbast [gumbär) angenäht werden. Zum Vorbohren der
Nählöcher bedient sich der Meister einer großen Ahle {mu/ijai), die hin-
ten eine dicke Handhabe aus Aspalt hat. In der Bodenmitte kreuzen
sich je vier, sechs oder mehr Rippen, so daß die Form zweier überein-
anderliegender Bänder entsteht. Davon heißt das obere Band mu'ei-
birijät, das untere faslät. Die Zwischenräume zwischen den Rippen
heißen rgäm.
In halber Höhe der Wandung werden innen mehrere, bis zu 12,
kurze, wagerechte Hölzer [saglät) angebracht, an denen sich kurze
Seilringe [hijjät) zum Festbinden befinden (Abb. 25). Der Rand der
Kuffa [Sijja) wird mit einem aus mehreren Einzelbündeln zusammen-
gesetzten dicken Bündel aus halfa abgeschlossen [tüitle) [Ahh. 25).
Die fertig geflochtene Kuffa wird mit sejjäli und döse (s. o.) asphal-
tiert (Abb. 26). Zuweilen muß der Überzug erneuert werden, dann wird
zuerst der alte Belag mit Holzbränden heruntergeschmolzen und dann
die neue Schicht aufgetragen.
Die großen Kuffas tragen bis zu 6 tyär. Sie heißen ksän, die
mittelgroßen führen den Namen wastäni und die kleinen, nur mit
sejjäli beschmierten den Namen gisr. Sie dienen großen Schiffen gern
als Beiboot. Die Fortbewegung der Kuffa geschieht durch Paddeln.
Wird sie von zwei Kuffaöis gefahren, so nimmt jeder eine Pa.ddel, der
140 ^» Ritter,
eine rudert von vorn schräg nach links, der andere von vorn schräg
nach rechts. Ein einzelner Kuffaci paddelt erst ein paar Schläge nach
der einen Richtung, bis sich die Kuffa im Kreise zu drehen beginnt,
und dann in der andern Richtung, und so abwechselnd fort. An manchen
großen Kuffas hängt man ein kurzes Holz als Fußtritt an zwei neben-
einanderliegenden hijjät befestigten Stricken auf die Außenseite hinaus.
Dieser Tritt heißt tyHäga.
Der Lohn des Kuffacis beträgt nach K. D. III 83 10 Franken
für 4 Tage.
Mit der Kuffa wird alles Mögliche befördert. Wegen ihrer großen
Stabilität sind sie ein vorzügliches Transportmittel für schwere Lasten
(Abb. 27).
Zur Melonenzeit kommen aus Samarra zahlreiche mit dieser
köstlichen Frucht gefüllte Kuffas nach Bagdad herab. Oft schleppen
sie dann noch ein mit Melonen gefülltes Netz {Stha) hinter sich her,
das zur Not auch als selbständiges Fahrzeug dienen kann.
Brückenpontons.
Auf beiden Strömen sind seit alters Schiffbrücken in Gebrauch,
die mit dem Wasser steigen und fallen und von den in einem Brücken-
häuschen wohnenden Wärtern geöffnet und geschlossen, bei starkem
Hochwasser ganz ausgefahren werden.
In Bagdad werden die Brückenpontons augenblicklich auf der
güdi, der alten Werft oberhalb der Qamarijemoschec, gebaut.
Der Bagdader Ponton [gessärlje, duba) zeigt nur gerade Linien
(Abb. 28).
Vorder- und Hintersteven {sadr) sind vollkommen gleich. Der
Brettergrund heißt wie bei der Asphaltsefine täh.yq, die Spanten bezüglich
öäheS und gün, auch die gahte ist vorhanden. Von Stevenkopf zu Steven-
kopf läuft ein kamar genannter Versteifungsbalken, der durch senk-
rechte, auf der gahte stehende Stützen [tikme, tikem) getragen wird.
Die Länge des Pontons beträgt etwa 7 m. Der untere, im Wasser
ruhende Teil des Bootes und i m darüber wird asphaltiert, das aus dem
Wasser herausragende Stück gegen das Schmelzen des Asphalts an der
Sonne durch Binsenmatten geschützt (Abb. 28 u. 29). -
Die Brücke in Mossul ist mit Kähnen eines speziell auf dem oberen
Tigris gebräuchlichen Typs gebaut, der sich besonders durch den hohen
Vordersteven auszeichnet. Abb. 30 u. 31 gibt eine allgemeine Vor-
stellung davon. Ähnliche, 1—8 m lange Kähne sind auch zum Fahren
auf kurzen Strecken in Gebrauch (Abb. 32). Der lange Pfahl [sei^ce]
Mesopotamische Studien. 1^.1
auf dem Heck [cötel) dient dazu, um einen als Steuer dienenden Riemen
durch eine Öse (sagla) aufzunehmen.
Wo keine Brücke ist und die Verhältnisse es gestatten, gibt es
Fähren [me^ebir), die am übergespannten Seil entlang geholt werden.
Es sind bald grobe, einfache Holzkähne mit breiter Einfahrt für Fahr-
zeuge und Tiere, bald (so bei Bakuba) aus Rohr geflochten und asphal-
tiert (Abb. 33).
Von den Fahrzeugen, die durch Wind oder Menschenkraft getrieben
werden, kommen wir zu einer Gattung von Gefährten, die floßartig mit
dem Strome treiben, und bei denen die Aufgabe der Besatzung nur
darin besteht, sie durch Steuern oder Rudern in der Fahrrinne zu halten.
Das auf dem Euphrat gebräuchhche Fahrzeug dieser Art ist das saktür
{öahöür). Es besteht aus einem 7 — 10 m langen, 21/am breiten und i
bis 11/2 m hohen, viereckigen Holzkasten, dessen Boden [farSe] an den
Schmalseiten abgerundet ist (Abb. 34). An den Schmalseiten entlang
laufen je zwei Versteifungsstangen {mi'räs). Die auf dem Boden neben-
einander liegenden geraden Bodenspanten heii3en cawäbeS. Die Fugen
sind mit Asphalt verschmiert. Dicht an der Spitze des Schachturs [ras]
sitzen die beiden Ruderer, die mit langen Rudern {mig-däj) (Abb. 35)
das Boot in der Mitte des Stromes, wohl ab und zu einmal .mch vor-
wärts zu bewegen haben. Am entgegengesetzten Ende {cötel) sitzt der
Steuermann an dem aus einfachen Riemen bestehenden Steuer. Beim
Landen kommt die vordere Schmalseite zuerst an Land. Das Boot
treibt naturgemäß meist quer zur Strömung. Oft werden zwei Schachturs
mit der Längsseite nebeneinander zu einem Doppelschachtur zu-
sammengebunden. Ein solches Doppelschachtur trägt bis zu 10 t
Ladung. Nach der Ankunft am Bestimmungsort wird das Holz ver-
kauft. Nur selten sieht man Schachturs, die hintereinandergebunden
den Strom hinauf getreidelt werden. Die Fahrzeit zwischen Aleppo
und Ridwänije schwankt zwischen 12 und 40 Tagen.
Was für den Euphrat das Schachtur bedeutet, bedeutet für den
Tigris jenes merkwürdige Ziegenschlauchfloß, das uns schon aus Nini-
veer Skulpturen bekannt ist und sich im Laufe der Jahrtausende
gewiß nicht wesentHch verändert hat: das Kelek (Abb. 36).
Daß dies praktische und angenehme Fahrzeug nicht auf dem
Euphrat verwendet wird, hat angeblich seinen Grund in der steinigen
Beschaffenheit des Euphratbodens, der die Schläuche schnell zerreißen
würde. Das heute zwischen Diarbekir und Bagdad auf dem Tigris
gebräuchliche Kelek besteht aus folgenden Teilen: Auf einer Schicht
von 100, 200, 250, 300 und sogar 400 aufgeblasenen und mit je zwei
142 H. Ritter,
I m langen Stricken {ug'ia, ti^äjät n^i^) aus Süßholzfasern [süs)
zugebundenen Ziegenhäuten {J-{q) eräb) , Wegen (so beim 250-schläuchigen
Kelek) fünf 6 — 10 cm dicke und 10 Ellen lange Stangen aus Kawakholz
{cig, ^ijäg). Darauf ruhen quer 30 aus je zwei Teilen zusammengesetzte
Rohrbündel in 40 cm Abstand voneinander [mwädid). Die Bündel sind
mit Sbät genannten Weidenruten zusammengebunden, die Knoten
heißen Sedäid. Der offene Rand dieser Schicht wird durch zwei eben-
falls aus je zwei Teilen der Länge nach zusammengesetzte weitere
Bündel [rUe) abgeschlossen.
Darüber liegen quer 7 15 cm dicke Stangen, so daß je eine
Stange im Grundriß zwischen zwei cigs zu liegen kommt. Sie
heißen kesid. Quer hierüber liegen wieder 8 aus zwei Stücken
zusammengesetzte Querstangen [mahämil). Darüber liegen eventuell
wieder quer 7 '-ardmii genannte und darüber 8 sillam genannte
Stangen (vgl. Abb. 2>7)- Sollen Personen befördert werden, so wird
auf dies Gestell reichlich Schilf ausgebreitet und ein oder zwei kleine
Häuschen (Holzgestell mit Mattenbezug {'arJe) daraufgestellt, die sich
der Reisende je nach Wunsch mehr oder weniger behaglich einrichten
kann. Sogar ein kleiner Ausbau mit einem primitiven adahhäne
pflegt nicht zu fehlen (vgl. Abb. 38).
Je nach der Größe des Keleks befinden sich darauf 2 — 6 Ruder
{migdäj). Deren Blatt besteht aus mit Ziegenhaarfäden nebeneinander-
gebundenen, der Länge nach gespaltenen Schilfrohren {sabbe, sbäb).
Die Art der Bindung zeigt Abb. 39. Die kleinen Klemmpflöcke heißen-
g-[q)me g[q)ijan. Als Dolle dient ein bis zu i m hoher Stab, secöe genannt.
Er erhält eine halbbogenförmige Stütze aus Weidengeflecht [karäim)
(Abb. 39). Ein aus einem gebogenen Rohr mit einem Stück Schlauch
hergestellter Löffel [rassäs) (Abb. 40) dient dazu, in heißen Tagen,
die oben austrocknenden Schläuche zu begießen. Lockert sich unter-
wegs der Verschluß eines Schlauches, so wird er vermittelst eines Stücks
Rohr von neuem aufgeblasen und zugebunden.
Wenn nach der Ankunft in Bagdad die Last von den Kurden
abgeladen worden ist, entfernt man die Hölzer und nimmt die Schläuche
heraus, um sie alsbald zu »töten« [mawwitl] (Abb. 41), d. h. ihnen die
Luft abzulassen, sie zu trocknen und mit Salz und dbäy, d. h. ge-
stoßener Granatapfelschale, einzureiben. Sie halten sich dann 1^2
bis 2 Jahre. Der Kelekci lädt sie dann auf Esel und kehrt heim nach
Tekrit, Mossul, Altunköprü oder wo er sonst zu Hause ist.
Die Kelekfahrt kann sehr angenehm sein. Zur richtigen Jahreszeit,
also etwa im Februar, März oder im Oktober, gibt es keine bequemere
Reise, als aufdem geräumigen Kelek {gy^y m) den Tigris hinabzu-
Mesopotamische Studien. I^^
gleiten, das sich wie elastischer Gummi über alle Unebenheiten des
Stromes hinwegschmiegt. Die Ruderer {tarräk, eingeteilt in einen ras
tarräh und einen dün) brauchen nur das Kelek in der Strommitte
zu halten, und der Reisende hat nichts zu tun als ihnen zu- und die
Landschaft, die ihm das sich beständig langsam um sich selbst dre-
hende Fahrzeug von allen Seiten zeigt, anzusehen. Abends legt
man an, um zu übernachten. Nur in mondhellen Nächten kann man
auch nachts weiterfahren. Der größte Feind der Kelekcis ist, ebenso
wie der ihrer Kollegen vom Schachtur, der Wind, zumal, wenn
die hohe *Ar§e ihm eine breite Angriffsfläche bietet. Er treibt das
Kelek unfehlbar ans Ufer, wo der Reisende oft tagelang auf besseres
Wetter warten muß. Hat man Hochwasser, keinen Wind und Glück
[taufiq], so kann man von Dschezire bis Bagdad in 20 Tagen kommen,
wenn nicht, so in 40 oder 50 »so Gott will«. Die Fahrzeit von Mossul
nach Samarra schwankt zwischen drei und 10 Tagen.
Der Kelekci besitzt als festes Betriebsmaterial nur die Schläuche.
Der Sack kostet ihm yY^' — 10 Piaster. Das Holz für das Balkennetz
kostet ihm bei einem 200- bis 250-schläuchigen Kelek etwa 4 Pfund.
In Bagdad verkauft er es mit Schaden um etwa 7 Medschidi. Sein
Gewinn besteht in dem Frachtgelde, das auf der Strecke Altunköprü
bis Bagdad etwa 15 Medschidi auf 2 t beträgt. Ein Kelek mit 250
Schläuchen trägt bis zu 6 fyär (12 t). Zuweilen werden zwei Keleks
mit den kurzen Seiten zu einem fäg zusammengebunden.
Ein ganz primitives Floß {töf) aus roh zusammengebundenen
Hölzern, auf dem ein behelfsmäßiges Segel aufgespannt werden kann,
zeigt Abb. 42.
Auf dem unteren Tigris sieht man auch Flöße, die in einfachster
Weise aus zusammengebundenem Schilf hergestellt werden. Man nennt
sie iäie. Dieselbe Bezeichnung führt übrigens auch der aus zwei Stücken
kerih (das korkartige Holz an der Ansatzstelle des Palmblattes) zu-
sammengesetzte Schwimmgürtel der Bagdader Jugend.
Zum Übersetzen einzelner Personen dient endlich ein einfacher
oder doppelter aufgeblasener Ziegenschlauch, der den ganzen Ober-
körper trägt. Diese Methode ist uns schon aus dem grauesten Alter-
tum durch assyrische Skulpturen und Xenophons anschauliche Schil-
derung bekannt (Abb. 43).
Wieweit jemals moderne Fahrzeuge die beiden Ströme erobern
werden, steht dahin. Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, daß die
alles überschwemmende abendländische »Kultur« auch mit diesen ehr-
würdigen Resten der Vorzeit aufräumt.
Mossul, im April 19 17.
Die Gottesliebe in der islamischen Theologie.
Von
Ignaz Goldziher.
1. Die Forderung der Gottesliebe als des höchsten Strebe-
ziels religiösen Lebens wird von den Theologen des Islams ge-
wöhnlich an Koran 2, i6o; 3,29; 5,59 entwickelt. Der angesehene
^äfi'it Ibn Surejg (st 306 h.) determiniert, mit Berufung auf 9,24,
die Erfüllung dieser Forderung mit dem für unerläßliche religiöse
Pflichten gebräuchhchen Terminus far^^), der den höchsten Grad
religiöser Verpflichtung bezeichnet.
Damit ist freiüch nicht die Formulierung gemeint, die dieser
Begriff im Süfismus findet und die sich auch in der süfischen Übung
betätigt. Es wird dabei sicherlich nicht an eine psychologisch-ethi-
sche Beziehung gedacht. Vom Standpunkt des Ibn Surejg aus
kommt die Gottesliebe als obligate gesetzliche Leistung in Betracht,
die sich durch /«*«, Gehorsam gegen das göttliche Gesetz, bekundet.
Vielmehr ist eben in zwei Kreisen der Vertreter islamischer
Theologie scharfer Widerspruch gegen die süfische Fassung der
mahabbat Allah, zumal gegen ihre Steigerung zum '■isk hervor-
getreten: erstlich im Kreise der formalistischen fiikahä; dann in
einer Gruppe der einseitigen Ä^/äw-Anhänger.
2. Die Gesetzesleute standen in schroffem Gegensatz gegen die
Tendenzen und Ideale des Süfismus. Nach allem, was wir von
ihrem ablehnenden Verhalten gegen letzteren wissen-), können wir
leicht folgern, daß die süfische Art, Gott als innigen habib'i) zu
empfinden und als solchem die Vereinigung (ivisäl) mit ihm anzu-
streben, über den religiösen Horizont jener Leute geht und ihr
Widerstreben hervorrief. Diese Ablehnung wird von Gazäli wieder-
') JRAS 1912, 557.
*) Vorlesungen über den Islam 174. Man vergleiche nur die Hetze der ftikahä
gegen 'Omar b. al-Färid bei Ibn Ijäs, Td'rTch Misr II 119 — 121.
3) In der türkischen Süfik ist dostum oder järim s. v. a. Gott. Vgl. Jacob, Vor-
träge türk. MeddaKs 78. Anm. M. Hartmann in MSOS V/II 149 (Hüwedä Nr. 51,6, 7).
Die Gottesliebe in der islamischen Theologie, j^ c
holt in scharfer Polemik gegen die» Vertreter derselben bekämpft,
gegen »jene '■Ulamä, welche die Möglichkeit der Gottesliebe be-
streiten und glauben, daß sie keinen anderen Sinn zulasse als das
Ausharren in beständigem Gehorsam gegen Gott, während eigent-
liche Liebe nur zwischen Wesen gleicher Art möglich, anderenfalls
eine absurde Voraussetzung sei« ^). »Die Gottesliebe wird nur von
denen abgelehnt, die in ihrer Beschränktheit auf der Stufe des Viehes
stehen bleiben und die bloße Sinnenerkenntnis nicht überschreiten« 2),
Indem G. selbst alle Liebe in der Gottesliebe als ihrem einzigen
wahren Ziel und Höhepunkt aufgehen läßt 3) und jede andere Rich-
tung derselben als wesenlosen Schein auffaßt, stellt er dieser Über-
zeugung als Gegensatz gegenüber die der »Leute von schwacher
Vernunft und schwachem Herzen, die für Wahrheit halten, daß es
absurd sei, die Möglichkeit von Gottesliebe vorauszusetzen« 4),
Gazäli denkt hier gewiß an den Kreis von Vertretern der Or-
thodoxie, die er gern als '■ulamä al-rusTwi 5) verhöhnt, eine Bezeich-
nung, die er für an den Formen haftende Scheingelehrte 6) zu ge-
brauchen pflegt, vielleicht auch zuerst geprägt hat. Gegen sie ist
auch das Urteil des Sihäb al-din al-Suhrawardi gerichtet. In
seiner Abhandlung über den süfischen Begriff der Gottesliebe unter-
scheidet er zwischen allgemeiner, d. h. etwa vulgärer {al-niahabba
al-'-ämmd) und besonderer Liebe [al-ni. al-chässa). Erstere bekunde
sich in der Befolgung der (göttlichen) Befehle und Verbote (also in
I) Ihjä (Büläk 1289) IV 281, 13.
ibid. 284, 3.
3) ZDMG. LXIX 195, 34.
4) Ihjä IV 288, 6.
5) S. die Streitschrift gegen die Bätinijja-Sekte 104. Sie werden von Gazäli auch
mit der Partizipform als mutarassimüna bezeichnet; z. B. Ihjä I 49, 18: 15JJI l*Jl
^^^^"^ (*^^^ O'' "^^ ^jr^^^\ ^^ 99,7 v.u. iUXjs^Jt^ ♦JLxJI ^\ J.s! L/15
6) rasm Gegensatz zu hakJka, Ihjä I, 126, 13: ..^jiAil ^^A (^,c\.it "^J^
iJJSL^SLS^ U*;;'-^^^ i"*^' *.**v^; n 238, 5 V. u.: _-^^l) «^lifiJI \ö^ ^A (j*;JsJ^ «As 31
vgl. AgänT XX 105, 5 in einer Chärigiten-chutba : i-Asb *X-ö q-juNJ! *-w. ^i>j|^
l ^5 I g n a z G o 1 d /. i li e r ,
der bloßen /ä^i), letztere in den süfischen Bestrebungen. »Ein Kreis '
der weltlichen '■iilaniä (LJjJ! iuic ^ KaJLl-») mißbilligt das auf
die besondere Liebe gerichtete Streben der jenseitigen Zielen
'zugewandten '^ulaniä ^»^^i| i^UJLc) ^)-
Wie dieser äußerste Flügel der starren Buchstabenorthodoxie
dem Begriff der Gottesliebe gegenübersteht, wird uns vom Han-
baliten Ibn Kajjim al-6auzijja in seinem Werk über das Prä-
destinationsdogma in Form kontradiktorischer Verhandlung der Ver-
treter verschiedener Anschauungen über diesen dogmatischen Frage-
punkt vorgeführt 2). Dabei werden auch andere Unterscheidungs-
fragen der islamischen Glaubenslehre berührt. Dem Anhänger des
unbeugsamen Determinismus [gabrt) wird im Laufe dieses Meinungs-
austausches die Behauptung vorgeworfen, »daß Gott weder liebe noch
gehebt werden könne, und daß die Herzen ihre Frömmigkeit nicht
betätigen durch Liebe, Sehnsucht und Suchen (Gottes) und das Stre-
ben nach seinem Angesicht« \^y\js)j\ ^.^iJo ^li v-,*~:>^o ^^ v'-^ ^ *J5
Dies wäre der Standpunkt der extremen Orthodoxie.
3. Die Festlegung der z^wä'- Orthodoxie ist auf den meisten Ge-
bieten das Ergebnis von Kompromissen zwischen den lange Zeit in
erbittertem Kampfe stehenden Theologenparteien. So wie der Streit
der akl al-hadlt gegen die ahl al-rd^j seine Vermittlung im System
des Säfi'i gefunden hat; wie der Kampf der Orthodoxie gegen die
MuHazila durch die sieghafte, im igmä'- durchgedrungene Vermitt-
lung des As'arl beigelegt wurde: so ist auch in der Frage der
Gottesliebe eine vereinigende Brücke nach dem Süfismus hin ge-
schlagen worden. Diese Ausgleichung geschieht unter der Formel
der Vereinigung der hakika und der sarVa, die sich bereits in früher
Zeit von beiden Seiten aus vorbereitet 4), um vom 6. Jahrhundert an
vorzüglich unter dem Einfluß der Gedanken des Gazäli eine vor-
herrschende Stellung zu erringen.
Man könnte für diese Tatsache kein bezeichnenderes Beispiel
anführen als das des soeben genannten Sams al-dln ibn Kajjim
') '■Awärif al-tna'-ärtf. Kap. III (a/R. d. Ihjä I 126, 13).
*) Sifä al-'altl ft masä'il al-kad)- 7val-hikma -wal-ta'-lil eä.t:i2i^a.sä.r\.i (Kairo, matb.
Husejnijja 1323). Eine Inhaltsangabe des seinerzeit noch ungedruckten Werkes
gibt A. DE Vlieger, Kiiäb al-Qaar (Lausanner Dissertation, Leiden 1903) 118 ff.
3) Ibn ^ajjim al-öauzijja 1. c. 139.
4) Man sehe das bezeichnende Beispiel des Abu 'All al-Takafi (st. 328), der den
Süfismus in Nisäbür einführte, bei Subki, Tab. Sä/. 11 172—174.
Die Gottesliebe in der islamischen Theologie. I 47
al.-6auzijja. Trotzdem er einer der Träger der durch seinen Lehrer
Taki al-dln ibn Tejmijja') angebahnten hanbaHtischen Renais-
sance im VII. — VIII. Jahrhundert d. H. ist, sehen wir ihn, wie dies in
seiner Vita in den Tabakät al-Hanäbila seines Schülers Ibn Regeb
reiehhch bezeugt ist-), süfischer Forschung und Übung ergeben. Er
beruft sich auf a^immat al-tasatvivufi) und ist selbst Verfasser süfi-
scher Werke 4) . Es kann uns demnach nicht überraschen, daß dieser
Hanbalit in der Darstellung des Begriffs der Gottesliebe den Ge-
dankengang der Süfis beschreitet. Dem ablehnenden Standpunkt
des gabrt stellt er das Bekenntnis des sunni als das des richtigen
traditionsgetreuen Muslims entgegen. Danach komme das Einheits-
bekenntnis im Zusammenwirken zweier Faktoren zum Ausdruck: im
Bekenntnis der .Gottesmacht {al-Uähijjd)s) und in der Unterwürfig-
keit des Menschen unter dieselbe {cd-'-ubiidijjd) 6). Ersteres würde
aufgehoben werden durch die Ablehnung davon, daß Gott Gegen-
stand der Liebe, daß diese sowie das Streben nach der Begegnung
mit Gott die Sehnsucht der Herzen sei. Andererseits würde auch
letztere (Unterwürfigkeit) aufgehoben durch die Ablehnung davon,
1) Dieser selbst spricht mit Sympathie von den süfijjat ahl al-'-ilm (wieÖunejd,
Ma'rüf al-Karchi, Sulejmän al-Däräni und viele andere, die er mit Namen
nennt); seine Gegnerschaft bezieht er nur auf die süfijjat al-malähida, wie Ibn al-
'Arabi und seinesgleichen. {Magmü'-at al-rasä'il al-kubrä\K^a.iTO 1323] I 273; II 95 ff.;
al-Furkän bejna aulijä al-Rahniän wa-aulijä al-Sejtän [Kairo o. J.] 56.) Ibid. 96 über
höhlenbewohnende Asketen (vgl. zu Islam VIII 204) und rigäl al-gajb, wo die topo-
graphischen Angaben über solche Höhlen in Syrien und Persien bemerkenswert sind.
2) Vorgedruckt der Kairoer Ausgabe des riäm al-muwakka^Tn (nicht al-niu-
waffakin, wie Brockelmann \\ 106 Nr. 6 und in meinem Artikel Ahmed b. Han-
bai in der Enzyklop. d. Islam I 200 b 5, wo auch das unrichtige AHäfn zu ver-
bessern ist) '■an rahb al-'älatmn. Dasselbe ist parallel mit desselben Verfassers escha-
tologischemi Buch HädJ al-arwäh ilä biläd al-a/räh, durch Faragalläh Zeki al-Kurdi
1329 (Kairo) in 3 Bänden, 4°, herausgegeben. Von seinem Verhältnis zum Süfismus
sagt Ibn Regeb (5 ult.): lX-o-I^JI^ (3^'^^' O"* C"t^ V^^r^ >^ i}^*'^^*^
3) HädJ al-arwäh II 136.
4) Ibn Regeb zählt deren mehrere auf; der bei Brockelmann 1. c. Nr. 30 re-
gistrierte Kommentar zu den il/ß««3// a/-jä'/rr» hat den vollen Titel : ^xXJlas.^J) ^ JiJ^a
5) Sonst gewöhnlich: al-rubübijja.
6) Süfische termini; vgl. Vorlesimge?i über den Islam 173, R. Hartmann, AI-
Kuschairis Darstellung des Süfituins, Index s. vv. Der Verf. benutzt diese termini
häufig, z. B. noch Pläm al-f/i. II 240, III 68, 7.
jjg IgnazGoldzihcr,
daß der Mensch selbsttätig, dienend und (Gott) liebend sei und durch
die Annahme, daß alle (auf die Gottesliebe) bezüglichen Ausdrücke
des Korans in uneigentlichem Sinne zu verstehen seien. »So ginge
denn das Einheitsbekenntnis verloren zwischen dem (Glauben an)
gabr und der Ablehnung der GottesHebe, ganz abgesehen davon,
daß die Attribute, die der (Gabrit) ihm beilegt, den Herzen be-
fremdlich sind und eine Scheidewand bilden zwischen diesen und
der Liebe zu Gott (er meint die Auffassung Gottes als despotisch
willkürliches Wesen« ^).
Es wäre im Interesse einer gründlichen Belehrung über den
Geist des hanbalitischen Systems wünschenswert, die theologische
Richtung dieses Vorkämpfers der Schule in ihrem vollen Zusammen-
hange darzustellen. Derselbe hat im fikh seinen hanbahtischen Sunna-
eifer mit überraschend freisinnigen Grundsätzen zu verbinden ge-
wußt, die für ein besonderes Kapitel der Gesetzeskunde der moderne
ägyptische Jurist Mahmud Fathi behandelt hat 2).
Man wird bei eingehender Prüfung der Gesichtspunkte dieses
hanbahtischen Theologen seine Beeinflussung durch Ideen des Ga-
zäli nicht übersehen 3), auf den er sich, trotz der Geringschätzung,
mit der ihn die Hanbaliten und besonders sein Lehrer Ibn Tejmijja
behandeln 4), bei gegebener Gelegenheit in ganz sympathischer Weise
J) Stfä al-'-atll 139.
>) La doctrine musulmane de l'abus des droits (^Lyon-Paris 1913 = Travaux du
Seminatre Oriental d'Efudes jtiridiques et sociales publies sous la direction de Edouard
Lambert, fasc. i) J05— 216. Der Verf. benutzt vom riäm die Ausgabe Dihli 1314
in j Bänden.
3) Da diese Frage vom Gegenstand gegenwärtiger Studie weit abliegt, beschränken
wir uns beispielshalber auf die Erwähnung zweier Einzelheiten. In seiner Abhandlung
über die berechtigten Typen der Analogieschlüsse im ßkh {I'-läm al-muwa^ka'-m I
158 ff.) befolgt Ibn K. al-G. die im Kistäs durchgeführte Methode des Gazäli, nur
solche zuzulassen, deren Vorbilder aus dem Koran nachweisbar sind: j^ ^\-^:>UajL5
iJjS lUb ^i^t 15'-^' iM^Tt^'*-^^- ~" ^^^ ^" verschiedenen Variationen von ihm oft
wiederholte und angewandte Grundsatz >_,a..w.^^ LpXCr>)_»| ^^^LÄÄJ) j>:-t^i ^5
jJl^l^ oLJIj ^\y:>-^\^ ^JX/l^il^ iwoj^l JjCi (z. B. Pläfn III 27) erinnert
an den des Gazäli {IJij'ä IV 279, 6 v.u.) ^\y>^\ O^Ui>b odXjJ^J liUö ^^^)
OlL-Ü^ ijoL.:^U;^U. Wir bemerken, daß dem Hanbaliten des XIII. Jhd.'s Chr. die in
der Gesetzesauffassung des modernen Islams zur Geltung gelangenden Grundsätze
{Die Welt des Islams V 135) bereits ganz geläufig sind.
4) Vgl. ZA, XXII 321.
Die Gottesliebe in der islamischen Theologie. j^q
als Gewährsmann beruft 0- Er rühmt ja auch den fakih alnafs^)
und spricht im Gegensatz gegen das im Buchstabenkultus erstarrte
Gesetz (al-gämid) vom »lebendigen fikh, das ohne besondere
Bitte um Einlaß Eingang in die Herzen findet« 3). Der Begriff der
über die Oberfläche des Gesetzes hinaus zu erfassenden asrär al-
sar'') ist ihm ebenso geläufig wie dem Gazäli; freilich nicht in
der Bedeutung, die die Mystik dem »innern Sinn« des Gesetzes gibt,
aber jedenfalls als die tiefere Absicht, die dem Gesetz innewohnt'
»dessen Verständnis nur Leute mit weiter Vernunftbegabung er-
tragen, die in das Innere des Gesetzes und seiner Absichten blicken
können; hingegen mag er sich nicht einlassen mit Leuten, deren
Vernunft nicht mehr Fassungsraum hat als für das Nachbeten nach
Menschen [iaklld], zu deren Gefolge sie durch Zufall gehören, und
wegen deren Meinungen sie die Lehren aller übrigen Vertreter des
Wissens verschmähen« 5).
Durch diese Überschreitung der Grenzen gegenwärtiger Studie
sollte nur darauf vorbereitet werden, daß Ibn Kajjim al-Cauzijja
auch hinsichtlich der Gottesliebe durch Gazäli beeinflußt ist. Be-
reits der Argumentation, die sein sunni gegenüber dem gabri ent-
wickelt, konnten wir anmerken, daß er ersteren die bloße /«VForde-
rung überschreiten und ihn der §üfischen Bestrebung annähern läßt.
Viel eingehender spricht er sich darüber aus in einer seinem Buch
über die Liebe ^^) einverleibten Digression, in der jeder, der die Dar-
stellung des Gazäli im 6. Buche der vierten Abteilung des Ihjä
kennt, dessen Ideengang und Terminologie wiederfinden wird.
Wenn er auch von der Auffassung ausgeht, daß Gottesliebe
sich zunäch st im Gehorsam gegen Gott kundgibt?), begnügt er sich
I) riäm al-muwaUa'tn III 466 Exzerpte aus einer Gazäli -Schrift zur Be-
kräftigung seiner Gesinnung über ta'wJl und kaläm.
») ibid. III 63,8 ^i U 4^ÄJ XxääJI ^<^3 oj^l L« ^_^äj ^ftJI i,j^5.
Vgl. die Streitschrift des G. gegen die Bätinijja-Sekte 104 f.
3) rimn III 70, 7: ^jlj^^l ^^, ^UJt J.:^ Js.i>J.j ^jJi J^Jl xääJ!.
4) ibid. II 170; 240; III 51, 2 u. ö. Auch von Ibn Tejraijja, der das taklid
ebenso verschmäht, zitiert er II 149 einen von asrär al-sar'- handelnden Passus.
5) ibid. III 374: •i.s^SylS ^j.ÄxJ! •% L.^Ux-^j bi ^JLi^l^ ^.^^(^J! bA^3
».x^ ^ibCJI (j^Ji ^J^äJ ^i*Jt J^Pl ^A*> ^j'S^ »lXJLöj ^J fJj.ä-S\ ^^ lX^Uj j>Jü.
6) al-Gawäb al-käft liman sa'>ala '■an al-daivä al-säft (Kairo, matb. al-takaddum
o. J.). Vgl. ZDMG. LXIX 196.
7) Vgl. Ihjä IV 30, 13 V. u., 524 M.
ICQ Ignaz Goldziher,
mit dieser äußerlichen Forderung nicht, stattet vielmehr den Begriff
der Gottesliebe mit innerlichen Momenten aus. Er definiert sie (in
Übereinstimmung mit Gazäll)^) als. Sehnsucht nach der Begegnung
mit Gott {likä Älläh) -). Die in solchem Streben sich bekundende
Seelenstimmung nennt er »das Leben der Herzen und die Nahrung
des Geistes ; außer ihr habe das Herz keinen Genuß, kein Wohl-
gefühl, keine Seligkeit und kein Leben. Ist sie vom Herzen ab-
wesend, so ist sein Schmerz größer als der des Auges, dem das
Licht fehlt, als der des Ohres, dem die Gehörkraft, als der der Nase,
der der Geruchssinn, und der der Zunge, wenn ihr die Sprachfähig-
keit mangelt. Der Schade des Herzens, das leer ist von der Liebe
seines Hervorbringers und Schöpfers, ist größer als der des Körpers,
der vom Geist verlassen ist. Dies kann nur der begreifen, der wirk-
liches Leben besitzt; der Tote fühlt den Schmerz der Verwesung
nicht« 3). Er stellt — dm als Gehorsam und Unterwürfigkeit deu-
tend — einen Unterschied fest zwischen dem äußerlichen [al-dm al-
zähir) und dem innerlichen dm [al-d. al-bäti7i). »Bei letzterem sei,
gleichwie bei der gottesdienstlichen Leistung, Unterwürfigkeit und
Liebe unerläßlich, während jenes nicht notwendig von Liebe be-
gleitet ist, wenn sich auch dabei Gehorsam und Demut kundzugeben
scheint« 4). In fortgesetzter Darstellung des ö^f;/-Begrififes kommt er
noch zu einer anderen Differenzierung desselben. Es gebe einerseits
dtn sar^i wa-amrt, Gehorsam, der sich lediglich in Unterwürfigkeit
unter Gesetz und Befehl kundgibt, andererseits dm hisäbi gazfft,
wobei man die dereinstige Rechenschaft und Vergeltung vor Augen
hat. Schließlich gelangt er zum Resultat, daß die Wurzel beider
Arten der ReUgionsübung die Liebe sein müsse: J.i' ^^\ Kx^^^it^,
Indem Ibn K. al-G. im letzten Resultat auf den ideellen Stand-
punkt des Gazäli hinauskommt, kann er wieder als getreuer An-
hänger des Ibn Tejmijja sich nicht versagen, die exzessive Art der
') Gawah 141.
*) Freilich faßt er im Hädi al-arwäh II 151 diese Begegnung in sinnlicher Weise
als wwaxJ) ä.äjLxxi auf; damit hat sich übrigens auch Gazäli abgefunden.
J) Gawäb 168.
4) ibid. 148, ro äjLjiJlJ' .«^^1^ c.y:a^\ ^a ü^i t\J ^ q-^^J! ^uXJI^
333 oLaäjI ».jp i^.jLi' j^.,!^ w^-.i^Ji (»jJ^-^.J ^ *-J^5 j9'llh}\ ^jjJ! O^Ü^ü p!_j-w
Die Gottesliebe in der islamischen Theologie. I q I
äußeren Bekundung der Gottesliebe, wie sie sich im Süfi-Wesen dar-
stellt, in andeutender Weise zu mißbilligen. In seiner sprunghaften
Art, das Thema der Gottesliebe mit seiner Auseinandersetzung über
sinnliche Liebe (dem eigentlichen Vorwurf des Gatväb al-käfi) zu
verflechten, stellt er einmal einen Unterschied fest zwischen löblicher
[mahabba inahinüda), für das diesseitige und das zukünftige Leben
heilsamer und zwischen tadelnswerter Liebe [in. madinümä), die vom
Menschen durch Unwissenheit und gegen sich selbst geübte Ungerechtig-
keit verursacht wird. Dieselbe sei zusammengesetzt aus falschen Glau-
bensvorstellungen und verwerflicher Leidenschaft {{^jS>^ iAa^Ls oLäXtl
»yojo«). »Es vereinigen sich dabei verworrene, Wahrheit und Irrtum
vermengende Vorstellungen; unwahre Begriffe hinsichtlich des Gegen-
standes der Liebe und der Sehnsucht nach Vereinigung mit ihm
werden vorgespiegelt und überwältigen das Heer der Vernunft und
des rechten Glaubens.« Während die Kundgebungen der löbhchen
Liebe, Weinen, Traurigkeit, Freude, Beklemmung und Erleichterung
die Seligkeit fördern, deren Wahrzeichen sie sind {^imwän al-sa'-ädd),
sind die begleitenden Erscheinungen der verwerfHchen Liebe Zeichen
der Verdammnis {hrnwän al-sakäwä). »Über diesen Unterschied sollte
der aus Liebe sich dem Tode Weihende [katil al-mahabba) in rich-
tiger Weise nachdenken, damit . er erkenne, was ihm heilsam und
was ihm schädlich ist« ^).
Diese Klausel läßt keinen Zweifel daran, daß die ihr voraus-
gehende Darstellung eine Kritik der ausschweifenden Süfi-Praxis-)
beabsichtigt und gegen schwärmerische Erscheinungen gerichtet ist,
deren Schilderung in den Erzählungen über süfische Gottesliebe in
großer Anzahl wiederkehrt. Auch gegen Leute, die mit der Askese
heuchlerischen Mißbrauch treiben, hat er strenge Worte. Er stellt
sie Dieben gleich 3). Auch Gazäli hatte manch strenges Urteil
über falsche Süfis ^iCsy^Xx) ausgesprochen i).
4. Ein anderer Kreis, in dem die Ablehnung des Begriffes der
Gottesliebe vorherrscht, ist der der rationalistischen mutakalltmün i).
I) Gawäb 145.
*) Gegen Süfi-Unfug Ibn Tejmijja, al-Furkän usw. 98 ff.
I) Pläin al-muwakka^in III 251, 15 .-jjof .-y/i ...^..^läj L^J •l-.w.J) f~^^^
4) Z. B. //tja II 218,6 V. u.; 229 ff.; 239, 14; 279, 15.
5) Man beachte die geringschätzende Art, in der Gähiz von den Süfis spricht,
Ijlaja-wän I 103, 6 v. u.
j-2 IgnazGoldziher,
Es kann dabei freilich, so wie auch hinsichtlich des Verhältnisses
der fu^ahä zu der süfischen Religionsauffassung, nicht generalisiert
werden. Nicht als ob die Vertreter des kaläm der Zulassung des
süfischen Begriffs der mahabba grundsätzlich widerstrebten. Die
innere Geschichte des Islams kann ja genug der Beispiele für die
freundliche Vereinigung von kaläm und tasawwiif aufweisen. Ein
frühes Beispiel bietet der Süfi Muhammed b. Chaflfal-Slräzl
(st. 371), zu dessen Hörerkreis al-Bäkilläni gehörte; er selbst be-
kennt sich als begeisterten Verehrer des As'ari, dessen Belehrung
persönhch zu genießen er eine Reise nach Basra unternimmt, die
er, sowie seine Begegnung mit As'ar! in überschwängUcher Weise
schildert^). Es genüge nur noch auf Abu-1-Käsim al-Kusejri
(st. 465) hinzuweisen, diesen Vorkämpfer des Süfitums, der zugleich
unter die mutakallhnün zählt-) und wegen seines Bekenntnisses zur
as'aritischen Lehre von selten der Fanatiker Verfolgung zu erleiden
hatte 3). Jedoch ist nicht zu übersehen, daß auch er den Begriff der
maJiabba gegenüber süfischen Übertreibungen mäßigte 4).
Im allgemeinen kann soviel angenommen werden, daß im Durch-
schnitt der Kalämleute sich wenig Sinn für die innerlichen Trieb-
federn des rehgiösen Lebens bekundet. Wenn ihnen die Philosophen
als oberflächlichen Dialektikern Unwissenheit in der Anwendung der
Denkgesetze, Mangelhaftigkeit ihrer Vorbereitung zur Behandlung
der philosophischen Probleme, dilettantenhafte Art in den Fragen
der Metaphysik mitzureden vorwerfen 5), so werden sie von den
Mystikern zumeist als Leute charakterisiert, die »das wahre Wesen
und die Wirkungen der Seele verkennen«^). Muhji al-din ibn al-
1) Subki, Tab. Säf. II 151; die Beschreibung des Zusammentreffens mit As'ari
ibid. 155—159-
2) R. Hartmann, Al-Kuschairt s Darstellung des Süfitums 102. 170.
3) ZDMG. LXII 9, 19.
4) R. Hartmann a. a. O. 62 ff.
5) S. einige Äußerungen der Philosophen im Buch vom Wesen der Seele 13-^15;
vgl. Die Ktiltur der Gegenwart, T. I, Abt. V (2. Aufl.) 307.
6) Ichwän al-safä (ed. Bombay) IV 154, 7 q»)_;J^-o ^-X.:^i! ^9\ q.^ Uj.ä ^
, v.^>Lii ^\. Abu Bekr al-asamm leugnet die Existenz der Seele, weil eine solche
sinnlich nicht wahrnehmbar ist: ..Lw^i' qJ ^^L*.>Oi \Xj^c- S^ ^^ ^^ ^ uXS
^\j.^^ OJ^U 'o9 ^! 0.cl ^ J-i^ iJu.> j«^ii }^\ (^"^^ IbnHazm,
MilalW 74, 5. Vgl. P. RousELOT, Four Diistoire du probleme de l'amour au Mayen
Age {Beitr. s. Gesck. d. Ihilos. d. Mittelalters VI Heft 6, Münster 1908) 34.
Die Gottesliebe in der islamischen Theologie. I 53
*ArabI, der wohl auf manche Kalämthese eingeht i), verspottet sie
als dialektische Schwätzer, die ihr Denken auf die formale Behand-
lung von Ausdrücken richten, die von den Altvordern herrühren, und
die kein Verständnis bekunden für den tieferen Sinn, den die My-
stiker aus denselben herleiten. Von den zeitgenössischen Kaläm-
leuten sagt er, daß ihnen kein Vernünftiger irgend Wert beimißt.
Sie machen sich lustig über die (er meint natürhch die im Sinne
der Mystik erfaßte) Religion, verhöhnen die Diener Gottes und an-
erkennen nur Leute ihres Schlages. Auch weltlicher Zwecke und
Ambition beschuldigt er sie. Jedoch Gott habe sie erniedrigt, so
wie sie die Wissenschaft verwerfen; er habe sie gedrängt an die
Höfe der Könige und unwissender Machthaber, von denen sie wieder
alle Art von Demütigung sich gefallen lassen. Selbst die fiikahä
stellt er, trotz ihrer mangelhaften Frömmigkeit, höher als die Kaläm-
anhänger^).
In der Tat sind in ihren Kreisen die Leute zu finden, die kein
Verständnis bekunden für die süfische Weltanschauung und ins-
besondere auch für den süfischen Begriff der Gottesliebe. Gazäli
kennzeichnet ihren Standpunkt in dieser Frage: »Einige mutakallimün
verneinen (mit Bezug auf Gott) die Vertrautheit {al-wis), die Sehn-
sucht (al-sauk) und die Liebe {al-hubb). Sie meinen, daß die Zu-
lassung dieser Begriffe auf Verähnlichung (Gottes mit den Menschen,
tasbtJi) deuten würde. Sie wissen nicht, daß die Schönheit der durch
den inneren Sina {al-basä'ir) erfaßten Dinge vollkommener ist als die
I) z. B. auf die mu'tazilitische Anschauung vom Begriff des /lasan und kalnh
{Futühät mckkijje [Kairo 1329] I 299 unten; über hudüt al-ta^alluk ibid. IV 6, 10
u. a. m.).
i) Futühät I 325, 9 ff.: qJlXÜ v3t>':FJL j.^<JU KäIäUI "-jL^VoI ,jLs
^ ^j^W LicXic ^,S.l\ pV ^^' ^^^ ^'^=^J^ ^^^^' ^*^ '^^"^^ ^"^^
^Js>, ^\ \yh\ Ur xJÜI ^"ioLs iLw'JJf^ »L^t ^JLi>3 L^JJI Z<^
B^_^!^ 4^UJi ^Lls ^L^! ^^ öV^-5 4^^^' ^^y^W^ r^^^^b r^j^-5
^.vM.5>t *.s*3 JjCj ä.c^3 K.JL3 y> xli5 ^jö ^5 ^:^Sa.})\ iiw^äJls ^t
;?»JI i-"^^ ^-yA ^L>-. Ein ähnlicher Angriff auch gegen die /"«-^«zA« ibid. I 278 — 281,
worauf ich anderswo zurückkomme.
Islam IX. II
154 tgnazGoldziher,
durch den äußeren Gesichtssinn erfaßter Objekte {al-vmbsaräi) und
daß der Genuß ihrer Erkenntnis größere Herrschaft gewinnt über die
mit Herzen ^) Begabten (als der, den sinnliche Eindrücke hervor-
bringen). Zu jenen inntakallimün gehört Ahmed b. Gcälib, ge-
nannt »Famulus [giilävi) des Chahl«^), der es an Gunejd, 'All abu-
1-Hasan al-Nüri und der Gemeinde der SüfTs mißbilligt, was sie
von Liebe und Sehnsucht redeten. Andere verneinen sogar die
Stufe der Ergebung (in den Willen Gottes, rida) und glauben, daß
es an deren Stelle nur geduldiges Ertragen [sabr) gebe, daß aber
ridä nicht vorstellbar sei. Alles dies ist Gerede von unvollkommenen,
beschränkten Leuten, die in der Erfassung der Situationen des reli-
giösen Lebens nicht über die Schalen hinauskommen und der Mei-
nung sind, daß nur jenen Schalen Wirklichkeit zukomme. Alles
sinnlich Erkennbare und was vom Wege der Religion in die (ober-
flächliche) Vorstellung tritt, ist bloße Hülse; jenseits davon ist der
gesuchte Kern. Wer von der (Kokos-) Nuß nur bis zur Schale ge-
langt, wird meinen, daß dieselbe durch und durch Holz sei, und
wird die Gewinnung des Öls aus dieser Nuß als Absurdität betrach-
ten. Eine Entschuldigung hat er wohl (für seinen Irrtum), aber wir
können dieselbe nicht anerkennen« 3).
Mit dieser Stellung der jiintakalliinün zum allgemeinen Begriff
der GottesHebe hängt eine aus derselben folgende spezielle An-
wendung ihrer Anschauung zusammen. Unter den als ku/r zu ver-
urteilenden Ketzereien erwähnt Ahmed b. Hanbai 4) neben der
mu'tazilitischen Leugnung der visio beatifica der Seligen [riCjatAlläJi)
die Ablehnung des Chalil- Charakters des Ibrählm. Man könne von
einem Menschen nicht sagen : er sei cJialil AlläJi, »Freund Gottes«
') Man weiß ja. was Gaz. unter »Herzen« versteht; vgl. Vorlesungen über den
Islam 179, dazu Ihjä II 26S, 12 v. u., IV 25, 3; Ktinijä al-sa^äda (Sammelband des
Muhji al-din Sabrl, Kairo 132S) 505; ibid. 521, 6 versteht er unter A'alh den
unsterblichen Teil des Menschen.
2) Wohl derselbe A. b. G., von dem Gähiz, IJajaiuän W 39 ult. Mitteilungen
über seine Erfahrungen mit einem Schlangenbeschwörer anführt. Dieser Guläm Chalil
(St. 275 h.) stiftete den Chalifen zur \'erfolgung der berühmtesten Süfis seiner Zeit an;
er forderte die Todesstrafe für sie als zanädika. Nur durch die Dazwischenkunft eines
einsichtigen Kädl entgingen sie der Hinrichtung (Hugwlrl, Kasf al-maligüb übers, v,
Reynold A. Nicholson \Gihb-Series\ 137 Anm. 190 f.). Zu den von Ahmed b.Gälib
gegen die Süfis erhobenen Beschuldigungen gehörte auch ihr Bekenntnis zur Gottes-
liebe, worüber eingehend die Mitteilungen Amedroz' aus dem TiOrlch des Dahabt
(JRAS 191 2, 566 f.).
^)' Ihjä IV 328, 19 ff.
4j Bei Ihn KtJjIui a 1 - (j au z i j i a, IJädT al-arwäh II 146.
Die Gottesliebe in der islamischen Theologie. 155
K
-JLc J,» .äi' u\.Ä5 ^L>.i.i> ^xPLjI J\.jS\äj A.J *.i.J! ,.,t ^c: .-x. OkAvJi , -Icft
\]..ä ^wJü! i). Die Verneinung der im gewöhnlichen Sinne gedachten
67/rt/z/-Eigenschaft des Abraham^) wird auch von Ibn Kutejba in
einer Reihe von muHaziUtischen Kuriosa angeführt. Mit der aus-
drücldichen koranischen Bezeichnung Abrahams als cJialll Gottes
finden sie sich ab, indem sie das Wort mit Berufung auf einen Vers
des Zuhejr (17 v. 4 Ahlwardt) im Sinne des Bedürftigen
deuten. Als solchen habe Gott den Abraham angenommene).
Besonders wird einer der islamischen Rationalisten als Bekämpfer
der Idee der Gottesfreundschaft Abrahams mit Namen genannt: der
als Vorläufer der Mu*tazila4) betrachtete Ga'd b. Dirham. Der
'irakische Statthalter Chälid b. ^-Ibdalläh al-KasrI habe ihn wegen
ketzerischer Lehren am "^Idfeste, gleichsam als religiöses Schlacht-
opfer, hingerichtet 5). Freilich nimmt sich dieser dogmatische Eifer
des Chälid nicht wenig sonderlich aus neben dem, was wir von
seinen Ansichten und Äußerungen über religiöse Dinge sonst er-
fahren. Unter anderem habe er gesagt, daß sein Chalif ihm höher
stehe als Abraham und alle andern Propheten, selbst als Muham-
med^). Seine Strenge gegen GaM kann vielleicht im Zusammen-
hang mit dem Verhalten omajjadischer Chalifen, deren treuer Ver-
treter Chälid war, gegen rationalistische Bestrebungen verstanden
werden 7). Über die spezielle Veranlassung der Hinrichtung des
GaM habe ich in mir zugänglichen älteren historischen Quellen
nichts gefunden. Hingegen darf man vielleicht voraussetzen, daß
Erzählungen späterer Autoren, wie z.B. die des Ibn Tejmijja, der
als Kalämfeind von dieser Episode der Regierung des Kasri mit
I) Mit Bezug auf Sure 4 v. 124 SLJlJ> ^.x^Lj! k\.1\ Ö^;<^\*^.
^) Bei Ibn Sa'd II/2 24, 2 läßt man auch Muhammed beanspruchen, von Gott
gleich Abraham als chalil erwählt worden zu sein. Seine Bezeichnung al? habJb Allah
ist ganz gewöhnlich.
3) Muchtalif al-hadJt (ed. Kairo) 83 unten.
4) Bei Ibn Hazm, Milal IV 202,7 wird er als einer der sujüch al-Mu^t. be-
zeichnet. — Vgl. Ibn al-Atlr, Kämil ^d ann. 240 (ed. Büläk VII 26), wo der Isnäd
des mu'tazilitischen Inquisitors Kädl Ahmed b. abi Duwäd über Bisr al-Marisi, Gahm
b. Safawän und Ga'd b. Dirham (die Bül. Ausgabe hat fälschlich *.^->n geführt wird.
5) Bagdad!, fark 262,3: ,.^j tXiui- \i 'c-^^/^o i^Äi! *.5^,0 qJ
Ax:>-
6) Agänt XIX 60. Vgl. Wellhausen, Das arabische Reich und sein Stnrs 206.
^) Vgl. Vorlesungen übey den Islam 97.
II*
jcß IgnazGoldz iher,
sichtlichem Behagen spricht^), dabei auf ältere mir unbekannte Be-
richte zurückgehen. Ich lasse hier folgen, was darüber 'Ali al-Käri
zu sagen weiß: »Die Gahmijja verneinen die Wirklichkeit der Liebe
von beiden Seiten (Gottesliebe sowohl als genit. subject. wie auch
als genit. object. gefaßt)-). Sie meinen nämlich, daß Liebe eine
adäquate Beziehung [imiiiäsabd) zwischen dem Liebenden und dem
Gegenstand der Liebe voraussetzt. Zwischen dem Ewigen und dem
Entstandenen könne aber keine Beziehung stattfinden, die Liebe her-
vorrufen könnte 3). Zu allererst hat diese heterodoxe Lehre im Islam
Ga'd b. Dirham aufgestellt im Anfang des zweiten Jahrhunderts.
Dafür wurde er von Chälid b. 'Abdallah al-KasrI, dem Emir des
'Irak und des Ostens, in Wäsit hingerichtet. Dieser sagte in seiner
cJiutba am großen Schlachtfeste i^td al-adhä\. »O Menschen, vollziehet
das Schlachtopfer, möge es von Gott w^ohlgefällig aufgenommen
werden! Ich selbst vollziehe diese Pflicht an Ga'd b. Dirham,
der meint, daß Allah den Ibrahim nicht als seinen ehalt/ betrachtet
habe. Dann stieg er (vom viiiibar) herab und schlachtete den Ga'd
in Übereinstimmung mit den Fetwä's der zeitgenössischen Gesetzes-
gelehrten« 4) — wie es auch sonst vorkam, daß man die Hinrichtung
gefährlicher Leute in Verbindung mit religiösen Gelegenheiten voll-
führte. Der andalusische Fürst 'Abdalrahmän III. (912 — 61 Chr.),
genannt al-Näsir abu-1-Mutarrif, dessen als faklh und Asket gerühm-
ter Sohn 'Abdallah bei Lebzeiten des Vaters nach der Herrschaft
trachtete und gegen ihn und den zur Thronfolge bestimmten Bruder
Mustansir eine Verschwörung anzettelte, wurde von seinem Vater
eigenhändig zur '^tä-al-adhä-T.erQmome hingerichtet; zur selben Zeit
ereilte die Mitverschwörer dasselbe Schicksal 5). Die Anführer der
Christen, die im Jahre 11 82 gegen Medina zogen, um — wie ihnen
dies von islamischen Geschichtschreibern zugemutet wird — den
Leichnam des Propheten zu entführen, wurden nach ihrer Besiegung
nach dem Opfertal Minä geführt und daselbst opferweise hingerich-
tet^). Ibrähim b. Hiläl al-Säbi — selbst nicht Muslim — schmei-
') Tafsir sürat al-icJiläs (Kairo 1323) 45.
^) Gott wird in einer Schwurform ^-^Plji JyJLp> genannt, Ibn Sa'd I/2 100,7.
3) Man wird dabei unwillkürlich an Aristoteles, Ethica Nicomach. Vlll 9
denken, wonach zwischen Gott und den Menschen wegen ihres allzügroßen Ab-
standes (TToXb hi )r(uptai}^vTOs) keine cpiXfa bestehen könne. Es ist nicht ausgeschlossen
einen vermittelten Einfluß des aristotelischen Gedankens auf die kühnen muslimischen
C;4ß/r/-Leugner voraussetzen zu dürfen.
4) 'Ali al-Käri, Kommctttar zu al-Fikh al-akbar (Kairo 1323) 104.
5) Subki, Tai- Sä/. II 230.
*•) al-Uns-al-galJl 281. Gemeint ist der verunglückte Zug des Raynald von Chau-
/
Die Gottesliebe in der islamischen Theologie. 1 ry
dielt in einem dem büjidischen Fürsten *Adud al-daula zum Hd al-
adhä gewidmeten Glückwunschgedicht diesem Gönner: er sei zu er-
haben, als daß zu seinem Festopfer bloß starke ^Kamele dienen
sollen ; es mögen mächtige Könige die Opfer dieses Festtages sein,
und das Schwert des Fürsten möge dazu das AlläJm akbar (der an
diesem Fest wiederholt ausgestoßene Ruf) rufen ^).
5. Wenn von den Kalämleuten schon der Begriff der Gottes-
liebe abgewiesen wird, so folgt daraus in selbstverständlicher Weise,
daß sie die die Gottestrunkenheit veranschaulichenden Süfi-Übungen
und ekstatischen Zustände [ahiväl) verurteilen. Wie ihresgleichen
über beide in ihrem gegenseitigen Zusammenhang denkt, bekundet
der Mu'tazilit Zamachsari in seinem Kassäf zw Koranstellen, die
ihm für solche Äußerungen als willkommene Gelegenheit dienen.
In bure 5 v. 59 (\i^>.j<:ij3 ^^.^j): »Die Liebe der Menschen zu
Gott ist der Gehorsam gegen ihn und das Streben nach seinem
Wohlgefallen und daß man nicht übe, was notwendig seinen Zorn
und seine Strafe verursacht; die Liebe Gottes zu seinen Dienern
(bekundet sich darin), daß er ihnen für ihren Gehorsam den schön-
sten Lohn angedeihen lasse, sie erhöhe, rühme und Wohlgefallen an
ihnen finde. Hingegen ist Gott hoch erhaben darüber, was da glau-
ben die törichtesten, der Wissenschaft feindlichsten, gegen das Ge-
setz gehässigsten und in ihrem Wandel bösesten der Menschen (wenn
auch ihr Wandel nach der Ansicht von Toren und Ignoranten ihres-
gleichen Wert besitzt); ich meine die lügnerische, ihren Namen von
der Schafwolle [süf) herleitende Partei. Hoch erhaben ist Gott dar-
über, was sie religiös bekennen in bezug auf Gottesliebe und über
die auf ihren Sitzen — die Gott verwüsten möge — und an ihren
Tanzplätzen — die Gott verheeren möge — an bartlose, von ihnen
Märtyrer {suhada) genannte Jünglinge gerichteten Ghazelenlieder
und über ihre Ekstasen — was ist dagegen der Ohnmachtszustand
des Moses, als der Sinai zu Staub wurde.? (Sure 7 v. 139). Sie be-
ziehen die Gottesliebe auf sein Wesen, nicht auf seine Attribute und
tillon gegen die Ufer des Roten Meeres, worüber Röhricht, Geschichte des König-
reichs Jerusalem i^o\. Ibn Gubejr {Travels ed. Wright-de Goeje 59) beschreibt als
Augenzeuge den Triumphzug, den al-Malik al-'Ädil mit dem nach Alexandrien ge-
brachten Teil der christlichen Gefangenen veranstalten läßt. Die arabischen Quellen
für diese Begebenheit verzeichnet C. Schiaparelli in den Anmerkungen zu seiner
Übersetzung des Ibn Gubejr 354 Nr. 23.
') Jäküt ed. Margoliouth I 352.
l'S IgnazGoldziher, Die Gottesliebe in der islamischen Theologie.
Ichren, daß Gottesliebe von Liebesqualen begleitet sein müsse, sonst
sei sie keine wirkliche Liebe« ^).
Noch in deutlicherer, man darf sagen: brutaler Weise zu Sure
3 V. 29, indem er die als Äußerungen der Gottesliebe erscheinenden
Sflfi-Zustände als dionysischen Taumel verhöhnt: >AVenn ihr AUäh
liebet, so folget mir, dann wird euch Allah lieben und euch eure
Sünden vergeben.« — »Wer aber vorgibt — sagt hierbei Zamach-
sari — , ihn zu lieben und der Sunna seines Gesandten zuwider-
handelt, ist ein Erzlügner {kaddäb)\ das Buch Gottes selbst strafe ihn
Lüo-en Wenn du nun iemand siehst, der von Gottesliebe redet und
bei dem Gedanken daran in die Hände klatscht, jauchzt, ächzt und
in Ohnmacht fällt 2), so kannst du nicht zweifeln, daß ein solcher
nicht erkennt, was Allah, und nicht weiß, was die Liebe zu ihm ist.
Sein Klatschen, seine Exaltation, sein Ächzen und seine Ohnmacht
rühren daher, daß er in seiner schmutzigen Seele eine annehmliche,
liebwerte Gestalt sich vorstellt, die er in seiner Torheit und Ver-
derbtheit Allah nennt; diese Vorstellung ruft in ihm das Klatschen,
Johlen, Ächzen und die Ohnmacht hervor 3), während die um
ihn stehenden dummen Leute vor Rührung über seinen Zustand die
Zipfel ihrer Ärmel mit Tränen füllen.«
') Vgl. Harnack, Der -»Eros^s. ifi der alten christlichen Literatur (Sitzungsher.
der K.Prcuß.Akad.d.W. 1918, 89, 28 ff.).
^) Vgl. eine solche Szene bei Ibn Gubejr ed. Wkight-de Goeje 224, 16 ff.
w S S- ^
Muhammeds Himmelfahrt.
Von
Josef Horovitz.
An zwei Stellen des Ouran, Sure 8i,,_,3 und Sure 53,_,8, beschreibt
Muhammed visionäre Erlebnisse, welche ihm den göttlichen Ursprung
der auf ihn einströmenden Worte verbürgen. An der ersten Stelle be-
zeichnet er den Qaran als das »Wort eines edlen Boten, eines starken,
beim Herrn des Thrones mächtigen, dem Gehorsam geleistet wird und
der zuverlässig ist« und fügt hinzu: »Euer Gefährte ist nicht besessen,
er hat ihn am klaren Horizont gesehen«. Und ausführhcher schildert er
das gleiche Gesicht in Sure 534-io> nachdem er sich dagegen verwahrt,
es sei alles Irrtum und Sinnestäuschung. » Er (der Quran) ist nichts
anderes als eine Offenbarung, die geoffenbart, die ihn (d. i. euren
Gefährten) gelehrt der Starke .an Kraft, ein Einsichtsvoller. Da
stand er aufrecht am höchsten Horizont, dann kam er nahe und
ließ sich herab und war (nur) zwei Bogenlängen fern oder noch
näher und er oft'enbarte seinem Diener, was er offenbarte. Nicht
hat das Herz erlogen, was es gesehen; wollt ihr ihm denn be-
streiten, was er gesehen?« Handelt es sich beide Male um die gleiche
Vision, 'wie meist angenommen ^ und wofür schon die beiden Schilde-
rungen gemeinsame Verwendung des Ausdrucks ufuq spricht, so muß
die tn Sure 535-6 beschriebene Gestalt die des »edlen Boten« von Sure 8I19
sein. Dennoch will Schrieke ^-) aus den Worten »seinem Diener« in
Sure 53 10 folgern, es sei die Erscheinung Allahs selber, die der
Prophet geschaut, wie es ja auch in Sure 579 von Allah heiße, »er
ist es, der seinem Diener Zeichen herabsendet« 3). Eine gewisse Schwie-
rigkeit besteht ja vielleicht darin, daß Muhammed sich als Diener des
»edlen Boten« bezeichnet haben sollte, aber es liegt doch viel näher,
zwischen Vers 9 und 10 einen Wechsel des Subjekts anzunehmen (der bei
I) NÖLDEKE-ScHWALLY, Gcschichie des Qorans S. 99; Bevan in BZATW Bd. 27
(1914), S. 52. . _ _
-) Islam VI S. 20. ■ '
3) Auch die bei ScHRiEKE a.a.O. angeluhrten Stellen Seite 401 und 876 kann ich
nicht als beweiskräftig anerkennen.
j Aq Josef Horovitz,
den stilistischen Eigenheiten des Quran nicht überraschen könnte'')),
oder aber mukäa im Sinne von »offenbarte im Auftrage Allahs« aufzu-
fassen, als anzunehmen, Muhammed habe die Erscheinung Allahs selbst
herabkommen sehen. Gerade bei Muhammed ist das Gefühl der eigenen
Ohnmacht gegenüber der göttlichen Allmacht viel zu stark ausgeprägt,
als daß er den Anblick der göttlichen Erscheinung hätte ertragen und
ihn in deutlichen Worten hätte beschreiben können; wie die Apo-
kalyptiker, denen er auch darin näher steht als den Propheten, verkehrt
er mit Allah durch Vermittlung des göttlichen Boten, den er später
Gabriel nennt.
Eine zweite Vision schildern dann die Verse 13 bis 18 der 53. Sure
mit den Worten: »Und er hat ihn ein anderes Mal herabkommen
sehen beim Lotosbaum am äußersten Ende, neben dem sich der
Garten der Zuflucht befindet, als den Lotosbaum bedeckte, was
ihn bedeckte. Nicht irrte ab der Blick noch ging er zu weit.
Er hat von den Zeichen seines Herren die größten gesehen.« Auch hier
läßt sich die himmlische Erscheinung herab, die der Visionär aber dies-
mal nicht am »höchsten Horizont« sieht, sondern am »Lotosbaum des
äußersten Endes«. Daß der »Ort der Zuflucht«, in dessen Nahe der
Lotosbaum steht, nicht, wie man seltsamerweise gemeint, in Mekka
gelegen, sondern daß er mit dem Paradies identisch ist, haben Schrieke
und Bev-\n aus dem koranischen Sprachgebrauch bewiesen 2). Ich
kann aber Schrieke nicht zugeben, daß Muhammed hier im Himmel
geweilt zu haben behauptet; es ist in diesen seinen Worten nirgends
eine Andeutung davon zu finden, daß er sich im eigentlichen Sinn in höhere
Sphären entrückt gefühlt habe. Wie viele seiner Vorgänger unter den
prophetischen Visionären blickt der auf Erden weilende Muhammed in
ferne Räume und schaut den himmlischen Boten am Lotosbaum.
An einer dritten Stelle dagegen, Sure 171, wo das visionäre Er-
lebnis nicht beschrieben, sondern nur angedeutet wird, handelt es sich
unverkennbar um eine Entrückung; hier sieht der Prophet nicht
himmlische Erscheinungen sich ihm nahen, sondern er fühlt sich selber
in weite Fernen entführt. Die Worte »Preis dem, der nächtlicherweile
seinen Diener von dem heiligen Masgid zum fernsten Masgid entführt,
um das wir Segen verbreitet, auf daß wir ihn von unserem Zeichen
etwas sehen ließen« haben keinen Zusammenhang mit dem Folgenden,
und Bevan 3) geht so weit, es als unbeweisbar, wenn auch nicht un-
möglich hinzustellen, daß hier überhaupt von Muhammed die Rede
') NÖLDEKE, Beiträge zur semitischen Sprachwissenschaft S. 10 fi.
*) Schrieke S. 20, Bevan S. 53.
3) a. a. 0. S. 53/54.
Muhammeds Himmelfahrt. l6l
sei; die Worte »sein Diener« könnten 'sich ja auch auf andere Diener
Allahs bezichen. Diesen Einwand hat Schrieke vorausgesehen und
ist ihm durch den Nachweis begegnet ^), daß an allen koranischen
Stellen, an denen »sein Diener« oder »unser Diener« ohne Nennung
eines Namens vorkommt, Muhammed gemeint sei. Aber, ganz abge-
sehen von diesem Sprachgebrauch, von welchem Gottesmanne sollte
in Verbindung mit dem masg-id al haräm die Rede sein.'' Man könnte
doch höchstens an Ibrähim denken, unter der Voraussetzung, das Frag-
ment stamme aus der Zeit, in welcher Ibrähim bereits die Begründung
des mekkanischen Heiligtums zugeschrieben wird. Gegen diese Voraus-
setzung spricht zwar nichts, denn der alleinstehende Vers enthält
keinerlei Anzeichen für seine Entstehungszeit, aber überall, wo der
Name Ibrahims im Zusammenhang mit Mekka erscheint, werden Aus-
drücke wie bau oder maqäm gebraucht, niemals masgid. Vor allem
aber ist weder im .Ouran selbst noch in der pseudepigraphischen oder
aggadischen Literatur irgend etwas von einer Entrückung Ibrahims
zu finden. Es darf also als sicher gelten, daß in Sure 171 von Muhammed
die Rede ist, sonst aber läßt sich aus dem Wortlaut nur schließen,
daß es sich um eine nächtliche Reise nach einem fernen, wunderbaren
Orte handelt. Welcher Ort gemeint sei, ist weder aus dem Vers selbst
noch aus andern Stellen des Ouran zu entnehmen, da die Bezeichnung
masgid el aqsä sonst nicht vorkommt; nur das ist deutlich, daß die
nächtliche Reise für Muhammed eine Erfahrung von besonderer Be-
deutung gewesen sein muß. Wie er jetzt dasteht, macht der Vers
den Eindruck, als habe Muhammed, von seinem Erlebnis überwältigt,
nicht mehr über die Lippen zu bringen vermocht als die wenigen
Worte, oder aber sich gescheut, es vor ungläubigen Ohren durch Aus-
malung der Einzelheiten zu entweihen-). Diese Auffassung wäre
freilich unmöglich, wenn die Überlieferung recht hätte, welche die in
V. 62 derselben Sure erwähnte Version {rujä) mit der Entrückung
gleichsetzt; denn es ergäbe sich dann aus V. 62, daß der Prophet sich
in seinen Ermahnungen und Predigten auf sein nächtliches Erlebnis
berufen hätte. Doch ist der Zusammenhang der beiden Verse durchaus
unsicher 3). Die islamische Tradition sieht in dem masgid al aqsä
Jerusalem, genauer den Tempelplatz 4) in Jerusalem, auf dessen Süd-
seite später ja auch die im europäischen Sprachgebrauch so genannte
') a. a. 0. S. 13 Anm. 6.
*) Vgl. II. Korinther 124.
3) vgl. NÖLDEKE-SCHWALLY S. I35, SCHRIEKE S. I5, BeVAN S. 53.
■t) s. Ihn Hisäm 2633 ^^ huwa bau al maqdis min Ilijä. Zu bau al maqdis vgl.
Fischer ZDMG. 60, S. 407.
l52 J o s e f H u r o V i t z ,
Aqsa-Moschcc errichtet wurde. Zu Zeiten des Propheten Stand an
dieser Stelle die Basilika des Justinian ^), und diese soll nach Caetani -)
der Ouranvers auch im Auge haben. Im Ouran ^vird zwar Jerusalem
namentlich nicht erwähnt, aber die Anspielung Sure 2140 ist durchaus
eindeutig, und es bedarf keines Beweises, daß die heilige Stadt der Juden
und Christen auch in dem Gedankenkreise Muhammeds eine besondere
Stelle eingenommen hat. Es macht keine Schwierigkeiten, sich vorzu-
stellen, der Gedanke an die Heiligtümer Jerusalems habe ihn in seine
Visionen und Traumzustände verfolgt, bis er sie leibhaftig vor sich
sah. Es kann ihm auch das Gesicht des Ezechiel (83) sehr wohl bekannt
gewesen sein, in welchem diesen der Geist am Haarschopf ergriff und
zwischen Himmel und Erde von Babylonien nach Jerusalem ent-
führte 3); und die Erinnerung an dieses kann ihn mit der Hoffnung
erfüllt haben, einer ähnlichen Erfahrung gewürdigt zu werden, eine
Hoffnung, die dann in der nächtlichen Vision ihre Erfüllung gefunden
hätte. Aber solche Erwägungen, welche man zur nachträglichen Ver-
teidigung der herkömmlichen Auffassung des rätselhaften Ausdrucks
vorbringen könnte, reichen zu ihrer Begründung nicht aus; es würde
niemand darauf verfallen, masgid al aqsä auf Jerusalem zu deuten, dem
nicht diese Erklärung durch die Überlieferung suggeriert wäre. Daß
auch die europäische Forschung sie bisher ohne Nachprüfung über-
nommen hat, beweist nur, daß sie sich keineswegs überall bereits von
dem Banne der islamischen Tradition befreit hat. Es ist ein Verdienst
Schrieke's, diesen Bann für unsere Stelle gebrochen und erkannt zu
haben, daß das »fernste Masgid« nicht Jerusalem, überhaupt nicht ein
Ort auf Erden, sondern im Himmel zu suchen ist. Ein himmlisches mas-
gid fügt sich der koranischen Vorstellungswelt ohne Schwierigkeit ein;
auch die Engel im Himmel verrichten ihren Gottesdienst i^ihäda), der in
Sure 7205 als sugüd bezeichnet wird. Näher wird die Form ihrer Anbe-
tung als tashih gekennzeichnet (Sure 3975, ■ 4O7, 4I38, 423)4); sie fin-
') s. Hassak ZDPV. 36, S. 308.
^) Annali 21, § 88. Ähnlich auch in dem Bericht, den Abu Sufjän dem Heiaclius
jjibt, Haiabi I 371 17 haraga min ardinä ar4 al //aräm wa-gä^a masgidakum hädä.
3) NÖLDEKE-ScHWALLY 134, Anm. 7. — Von einer andern Entrückung läßt sich mit
ziemlicher Sicherheit zeigen, daß sie Muhammed bekannt war, der Entrückung Jesu auf
den Tabor, von der ernach dem Hebräerevangelium sagte : d'pti IX'x^i \}.z T^[j.T]Tr,p jj.O'j to ayiov
■77'ivi\i.i h ,o.iä Töiv Tpiyiüv jjlou y.at 6.-i^\zj/.i p.e e(; tö opo; tö [Jigya öaßwp (angeführt
bei Origenes, Johanneskommentar cd. Pkeuschen 6720); denn, wie schonGEROK, Versuch
einer Darsiellung der Christologie des Koran (1839) S. 76 Anm. i bemerkt, erklärt sich aus
dieser Stelle die Frage Allahs an 'Isä: »Hast du den Menschen gesagt, nehmt mich und
meine Mutter zu zwei Göttern außer Allah« (Sure 5116) und die Ersetzung des heiligen
Geistes durch die Mutter 'Isä's in dieser Auffassung der Trinität, die dann 'Isä selber ablernt.
4) Vgl. dazu Ascensio Isaiae \'l\ 15 und IX 41.
Muhammeds Hiimnclfahit, 163
(Ict im siebenten Himmel in der Nähe des göttlichen Thrones statt, auf
den sich Allah nach Vollendung der Erschaffung Himmels und der Erde
begeben (ebenda) ^). An diesem Ort werden wir uns also das masg-id
al aqsä zu denken haben, und wenn der himmlische Ort der Verehrung
als der fernste bezeichnet wird, so erinnert das an Stellen wie Henoch
393, wo sich der Patriarch von einer Wolke und einem Wirbelwind von
der Erde emporgehoben und am Ende des Himmels niedergesetzt
fühlt. Im äthiopischen Text lautet der Ausdruck senja samäjät, was
hebräischem q'^se ha-Samajim entspricht 2). Auch Henoch sieht dort
die Engel, welche den »Herrn der Geister« preisen (3913)-
Aber auch im Ouran selbst findet sich eine verwandte Bezeichnung
in al mala' al aHä »die höchste Ratsversammlung «3), deren Ver-
handlungen nach Sure 378 die Satane nicht lauschen dürfen und von
deren Geheimnissen auch der Prophet nichts weiß (Sure 3869). Die
Engel aber nehmen an ihr teil, und der Ausdruck erinnert an die
Phamalja [ = familia] sei ma'alä der jüdischen Traditionsliteratur 4)
»die obere Familie«, die in etwas anderer Wendung als »jesibä sei
ma^aläu 5) »obere Akademie« oder aramäisch metihta di reql'ä 6) wieder
erscheint. Daß auch der Lotosbaum des »äußersten Endes« [sidrat al
muntahä) in diesen Zusammenhang gehört, hat bereits Schrieke be-
merkt 7). Von ihm ist es freilich nicht sicher, daß er seinen Platz in der
I) Über den Ursprung dieser Vorstellung vgl. Goldziher, Die Sahbathinstitution im
Islam (Gedenkbuch zur Erinnerung an D. Kaufmann, S. II des S.-A.). Der Thron gehört zu
den Dingen, die vor Erschaffung der Welt geschaffen wurden (Pesähim 54 a) und befindet
sich im 7. Himmel (Hagigä 12 b).
-) Wie die Zusammenstellungen bei Dillmann, Lexicon aeihiopicum s. v. senf be-
weisen, wird dieses in Verbindungen wie mer/iaqe äres, afse äres, jarkete äres und qesehä^äres
gebraucht. — In der Vision Henoch I4iiff. sieht sich Henoch ebenfalls in die Nähe des
manbara seb/iat = kisse hakäböd = koranischem '■ars versetzt, um welchen Myriaden von
Engeln stehen. Muhammed bedient sich — man ist bei seiner Vorliebe für nichtarabische
Ausdrücke fast versucht, zu sagen merkwürdigerweise — niemals eines der fremden Aus-
drücke kursi oder vianbar, sondern stets des arabischen 'ars.
3) Vgl. Wellhausen, Reste- 137, Anm. 6 und die bereits von Geiger, W.as hat Mo-
hamed aus dem Judentum aufgenommen-, S. 81, angeführte Stelle Hagigä i6a, wo von den
St'dim gesagt wird: söme^in mcahöre ha pargöd (= -apayct'joi&v, arab. burgud). — Mala
und masgü^ stehen sich um so näher, als nach Lammens Nachweisen (s. Ziäd Ibn Abihi
S. 31 ff. des Separatabzugs) auch masgid in der älteren Zeit nicht nur für »Betört«, sondern
auch für »Versammlungsort« gebraucht wird.
4) Vgl. die Stellen bei Krauss, Griechische und lateinische Lehnwörter 11 403. Be-
sonders charakteristisch ist der dort nicht angeführte Ausspruch des R. Jöhanan n^
rbvo b"^' i<^br2^2 "pü} p gn' n^n n2n nzr; xin -nD i^npn sanhedrin38b.
5) Pesähim 53 b, Bäbä mesl'a 86a.
6) Bäbä inesl'a 86a. — Über ältere Vorstellungen bis auf die Igigi und Anunnaki
s. Schrader, KAT3 453.
7) a. a. O. S. 13/14.
j ^ j Josefliorovitz,
himmlischen Topographie hat; da der Lebensbaum nach Henoch
231 sich an den Enden der Erde [asnäfa meder) befindet, so gehört
vielleicht die sidrat al muntahä ebenfalls an diese Stelle. Mit aqsä
wäre dann die höchste Stelle des Himmels, mit muntahä die fernste
auf Erden gemeint.
Aber nicht nur steht die Deutung des masg-id al aqsä als eines
Ortes im Himmel im Einklang mit den übrigen quranischen Vorstellun-
gen, der Quran zeigt auch, daß der Gedanke des Aufstiegs zum Himmel
Muhammeds Geist vielbeschäftigte. Wenn es Sure 15 14 15 heißt: »Und
öffneten wir ihnen ein Tor im Himmel und stiegen sie durch es hinauf
ija^rug-üna), so sprächen sie: , Unsere Blicke sind nur trunken gemacht,
nein, wir sind verzauberte Leute' «, so will der Prophet damit sagen,
seine Landsleute würden auch die Himmelfahrt, wie sie den Gottes-
männern der Vorzeit, vielleicht auch damals bereits dem Propheten in
ihrer Mitte zuteil geworden, falls sie selbst ihrer gewürdigt würden,
für eine Sinnestäuschung erklären. Sure 17920*. verlangen die Ungläubi-
gen vom Propheten noch mehr als den bloßen Aufstieg. »Sie sprachen:
,Wir werden dir nicht glauben, bis du uns aus der Erde eine Quelle
hervorsprudeln läßt .... oder du zum Himmel aufsteigst [tarqä);
wir werden aber an deinen Aufstieg nicht glauben, bis du uns ein
Buch herabläßt, das wir lesen' «; sie wollen also mit eigenen Augen das
himmlische Buch sehen, das ihnen Muhammed als Beweis seines Ver-
weilens im Himmel herunterbringen soll. Der Prophet ist sich darüber
klar, daß auch seine Entrückung in die himmlischen Sphären von seinen
Landsleuten nicht als Zeugnis für seine göttliche Sendung anerkannt
würde, und so läßt er sich Sure 635 von Allah trösten: »Wenn ihre Abkehr
schwer auf dir gelastet hatte: auch wenn du es vermöchtest, einen Schacht
in der Erde zu finden oder eine Leiter {sullam)^) zum Himmel, auf
daß du ihnen ein Zeichen brächtest . . ., wenn Allah es wollte, so hätte
er sie auf dem rechten Wege vereint.« Er findet sich also damit ab,
daß er die Leistungen, die sie ihm zumuten, nicht ausführen kann,
denn auch sie würden nichts ändern, solange Allah die Ungläubigen
nicht auf den rechten Weg leiten will. Endhch ist auch 6 125 vom Auf-
stieg zum Himmel die Rede: »Wen Allah auf den rechten Pfad leiten
will, dem weitet er die Brust zum Islam, wen er in die Irre führen will,
dem macht er seine Brust eng, als wollte er zum Himmel' liinaufsteigen
(Jassa'^adu) .« Ob Muhammed hier aus der Erfahrung des Ekstatikers
I) Vgl. den von Goldziher zu Hutaia XVIl 5 aus Sibawaihi I 197 angeführten
Vers des A*sä:
^Äoj iL4~wJ! OwAAv! >:>^)_» '^^ Q*^^*"'^' v^ i_5^ 0^.0 ^jXj
Muhammeds Himmelfahrt. 165
spricht, läßt sich kaum entscheiden, während 17 95 so khngt ^), als
habe er damals ein solches Erlebnis bereits hinter sich. Jedenfalls
aber geht aus den angeführten Stellen hervor, wie vertraut ihm die
Vorstellung des Aufstiegs war.
Es ist das nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, wie nahe die
Vorstellungswelt Muhammeds der der apokalyptischen Schriften steht,
welche von den himmlischen Entrückungen frommer Männer der
Vorzeit berichten, der Bücher Henoch, der Ascensio Isaiae, der
Baruchapokalypscn. Es ist sehr wahrscheinlich, daß ihm diese Nach-
richten bekannt waren, die aber Anweisungen über die Methoden,
durch welche die Verbindung mit der überirdischen Welt hergestellt
werden könne, nicht enthalten. Diese kann er nicht ihnen, sondern
nur der noch lebendigen Praxis asketischer Visionäre entnommen
haben. Schrieke -) versucht nachzuweisen, daß auch die Kähins
Arabiens mit dieser Praxis vertraut waren, und die Möglichkeit, daß
er sie von ihnen gelernt hat, kann nicht geleugnet werden. Beweisen
läßt es sich aber nicht, wir wissen über die Kähins der Zeit
Muhammeds viel zu wenig, und ethnologische Parallelen allein reichen
nicht aus, diese Lücke auszufüllen. Es ist ebensowohl möglich, daß
auch hierin die »Leute der Schrift« seine Lehrmeister waren, denn daß
bei diesen solche Methoden im Schwange waren, wird uns ausdrücklich
berichtet. »Viele der früheren Weisen glaubten«, so heißt es in einem
Rcsponsum des Gaon Hai, »daß der, welcher dazu geeignet ist, wenn
er bestimmte Tage fastend verbringt, den Kopf zwischen die Kniee legt
und zur Erde Lieder und Lobpreisungen murmelt, das Innere und die
Kammern schaue, als sähe er mit seinen Augen sieben Hallen, und es
ihm scheint, als träte er von einer Halle in die andere «3). Der Be-
richterstatter lebte zwar erst im lo. Jahrhundert, aber die »früheren
Weisen« werden auch bereits im 6. Jahrhundert nicht anders ver-
fahren sein.
Darin, daß die islamische Tradition die Himmelfahrt Muhammeds
an die nächtliche Reise nach Jerusalem anknüpft, welche sie in
Sure 171 erwähnt findet, dürfen wir einen Beweis dafür erblicken, daß
auch sie noch eine Erinnerung an die richtige Deutung der Ouranstelle
so auch Schrieke S. 14 Anm. i.
») S. 23 ff.
3) s. Tesüböt ha-geönim (Lyck 1868) § 99 1^ 13 C''"121D VH D'^Crnn ]12 rCT^^
psS l^'mb1 vd^d p: ii^'ni n^jci D^yn^ u^^^ p^jynz j;i'T«i "^pb ]i:nK'
n^DM vrj?z r\'a.')^ ^yint^ ^dd amniii g^d^:d3 ^'^üc {<\n mnDii'm nn^tt'
h'2'^T\h '?D^■^D DJD^ i<in I^ND nCiyi nj;2t^'; vgl. auch Harkaw, Studien und Mittei-
lungen IV S.XVIf. Femer Bloch in MGWJ. 1893 S.42 und BoussetARW. IV 5.153.
2 A^ Josef Horovitz,
bewahrte. Wie kam sie aber dazu, das »fernste masgida nach
Jerusalem zu verlegen? Schrieke antwortet (S. 13), diese Erklärung
gehöre in den Kreis der Nachrichten, welche zur Zeit 'Abdalmaliks
erdichtet wurden, um die Heiligkeit Jerusalems hervorzuheben, als
sich Mekka in den Händen des Gegenchalifen 'Abdallah Ibn az-Zubair
befand. Die Erklärung ist aber wahrscheinlich schon vor dem Chalifat
des 'Abdalmalik (65—86 H = 685— 705) verbreitet gewesen. Denn
'Omar Ibn Abi Rabl'a kennt sie .bereits: wenn er in einem seiner
Gedichte (Nr. 91 ed. Schwarz S. 'J^:,) ^) sagt:
»Bei dem, der den Propheten Muhammed sandte mit dem Licht und
dem Islam, der wahrhaftigen Rehgion,
Und bei dem Ruf der Pilger und ihrem Lobpreis am Maqäm und der
Säule des heihgen Hauses
Und dem fernsten Masgid, dessen Umgebung gesegnet ist, und dem Tür
schwöre ich als einer, der die Wahrheit spricht und nicht sündigt«.
SO beweist diese Nennung des Masg-id al aqjä inmitten anderer heiliger
Stätten auf Erden doch wohl, daß der Dichter auch unter dieser Be-
zeichnung ein irdisches Heiligtum verstand. Es ist nicht auszumachen,
wann das Gedicht entstanden ist, es kann aber sehr wohl aus der Früh-
zeit des 23 H. geborenen Dichters stammen, der somit bei 'Abdalmahks
Regierungsantritt bereits 42 Jahre alt, übrigens wohl ein Anhä.nger des
Gegenchalifen war -). Aber selbst, wenn die Verse erst unter 'Abdalmalik
gedichtet sind, so ist nicht anzunehmen, daß die von diesem gewünschte
Deutung des Ausdrucks sich so schnell eingebürgert hätte, daß ein
Dichter, der auch später den Omajjaden nicht gerade freundhch
gesinnt war 3), sich ihrer alsbald bedient haben würde. Die Vorliebe
der Omajjaden für Jerusalem geht ja auch in frühere Zeiten zurück 4);
von jeher bevorzugten sie es gegenüber Medina, dem Hauptsitz der
Ä.'j'Lj *.J ,»i^Lo x.äJL> .j-Iiil^ \J^5» i^.L/.4.Ji ,tdii\ ^4^,.w.*J5_5
[Auch Abu Sahr, lludail cd. Wkli.h. Nr. 264 Vers 24 schwort ^y^^^
sjl;» -a:iS^'5 Jo>\.a..«.^j5» aber wie die dort vorausgehenden Verse zeigen, in denen
"' ^ ' ^ • • j 1 -
u. a. vom Licht, Taurät und Ingil die Rede ist, muß dort unter dem Masgid al aqsa
nicht notwendig Jerusalem gemeint sein, und »d e r Besucher« deutet vielleicht eher auf
einen nicht allen zugänglichen Ort. Nebeneinander nennt die Heiligtümer von Mekka
und Jerusalem al Farazdaq, (iamhara 1659 ^'" "• ^'^'^^ ohne sich der Ausdrucksweise
von Sure 171 zu bedienen. — Korrekturzusatz.]
-) s. Schwarz, Einleitung S. 19.
s) daselbst
4) s. Welliiausen, Das arabisclie Reich S. 133.
Muhammeds Himmelfahrt. l57
Opposition. Schon Mu*awija hatte sich dort als Chahfen huldigen
lassen und soll damals auch bei den heiligen Stätten der Christen sein
Gebet verrichtet haben ^). Und neben dem politischen Interesse der
Omajjaden, welche die Heiligkeit Jerusalems für ihre Zwecke aus-
nutzten und sie wider denGegenchalifen in Arabien ausspielten, geht das
Bestreben einher, den Christen gegenüber Jerusalem auch als eine
heilige Stätte der Muhammc daner in Anspruch zu nehmen. Schon
Omar hatte (642) eine Moschee in Jerusalem errichtet 2)^ ohne übrigens
die Christen aus der Basilika des Justinian zu verdrängen. Vielleicht
hat man schon damals oder nicht viel später Versuche gemacht, Jeru-
salem auch in der Geschichte des Propheten eine Stelle anzuweisen.
Jedenfalls aber konnte man die alte richtige Deutung des Ausdrucks
masgid alaqsä nicht ohne weiteres beseitigen, weshalb denn auch
Jerusalem zunächst nur als Etappe auf dem Wege zum Himmel angesehen
wurde. Als solche erscheint es in der Überlieferung, auf die sich 'Abdal-
malik bei Ja'qübi bezieht und die doch wohl älter ist als seine Maß-
nahme: »und dieser Fels, von dem überliefert wird, der Prophet habe
seinen Fuß auf ihn gesetzt, als er zum Himmel emporstieg, soll euch die
Stelle der Ka'ba vertreten« 3). In dieser Überlieferung haben wir, soweit
ich sehe, das älteste Zeugnis für eine Fußspur des Propheten {qadam ra-
sül), wie sie später in großer Zahl in verschiedenen Teilen der islamischen
Welt auftauchen 4). Nun wissen wir, daß in der Basihka der Himmel-
fahrt auf dem Ölberge, die schon von Sulpicius Severus (f 4^0)
beschriebene Fußspur Jesu auch noch im 7. Jahrhundert verehrt
wurde. Der Pilger Arculf, der Jerusalem um 670 besuchte und uns
auch die älteste Beschreibung der Moschee Omars liefert 5), schildert,
wie die Pilger täglich Teile des Staubes mitnehmen, ohne daß die Erde,
für immer gezeichnet durch den Abdruck der Fußspur Jesu, ihr
I) s. NöLDEKE in ZDMG. XXIX S. 95, Wellhausen a.a.O. S. 64, R. Hartmann,
Dey Felsendom in Jerusalem S. 33.
-) Caetani, Annali 21 § 87, R. Hartmann, ZDPV. Bd. 32, S. 194.
3) Jaqüh'i,Historiaell2ii ^ij *Jtljo ^L'!i3**«; q^ lF-Jj- ls'"^^^ "s-^/^ii 8iA%
Xa*<JI (.liw *<i [»^ÄJ J^U^il -Jt lA*/^ Ui Lg-^i-fi Ä/üJö. — Nach der Confutatio
Agareni des Barlholomaeus Edessenus, Migne, Patrologia Graeca Bd. 104, Spalte
1392 und 1440' steht Muhammed mit dem einen Fuß im Himmel, mit dem andern in Jeru-
salem. Der Bericht wird dort auf Fätima zurückgeführt. Bartholomaeus, dessen Alter
Migne nicht kannte (s. die notitia S. 1380), erwähnt die Gründer der vlermadähib (Sp. 1402)
und nennt von den 72 Sekten die Mo'JTotvt (Mu*tazila)/Ia|j.aiXi (Isma'ilija), Xa(Jiat[i.O'j
(yärimija? Gahmija?) und Seircpi (Sifrlja), daselbst Sp. 1403. Güterbock, Der Islam im
Lichte der byzantinischen' Polemik, S. 22, setzt Bartholomaeus in die Zeit der Kreuzzüge.
<) s. GoLDZiHER, Studien II 397.
5) s. Arndt übs. u. erkl. von Micklev I S. 10/20. ■ ,
j<o J o s e f Ho ro V i tz ,
Aussehen veränderte'). Das Vorbild Jesu, das auch sonst so zahl-
reiche Spuren in der Biographie des Propheten hinterlassen hat, wird
auch hier nachgewirkt haben. Die Fußspur Jesu befand sich an der
Stelle, von der aus er zum Himmel aufgestiegen, und so war die Ant-
wort auf die Frage, von wo aus Muhammeds Himmelfahrt erfolgt sei,
von vornherein gegeben -) : es konnte nur Jerusalem in Frage kommen.
Die Erzählung von der Reise Muhammeds nach Jerusalem hätte sich
dann also im Anschluß an seine dort gezeigte Fußspur herausgebildet 3).
Vielleicht aber klingt auch noch die Erinnerung an den ursprüng-
lichen Sinn der Vision Muhammeds in der Stellung nach, welche Jeru-
salem jetzt in der Geschichte der Himmelfahrt einnimmt. Denn es
gibt einen Ort, der beides vereint, die himmlische Lage und die Heilig-
keit Jerusalems, eben das himmlische Jerusalem, tj o£ avu) 'IspouaaXrijx
und 'lepouaaXYjfjLETTOupavio? des Neuen Testaments, welches sich nach
IJagIgä 12 b im vierten Himmel, Zebül, befindet. Von diesem himmli-
schen Jerusalem heißt es in der syrischen Baruchapokalypsc 43ff., es
sei dem Adam gezeigt worden, bevor er sündigte, danach Abraham
und später Moses; wie das Paradies sei es im Himmel bei Gott bereit-
gehalten 4). Und in der äthiopischen, von Halevy veröffentlichten 5)
Baruchapokalypsc wird Baruch von dem Engel Sutuel in das himm-
lische Jerusalem {Ijarusälem saniäjäwlt) entführt und erhält auf seine
Frage die Antwort, es sei den Märtyrern zur Wohnung bestimmt,
welche diese vergängliche Welt verachtet und gehaßt und um der Ge-
rechtigkeit willen den Tod erlitten haben. Aber auch die Seele Irenes,
1) daselbst S. 38/39
2) s. auch ScHRiEKE S. 15. Nach Haiabi I 37110 v. u. und ebenso 3728 weiß der
Bitriq des Qaisar, dem Abu S'ufjän vom Isrä des Propheten berichtet, auf Grund seiner
Belesenheit in der »alten Wissenschaft« i^L^^i^Ü (j^^Xä^-Ü ci^>j.i q-'« «-^*^^ ^.-^ (;> •
3) Einen Einblick in die Entstehung der Tradition gewährt der bei TabarT, Tafstr
XV M angeführte Hadit, in welchem Hudaifa zu Zirr Ibn Hubais sagt: Lv.* d^A-c '^
4) über das himmlische Jerusalem vgl.VoLZ, Jüdische Eschatologie S. 336 ß., Messel,
Die Einheitlichkeit der jüdischen Eschatologie BZATW. 30 (191 5). S. 89 ff .
5) Teezäza Sanbat S. 80 f. Auch Gorgorios wird von Michael das himmlische Jerusalem
gezeigt, daselbst S. 99.
Muhammeds Himmelfahrt. I60
der Schwester des heiligen Abädir, wird auf seine Bitte zur Stärkung
ihres Glaubens an die jenseitige Strafe in das himmliscne Jerusalem
entführt, worauf sie dann in ihren Körper zurückkehrt ^). Auch diese
Vorstellung kann also Muhammed sehr wohl vertraut gewesen sein^*),
und als er sich an den »entferntesten Betört« versetzt fühlte, mochte
er das himmlische Jerusalem vor sich zu sehen glauben, wie viele
Apokalyptiker und Visionäre der früheren Zeiten.
Durch das Selbstzeugnis Muhammeds ist die ekstatische Himmel-
fahrtalsein Erlebnisseiner prophetischen Laufbahn gesichert, in welchen
Abschnitt dieser Laufbahn sie fällt, ist aber den koranischen Worten
nicht zu entnehmen. Darin hat Schrieke 3) sicher recht, daß die
Himmelfahrt, wie auch Bevan gleichzeitig erkannte, in der traditionellen
Biographie ursprünglich mit der Episode der Herzensreinigung ver-
bunden, also wie diese in die Anfänge seiner Wirksamkeit verlegt war.
Damit ist aber nicht bewiesen, daß sie auch wirklich den Charakter
einer Prophetenweihe trug, sondern nur, daß die Überlieferung, als sie
seine Biographie unter Benutzung biblischer und pseudepigraphischer
Vorbilder, aber auch unter Verwendung altarabisch-heidnischer Motive
zusammenstellte, sie als solche auffaßte. Schrieke 4) selbst weist darauf
hin, daß keineswegs alle Himmelsreisen der früheren Ekstatiker die Ein-
weihung in ihren prophetischen Beruf bedeuten, und die ethnologischen
Parallelen, welche er beibringt, reichen bei dem Stillschweigen des
Quran nicht aus, auch die Herzensreinigung Muhammeds als ge-
schichtlich nachzuweisen. Es soll nicht bestritten werden, daß Mu-
hammed manches aus der Praxis der Kähins beibehalten haben mag
(Schrieke S. 25), aber die Geschichtlichkeit der Herzensreinigung läßt
sich auch damit nicht beweisen, daß sie, wie Schrieke meint (S. 11),
keinen Anhaltspunkt in der Literatur der ahl al kitäb habe; denn
selbst wenn das richtig wäre, so bliebe die Möglichkeit, daß die Über-
lieferung sie arabisch-heidnischen Vorstellungen entsprechend einge-
') vgl. Synaxarium Alexandrinum ed. Forget I 43 u-*.JL-ij -J'-^W^ u'^H'-^^-'' r)*-^ ^
Vi-M^sü *— jji l\5>L5 l-i5J\.äJ1 -i JLj! \;^i>i iüL/«! icüj ,..i ^>-w^l .-^a
lPiA.w.>- Jf OOLi. Auf diese Stelle verweist schon Chauvin, Bibliographie XI 208.
-) Daß auch die Überlieferung noch etwas von ihr wußte, scheint mir daraus hervor-
zugehen, daß Muhammed im Bau al maqdis Ibrahim, Müsä, 'Isä und alle Propheten traf;
das konnte nicht urspünglich vom irdischen Jerusalem gegolten haben.
3) a. a. 0. S. 5, 9 und 29.
4) a. a. 0. S. 21. — Auch in der oben angeführten Legende des Abädir liat sie ihn
nicht, ebensowenig im Afta Viral Näniak.
Islam IX. 12
170
Josef I-iorovitz,
führt und ausgeschmückt habe. In Wirklichkeit finden sich aber
Parallelen zur Herzensreinigung in der christlichen Heiligenlegende
wie in der Zarathustralegende. Bereits Chauvin ^) hat auf einige hin-
gewiesen, von denen namentlich eine Stelle aus dem Leben des Timo-
theus as säih angeführt sei-): »Und Gott blickte auf ihn und sandte
seinen Engel zu ihm, der ihm mit der Hand über das Herz strich,
worauf er von seinen Schmerzen genas. Dann öffnete er seinen Körper
mit dem Finger, reinigte die Leber, legte sie an ihre Stelle zurück,
richtete das Herz wieder her, wie es vorher war, und sprach zu ihm:
»Du bist gesund geworden; sündige nicht mehr, damit dir nicht
Schlimmeres widerfahre« (Joh. 514). Der Sinn ist hier freilich ein
etwas anderer als in der Muhammedlegende, und noch weiter entfernt
sich von der Bedeutung, welche die Herzensreinigung in ihr hat, was
wir über sie im Zäd sparamS) lesen: »The third (achievement of the
archangel) was cutting v.ith a knife and the vital parts becoming
visible which are inside the abdomen with a fiowing forth of blood;
and after the hands wcrc rubbed over it, it became healed.« Das wird
dann im folgenden so erklärt: »Thy and thy coreligionists accepting
of the purereligionis, as to thesteadfast in others, such that through
such like burning of fire, pouring of hot metal and through an Operation
with a hot Instrument there is no perversion from the good religion«,
während es in dem späteren Zariustnäma '^) nur heißt: »Man öffnete
ihm den Leib und nahm die Eingeweide heraus, dann legte man sie
wieder an die Stelle, schloß den Leib und alles war wie zuvor.« Handelt
es sich auch beidemal nicht um eine Weihe, so bleibt doch die Möglich-
keit, daß die Herzensreinigung in der Biographic Muhammcds auf
ähnliche, nicht arabische Vorbilder zurückgeht.
») Bibliographie XI 208.
^) Synaxariiim Alexandrinum ed. Forget I 171 &J jLa iUwJi J-«*,'» *>^l *^) -äÄS
iijc^LJ s-t-»*.^ I ö-ii f*-^ *J l5^^ ■'*"'~^' ^w*. qA {^j^i sOLs ^^^ ^'^ti — w«./)_.
3) Sacred Books of the Fast XLVII 159.
4) bei Wilson, The Parsi Religion S. 494. — Das Zartustnäma enthält noch eine
andere Parallele zur Muhammedlegende: Durämarün, der von der Geburt des Zartust
gehört hatte, begab sich nach dem Hause seines Vaters, um das in der Wiege liegende Kind
zu ermorden; doch als er den tötlichen Streich führen wolUe, erlahmte seine Hand, und er
war kraftlos (Wilson S. 484); ähnlich auch schon Dinkard VII 3. Das erinnert an die
Erzählung von Du'tür, der plötzlich dem Propheten mit gezücktem Schwert entgegentritt
und ihn fragt, was ihn jetzt schützen könne, worauf der Engel Gabriel hervortritt und ihn
zu Boden wiift. Wäqidi (Wellii.) 99, Ihn Sa*d IIi S. 24, Dijärbakri, JJanüs I404.
Muhammeds Himmelfahrt. 17t
Die arabische Literatur selber bietet uns aber auch ein von
ScHRiEKE übersehenes Beispiel einer Brustöffnung aus der Entstehungs-
zeit des Islam. Von Omajja Ibn Abl-s-Salt wird erzählt i), daß er
eines Tages im Hause seiner Schwester im Schlafe lag, als sich das Dach
öffnete und zwei Vögel erschienen 2), von denen der eine sich auf seine
Brust warf, sie öffnete, das Herz herausholte und auch dieses öffnete.
Der zweite Vogel, der an seiner Stelle verharrt war, fragte den ersten,
»Hat er es erfaßt?« was dieser bejahte. »Hat er es angenommen.?«
»Nein, er weigert sich.« Darauf setzte er das Herz wieder an seine
Stelle und erhob sich zum Fluge. Omajja aber folgte ihm mit den
Blicken und sprach: »Euch beiden zu Diensten, hier bin ich bei euch,
nicht frei, so daß ich Entschuldigungen vorbringen und nicht zahl-
reichen Stammes, so daß ich den Sieg erringen könnte.« Da kehrte der
Vogel zurück, setzte sich ihm abermals auf die Brust, öffnete sie, holte
das Herz heraus und öffnete auch dieses. Da sprach der Vogel, der
oben geblieben war: »Hat er es erfaßt?« »Ja.« »Hat er es angenommen?«
»Nein, er weigert sich.« Darauf machte sich der Vogel, der auf seiner
Brust gesessen, zum Fluge bereit, Omajja aber folgte den beiden mit
den Blicken und sprach: »Euch beiden zu Diensten, euch beiden zu
Diensten, hier bin ich bei euch, kein Besitz, der mich reich machte,
und kein Stamm, der mich schützte.« Da kehrte der Vogel zurück,
setzte sich ihm auf die Brust, öffnete sie, holte das Herz heraus und
öffnete auch dieses. Darauf sprach der Vogel, der oben geblieben war:
»Hat er es erfaßt?« »Ja.« »Hat er es angenommen?« »Nein, er weigert
sich.« Darauf machte sich der Vogel zum Fluge bereit, Omajja aber
folgte den beiden mit den Bhcken und sprach: »Euch beiden zu Dien-
sten, hier bin ich bei euch, umgeben von Wohltaten, bewahrt vor
Widerwärtigkeiten.« Da kehrte der Vogel zurück, setzte sich ihm auf die
Brust, öffnete sie, holte das Herz heraus und öffnete auch dieses. Da
sprach der Vogel, der oben geblieben: »Hat er es erfaßt?« »Ja.« »Hat
er es angenommen?« »Nein, er weigert sich.« Dann machte er sich
zum Fluge bereit, Omajja aber folgte ihnen mit den Blicken und sprach:
»Euch beiden zu Diensten, hier bin ich bei euch; wenn du verzeihst,
o Gott, verzeihst du im ganzen, und welcher von deinen Knechten,
>) AgänT IlliSi (Neudruck). Vgl. Sprenger, Das Leben und die Lehre des Moham-
mad In; f.
2) Damit vergleiche man die Version des Abu Darr bei Buhäri, Salät i, wonach
>
der Prophet gesagt habe: -^-ftS J-^j-t^ dj^ '^^^ '^j^ \5^ OÜÜ« ^^ ^j>
j^2 JosefHorovitz,
der nicht gefehlt? « ^) Darauf — so fuhr seine Schwester in ihrer Er-
zählung fort — schloß sich das Dach, und Omajja setzte sich auf und
wischte sich die Brust ab. Ich fragte ihn: »Fühlst du etwas?«, worauf
er erwiderte: »Nein, nur Hitze in meiner Brust«. Darauf sprach er
die Verse: »Hätte ich doch, bevor mir dieses vor Augen trat, auf den
Bergspitzen die Steinböcke gehütet; darum stelle dir den Tod vor
Augen und hüte dich vor der Tücke des vSchicksals, denn das Schicksal
hat seine Tücken =).« — Neben diesem ausführlichen Bericht finden
sich noch mehrere kürzere, die mit ihm im wesentlichen übereinstimmen;
in manchen 3) wird ausdrücklich hervorgehoben, daß sich alles zutrug,
während Omajja schlief, in andern 4) lautet die zweite Frage des oben
gebliebenen Vogels nicht : »Hat er es angenommen? «, sondern »Ist er rein? «
Nach einer Version 5) hätte die Schwester des Omajja dem Propheten
erzählt, sie habe im Wachzustande zwei Geier gesehen, die sich auf das
Dach ihres Hauses niederließen, in welchem ihr Bruder schlief. Der eine
von diesen habe sich ihrem Bruder auf die Brust gesetzt, sie geöffnet,
mit etwas gefüllt und dann wieder geschlossen. Darauf habe er sich
erhoben und sei von dem andern Geier gefragt worden, ob Omajja die
Worte erfaßt habe, was er bejahte, während er die Frage, ob er rein
sei, verneinte. Auf dieses Erlebnis sei die Gabe Omajjas zurückzuführen,
in seinen Gedichten weise Aussprüche zu tun und von der Einheit
Gottes und dem Höllenfeuer zu sprechen. In den andern Berichten
wird das nicht so deutlich gesagt, sondern der Nachdruck darauf gelegt,
daß er die überirdischen Eingebungen zwar vernommen, sie aber nicht
') Dieser \'ers bei Schvlthess, Umajja ihn Jbi-s-Sa!t (Leipzig lOii) Nr. LIV. —
Nach Uds. V516 sprach er ihn unmittelbar vor seinem Tode-
^) Diese beiden Verse bei Schulthess, Umajja Nr. XLVII.
3) Ibn al Atir, Usd al qäba V516, wo al Färi'a erzähU : ^ä^ ^-yAi ^^c^' p^^
^Jw..5
4) AgänT III 181 Zeile 4 v.u., ebenso Bagawi, TafsTr zu Sure 7174. Vgl. ferner
('Jumahi, Tabaqüt ed. Hell öjf., Ta'labi, Qhas 166 f.: s. Sprenger a.a.O. 1181;
daselbst 119 wird auch noch auf den Artikel des Isäba über Färi'a verwiesen.
5) Balaw!, AU\ Bä II508 (vgl. Goldziher, Ahhandlxmgen I213): e>-^^' •^-3
■ Sj£ *xj ^-5 ^c. ,V.P .r>^^ ..>^ki\ \J <}Jä.i — -£•» ^^^1.*^^ *.i t, ^^J »'..^>»
Muhammeds liimmelfalirt, 1/3
-anerkannt habe^), bis er— nach dem ersten Bericht — sich seiner Sünden
bewußt geworden und um Verzeihung gebeten habe. Es ist nicht ganz
klar, in welchem Verhältnis diese Nachrichten zu denen von der Brust-
öffnung des Propheten stehen; daß sie erst als Gegenstück zu diesen
erfunden seien, wie Power meint -), ist kaum anzunehmen, eher, daß
solche Erzählungen von arabischen Dichtern und Wahrsagern den Ur-
hebern der Prophetenbiographie die Notwendigkeit nahelegten, ihrem
Helden ähnliche Erlebnisse anzudichten. Aber sicher ist das nicht;
wie wir oben gesehen, können auch nichtarabische Vorbilder bei der
Aufnahme dieser Episode m die Lebensgeschichte Muhammeds mit-
gewirkt haben.
Wie stark die spätere Ausmalung von Mohammeds Reise durch
die sieben Himmel unter dem Einfluß der jüdischen, christlichen und
vielleicht auch parsischen Apokalypsen steht, hatScHRiEKE im einzelnen
nachgewiesen 3): Aber nicht nur die pseudepigraphischen Schriften
haben den muhammedanischen Erzählern als Quelle gedient, auch Re-
miniszenzen aus den kanonischen Büchern der Bibel lassen sich nach-
weisen. Eine solche scheint mir nicht nur in der bekannten Erzählung
von Muhammeds Feilschen um die Zahl der Gebete 4) vorzuliegen,
welche ihr Vorbild in Genesis XVIII ,^_^, hat, sondern auch in einer auf
^il Hasan zurückgeführten Überlieferung 5), derzufolge der Prophet
erzählt habe: »Während ich im Higr schlief, kam Gabriel zu mir und
stieß mich mit dem Fuße. Da setzte ich mich auf, sah aber nichts und
legte mich wieder hin. Da kam er zum zweiten Male zu mir und stieß
mich mit dem Fuße, worauf ich mich aufsetzte, aber, da ich nichts sah,
wieder niederlegte. Da kam er zum dritten Male, stieß mich mit dem
Fuß und ergriff meinen Arm, worauf ich mich erhob und er mich zum
Tore der Moschee führte. Dort stand ein Tier« usw.; in dieser Episode
glaube ich eine Nachahmung der- Erzählung von Samuels Traum im
Tempel (I Samuelis 33_,o) zu erkennen.
Bei der Schilderung der Flöllenstrafen M liegt es nahe, an parsische
Vorbilder zu denken. Freilich nehmen die Strafen der Verdammten
I) Gumahl \JLxs5 ^i.5 5^.Ai> ^i *.ii! ol^i ^:>-j ^^j'.
^-) s. MFO. V2 S. 189*.
3) S. 16 ff. — Zu der von Bousset in seinem bekannten Aufsatz verwerteten
Litcratur-kommen noch die bereits oben angeführten äthiopischen Apokalypsen des Baruch
und Gorgorios, die Hal^vy in seinem Teezäza Sanbai veröffentlicht hat.
4) ScHRiEKE S. 19 Anm. 6. — Auch in den MaiäzT lassen sich Nachahmungen bibli-
scher Schlachtenschilderungen beobachten, s. Sarasin, Das Bild Alis S. 19 ff- und v. M/.ik
in WZKM. XXIX S. 371- ' • ' •
5) Ibn Hisäm 264: ff.
6) ScHRiEKE S. 17, 18 Anm. i. Eine andere Beschreibung der llolle.nstrafcn bei
Buhäri, Ta^blr 48,.
,_. TosefHorovitz,
1/4 -^
auch in der Petrus-, Sophonias- und Paulusapokalypsc einen breiten
Raum ein, aber es finden sich doch Einzelheiten, welche mit den Arta
Viral Nämak so auffällig übereinstimmen, daß man eine Entlehnung
annehmen möchte. Man vergleiche namentlich den folgenden Passus
bei Ibn Hi§äm=) : »Dann sah ich Frauen, die an ihren Brüsten auf-
gehängt waren, und ich sprach: »Wer sind diese, o Gabriel?« Da ant-
wortete er: »Das sind die, welche ihren Männern Kinder gebracht haben,
die nicht von ihnen gezeugt waren«, mit ArtaViräf Nämak Cap. 243):
»I also saw the soul of a woman who was suspended by the breasts to
hell . . . And I asked thus: »What sin was committed by this body,
whose soul suffers such a punishment?« Srösh the pious and Äterö the
angel said thus: This is the soul of a wicked woman who in the world
left her own husband and gave hersclf to other men and committed
adultery.« Wir finden hier beide Male dieselbe Strafe für Vergehen,
welche im Grunde gleich sind. Schrieke 4) nimmt auch für die drei
Becher, die Muhammed angeboten werden, iranische Plerkunft an,
wenn sie auch im Arta Viräf Nämak eine ganz andere Bedeutung
haben.
Man hat sich daran gewöhnt, den Isrä als die nächtliche Reise
nach Jerusalem dem Mi'räg- als der Himmelfahrt gegenüberzustellen.
Aber nicht nur ist der Tradition dieser Unterschied ursprünglich fremd
und gebraucht sie, wie schon Schrieke gezeigt 5), isrä auch im Sinne
von Himmelfahrt, sondern die ältesten Werke der Sira- und Hadit-
literatur verwenden mi'räg überhaupt nicht im Sinne von »Himmel-
fahrt« oder »Aufstieg«, sondern kennen das Wort lediglich in der Be-
deutung »Leiter«. Auch die arabischen Lexikographen verzeichnen die
Bedeutung »Aufstieg« nicht, wofür vielmehr 'z^nT^ gebraucht wird; erst
aus späterer Zeit läßt sich mi'räg im Sinne von Himmelfahrt belegen 6).
I) Vgl. Dieterich, Nekyia 174 ff.; Weinel in Hennecke, Neutestamentliche Apo-
kryphen S. 212 ff.
^) 269 ult.: Jo^-A^ Lj t^l>^ ^T'» ^^•^ÄS ^i;:iy^i o'läU^ tL^^i <j^j\j *'i
^o^.i ^A ^J ^ ^L:>J! ^JL^ c^^=>^\ ^-^'^ ^V ^^'' t^^g'- '^'''' '-^"^^^
Tor Andrae, Die Person Muhammcds S. 44 Anm. i. — Korrekturzusatz.]
3) ed. Haug and West (1872) S. 171. Nach West imGnindnß der iranischen Philo-
logie II108 ist die Schrift nicht älter als das 7. Jahrhundert.
4) a.a.O. S. 18.
5) a. a. 0. S. 14.
6) In der Überschrift bei I. His. 268 oLJ^Sl ^a t^i ^^ L/I5 -L"*^''' ^'^^
hat es bereits diese Bedeutung, nirgends aber, soweit ich sehe, im Text des Ibn Hisäm.
Haiabi I 37414 führt aus dem TafsIr des Qurtubi eine Stelle an, in der es heißt: yts
^'l£> ^*Lo xJÜ! 6^^j 0^^:>^A U^ Jus d^*/* ^JJ! U5'^^ d-Aj^=>- ^H^
Muhnmmcds [iiiiuiiclfahrt.
175
Der mi'räg- ist lediglich ein Mittel des Aufstiegs und gehört zur Him-
melfahrt wie der Buräq ursprünglich zur Reise nach Jerusalem "); erst
später dient dieser auch dazu, den Propheten gen Himmel zu tragen. In
einem mehrfach wiederholten Hadit erscheint der mi^räg- nicht nur als
die Leiter, mittels deren Engel und Propheten zum Himmel hinauf-
steigen, sondern welcher sich auch die Seelen der Toten bedienen 2).
Von einer solchen Leiter der Toten wissen die jüdischen und christ-
lichen Quellen nichts 3), aber Bevan hat darauf hingewiesen 4), daß
nach manichäischer Lehre drei Götter den Toten zur Mondsphäre {jalak
al qamar) vermittelst der »Säule des Ruhms <( (^amüd as sahh) führen 5),
und es mag in der Tat ein Zusammenhang zwischen beiden Vorstellungen
bestehen, obwohl das eine Mal von einer Säule, das andere Mal von
einer Leiter die Rede ist. Daß aber die Leiter, die Muhammed zum
Himmel führt, auf die Jakobsleiter zurückgeht, hat schon Schrteke ^)
angenommen. Obwohl der Ouran über Jakob fast ganz schweigt?), so
...L5' iüi A.S- .cLyb „i-*^j {^\ kjJi\ J~<wjt lAs») \jj'Ci Q.jJ.A«.4.il3 ^^^j^kl\
i.\.ii ii./<*^! ilJL-J -5, vgl. auch daselbst Zeile =; v. u. : .-X-S —ijuJ) .■■S -ic i^LÄj
il-Aw^Sl KJLü ^5. Ebenso hat mi'räi^ die Bedeutung »Himmelfahrt«, z. B. in der
Überschrift Kanz al 'ummäl VI 96. Dagegen heißt es z. B. Haiabi 391 Zeile 11/12:
— ►.*iL r.!.jw^J ( q\ Nxil u!>J^ Jv.S»r X-*^. Ebenso daselbst 37413 v.u.: \c«.r>., lAxJ
-.^.xi! ^^; 375,,, 3 :„.^^! J.X5 kiL)3 ^Ia^ >^\ iUj.
■) Bevan a. a. 0. S. 57: »The proper function of the Buräk is to carry the Prophet
to Jerusalem, not to Heaven.«
-) Ibn Hisäm 268, wo Abu Sa'id al HudrI sagt: üjjij *.xi.A3 ^^' 4^-*^' ^jy^a^j*.
CS-
;,o! \x5. Derselbe Hadit bei Tabarl, Tafsir XV n; voran geht dort ein anderer, eben
falls auf Abu Sa'id zurückgeführter, in dem es heißt (daselbst S. 10): _Lx-*.JLj c> (*-'-i
c>.A4.il ^i^ -J *.!5 ^:>^J^ Lxi .-.w.;>^ J.P ÜLs J.0I --0 --'»j^ ^>r5 — ^.*j i^Ä.^^
;^j\ »^i Läj _ ,*5 \xM ».AiJ iA>^j v^x^ . Vgl. auch Oastalläni VI 204.
c •••(!.->•• -^ ■ ■• .. & -< •
3) In der Apokalypse des Gorgorios (ed. Halevy, Teezäza Sanhat) S. 97 heißt es in
bezug auf die Seele des Frommen nur, daß die Engel ja'äregu nafsö westa samäj ba
weddäse wa be sebhat.
4) a. a. 0. S. 59.
5) FiHRIST 335to ff.
^) a. a. 0. S. 12.
7) Geiger a.a.O. 137 f.; Gkünbaum, Nene Beiträge zur seniilischenSagenkimdei^^.
I 76 J o s u f H o r () V i t z ,
läßt sich doch wahrschcinhch machen, daß Muhammcd die Jakobs-
leiter gekannt hat. Denn in Sure 703, 4, wo er von Allah als »dem Herrn
der Stufen« spricht, »zai dem die Engel und der Geist aufsteigen«,
spielt er wohl auf sie an und bezeichnet sie mit dem gleichen Ausdruck
[ma'^ärig), mit dem auch das äthiopische Jubiläenbuch (2721) das
snlläm des hebräischen Textes (Genesis 2812) wiedergibt [wayiähü
ma^äreg tekelt westa meder) ^). Im Äthiopischen kommt sowohl ma'-reg
(Plural ma'-äreg) als auch meWäg (Plural m.e'^rägät) vor, und das dem
letzteren genau entsprechende mi'-räg- hatte schon Wellhausen 2) als
Lehnwort aus dem Äthiopischen bezeichnet. Nüldeke 3) hat gegen
diese Herleitung eingewandt, mi'-räg- sc\ schwerlich schon zu Muhammcds
Zeiten im Gebrauch gewesen, wenn es aber erst etwas später aufge-
kommen sei, so könne es nicht abcssynischcn Ursprungs sein; auch
bedeute das äthiopische meWäg Bodenerhebung, nicht aber das Auf-
steigen als Abstraktum. Was den ersten Einwand anlangt, so führt
Nöldeke selbst einige erst aus der Zeit nach' Muhammcd belegte
arabische Wörter auf, die er nlxT nichtsdestoweniger aus dem Abessyni-
schen ableitet. Und die abstrakte Bedeutung »das Aufsteigen« hat,
wie wir oben gesehen, das arabische mi'-räg- ebenfalls von Haus aus
nicht, während Dillmann die Bedeutung gradus nicht nur für das
äthiopische ma'-reg, sondern auch für me'räghQlegt. Daß das koranische
ma'ärig aus äthiopischen ma^äreg entlehnt sei, scheint mir nach dem
oben Ausgeführten sehr wahrscheinlich, und seine Verwendung im
Ouran 4) spricht dafür, daß auch mi'räg schon zu Muhammieds Zeiten
bekannt gewesen sei. Jedenfalls bestehen keine Bedenken, auch dieses
aus dem Äthiopischen herzuleiten.
Muhammcd hat sich auch mit Spekulationen über die Höhe der
Himmelsleiter befaßt, wie die Fortsetzung des angeführten Ouran-
verscs beweist, »die Engel und der Geist steigen zu ihm in einem Tage,
dessen Länge 50 000 Jahre ist«. Ähnliche Angaben finden sich auch
') Dagegen gibt die äthiopische Bibelübersetzung siilläm in Genesis 2812 mit sawäsew
wieder.
-) Reste arabischen Heidentums - 232 Anm. i.
3) I<Ieue Beiträge zur semitischen Sprachwissenschaft S. 50 Anm. i. Auch Nc'ildeki;
kennt keine vorkoranischen Belege für *araga im Sinne von hinaufsteigen; im Quran wird
neben *araga auch raqija und sa'ada V gebraucht. Im Äthiopischen bedeutet der Singular
ma'reg gradus oder scala, der Plural ma'äreg auch scalae im Sinne von Leiter und Treppe,
s. DiLLM.\NN s. V. 'araga. Außer den daselbst verzeichneten Stellen kommt auch Ascensio
Isaiae 74 in Betracht söba a^ragüka tna'ärega, wo Dillmann in der Übersetzung »ascensus«
und »gradus« zur Wahl stellt.
4) Eine parallele Bezeichnung ist rafl' ad-daragai, womit AUäh in Sure 4O15 be-
zeichnet wird.
Muhammeds Himmelfahrt. j^-
sonst: nach einer Aussage des babylonischen TahiiucP) beträgt die
Breite der Himmelsleiter 8000 Parasangen, über ihre Höhe wird dort
nichts gesagt, doch wird an andern Stellen angegeben -), die Entfernung
von der Erde bis zum untersten der sieben Himmel betrage 500 Jahre
die Ausdehnung jedes der sieben Himmel ebensoviel, und der Zwischen-
raum zwischen einem Himmel und dem nächsten ebenfalls je 500 Jahre
wonach also die Entfernung von der Erde bis zum siebenten Himmel
sich auf 7000 Jahre beläuft und — rechnet man gleichermaßen die
Entfernungen der sieben Erden dazu — von der untersten Erde bis
zum obersten Himmel 3) auf 14000 Jahre. Auch bei den Persern 4)
fmden wir ähnliche Angaben, die aber nach Parasangen, nicht nach
Jahren rechnen. Wahrscheinlich steht auch hier Muhammed unter dem
Einfluß der jüdischen Spekulation.
Der Geist {riik), der nach Sure 7O4 mit den Engeln zu Alläh empor-
steigt, ist der gleiche, der nach Sure 7838 am Tage des Gerichts mit den
Engelnzusammenineiner Reihesteht, wobeisie nur mitErlaubnis des All-
crbarmers reden; nach Sure 974 steigt der rü/t mit den Engeln zu-
sammen in der Lailat al qadr herab und nach Sure 162 wird er zu
den von Alläh Auserwählten herabgesandt. An dieser letzten Stelle
wird er näher als wüh min amrihi« bezeichnet, ebenso Sure 4O1-, wo
es von dem, »der hoch ist an Stufen« (m/z' ad-darag-ät) heißt, daß er
diesen ruh min amrihi auf die seiner Diener herabsendet, die er dazu
auserwählt, während nach 4252 ein r?l// mm amn«äzu Muhammed herab-
gesandt worden ist. Auch in Sure 17 S7 wird auf die Frage, was der nlh
sei, im göttlichen Auftrag geantwortet, »der nlh ist von dem amr
meines Herrn« 5). Der »Geist« geht also aus dem y^7nr Allahs hervor,
und dieser ist nach den übrigen Stellen, an denen von ihm die Rede
^) Hullin 91b.
-) Pesähim 946, Hagigä 13 a.
3) Vgl. Tabari, T^/sfr XXIX S. 31 : ^.^j .5 ^Oo *P0.*o \Xsla ,.\S
4) Nach Vendidad XIX, 07 1:1 befindet sich die Wohnung des Ahuramazda, der Garön-
inära, 24 X 24000 Parasangen über der Erde. Vgl. weiteres bei Lidzb.'^rski, Das Johannes-
buch der Mandäer S. 8 Anm. 5. Nach Hagigä 13 b ist der Engel Sandalfön 500 Jahresreisen
höher als seine Gefährten und reicht bis zu den Hajjöt. Über die Ausdehnung der Himmels-
tore s. auch die griechische Baruchapokalypse 2, 3, und 4.
5) Nach der Konjektur Ryssels, der in der syrischen Baruchapokalypse 214 "f. A V'.n -^
statt OU f '-0 T ' lesen will, wären auch in diesem Vers »Geist« und »Wort« nebenein-
ander genannt.
178 Joscffloiovitz,
ist, eine der Hypostasen Allahs, durch die er auf die Welt einwirkt.
Wie in den Spekulationen über die kosmischen Maße ist Muhammed
auch in den subtileren über die göttlichen Hypostasen von älteren Vor-
stellungen abhängig. \'om ruh, dem rüah haqödes oder rilhä de qudsä
ist das ohne weiteres klar, vom amr aber hat Grimme nachzuweisen ver-
sucht '), daß er südarabischen Ursprungs und mit dem aus den süd-
arabischen Inschriften zu belegenden amr, das dort einen aus ver-
schiedenen Göttern emanierenden Logos bedeute, gleichzusetzen sei.
Um den christlichen Logos könne es sich dabei nicht handeln, denn
dieser werde in Sure 340 und 4169 durch »Kalimat Allä/m wiedergegeben,
und ebensowenig könne der südarabische amr eine Entlehnung aus
dem jüdischen memrä sein, da dieses nur dem Targum Onqelos ange-
höre und in der späteren Literatur nicht mehr üblich sei. Damit ist
aber keineswegs gesagt, daß dieses Wort zur Zeit Muhammeds in dessen
jüdischer Umgebung vergessen gewesen wäre, da ja das Targum zum
Pentateuch von alters her neben dem hebräischen Text allgemein gelesen
wurde 2); übrigens ist auch weiterhin das hebräische dibber bzw. dib-
hür in der gleichen Bedeutung wie memrä üblich 3). Ohne in eine Dis-
kussion darüber einzutreten, ob das südarabische amr im Sinne Grimme's
zu deuten ist und für die Frage nach dem unmittelbaren Ursprung des
quranischen avir überhaupt in Betracht kommt, möchte ich dieses
letztere jedenfalls mit dem targumischen memrä gleichsetzen, aus dem
auch wohl das südarabische amr herzuleiten wäre, falls es die Bedeutung
hat, die Grimme ihm beilegt. Daß Muhammed der Ausdruck memrä
vertraut war, scheint mir um so eher anzunehmen, als er nicht nur,
wie längst erkannt 4)^ das damit zusammengehörige Sekintä (bzw. hebr.
sekina) in der Form sakina verwendet, sondern, wie ich glaube, auch
die dritte der im Onqelostargum für den Gottesnamen üblichen
Umschreibungen, jeqär; denn das Sure 71 13 vorkommende waqär, wel-
ches die Kommentatoren mit '■ag?na umschreiben, scheint mir aus jeqär
entlehnt zu sein 5).
') Orientalische Studien, Tu. Nöldeke gewidmet I S. 453 ff.
^) Vgl. bereits Beräköt 8a: Ci^^f n^UH DV TTlVlin? CHvS* C^bir"» cSlV^
3) s. die Belege bei Dalman, Worte Jesu 188 f., Bacher, Exegetische Termiiwlogic
I 18/19. — Im Syrischen und Christlich-Palästinischen wird Xoyo; durch jA^lJJ wieder-
gegeben, dessen Übersetzung das arabische K.^J-S' ist. Im Äthiopischen %vird h'jyjt durch
qäl übersetzt.
4) s. besonders Goldziher, Abhandlungen Ii79fT.
5) Wie Dal.man a.a.O. nachweist, finden sich alle drei Ausdrücke Johannes I14,
wo Xdyo; dem memrä entspricht, mit £ax-^vioa£v auf die seklnä abgespielt wird und oo;a
mit jeqär gleichzusetzen ist. — Über waqär und sakina im späteren arabischen Sprach-
gebrauch s. Goldziher a.a.O. 186 ff.
Muhammeds Himmelfahrt. j ^q
Der mi'-räg ist nur eines der Mittel, mit deren Hilfe man in den
Himmel gelangt, ein anderes ist der Buräq, dessen ursprüngliche Funk-
tion, auf Erden als Reittier zu dienen '), schon früh eine Erweiterung
erfahren hat. Seit Blochet's Aufsatz -) wird vielfach angenommen,
der Buräq, Name so gut wie Vorstellung, sei iranischen Ursprungs,
wenn auch diese Behauptung nicht ohne Widerspruch geblieben ist.
Bereits Bousset 3) hatte jedenfalls die unmittelbare Herleitung
aus dem Tranischen beanstandet, und neuerdings hat Schrieke 4) seinen
Zweifeln an Blochet's etymologischen Bemerkungen Ausdruck gegeben.
Blocket geht aus von einer Stelle des uigurischen, aus dem Persischen
übersetzten Mi'^räg-näme, in welchem der Buräq beschrieben wird als
»plus petit qu'un mulet, mais plus grand qu'un äne»5), und wo hinzu-
gefügt wird »son visage ressemblait ä celui d'un etre humain«. Mit
dieser Beschreibung stimmt auch eine Miniatur in der Pariser Hand-
schrift des uigurischen Mi^räg-näme überein ^), welche den Propheten
auf dem menschenköpfigen Buräq reitend zeigt. Al-Buräq hat hier das
Gesictit einer Frau, im übrige'n aber zeigen Reiter und Reittier der
Miniatur, wie Blocket meint, große Ähnlichkeit mit Figuren auf
sassanidisehen, etwa tausend Jahre älteren Vasen, welche nach Blocket
den auf dem Ahriman reitenden Tahmurat darstellen. Weder die
Richtigkeit dieser Deutung noch auch der Grad der Ähnlichkeit beider
Darstellungen soll hier erörtert werden. Angenommen, Blocket habe
in bezug auf beides recht, so erhebt sich die Frage, ob die Beschreibung
des späten Mir'-ä-g-näme mit der der ältesten muhammedanischen
Quellen übereinstimmt. Gerade in dem entscheidenden Punkte ist das
nicht der Fall; von dem menschlichen Antlitz des ^wrä^ wissen diese
nichts. In dem auf ^Abdallah Ibn Mas üd zurückgeführten Bericht
(Ibn Hisäm 263) wird vom Buräq lediglich gesagt, er sei das Tier,
welches die Propheten vor Muhammed zu tragen pflegte; in einem
') s. oben S. 175. Deutlich ist bei Ibn Hisäm 263, Ibn Sa'd Ii S. 142 Atv Buräq
zur Fahrt nach Jerusalem da. Qastalläni V:64 sagt ausdrücklich: ^J) 30»Ji>o (J//.ju^
KjXc 'i.5 ^\.x.^l\ ».] ^^^ \.i ,VJ^J1 -ic ,.\S s.{^M^\, Ebenso HalabI I111,
wo Ibn Katlr sagt: , «.^LÄJI i)i2.*J \^P».j L^-i ►.)->.]) , <;'^ kJ^x/^ ry^ri ^■^3-
Dagegen trug nach Tabari, Tajs'ir XVu, Haiabi 406 der Buräq den Propheten auch
zum Himmel empor. — Über die verschiedenen Mittel des Aufstiegs s. auch Dieter ich,
Mührasliturgie- 183 f.
2) RHR XL S. I ff., 204 ff.
3) ARW IV S. 250 Anm.
4) a. a. O. S. 12 Anm. 4. [Vgl. jetzt auch Andrae a. a. O. S. 43 Anm. 5. —
Korrekturzusatz. J
5) a. a. 0. S. 3.
6) a. a. 0. S. 20G IT.
l8o JüscfHoiovitz,
dem Abu Iluraira zugeschriebenen Hadit^) wird er als »Pferd«, in
einem dem Mälik Ibn Sa*sa*a zugeschriebenen -) als »weißes Reittier,
kleiner als ein Maultier und größer als ein Esel« beschrieben, eine Be-
schreibung, die öfters wiederkehrt und zu der an manchen Stellen
hinzugefügt wird 3) : »an seinen beiden Schenkeln hatte er Flügel, mit
denen er seine Füße zur Eile antrieb«. Wie es scheint, ist Ta'labi
(f 427 H.) 4) der erste, welcher eine angebliche Überlieferung des Ibn
'Abbäs anführt, derzufolgca/ Biiräq eine »Wange gleich der Wange eines
Menschen« besitze. Diese, also erst seit dem 5. Jahrhundert H. zu be-
legende Vorstellung ist dann allerdings volkstümlich geworden, wie
z. B. auch die Abbildung bei Hercklots 5) zeigt. Mag nun die späte
bildliche Darstellung des Buräq von der der Szenen auf den sassanidi-
schen Vasen abhängig sein oder nicht, für die iranische Herkunft der
ältesten Vorstellung vom Buräq würde eine solche Abhängigkeit nichts
beweisen.
Der Buräq hatte, wie wir soeben gesehen, schon nach der ältesten
Überlieferung auch den früheren Propheten als Reittier gedient, zuletzt,
bevor Muhammed ihn bestieg, Jesus ^). In den Qisas dl anhijä spielt
er besonders als Reittier Abrahams eine Rolle 7), der nach Genesis 223
einen Esel ritt. Dieser Esel ist nach einer midraschischen Angabe ^)
>) Tabarl, Tajir XV S. 6.
-) Buhäi;!, Bad al halq 6; Tabarl, Tafsir XV3.
3) Ibn Hisäm 264, Ibn Sa'd Ii ?. 143, wo Mittwoch das richtige ja/i/i: wieder-
herstellt.
4) s. Haiabi 137» Z. 14 v. u.: öa.j>X>- ^fi ^^j^jUs >AA.w.j ^X*ä-) <\Xc*
>
;^t ( w^jwi v_i.£.» ....AwJ^S! 0\^S uX.r> ^ I «,*».£. -yi^. Ähnliches daselbst
Z. 10 V. u. fl kaläm ha^dihim. Vgl. auch Wolff, Mnhammedanische Eschatologie S. 57.
5) Qanooiie Islam' 122. Platc I, Abbildung 4. Vgl. auch Jacobs Bemerkung,
llilfsbuch für Vorlesungen über das Osmanisch-'J'ürkische III*, S. 24.
6) s. Dijärbakri, IJanüs 1 3494 v.u.
7) ScHRiEKE a.a.O. S. 13 Anni. 4. Tabarl, Tafstr XV S. 5: ♦xPi-i! iolj ^^
.•L.;>Jt ^^>^>JI .i>..Lc ,»ij ,.'S :cjji\: Ta'labT, 'Aräis 61,12 v. u.: -J *.i
^Sj L^/sAi xi! O^ÄJ^ -r*^ c>.Jw/« cXii» X-X/a ^ /^t^'-^i [»Aäs i}j.äj !^I .j!
Cy
jj-
Vgl. ferner Haiabi I369 Z. 8 v.u. [Den Buräq als Reittier Ibrahims kennt bereits
Mggäjj XXXV 48 — 52 ed. Ahi.wardt. — Korrekturzusatz.]
^^ Pirqe de R. Eli'ezer Zz^. XXXI: biS"Cl^"'nN Pp^l "ipDZ CmZvS' DTU'."!
Muhammeds Himmelfahrt. igj
der gleiche, auf dem Moses nach Exodus 4io Zippora und seine
Söhne reiten Heß und den auch nach Sacharja 99 der Messias besteigen
wird ^). Wir haben hier, wie in der islamischen Überlieferung, ein Tier,
das allen Gottesmännern nacheinander dient, und von hier aus erklärt
sich die bei Arabern einigermaßen auffallende Angabe, daß Muhammed
und die Propheten vor ihm einen Esel oder ein Maultier geritten haben
sollten-). Der Esel des Messias hatte schon den Spott des Sassaniden
Schapurl. erregt, wie wir aus einem Gespräch wissen, das er mit Samuel,
dem Leiter der jüdischen Akademie von Neharde'a, hatte 3). »Ihr
sagt, der Messias wird auf einem Esel kommen; nun, ich will ihm ein blitz-
schnelles (?) Pferd schicken, das ich habe«, sprach der König, worauf
jener erwiderte: »Hast du denn einen Esel, der in tausend Farben
schillert?«, d.h. also, einen solchen Esel, wie ihn der Messias reiten
wird, hast du nicht in deinem Stall. Vielleicht hat auch noch die islami-
sche Überlieferung daran Anstoß genommen, den Buräq geradezu als
einen Esel zu beschreiben, und hat von ihm deshalb gesagt, er sei
»mehr als ein Esel und weniger als ein Maultier«. Weiter aber vermochte
sie sich von der alten Vorstellung von dem Esel als Reittier der Pro-
pheten nicht zu entfernen 4) und mußte anerkennen, daß der Buräq,
231^ "nenn Nin mcn n« itnin^i ipr^ Dn^^N n^w-^) '^u Piiz'üwn p3
"nenn n in '1:1 v:2 n^i ini^'x pn nii'D np^i 'jit' cnüDD indd nirc vbv
•'Ul Jrii n2 IND ibv. 'Jl^' Vbv 21D"lb in p "'•nyiJ'- Ähnlich Jalqut zu Sacharja 9
Nr. 575, also beides späte Kompilationen, was aber keineswegs ausschließt, daß die Agada
viel älter ist. Über den Mund der Eselin vgl. auch Abot Vg.
') Nach späteren Angaben wird auch Muhammed am Tage der Auferstehung den
Buräq besteigen, s. Woi.ff, Eschatologie S. lOi f.
=) Vgl. Ibn Qutaiba, Kitäh as-si^r ed. de Goeje 16:11". : -;>LiU.i '^■t^^
.xxaj! »1 '^.äl^üI -JLc
3) Sanhedrin 98 b: ü']^n b]) H'^l^'ü jinnCiS 'PNieiJ'b XD^^ 11211' H^b "l^N
Nji: Ttn 1ND ib n\x ^d n^b "lex ^b n\sn npi2 «"»did n-'b -nti'.x "«nN-
über Xp"12 s- weiter unten S. 182 f. Die letzten drei Worte sind persisch: \ij.i ,'j^ -3-.
Nach Ibn Hazm, Milal I139 warten die Magier auf das Erscheinen des Bahräm
Ilamäwand, der auf einer Kuh reiten wird, während Bihäfrid auf einem dunkelbraunen
Pferde gen Himmel gefahren sein soll; s. pRiEnLÄNDER in JQR. (New Series) II500.
4) Vgl. auch Ibn Sa'd P S. 176: ,jjj.^i..:<\j_5 Oj.a.iJ1 |^.jj.av^J.j J^L^i'^'i c>.jLi
-Aftc \l ,3>.ÄJ ^U=> >.iJ5 ^y'^j} C'^-^'-J j:*-^^-'' O-y^J^-^ ^'^^^. Vielleicht Iiat
auch Matthäus XXIi_9 unmittelbar nachgewirkt, wo ja Jesus auf einem Esel nach Jeru-
salem reitet, wie Muhammed auf dem Buräq.
102 J osef Boro V itz ,
wenn auch nicht eigenthch ein Esel, so doch etwas diesem Ähnliches
war. Als er die Aufgabe übernommen hatte, den Propheten gen
Himmel zu entführen, dichtete man ihm auch Flügel an; damit war er
bereits den geflügelten Wesen ähnlich geworden, wie sie zuerst in der
babylonischen Kunst dargestellt werden, bis er schließlich, aber wohl erst
einige Jahrhunderte später, auch, wie diese, ein menschliches Antlitz
erhielt 0-
Was den Ursprung des Namens Buräq betrifft, so weist Blocket
darauf hin -), daß in der Päzendversion des Maino i Khirad Ahriman
als bär des Tahmurath und in zwei Pehlevischriften als sein bärak
bezeichnet werde. Aus diesem bärak, das neupersischem bärä ent-
spricht und Reittier bedeutet, soll buräq entstanden sein. Wäre bärak
ein Eigenname oder die Bezeichnung eines bestimmten, dem Buräq
ähnlichen Tieres, so wäre eine solche Ableitung trotz der entgegen-
stehenden lautlichen Schwierigkeiten in Erwägung zu ziehen. Daß
aber die Araber eine Anleihe bei den Persern gemacht haben sollten,
um eine Bezeichnung für »Reittier« zu gewinnen, ist von vornherein
wenig wahrscheinlich, und noch weniger ist einzusehen, warum sie ein
persisches Wort so farbloser Bedeutung als Namicn eines Tieres von
der Besonderheit des Buräq verwandt haben sollten. Dazu kommt,
daß die anzunehmenden Vokalveränderungen unerklärt bleiben
würden 3). Das mittelpersischc bärag, aus dem Blocket den Namen
des Biträq herleiten will, stand vielleicht ursprünglich in den oben ange-
führten Worten Schapurs I., denn nach einer Lesart bot er ein susjä
') Eine ähnliche Entwickhing hat ein anderes, aber historisches Reittier des Pro-
pheten durchgemacht, die Maulesehn Duldul, die er von Muqauqis als Geschenk erhalten
hatte und die als erste ihrer Gattung in Arabien erschienen sein soll, s. Tabari, Annales
Ii78j, Ihn Sa'd P S. 175. 'All soll sich ihrer später im Kampfe wider die liawärig be-
dient haben (Nawawl, Taqrlb S. 46), und nach der volkstümlichen Überheferung soll
auch Husain sie bei Karbalä geritten haben (s. Mrs. Meer Hasan Ali, Observations on the
Mussubnauns of India, London 1832, I S. 68). So hat sie denn auch in den indischen
Muharramprozessioncn ihre Stelle erhalten und wird dort mit menschlichem Gesicht dar-
gestellt (s. Th. Bloch in ZDMG. 63 S.655; Bloch übersieht S.656, daß die Figur der Dul-
dul niemals ein Götterbild war, und daß offenbar der Buräq als Vorbild gedient hat),
») a.a.O. S. 213.
3) Wie mir Dr. Abdussattar Siddiqi, der die persischen Lehnwörter im Altarabi-
schen untersucht hat, mitteilt, finden in islamischer Zeit starke Vokafveränderungen bei
der Übernahme persischer Wörter nur dann statt, wenn dadurch eine Angleichung an eine
arabische Bildung (il/iäq) erreicht wird; eine solche hätte bärak zu bäriq (fä'il) umgestaltet.
Nach Andreas wäre lautlich ein mittelpersisches Partizipium* biträk »wegtragend« niöghch,
doch ist eine solche Form weder belegt noch kommt sie in Frage, solange nicht anderweitig
feststeht, daß arabisches Buräq aus dem Persischen stammt, wofür auch nach Andreas
nichts spricht.
Muhanimeds Himmelfahrt. j g ->
bürag i) (anstatt des in unsere Ausgaben aufgenommenen susja brqä)
zum Gebrauch für den Messias an. Darin hat schon Fleischer 2) das
mittelpersischc bärag erkannt, das dann als Substantivapposition zu
susjä zu fassen wäre, »ein Pferd als Reittier« und im Munde des Sassa-
nidcn in einem auch sonst halb aramäisch, halb persisch überlieferten
Gespräch nichts Auffallendes hätte. Mag nun an dieser Stelle bärag
die ursprünghche Lesart sein oder nicht, sicher ist, daß an andern
Stellen im Aramäischen ein von b^raq abgeleitetes Adjektiv für Reit-
tiere gebraucht 3) und im Sinn von »leuchtend weiß« erklärt wird.
Diese aramäische Analogie macht es sehr wahrscheinlich, daß auch der
Name Buräq von arabischem baraga abzuleiten ist. Das Arabische
kennt zahlreiche, von \ brq gebildete Namen, Bäriq, Buraiq, Bu-
rairiq, Abäriq, Tubäriq, Burqa 4), und schon Wellhausen 5) hat darauf
hingewiesen, daß bei Eigennamen die Diminutivform /w'a/ nicht selten
für das gewöhnliche fu'aü eintritt. Danach ließe sich also al-Buräq
als Diminutiv von barq deuten und wäre mit dem als Personennamen
belegten Buraiq^) identisch. Das Wundertier hätte dann seinen
Namen »der kleine Blitz« wegen seiner Schnelligkeit oder wegen seiner
leuchtenden Farbe erhalten?).
') s. RasI zu 'Abodä zära s. v. ;;~iX2 ^C-
^) bei Levy, Neuhebräisches Wörterbuch S. I 284.
3) Bäbä baträ 16 b: "ipi^ ''tiT"'"! ^~ipN (T^üriX. was dort mit jnVn piDID
erklärt wird; ebenso Jerus. Qiddusin 60c; dagegen fehlt das Adjektiv in der Parallel-
stelle Bäbä Baträ 152a.
4) s. LA. s. V. •, J S. 300.
5) Skizzen und Vorarbeiten Vh^^ Anm. 2; vgl. Brockelmann, Vergleichende Gf-am-
maiik I 3 5 1 .
6) s. z. B. Diwan Hiidail Nr. 165 (Wellhausen, Skizzen I20).
7) Vgl. Damirl bei DijäRSAKRi, Harms I349: iüjJ ^_y^^ i-"sÜ ^.««w J^-<S^
»^ j^' '».^jM^i (>^» &.ÄJ -J sJ^XO^. Auch in den Logia Chaldaica (s. Bousset
ARW. IV266) ist von einem »feurigen, blitzenden Pferde« die Rede, das der auffahrenden
Seele begegnet. — ZurEtymologie von Buräq vgl. auchBEVAN a.a.O. S. 59, der bereits
ausführt, aus welchen Gründen die Deutung als Adjektiv der Form Fh\11 (s. Barth,
Nominalbildimg S. 40) unwahrscheinlich ist.
Zu Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen
Euphrat- und Tigris-Gebiet
V^on
Richard Hartmann.
Das Gebiet des Oberlaufs von Euphrat und Tigris ist immer noch
nur recht oberflächlich bekannt. Ganz besonders gilt das vom Ouell-
gebict des Tigris, wie uns die erfolgreiche Expedition Lehmann-Belck
recht deutlich gemacht hat. Schon längst hat die historische Geo-
graphie die Nachrichten über die beiden Stromläufe, zumal ihre An-
fänge, erörtert: die etwas verworrene Kunde der antiken Welt hat bis
zum heutigen Tage viel Kopfzerbrechen gekostet; und die arabischen
Quellen haben in Tomaschek den trefflichsten Interpreten gefunden,
der leider freilich sein Werk nicht zu Ende führen konnte i). Auch die
historisch-geographische Arbeit leidet natürlich unter dem Fehlen
einer genügenden Kenntnis des Landes selbst. Die schönste und
lohnendste Arbeitsweise wäre es, das Land selbst, geführt von den
Quellen, zu durchziehen; aber wenn uns das auch vorerst versagt ist,
so vermag die Beschäftigung mit den Texten doch vielleicht auch
der unerläßlichen Arbeit an Ort und Stelle vorbereitend hier und da
einen Wink zu geben.
Verschiedentlich ist (s. u. S. 203) in die Diskussion schon der
Name des türkischen Reisenden Ew lija Tschelebi (gest. 1090 =
1679), über den man J. H. Mordtmann's trefflich orientierenden Ar-
tikel in EL II, 34 f. vergleiche, hereingeworfen worden. Aber seine
Angaben sind, soweit ich sehe, nie systematisch untersucht und ver-
wertet worden. Zwar hat J. von Hammer, Narrative of Travels . . .
') Vgl. sein Sasun und das Quellgehiet des Tigris (Sb. WA. phil.-hisf. Kl. CXXXIII, 4-
1895) 'J"^ Beiträge zur alten Geschichte ii. Geographie. Festschr. für H. Kiepert (1898), S. 135 tT.
Eine zusammenfassende Übersicht gab Le Strange, The Lands of the Easta-n Caliphate.
Was im einzelnen an wertvoller Arbeit für diesen Gegenstand von Tu. NöldekE, G. Hoff-
mann, E. Sachai', M. Hakt.mann, Hü usciimann, J. Marquart, E. Herzfeld u. a. geleistet
wurde, kann hier natürlich nicht aufgezählt werden. S. auch in EI. I, lOio ff. u. H, 124 ff.
die k\irzen Artikel des Verfassers, derauf die arabischen Quellen noch zurückzukommen hofft.
2u Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Euphiat- und Tigris-Gebiet. fgc
by'Evliya Effendi (London 1846 — 1850) einige der einschlägigen Stücke
in seiner die zwei ersten Bände umfassenden Übersetzung wieder-
gegeben. Aber seiner bewunderungswürdigen Gelehrsamkeit mußten ja
noch die Materialien zu einer kritischen Bearbeitung fehlen. In-
zwischen sind uns längst die ersten 6 Bände der großen Reisememoiren
in einem Stambuler Druck (13 16—13 18) zugänglich gemacht. Wir
sind den Orientalen für jede derartige Erschließung ihrer Literatur
aufrichtig dankbar. Und es mag hier auch ausdrücklich ausgesprochen
sein, daß die Türken sich ernstlich bemühen, nach abendländischen
Begriffen wissenschaftlich zu arbeiten. Von der Ewlija-Ausgabe kann
man das freilich noch nicht sagen i). Hier bleibt es noch bei der alten,
nicht übel bewährten Arbeitsteilung: der Orient hat den Rohstoff ge-
liefert und dem Okzident die Verarbeitung überlassen. Es ist z. B.
kein ernstlicher Versuch gemacht, die Ortsnamen richtig zu geben,
obwohl der Orient in den Salname's dazu über ein Hilfsmittel
verfügt, das uns meist kaum zugänglich ist. Die wenigen geographi-
schen Erläuterungen der Ausgabe berühren abendländische Benutzer
bisweilen eher etwas komisch. Was sie enthalten, ist für uns meist
wirklich überflüssig. Ja, sie zeigen uns erst, wne dürftig die Kenntnis
des eigenen Landes beim Morgenländer zu sein scheint. Doch das soll
uns nicht ein Grund zur Überhebung sein. Nochmals sei es gesagt,
wir begrüßen jede Mitarbeit des Orients von Herzen, und mit besonderer
Genugtuung stellen wir fest, daß es bei den Osmanly inzwischen ein
gutes Stück vorwärts gegangen ist. Es mußte hier nur gesagt werden
zum Verständnis der folgenden Arbeit, die den Zweck hat, aus den
Berichten Ewlija's über seine Reisen im Gebiet der oberen Strom-
läufe von Euphrat und (West-)Tigris Material für gewisse Fragen'
herauszuheben und, soweit möglich, in verwendungsfähige Form zu
bringen.
L Die Routen Ewlija's.
Im folgenden ist es uns darum zu tun, die von Ewlija benutzten
Verkehrswege selbst kennen zu lernen. Das reiche und oft sehr wert-
volle Material, das er in seinen Ortsbeschreibungen bietet, ist hier also
nicht behandelt. Einige bestimmte Punkte werden später gesondert
erörtert werden. Sehr vieles aber wird doch erst an Ort und Stelle
richtig verwendet werden können und ist daher hier absichtlich aus-
geschieden.
Es handelt sich für uns hier also in der Hauptsache um einen
■) Vgl. die sehr richtigen Worte von Tu. Mf.nzfi. in II. CRnTiii-, Meine V ordern sieii'
Expedition, Bd. I, S. CLXXXVI.
Klam IX. ,
j ^g R 1 c h n r d H n r t m a n n ,
Vcrc^leich von Ewliia's Routen mit der R. KiEPERT'schcn Karte von
Klcinasicn i : 400 000, die ja als der vollständige Niederschlag unserer
ganzen Kenntnis des Landes gelten kann. Daß ich die Original-Reise-
berichte, soweit mir erreichbar, selbst eingesehen habe, versteht sich
von selbst, wenn das auch nicht überall zum Ausdruck kommt, da ja
Kiepert den Stoff in \vuii(lerl)arer X'ollständigkeit verarbeitet hat.
Daß liäddschi Chalifa vielfach beigezogen ist, bedarf keiner
Rechtfertigung. Und auch die Verweisung . auf das 7ai rekonstru-
ierende römische Straßennetz wird vom Zwecke der Arbeit aus ohne
weiteres verständlich sein. Leider verfügen wir für die behandelten
Gebiete nicht über eine so vortreffliche Übersicht, wie sie P. Thomsen
jüngst in ZDPV. 40 uns für Syrien geschenkt hat '). Sie wird hoffent-
lich noch einmal kommen; und ich denke, daß dafür auch eine Kenntnis
der späteren Verkehrswege einmal nützlich sein kann.
Im übrigen aber ist auf das Zusammentragen des weitzerstreuten
Einzelmaterials zur Geschichte der behandelten Straßen und der an
ihnen gelegenen Örtlichkeiten, weil in diesem Zusammenhang viel zu
weit abführend, bewußt verzichtet -).
I. \'on Niksar nach Erzerum (II, 197 ff.) 3).
i.»*jCo — 6 Std. — dUJCÄ:;^- ;jü,b — zur Grenze des Ejalets Siwäs
mit dem Ejalet Erzerum (Kaza^-^ä^!*.!) — dann in 3 Std. über den Paß
von .j**J^\ nach i^>-'^.X^ — 4 Std. — ^t^' — 5 Std. — jlo»L=s- —
5 Std. — jUi> ^^?.ß ~ 7 Std. — qLji^ — 4 Std. ~ (^-.^LXii —
2 Std. — ^_5^^^ ^^^ ^J^=>\ ^.,l>.i3 — 2 Std. — j^;l — 4 Std
^^^»y J^j — 5 Std. — ^j^^-r' VL*^:^ «jr'^ — 3 Std. — ^^ O^jß
— I Std. — »j^J — über den ^^. ^^^Ux^i nach ^.^ j-Xij! ^^\:i ~
4 Std. — e)L"^ '~ -+ ^^'^- — y^^^^y — 5 Std. — J^^o^Lo — über
den ^Jb oJLo in die ,^5*'»i»^ "^y^:^ — 5 Std. — ^^._^ '^i5 Jv^.;=U9 ^'jS
— 5 Std. • — ^^ • — 12 Std. — ^*vJOLx-v.S 5jJ ^^^ ~ 16 Std. —
in die ^-^»^»t ^-j^jj' nach der j^^x^L:?- dU q-**^^ — 8 Std. - — j-Li»w:=!-
^^^^Jy ^^IuXj<'v;ü — 5 Std. — ^_^j.J — 4 Std. — ^^L'^ Lf^'-^y
') auch separat erschienen; vgl. meine Besprechung in Berliner Philol. Wochenschrijt
1918, Sp. 39 off.
■) Die Transkription der türkischen oder türkisiert n Ortsnamen ist bekanntlich
kaum befriedigend zu vereinheitlichen. Ich muß deshalb um weitgehende Nachsicht bitten,
vor allem darum, daß man, wo man niil ihr nicht einverstanden ist, nicht gleich auf Un-
kenntnis schließt.
3) vgl. J. VON H.vmv.er's Übersetzung: Evliya Ejji-iidi. Narmlive oj Tmiwls, Irans!,
hy J. V. H. (London 1846—50). II, 104 ff.
2u Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. j^n
^:i^ — 0-^■''■^ ^'"^ — ^ Std. — ij-"*"^ — 5 Std. — '^^^^J^ — •
6 Std. — ^ij^}-
Auf der Strecke von Niksar = Neocaesarea bis Koily Hisar läßt
sich nur die erste Zwischenstation Basch- Tschifthk auf der Karte
feststellen; außerdem hat sich der Kaza-Name Iskefsir erhalten. Eine
nähere Festlegung der Route ist daher nicht möglich. Im weiteren
Verlauf ist sie durch Koily Hisar, Enderes, Ezbider, Zaghafpa]^) der
allgemeinen Richtung nach bestimmt. Im wesentlichen deckt sie sich
wohl auch mit einer antiken Straße Anniaca (Koily Hisar) — Nicopolis
(Pjurk so. Enderes) — Olotoedariza (Zaghapa); vgl. Kiepert, Formae
orhis antiqui, Karte VIII, Text S. i6b; K. Miller, Itineraria Romana,
Sp. 679 u. 675. Das nunmehr folgende Kara Ja'kub kann natürlich
nicht der von Kiepert ssö. von Zaghapa verzeichnete Ort dieses Na-
mens sein. Denn wenn sich auch die weiteren Stationen auf der Karte
nicht entdecken lassen, das nächste größere Ziel, Scheiran, das Ulu
Scheiran der Karten, macht es sicher, daß sich die Route entweder
den Kelkit Tschai und Scheiran Su entlang ostwärts fortsetzt oder
aber daß sie nordwärts vom Tallauf abbiegt. Ja diese letztere Möglich-
keit wird durch die Erwähnung des Tckman Bei, der uns freilich auch
unbekannt ist, aber offenbar etwa im Fyndykly Bei zu suchen ist,
höchst wahrscheinlich: Ewlija folgt dann offenbar dem bei Zaghapa
von NO. her einmündenden Nebental, das noch nicht untersucht ist,
ja bei Kiepert nicht einmal einen Namen hat, flußaufwärts. Freihch
kann dann unser'j^b nicht das von Ewlija II, 383 u. V, 53 erwähnte
sein (darüber s. unten).
Südlich von Ulu Scheiran verzeichnen die Karten allerdings ein
Saridsche und sw. davon ein Karadschak Köi. Aber wenn die Karten
hier der Wirklichkeit entsprechen, so wären beide viel zu dicht bei Ulu
Scheiran und auch zueinander viel zu abweichend von Ewlija 's An-
gaben gelegen, um für dessen gleichnamige Stationen in Frage zu
kommen. Übrigens werden die Karten in solchen Fällen kaum sehr
viel Anspruch auf Glaubwürdigkeit haben. Auch das Salut würde man
lieber weiter östlich suchen als da, wo es die Karte verzeichnet, wenn
man nämlich den Paß, der in die ^j-^^^^^ "^J^j^ führt, soll heißen: die
Ebene am Kelkit 2) Tschiftlik, wie man am liebsten täte, über den auf
der Karte als Dewe Juwan bezeichneten Höhenzug gehen lassen dürfte.
') J. V.Hammer a. a. 0.: »Za'aba«, vgl. Ewl. II, ^Siti^c.'
2) DenNamen des Kelkit (Häddschl Challfa, S. 423: Js^JsJLy als Name des Ortes)
les Lykos (armenisch p;ail »WoUd -]- get »Fluß«) schreibt Ewlija konsequent vdm.S'S.
13*
.öQ ki ch a r<l 1 1 a 1 t m Ji n n ,
Wir hätten dann wieder etwa die Linie der antiken Straße ad Dra-
concs — Cunissa — Hassis.
Schwierigkeiten macht weiterhin, daß nach Ewlija ^^J tief
in der Kelkit Owasy Hegen soll, während das Germeli der Karten, das
man doch gern damit zusammenstellen würde, ganz am westlichen Ende
liegt. Eine Lösung der Frage ist um so schwieriger, als nunmehr für
eine lange Strecke jede Identifikationsmöglichkeit des Weges von
Ewlija abbricht. Denn das weltentlegene Derwischkloster des Kanly
Dede, in dem der Reisende eine höchst interessante Derwäsch-Sitzung
mit erlebt, ist für uns unauffindbar, und Terdschan Owa ist ein so
weiter Begriff, die ersten folgenden Dörfer — zumal sie teilweise nur
mit dem Namen der zeitweiligen Besitzer bezeichnet sind, teils (wie
PluY »Hügel«) ganz farblose Namen tragen — nicht wiedererkennbar,
so daß wir erst mit Mamachatun wieder in bekanntes Land kommen.
Solange die Gegend nicht genauer untersucht ist — der treffliche
Taylor ist wohl der einzige neuere Reisende, der annähernd denselben
Weg ging (JRGS. 38, S. 282 ff.) — , ist jeder Versuch, den Weg genauer
festzulegen, ein bloßes Raten und auch nicht erkennbar, wieweit
Ewlija sich auf den Spuren alter Straßen befindet. Die antike Haupt-
route von Satala ostwärts hielt sich jedenfalls nördlicher und folgte
dem oberen Kara Su, während Ewlija wahrscheinlich durch das Tal
des Pulk Su Mamachatun am Tuzla Su erreicht. Als einzige Zwischen-
station zwischen diesem Ort und Ilidscha nw. von Erzerum, worin
R. Kiepert (anders Miller) Calcidena vermutet, nennt Ewlija hier
^M^s^, an anderer Stelle — auf dem Rückweg — H, 374 ^j^^^ ge-
schrieben. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß deren Dschinis gemeint,
also ^^ zu lesen sein w'ird. Und diese Vermutung wird durch
Bäddschi Chalifa zur Sicherheit erhoben: das einemal (ed. I145,
S. 427 = trad. NoRBERG I, 631) gibt dieser nämlich als Zwischenstation
zwischen Mamachatun und Erzerum nur ^ÜW^vJ, d. h. das unweit
westlich von Dschinis gelegene Nerduban, während er an anderer Stelle
(ed. I145, S. 627 = trad. Norberg H, 412) das Itinerar bietet: o*J^^ ^^^
— 41/2 Std. — ^iUj — 5 Std. — ,j^-i3> — 4 Std. — ^:^\ — 4 Std.
— fip^), dessen Punkte (^. =^ Penek) sich mit der Karte leicht
verifizieren lassen. Zugleich bestätigt dieses Itinerar, daß Ewlija
die Entfernung von Mamachatun nach Dschinis viel zu kurz rech-
net, mag auch J. G. Taylor, der 1866 denselben Weg machte, zu
der ganzen Strecke von Erzerum nach Mamachatun nur 141/2 Stunden
gebraucht haben (JRGS. 38, S. 281): der moderne Reisende kann
natürlich schneller vorwärts kommen als die ganze Karawane, deren
Glied Ewlija war.
Zu Ewlija Tschelcbi's Reisen iin oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. j 3g
2. Von Erzerum nach Chnys und Maku (II, 220ff.)').
^^*^ ^^j^^ bei ^^j^J — ■ 4 Std. — • ^_^^JJ.J v^^ am Anfang der
^.L^.-o ^_^x^Lj — • 3 Std. — • j_^«/\j^j5 ;^cj^,;55 jS.x:>- ~ 5 Std. — o^^
oJT — 3 Std. — ^jj.S' U! ^.ä^ — 3 Std. — ^^j^.jj.5^ C'^--?-^ ~
7 Std. — ^^'V^-s wÄJM ^_^^ — 8 Std. — jj^^-j^-'i LjLj ^J^jj-s — - 6 Std.
— \j^.i:> — 6 Std. — »^-oLi> — • 9 Std. — -.wX»Jlä j^jAittLyto —
Therme zwischen Araxes und Wan-See — 9 Std. — ^^»^\3 dV-ojx.
— ■ ^_^**^ i:^^j.X^ — 8 Std. das ^*«»j'^j[^^ entlang nach ^^j^^Ad O^^
~ 7 Std. — J^^s^ »U ~ 3 Std. — j.^.
Schon mit Ilidscha (s. It. i) wären wir mit R. Kiepert wieder
auf der antiken Straße nach Artaxata und bewegen uns hinter dem
Passe von Dewe Bojun (s. Streck in EI. I, 992) noch weiter auf der-
selben, wenn Kiepert sie richtig rekonstruiert — Miller läßt sie süd-
östlich gegen den ^See von Wan abbiegen. ~ Die einzelnen Stationen
in der für die Osmanen sagenumwobenen Pasin Owa lassen sich außer
yasanäbäd = Hasankaie nicht identifizieren. Dagegen ist die Tschoban-
Köprü am Zusammenfluß \-on Pasin Su und Aras noch jetzt eine
wichtige Station. Der antike Name Ad confluentes weist doch wohl
auf eine solche wichtige Flußmündung hin und spricht, scheint mir,
darum gewichtig für Kiepert gegen Miller, der es Itiiieraria Romaiia,
Sp. 6^], bei Ondschalu (Kiepert: »Jondjaly«) an der Mündung des
kleinen Kor Su in den Murad sucht.
Zumal Ewlija den Übergang über die Brücke ausführlich schildert,
sollte man bestimmt annehmen, daß der weitere Weg südwärts nach
Chnys am Oberlauf des Bingöl-Su, also im Stromgebiet des Euphrat,
rechts, östlich vom Araxes verlaufen sei. Ein Ertef kennt die Karte
aber westlich von diesem Fluß, ger^^de südlich von Hasankaie. Natür-
lich kann dieser Name mehrfach vorkommen. Noch wahrscheinlicher
ist aber doch wohl ein Irrtum auf Seiten Ewlija's, bei dem eine gründ-
liche Verwirrung der Topographie nicht ganz selten ist. Andererseits
legt das ^^*».J^-ä LjLj ^_^|5jj.s die Zusammenstellung mit dem in der Gegend
bezeugten Namen Kozly nahe, wenn das Dorf Kozly auch zunächst
für unser Itinerar sehr weit östlich zu liegen scheint, und wenn wir
das Heiligtum dieses Jüngers von Abu Ishäk Käzerüni (Ewlija V, 43)
auch nicht gerade in einem Armenierdorf suchen würden, wie Lynch,
Armenia II, 256 Kozly charakterisiert. Jedenfalls ist sein Weg nach
Chnys uns recht wenig deutlich. Vollends die Forts.etzung des Zuges ist
') Vg. H.\MMEi<'s Übersetzung, II, 117 ff.
190
Richard i 1 a r t in a n n ,
sehr dunkel '). Sein Zweck, die Züchtigung des unbotmäßigen Kurden-
nestes viL.j4j-^")j legt den Gedanken nahe, daß auch mit Kreuz- und
Ouerzügen zu rechnen sein wird. Keinesfalls wird man das ^^Lo^c
unseres Itinerars mit dem Avnik südlich der Tschoban-Brücke (vgl.
Le Strange, The Lands oj Ihe Eastern Caliphate, S. Ii8) gleichsetzen —
es müßte denn der ganze Abstecher nach Chnys hier an falscher Stelle
eingefügt sein. So bleibt es auch eine offene Frage, wie lange wir uns
im Gebiet des Euphrat befinden. Ewlija selbst hat von den kom-
plizierten Flußgebietverhältnissen, wie die Bemerkung von der Therme
und seine Annahme, daß Melazgerd am Araxes liege (S. 223), zeigen,
eine recht unklare Vorstellung. Erst ganz am Schluß erhalten wir
wieder festeren Boden unter den Füßen • — ■ und da sind wir nicht im
Euphratgebict. Übrigens legt auch der Fortgang von Ewliju's Reise-
bericht nahe, daß die Schilderung hier nicht ganz in Ordnung ist.
3. Von Nordosten nach Erzer u m (II, 327)3).
Auf dem Rückwege von Achischa = Achalzich und Ardahan
kommt Ewlija von vXjI, dem auch auf unseren Karten verzeichneten
Id an einem Zufluß des Olty Su, her in das Euphratgebict bei dU^ »-2,
d. h. Kara Göbek am Dumly Su, weiter über den (^^Lc^j qLä.*w>j>.._j/
den georgischen Paß, der demnach südlich von Kara Göbek zu suchen
ist, nach ^J*^^.ß ^^-^ (TJ^^i' = Umudum Dedc am Rande der Ebene
von Erzerum, von hier nach Erwähnung des Heiligtums von »00 c^^'^
Dumly Dede nach Erzerum.
Eine Ergänzung zu diesem Itinerar gibt die folgende Reise
E w 1 i j a 's, die ihn in umgekehrter Richtung zunächst in dieselbe
Gegend führt (II, 341 = IIammer's Übers. II, 187). Über Kjan (2 Std.)
und Umudum Sultan (5 Std.) erreicht er nach Passieren der ^^s^^S
^_^-«*J^-J_J^ )^j^ in 6 Std. das Dorf von J^^ l5"^-^^' ^^^^^^ georgischen
Paß, und dann in weiteren 9 Std. das Heiligtum von Dumly Sultan,
auf das wir noch zurückkommen werden.
Die spätere Rückkehr, die wieder über den georgischen Paß
erfolgt, bringt leider keine neuen Einzelheiten.
') Zu dem Namen (^)^xA3Li> vgl. HIbsciimann, Altarmenische Ortsnamen: Indogenn.
Forschungen, XVI, 444.
-) s. RiCH, Narrative of a Residence in Koordistan, I, 377: »Shoosheek is eight hours
from Khamoor« (inforniation, collectcfl from natives).
3) Vgl. H.\mmer's Übersetzung, II, 179.
Zu Ewiija Tschclcbi's Reisen im oIjl'Icii Euplirat- und Tigris-Gebiet. jq!
4. Von E r z c r 11 m nach E r z i ri d s c h a n u n d K a r a H i s a r
(H, 373 ff-) ^)-
Nach seiner Reise nach Eriwan bricht Ewiija von Erzcruni
wieder nach Westen auf. *ij^]^ — 3 Std. — ^^ — • 5 Std. — h.s>^Aj\
— 5 Std. — ■ ^j^^ — - 5 Std. — ^.,yj^i> L/iw/a — nach jy<^, wo eine
Brücke über den Furät geht ' — 9 Std. — f*-Aj^^ — 7 Std. — o^^
,-A»,iu^ — -j A^' — 9 Std. — !*-i)J^ — ^o Std. — (jH^^ *"?^*r=- ■ — ■
^y».==- — ■ ^-,^^0 jji — 7 Std. — ■ ^.ji.i> ^ii-j — L/^i;' — ^ Std. -- :?■
(^.,1-^-) — 8 Std. — Jj^)^ ^^ 4 Std. — ^Jj^ Lei l\*s>I jjUId — ^,
Der Rückweg von Erzerum bis nich Alamachatun deckt sich,
wie man sieht, mit dem Hinwege; nur ist im Anfang noch das bekannte
nördhch von Erzerum gelegene Dorf Kjan eingefügt; man vgl. also
Route I. Auch das auf Mamachatun folgende Köttür nebst der Köttür
Köprü ist aus neueren Reiseberichten bekannt und findet sich auf den
Karten. Dann aber beginnen die Schwierigkeiten. F^wlija geht zu-
nächst offenbar den Kara Su entlang abwärts und dann anscheinend
nach Erzindschän zurück. Nun ist aber der ^_^j*-^ *^=?V^ doch gewiß
am Dschibidsche Boghaz, dem Durchbruch des Euphrat durch die
Berge östlich vor dem Austritt in die Ebene von Erzindschän zu suchen;
die Ebene, durch die Ewdija dann kommt, ist offenbar diese selbst,
und das ry-*-^ würde man dann wohl passend mit dem Dschimmin
der Karte am Nordrande dieser Ebene — ■ freilich bleibt dann der
Strom selbst nicht rechts, wie es nach Ewiija erscheint, sondern
links — gleichstellen. Nach all dem kommt Ewiija in Wahrheit von
Usten, nicht von Westen. Und auch das /^j,?.-^ ist gewiß nicht von
■«.J.^Av JbU gl
dem vorher genannten (>-Ji^.^ zu trennen — • ein Name übrigens, den
ich auf der Karte vergeblich gesucht habe. So ergibt sich denn nahezu
mit Gewißheit, daß Ewiija zweimal den Weg von der Köttür Köprü
euphratabwärts schildert, dagegen nicht den Rückweg von Kamach.
Noch deutlicher wird das durch den Umstand, daß in dem Hammer's
Übersetzung zugrunde liegenden Text der kleine Abschnitt Ewiija
II, 375, der -den Weg von Köttür nach Kamach betrifft, fehlt, also das,
v/as oben in eckige Klammern gesetzt ist. Freilich geht dann das fol-
gende Itinerar nach dem Wortlaut von Kamach statt wie in Wahrheit
von Köttür aus. Aber schon die Abweichung der Texte läßt vermuten,
daß hier etwas nicht in Ordnung ist; und dann läßt sich FIammer's
Text ja viel leichter richtigstellen und verstehen. Das Versehen im
') Vgl. Hammer's Übersetzung, II, 199 ff.
-) In J. VON Hammer's Übersetzung: Sinan.
192
Richard H a r t in a n n ,
Text des Ewlija wird begreiflicher, wenn man bedenkt, daß die ganze
Reise Ewlija's von Köttür nach Kamach ein Abstecher ist, zu dem
er von dem Pascha, in dessen Gefolge er sonst reist, vorausgesandt
wird.
Von dem Itinerar für die Strecke Erzindschän nach Schcbbin
Kara Ilisar kann ich nur eine Station näher bestimmen und auch dies
nur, wenn die Vermutung richtig ist, daß j^j'^^j' das bereits in Route i
genannte Ezbidcr ist. Das darauf folgende ^^j^ ^^ Jc«.>l qI^j-^
begegnet ja zwar dort ebenfalls als zwischen Enderes und Ezbider
gelegen, ist uns seiner genauen Lage nach aber auch daraus nicht be-
stimmbar gewesen. Das immerhin damit erkennbare Ausbiegen der
Route nach Westen nimmt bei der Geländebeschaffenheit kaum wunder.
5. Von Siwas nach Musch und zurück (III, 2ioff.).
Von (j-^j-v^ über die i^^Jj-^" ^5^'^ nach jj^^j^j — 8 Std. — ^_M^•^•^
^^\jjs L5^5^ — ^^t)er den Jo nji nach ^^-ji-^ ^^ — i_f^^'J — über den
Euphrat in 6 Std. nach ^-<j^j.jJ.
Über (^Ji:?^ ^ und ^c***^^ i*^^^ ^^^ einer Brücke nach ^^jh
— weiter über eine Brücke über ein zum dS a^vj^ l5;*-*^ fließendes
Gewässer nach q-^5 — 7 Std. ■ — j^j^ — nach 21^^*0 am
Euphratübergang — weiter über ein nicht genanntes Dorf zu Schiff
über den Murad nach j^^^jI — • q:^-? — ■ 8 Std. — - -i^J
^%^^.=>.
Über den Muräd nach d^J'^J - — • ,j,Ui'>-^o — i^jjCix.*j>- — (Abschw
/ei-
fung über das Heiligtum des 'iji-J jJ\.^a oberhalb der rj.:>-\»»\) ■ — • _^l^
— ^_^Jslx^ ■ — gs-ü" — ^i.h>\ _ ü.iUo^ — vi^^ — O'J-^ — über
den Murad nach J^y.
Nordwärts nach l.s«-JJ' Ji'Ut- — 7 Std. — ^j^ciId c)^-^ —
10 Std. — i_f^^ i_^*'^:^ djf^ — v"^ '^J^-J^ — '^'''"■' f^'^ nicht rechts
nach ^^y^J, sondern links in der Richtung auf qUXj und ^_5äx5' und so
schließlich nach ^_^\^J^ zurück.
Der Übergang über den Kyzyl Yrmak erfolgt bei der Stadt
Siwas selbst. Ein Bild der Egri Küprü geben van Berchem und
11 a 1 i 1 E d h c m in Mater laux pour un Corpus Inscriptionum Arabi-
carum, III, i, Tafel VII. Die beiden nächsten Stationen finden sich auf
der Karte nicht; der Weg bis zum Kara Bei ist also nicht genauer
festzulegen. Er dürfte wohl etwa mit dem Pfad zusammenfallen, den
Kiepert dem Lauf des »Fahim Yrmak« folgen läßt. Vom Kara Bei
an weicht Ewlija's Route nicht wesentlich von der heutigen Chaussee
ab. Kiepert verzeichnet an einem Seitenpfad nach orientalischen
Quellen ein »Jaghbasan«, und unser ^^^^^j entspricht offenkundig
Zu Ewlija Tschelcbi's Reisen im oberen liuphrat- und Tigris-Gebiet. ig^
dem Siliski der Karte. Daß der Tschalta Yrmak, der hier noch von
Diwrigi trennt, oLs genannt wird, macht diese Feststellung des
Weges natürlich nicht zweifelhaft.
Das folgende ^-?y=r "^^ ist deutlich in dem Ligh Tschai der Karte
'/,\x erkennen; dem ^^^j<^ 0-^^'^ entspricht das Tal des Füzü Oglu Su —
daß er als zumEuphrat laufend bezeichnet wird, tut nach dem eben Be-
merkten nichts zur Sache. Durch das auf den Karten verzeichnete Tu-
ghut ist der Weg nach Egin im wesentlichen bestimmt, wenn uns von
einem Sary-Tschitschek-Sec im Gebiet des gleichnamigen Gebirges und
Flusses auch nichts bekannt ist. Obwohl die Gegend von einer Reihe von
Reisenden besucht wurde, haben wir doch nur ein recht unklares Bild
von ihr. Es mag ebensosehr daran als an Ewlija 's Ungenauigkcit
liegen, wenn wir seinem Bericht nicht an jedem Punkt folgen können.
Den Namen der Stelle, wo Ewlija von 'Arabkir kommend, den
Furät überschreitet, ^^xIjjO, suchen wir auf den Karten wieder
vergeblich. Das ^,L^j1 dagegen ist deutlich das der Mündung
des Tschimischgezek Su gegenüberliegende Arschwan, das Taylor in
JRGS. 38 S. 315 »Ashouan« schreibt, es ist auch von dem »Raschwan«,
an dem Häddschi Chalifa Erat und Murad sich vereinigen läßt,
nicht zu trennen. Daß das Baghin, durch das Ewlija auf dem Wege
nach Charput kommt, mit dem auf dem nördhchen Ufer des Murad
östlich von Arschv/an gelegenen Palin etwas zu tun hat — was lautlich
wohl ginge, da letzteres einfach die ältere armenische Form ist — -
scheint mir kaum wahrscheinlich: der Name ist im armenischen Gebiet
ja überaus häufig.
Auffallend ist, daß Ewlija nach dem nordwestlichen Abstecher
von Perteg über Saghman (dessen Lage auf den Karten nur recht un-
bestimmt angegeben scheint, vgl. Taylor in JRGS. 38, S. 311) und
Tschimischgezek plötzlich wieder östlich am Murad Su in Palu ist.
Vermutlich ist hier einfach die Rückreise, weil nichts Neues bietend,
weggefallen.
Die Reise den Murad aufwärts nach Musch führt, zumal im zweiten
Teil, wo sie vom Flußtal selbst südwärts abbiegt, in wenig bekannte
Gegenden. Tschabaktschur und Gindsch sind als Distriktsnamen noch
jetzt gebräuchlich. Ob der ziemlich weit vom Fluß abgelegene Vorort
des Bezirks Tschabaktschur, Tschewli, wirklich selbst die Stadt und
Burg Tsch. des Ewlija ist, mag eine offene Frage bleiben. Die Ruinen
der Burg Gindsch finden sich auf der Karte dicht am Flusse. Atak
jV^LBl Hegt nach Häddschi Chalifa, trad. NorberCx 11, 19, zwischen
Terdschil und Musch. Die Form ist offenbar die spätere Wiedergabe
194
Kicharil li.irtiuann,
des armen. atYax, das uns aus älterer Zeit als ^.1.;^^ wohlbekannt ist
(vgl. H. Martin, Memoire sur l Armcnie; Chakmüy, Cheref-Ndmeh,
I, I, S. 472; II, I, S. 94 ff.; Hübschmann: Indogerm. Forschungen
XVI, 310; ZDMG. 70, S. 508; Taylor in JRGS. 35, S. 39 f.), demnach
der Ort das Attach unserer Karten und nicht etwa, was E w 1 i j a
sonst näher legen würde, in der Gegend des Anduk- oder Anthog-Dagh
(beide Namen bezeichnen wohl dasselbe Objekt) der Karte von Kie-
pert zu suchen, ^rr^ ist natürlich in oder bei dem Chulp- oder Kulp-
Dagh. Lynch verzeichnet — abweichend von Kiepert — auf seiner Karte
auch einen Ort »Kulp«. Wenn wir das als eine 2000 Häuser zählende
\j^ im Gebiet von Gindsch bezeichnete Ȁ>**^^) auf unseren Karten
nicht finden, so heißt das, da wir zum guten Teil noch immer auf
Brant's Reise vom Jahre 1838 angewiesen sind, nicht viel. Alle die
letztgenannten Orte sind im Gebirge südlich vom Flusse zu suchen.
Gerade dazu will freilich wenig stimmen, daß Ewlija von dem unbe-
kannten ]^Iihran=) aus nach Musch den Murad überschritten haben
will. Doch ist wohl ein Zweifel an der Richtigkeit dieser Angabe erlaubt.
Von der nördlichen Fortsetzung der Reise gibt nur Tschaüly Kilisa,
worauf wir später zurückkommen werden (vgl. zum Namen Hübsch-
mann: Indogerm. Forschungen XVI, 325) einen festen Punkt. Denn
auch der Name des Bingöl-Dagh reicht natürlich zu genauerer Fest-
legung des Weges nicht aus. Zum folgenden ist noch zu bemerken,
daß die Landschaft Tekman in Wahrheit südöstlich von Erzerum
liegt, nicht, wie man nach Ewlija erwarten sollte, südwestlich
(vgl. Lynch, Armenia II, 247 ff.). Statt ^J^^ ist hier wie auch z. B.
in der Beschreibung des Bingöl-Dagh offenbar ^^k*S Kighi zu lesen.
Schade, daß Ewlija uns die Rückreise nach Siwas unterschlägt!
6. \on Siwas nach Malatja und iJijar Bekir [\\\ 5 ff.).
Von (j^^>r^ über die i^-iy^ ^5^ ^ i" 7 ^td. nach ^^i^ —
kJ
.t^>u Q^=^ o)"^^^ — 7 ^^''^- ^ ' '^''^^ — i^*'"^ ^'^^^ ' — «-^"^ <^'
^^xx.'i — ^o_^ — 5 Std. — ^iw^ ^^ — 7 Std. — ^3;0Lj ^^^
Von -s-^iiJLe in il Std. bis zum Euphratufer — über den Flufl ins
(iebiet der J^~J^Kurden nach dem Dorf ^^.jj^ ~ Erwähnung (\qs ^^^
^^wi> und einer unterhalb davon von Muräd 1\'. begonnenen
') Vgl. Scherejnämc, cd. V c 1 i a m i n o { - Z e r n o f , I, 247 u. 263; Irad. Ciiarmoy
11, 1, S, 96.
-) Vgl. ebd. cd. V.-Z., I, 250; trad. Cii., II, i, S. loi.
Zu Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Eupbiat- und Tigris-Gebiet. |qc
Brücke — weiter nach ^ jäJlxi ^.I^j.i> bleibt links liegen) — j^AÄsl ^^
Abstecher nach Arghana und Egil: von dort nach tj*^L? —
J^A<Ji x$J-^ — über den Murad Su nachjJu — • wieder über den
Murad nach dem Dorf j-^'i j^-a^ — ■ nach Kreuz- und Ouerzügen
schließlich nach , <?^^" am Schatt — • in der Nähe ist im Dorfe
«sa^i3j eine Brücke über den Fluß • — über den Schatt nach J-^
— ■ über den Schatt nach ^_^=^ — ij^^' ~~ (*=^^^-^ liegt von hier
eine Tagereise entfernt) — i^-^^'^ lA^-
Von ^^y\.=^ ij^'^ bleibt auf dem Wege nach e)w8;?r der verfallene
C>^^ Cr^"^ ^"^ rechts liegen — ■ |^-jl-i> ^'Sj*\ — • ,-^xäj^.^ (verfallen) ■ —
^j.j,j.^ 8.S über den ^^iy^^ L5^^~rf^'^^^ — jr^^ j'-r^^-
Die Route von Siw'as nach Malatja deckt sich in der Hauptsache
offenbar mit der antiken im Itinerarium Antonini verzeichneten Straße.
Ja, K. Miller stellt deren Stationen Blandos, Euspoena, Aranis, Ad
praetorium, Pisonos respektive mit Ulasch, Kangal, Gegend von
Aladscha Chan, H[ekimchan, Hasan Badrik der Karten gleich — ■ neben-
bei sei bemerkt, daß er S. 683 f. die Gesamtrichtung umkehrt — ; und
R. Kiepert weicht nicht wesentlich ab. Hier gibt also Ewlija den
besten Kommentar zu dem alten Itiiierar. Von Ewlijas Zwischen-
stationen kennt die KiEPERT'sche Karte auch noch Hasan Tschelebi.
Immerhin warnt vor der Annahme eines absoluten Beharrens des \'er-
laufes der Straße, daß liäddschi Chalifa Varianten bietet. Sein
Text ist allerdings nicht bloß in der NoRBERo'schen Übersetzung (H,
415), sondern auch im Konstantinopler Druck (S. 628) stark verwirrt.
Doch zeigt ein genaueres Zusehen, daß er zwei verschiedene Routen
kennt, die sich mehrfach, nä,mlich in Kanghal, in Hasan Tschelebi,
in Hasan Badrik treffen; dazwischen ist nun ein Stück einer ganz
andern Straße, offenbar der von Siwas nach Erzerum, fälschlich hinein-
geraten.
Das folgende ^J*.y^} ist natürlich das Iz Oglu der Karten. Ewlija
folgt hier auf der Route von Moltke und Naumann dem Tal des Böjük
Tschai in die alte Anzitene hinein (vgl. auch Tomas chek in Betträge
zur Alten Geschichte, Festschrift für H. Kiepert, 1898, S. 137). r-y^^^
geben die Karten nicht, wohl aber linden wir es unter dem Namen
(jjlX-üI -jJÜl/j \j.i wieder in Häddschi Chalifa's Itinerar von
Dijar Bekir nach Malatja (ed. 1145, S. 441 = trad. Norberg, H, 25),
und zwar zwischen Gölbaschy am NO. -Ende des Göldschik und dem
Euphratübergang. Der nä,chste Punkt von Ewlija's Routicr (^AÄsl X«
dagegen könnte wohl das Mola Köi der Karten am Südrande der Ebene
von Charput sein.
I c)6 R i c h .1 r d H a 1 t in a n n ,
(j^jjtP würde mau zunächst in dem Habusi der Karten in derselben
Ebene so. von Pistck suchen. Allein die Angabc, daß es am See von
Charput gelegen sei, d. h. am Göldschik, weist auf eine andere Lage,
etwa auf das Hafis der Karten, bei dem man das antike Colchis der
antiken Straße von Melitene nach Amida vermutet; und das wird be-
stätigt durch Häddschi-Chalifa, der (ed. I145, ^- 427 = trad. Nor-
BERG II, 631) ein Dorf XwjjLi> zwischen Charput und Basch-Chan an
der Straße nach Dijar Bekir nennt. Sary Kamysch sodann findet
sich auf den Karten an dem direkten Wege nach Pnlu im Tal des Schech
Katun Su.
Die folgenden Kreuz- und Ouerzüge des Ewlija im Gebiet der
Tigrisquellen lassen sich, wenn auch Egil, Hyny und Arghana fest-
liegen, bei der sehr mangelhaften Kenntnis der Gegend nach des Reisen-
den dürftigen Notizen leider nicht genauer verfolgen. Wieweit sich
seine Angaben überhaupt verwerten lassen, werden wir erst im II. Ab-
schnitt in anderem Zusammenhang beurteilen können.
Besser läßt sich dagegen das Routier von Basch-Chan nach Dijar
Bekir beurteilen, zumal wir hier parallele Itinerare vergleichen können.
Es sind zwei Itinerare von Häddschi Challfa, das eine von Charput
nach Dijar Bekir, das andere von Dijar Bekir nach Malatja, und —
vielleicht noch wichtiger — eine von C. Niebuhr in Dijar Bekir er-
kundete Routenbeschreibung nach Palu, die in Betracht kommen.
Wir stellen sie hier zur Übersicht nebeneinander, und zwar, der Einheit-
lichkeit halber, in der Richtung von Dijar Bekir ausgehend: s. S. 197,
Es ist wohl kaum ein Zweifel möglich, daß das Basch Chan des
ersten ganz mit dem unseren zusammenfallenden Itinerars dasselbe ist
wie das Göl Baschy des zweiten, und dann — zumal, wenn wir Niebuhr's
Erkundung noch beiziehen — , daß beide nicht zu trennen sind von dem
Gölbaschy Chan am NO. -Ende des Göldschik. Der Orta-Chan selbst
findet sich auf unseren Karten nicht. Dagegen ist das Scherbetein
gewiß bei dem Scherbet Chan zu suchen, den unsere Karten seit der
Taylor's im JRGS. 35 nördlich vom Dewe Getschid verzeichnen ^\
Nach T.aylor's Zeichnung ist die »Old Br[idge]«, die unserer (j?;Jj^ »y*
entsprechen muß, nicht so dicht an den Chan herangerückt wie auf
Kiepert's neuester Karte; immerhin ist aber deutlich, daß auch bei
Ewlija Scherbetein und Kara Koprü nicht als zwei* verschiedene
Ilauptstationen gemeint sein können; ja in den beiden Itinerarien des
Häddschi Challfa haben wir < ■ iTenbar beide Namen für dieselbe Örtlich -
■) Im Scherejnäme, ed. \' c 1 i a mi n o f - Z c r n o f , 1, 1S2 (vgl. trad. Ciiarmov,
II, I, S. 23; II, 2, .S. 24) ist ^^"oiyi L3» geschrieben.
Zu Ewlija Tschciebi's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. Ig^
Häddschl Challfa HäddschT Challfa Niebuhr, Reise-
S. 427 S. 441 beschreibung I, 421
(=NoRBERG I, 631) (=NoRBERG II, 24) (= RiTTER X, 716)
..Li- (ji-Lj
C3
2i^<w».jLj>
o
'j^:r
2 Std.
^ J ft. J 2^ aX^w
L7-- -^
1^^-^^^ »y
6 Std.
cf^j'
1 1
5 Std. 6 Std.
0^
xj^.!
5 Std.
t
l5
ioLj (3j^
6 Std.
16 Std.
^l-' >-^ >^^
7 Std.
Diyarbekr
6 Std.
Sherbettin
6 Std.
Burdenish
6 Std.
i
(jrta Chan
1
4 Std.
Bush Chan
8 Std.
Palu
keit. Nebenbei sei bemerkt, daß das i^lAji^' des ersten Itinerars von
yäddschi Challfa offenbar entsprechend dem zweiten in »-t-^
zu ändern ist, was das von Taylor erkundete Dorf Schübe sein dürfte.
Zwischen dem Übergang über den Dcwe Gctschid und Ciol Baschy
sind anscheinend verschiedene Routen möghch und auch im (icbraucli
gewesen. Da, wie die heutige Straßenführung zeigt, auch eine west-
j Q§ R i c h a r d H a r t ni a n n ,
lichere Linie sehr \vohl gangbar ist, bleibt es auch offen, wie weit die
von Ewlija bzw. Häddsch! Chalifa bc/.cugten Wege der antiken
Straße entsprechen (vgl. auch K. Miller, Itineraria Romana S. 738f.).
7. Von Dijar Bckir nach Bitlis (IV, 71 ff.)-
Von S^ j'ljO über die Tigrisbrückc — i Std. - — ■ j^Jsji*v — i3^
x^j ..«/iisLjsx — -.<*o_>4.5' (..'^■«'^ — ostwärts am Ufer des Batman
Su nach -j%^ i>^>-^ —- ••:^> - — i >^J»J ,..LIaL<v o.a::;> xicÄAvi — ,lXääj —
Zu diesem Itinerar ist nicht viel zu bemerken. Mejjafarikin, die
Batman-Brücke, Hazo, Zijaret Uweis und Kefender liegen fest. Freilich
wäre es erwünscht, die Route durch die Bestimmung von ^.>^J Sj^
und .jL^ uoLi> noch genauer feststellen zu können. Das ermöglicht
auch yäddschi Chalifa's Itinerar (S. 441 = Norberg, II 24):
Jii Juc> — 2 Std. — ^■i'^ hJ ~ 6 Std. — «u^ nJi — 5 Std. — qUIoj
"^^jj^ — 8 Std. ~_5.1^i> {\._^=>) — 6 Std. — ^i/i^ (j^jt — 5 Std. —
Ji*Xy5 dUil — 4 Std. — jJc^ii — 5 Std. ■ — (j/^Jjj, in dem auf-
fallenderweise ^^AÄjLsLxxi fehlte), nicht. Besonders der erste Teil
des Weges bleibt im einzelnen unsicher. Daß die Straße großen-
teils ein alter Verkehrsweg ist, ist durch die Geländebeschaffen-
heit gegeben.- Einzelheiten l^ietet auch Mukaddasi leider nicht, der
[Bihliotheca Geographorum Arahicorum III, 149) von i-X^i nach ^j^JSLka
nach ^.,2;i nach ^j-^j^i O^m^ nach ^Aju-j! nach ^j^^Xi je eine Tage-
reise rechnet, also von Mejjäfärikln eine südlichere Richtung im Auge
liat. Natürlich wird ungefähr auch eine antike Straße der Linie ent-
sprochen haben, doch bleiben alle näheren Angaben der Peutinger-
schen Tafel unsicher, auch wenn Tigranocerta nach Lehmann-Haupt's
Forschungsreise nun endgültig nach Q^äjlsL-y« zu verlegen sein
sollte (vgl. dazu aber auch Kiepert, Formae orbis aniiqui, Bl. V, Text
S. Sa, sowie K. Miller, Itineraria Romana, Sp. 743 IT. vi. 749, die für
Tigranocerta an Arzen festhalten).
8. Von Erdsrhisch über Erzerum nach Tokat (V, 39 If.)'
') wie übrigens auch hei Tanikmkk, der im wcscnllidicn dcssclhen Wejjcs gc/ogen
sein muß.
tw Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Eiiphrat- und Tigris-Gebiet. ip()
LJI — obt j-y^> — L^*^^-y' l5-^^' J^^ — über :s^ ^JJ^^j^ nach
k»./;?,^
\^j J
— ^j,y^ ^ö^z\ ^.,Ux]^ — ^'^j) -—^^^..i ^u ^^JL — ^^z> ^U —
Das Qt^^L-^ Ewlija's auf dem Wege von Erdschisch am Wan-
Scc nach Melazgerd ist offenbar das »Tashgenan« der Karte von Lynch.
Von Melazgerd aus scheint sich die Route zunächst ganz südhch des
Murad Su zu halten, wenn anders ^y jlä, das durch die Lage an
einem See charakterisiert wird, v.ie doch wohl sicher, in dem Kazon
Göl der KiEPERT'schen Karte südlich \on Gop zu suchen ist. Über
den ^.,Ll:iJLw Lju ^^>Ü, dessen Heiligtum den Weiterweg nach Chnys
näher bestinmien soll, weiß Ewlija selbst (V, 43) nichts zu sagen, und
unsere Karten haben ebenfalls kein Dorf dieses Namens.
Von Chnys folgt Ewlija derselben Route nordwärts, die er schon
einmal (s. Route 2) umgekehrt gemacht hat. Nicht bloß Kozly Baba
hat er damals schon berührt, sondern auch, wie er jetzt ausdrücklich
nachträgt, die Altun Halkaly Köprü passiert. Man hat sie, da Ew^lija
bei Alwar sw. von Hasankaie die Pasinowa erreicht, offenbar etwa an
der Stelle zu suchen, wo Kiepert neben einer Brücke die Legende
Köprü Boghaz verzeichnet, also unweit von Küllü, wo auch Lynch
(H, 190) — freihch ohne eine Brücke zu erwähnen — den Araxes über-
schritt. Der Abstieg in die Pasin Owa nach Alwar, der nach der Karte
vermutlich über Ertef führen mußte, erhebt unsere oben ausgesprochene
Vermutung, daß in Route 2 verschiedene Itinerarien verwirrt sind,
ZU großer Wahrscheinhchkeit. Der dort erwähnte Übergang über die
Tschoban Köprü gehört offenbar in einen andern Zusammenhang.
Über den Weg von Hasanabad nach Erzerum vgl. o. S. 189.
Auch der Weg westwärts von Erzerum ist bis Köttür, wie statt
des jy^ natürlich zu lesen ist, aus Route i und 4 bekannt. Leider
versagt gerade für das Stück von da nach Erzindschan, das uns schon
oben Schwierigkeiten gemacht hat, auch hier wiederum das Itincrar
bzw. unsere Karte. Man könnte vermuten, daß Ewlija diesmal nicht
dem Flußlauf folgt, sondern das Bergland durchquert. Doch solange
die Zwischenstationen nicht zu identifizieren sind, bleibt natürlich alles
vage Vermutung. Auch von Erzindschan nordwestwärts fällt Ewlijii's
200
Richard H a r t m a n n ,
Rciseweg mit dem in Route 4 besprochenen zusammen. Die Stationen
Basch Chan und u^J)^^ machen das sicher. Damit ist freilich nicht
viel gewonnen. Nur die erste, in Route 4 nicht erwähnte Station,
Jalynyz Bagh, kommt auf der Karte nw. von Erzindschan vor und macht,
was eigentlich auch ohnedies deutlich war, sicher, daß er den Lauf des
Tschardakly Su aufwärts verfolgt. Ob das nach ^^jS kommende
^JU*w ,^ocÄ mit dem ri^ ^t^-^ ^n der entsprechenden Stelle von
Route 4 identisch ist, läßt sich nicht mit absoluter Bestimmtheit sagen.
Immerhin macht die nächste Station 3;^ es wahrscheinlich. Sie ist
vielleicht zu unterscheiden von dem gleichnamigen Orte, der in
Route I (II, 199) vorkommt, aber identisch mit dem II, 383 als in der
Nähe von ^^^^ ii^-h^ gelegen erwähnten •j.i. Ewlija's dortige
Bemerkung, daß da auch der »U q'wc^o^jJj o^-^^' ^^^ Erbauer
der Tschoban Köprü, begraben sei, kann vielleicht weiter führen. Denn
die Karten verzeichnen an der Schleife des Gerdschanis S'u eine Tscho-
banly Tekke (vgl. Wünsch in Mitteilungen der k. k. geogr. Ges. XXVII,
1884, S. 2091.). Hier gehen nun unsere Route und Route 4 ausein-
ander, Ewlija's jetziger Weg nicht weiter nordwestlich nach Ezbider,
sondern wahrscheinlich direkt nach Westen. Alle Versuche, für die
weiteren Stationen bis nach Tokat auf der Karte Anhaltspunkte zu
finden, scheitern. Denn das Zara am Kyzyl Yrmak östlich von Kotsch
Hisar ist für unser (S^)^ S;^j ^vohl entschieden zu südHch. Ob das
.seltsame o>./i.J^c.i etwas mit dem '^_y^J^ zu tun hat, das sich bei
Häddschl Chalifa S. 627 ^trad. Norberg II, 412) in einem noch
sehr erklärungsbedürftigen Itinerar von Siwas nach Erzerum findet,
muß dahingestellt bleiben. Daß wir Ewlija's Weg nicht weiter ver-
folgen können, verliert übrigens von seinem Auffallenden \'iel für den,
der einen Blick auf Kiepert's Karte wirft. Die Gegend zwischen Kelkit
und Kyzyl Yrmak ist eben terra incognita.
II. Die Wasserläufe.
I. Der Tigris.
Ewlija gibt an verschiedenen Stellen einen Überblick über dvw
Lauf des Tigris. Besonders spricht er zweim^al ausführlicher über den
Ursprung des Stromes. Die Hauptstelle ist IV, 42!.: ,
»Der Schalt el-'Arab entspringt in den Bergen von Dijar Bekir.
Sein Ursprung ist an vier Stellen, und alle werden Schatt genannt,
wenn auch [in weiterem Sinn] alle Flüsse Schatt heißen. Die Mündungs-
stelle aller Flüsse ins Meer nennt man Merdsch el-Bahrein. Das heißt
also, daß der Schatt aus vier Quellen entspringt, die im einzelnen be-
sprochen werden müssen.
2u Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Eupliiat- und Tigris-Gebiet. 20 1
. DieersteQuelle des Schatt ist zunächst [an]ein[em]paradiesgleiche[n]
Dorfe namens Baghin i), hinter der von Dijar Bekir nordwärts in einem
Tage erreichbaren Festung Pahi. Dieses Dorf ist ein in Kurdistan welt-
bekannter Ausflugsort. Alle Bejs von Palu und die andern Großen der
Gegend kommen zur Erholung hierher und vergnügen sich hier. Dieses
idyllische Dorf ist eine Domäne des Bejs von Palu. In jenen steinigen
Bergen quillt aus einem steilen Felsen reines Wasser hervor, aus dem
im Monat Juli ein kräftiger Mann keine drei Steine zu holen imstande
ist: so ein kaltes, klares Wasser ist es. Es ist gewissermaßen reines
Kristall 2); ja, es ist eine den Stempel des Lebenswassers tragende
Lebensquelle; ihresgleichen findet sich auf Erden nicht. Wer ein
[ganzes] Lamm ißt und darauf von diesem Wasser trinkt, der wird
sogleich wieder hungrig 3).
Die zweite Quelle des Schatt bricht sodann aus der Höhle eines
berühmten Berges namens Lxi^ o^^J in der Umgebung des von
dort nicht weit entferntert Arghana mit Donnern, Brausen und Tosen
hervor. Es ist ein äußerst 4) durchsichtiges und klares, reines Wasser,
desgleichen es auf Erden nicht wieder gibt.
Die dritte Quelle des Schatt: Dieser Quellarm des Schatt kommt
aus einer Höhle in einem hohen Berg an einem Tschynarly Dere »Pla-
tanental« genannten Ort zwischen Arghana und Demir Kapu hervor.
Auch dies ist ein lauteres Wasser, so daß es sozusagen Nilwasser s) ist.
An dieser Statte sind Ausflugsorte, die den Genießern unter der Be-
völkerung von Dijar Bekir bekannt sind.
Die oben erwähnten drei Teile des Schatt vereinigen sich unter
einer himmelhoch ragenden berühmten Brücke namens -.äjO-j und
bilden einen sehr großen Strom. Dann, nachdem die erwähnte Brücke
passiert ist, kommt noch der Terdschil-Su und vereinigt sich mit ihnen;
der heißt Schatt-i Terdschil. Nachdem diese vier, Baghin, Mascha,
Demir Kapu, Terdschil, zusammengekommen sind, kommt im weiteren
Verlauf noch ein anderer Fluß unter der Kara Köprü und trifft mit
ihnen zusammen. Er kommt zwar aus den Bergen, kann aber nicht
spezieil als .Schatt gerechnet werden, da er von der andern Seite
1) statt x&U ist (mit den Parallelen) .^j^cli zu lesen.
") .!«./« oi^o. «.Uj • 0!">'^J v/äre nach Redhouse Bergkristall; der türkische
Lektor in Kiel, Herr Faik Bej, dachte (mit Vorbehalt) an OlXas- Das letzte Wort
(Name?) ist auch ihm nicht gelätifig. Dieselbe Wendung II, 237, Z. 7 v. u.
3) Soll, wie mir Herr Faik bestätigt, die appetitanregende Heilkraft des Wassers
dartun. . '
4) Soll das o' c'».5'Li,«.Ijliici' wie sonst speziell die lichtgelbc Farlic kennzeichnen?
?) Hier Hoch kaum »(indigo)blaue8 Wasser«; vgl. auch Anm. 2 u. 4.
Islam IX. 14
^oi
Richard 1 1 a i t m a li n ,
kommt. Darauf fließen sie alle vereinigt weiter und strömen am Fuße
des Mädchenfelsens östlich von Dijar Bekir vorbei« usw.
Zum Vergleich und zur PCrgänzung möge hier gleich auch Ewlija
III, 223 folgen:
»Hinter dieser Festung (sc. Palu) gibt es ein paradiesgleiches Dorf
namens Baghin. Es ist ein in Kurdistan weltbekannter baumreicher
Vergnügungsort, der eine Domäne der Bejs von Palu ist. Dort ent-
springt ein klarer Fluß aus einem Felsen, der den Stempel des Lebens-
quells trägt. Der Schatt el-'Arab hat drei Ursprünge. Einer davon
ist dies. Alexander hat an dieser Stelle einen Sitz^j.
Ein anderer Zweig des Schatt ist ein wunderbar -) klares und
lauteres, reines Wasser von einem Ort namens |^.,Lxi.x v;^.2iö in der
Umgebung von Arghana. Auch dies ist ein unvergleichliches, leben-
spendendes, frisches Wasser.
Noch ein Arm des Schatt kommt aus dem Tschynarly Dere durch
das Demir Kapu zwischen Charput und Arghana.
Die drei erwähnten Arme passieren eine große, einbogige Brücke
namens ,;^Jo j. Dann kommt der TerdschTl-Fluß hinzu und mündet
in den unter der Kara Köprü durchfließenden Strom. So läuft er :ini
Fuße des Mädchenfelsens 3) von Dijar Bekir vorbei « usw.
Diese Angaben sind so bestimmt, daß man meinen müßte, sie
könnten sich einfach von der Karte ablesen lassen. Leider würde dieser
Versuch sofort scheitern. Man kann eher sagen: soviel Angaben, soviel
Schwierigkeiten. Wir beginnen mit dem, was noch am ehesten als
sicher oder doch wahrscheinlich bezeichnet werden kann. Die dritte
Üuelle, die als zwischen Charput und Arghana im Platanental gelegen
bezeichnet ist, ist oft'enbar der Ouellarm südlich vom Göldschik, über
den wir seitWüNScn's Untersuchungen [Mitt. der k. k. geogr. Ges. 2S,
1885) n-:iher unterrichtet sind. Und der Name Demir Kapu haftet
offenbar — wie auch sonst öfter — an einer Enge des Durchbruches des
Flusses durch den Taurus nordwestlich von Arghana. Obwohl das
Dorf Demir Kapu4) von Ewlija (IV, 2i)selbst besucht ist, läßt sich aus
seinen Angaben über die genaue Lage nichts Näheres entnehmen, und
die von ihm dort erwähnte Geschichte, daß Chosrau Anöscharwän hier
ein eisernes Schloß gebaut habe, ist natürlich nichts anderes als eine
Legende zur Erklärung des Namens.
-) s. o S. 201 Anm. 4.
:^) Natürlich ist statt des Lxi ^>^i ''es Druckes hier aiuh ^^i ^i zu lesen.
4) Über den Ort vgl. auch Sclwrejnämc, cd. V c 1 i a iii i u " I - Z c r u o f , I, i.S6;
trad. CiiARMOY, II, I, S. 28.
Zu Ewlija Tschelebi's Reisen im uberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. ^q^
Unter dem zweiten Quellarm, dessen Name freilich auch dunkel
bleibt i). möchte ich am ehesten eine Quelle in der Gegend von Arghana
MaMen vermuten.
Besond_ers schwierig, aber auch besonders wichtig ist die Frage
nach dem ersten, dem Fluß von Baghin. Dieser Quellarm ist mehrfach
auf den Dibene-Su gedeutet worden. So verlegt Tomaschek unser
Baghin »in die Eisenminenregion von Siwän « {Festschrift für H. Kiepert,
1898, S. 138). Und Belck läßt Zeitschr. für Ethnologie 1899, S. 251,
Ewlija sagen: »Eine Tagereise nördlich von Dijar Bekir, bei dem
Schlosse Bali, in einer reizenden Gartengegend, strömt die erste und
Hauptquelle des Tigris, Schatt-i Baghin, auch Schatt-i Sül-qarnein . . .
aus dem Boden, so genannt, gemäß einer islamitischen Sage, weil
Alexander, das reinste Wasser zur Linderung seiner Schmerzen auf-
suchend, hier stille stand, da er beides an dieser Stelle gefunden.«
Leider sibt Belck nicht an, woher er diese Nachricht hat. Schon der
Wortlaut zeigt aber, daß es sich hier um kein wirkliches Zitat aus
Ewlija handeln kann. In der Tat zitiert Belck, wie ich nach einigem
Suchen fand, nicht Ewlija, sondern — • vermutlich durch Vermittlung
von Ritter, Erdkunde X, 102 — J. von Hammer's Worte in Jahrbücher
der Literatur (Wien) XIII (i82i\ S. 254, die in der Hauptsache die oben
übersetzte Stelle Ewlija IV, 42 f. zur Grundlage haben. Was in
unserer Übersetzung davon nicht enthalten ist — es ist, wie man sieht,
nicht ganz wenig — , kommt also auf Hammer's Rechnung.
Es fragt sich nun, ob die Deutung dieses Quellarms auf den Dibenc-
Su richtig ist. Nach EwHja's deutlicher Angabe ist der Baghin-Su
nicht der letzte Quellfluß oberhalb von Dijar Bekir. Es kommt oberhalb
dieser Stadt, abgesehen von dem von der andern, d. h, gewiß der
rechten, Seite mündenden Zuflu-ß, offenbar dem Dewe-Getschid, noch
ein vierter Hauptquellarm, den er Terdschil-Su nennt, hinzu. Nun ist
der Dibene-vSu aber der letzte linksseitige Zu- oder Quellfluß, der sich
oberhalb Dijar Bekir mit den andern vereinigt. Damit ist eigentlich
schon klar erwiesen, daß Ewlija's Baghin-Su nicht dieser, sondern
ein weiter oben mündender Quellfluß sein m.uß. Diese Argumentation,
die m. E. in der Tat schlüssig ist, könnte aber damit angefochten werden,
daß Ewlija an anderer Stelle vom Terdschil-Su in einer Weise spricht,
daß darunter unbedingt ein anderer Zufluß unterhalb Dijar Bekirs
verstanden sein muß. Es wäre daher wertvofl, wenn uns Ewlija noch
weitere Mittel zur Bestimmung der Quellflüsse an die Hand geben würde.
Und das tut er glücklicherweise. Ewlija kennzeichnet den Funkt,
') Tir, i2y. ^.jLAx o.<^ö; w, 22: ^v,,i,,o vi>~^ö"; iv, 42: Vjj^^a o-^^^j.
^Q. Ri chard H alt 111 an II ,
WO die drei ersten Ouellflüsse vereinigt sind, durch die Erwähnung
einer Brücke, der --^Jj- Brücke (so IV, 4^, HI, 233: -^-olXjj
IV 21: --sxA^Oj, 1\', 22: -o Jj; vgl. Scherefnäme, ed. Veliaminof-
Zerncf,' I, \^o u. 190, trad. Charmoy, II, i, S. 21 u. 32; II, 2,
S 2V ^o^j") und setzt die Mündung des Terdschil-Su in Beziehung
zu der Kara Köprü. Beide finden sich unter diesen Namen auf
der Karte nicht, l'nd Ewlija's Ausdrucksweise ist bei der letzteren,
z\unal 11 1, 22^, nicht recht klar. Sie kann aber kaum allzu weit
von Dijar Bekir entfernt sein. Selbst wenn es, wozu seine Worte schwer
passen, die Brücke von Dijar Bekir selbst wäre, von der an nach seiner
Schilderung die Keleks flußabwärts fahren — ein Einzelzug, den
Browski im Globus 53, S. 44 noch für die Gegenwart bestätigt — ,
ist doch unzweifelhaft, daß Ewlija den Terdschil-Su oberhalb Dijar
Bekirs mündend denkt. Wo ist dann aber die erste Brücke mit dem
zweifelhaften Namen zu suchen? Dafür gibt uns Ewlija in der oben
besprochenen Route 6 einen Wink. ?> kommt dort aus der Gegend
von Palu und Demir Kapu nach Kreuz- und Ouerzügen nach einem
Orte ^i>J" am Tigris, in dessen Nähe die ^^-^0;^- Brücke ist, über-
schreitet'hier den Fluß und gelangt so nach Egil. Mag die genaue
Richtung, aus der er kommt, auch nicht festliegen, so ist m. E. doch
sicher, daß er irgendwie von Norden her nach Egil gelangt, jedenfalls
weit oberhalb der Mündung des Dibene-Su. Nun verzeichnet die Karte
dicht unterhalb der Mündung des Göldschik-Su eine antike Brücke.
Eine Beschreibung habe ich leider nicht gefunden. Aber alles spricht
doch dafür, daß dies die „s^JJ-Brücke ist. Und vielleicht finden wir
auch diesen Namen noch einmal wieder. Wir haben oben S. 197 das
von NiEBüHR erfragte Itinerar von Dijar Bekir nach Palu erörtert.
Zwischen den bekannten Ürtlichkeiten Scherbetein und Basch-Chan
kennt er zwei Stationen Burdenisch und Orta Chan. Sollte nicht das
»Burdenisch« unser .^^jJ sein? Ein Blick auf die Karte zeigt, daß
wir damit, unter der X'oraussetzung, daß sich sein Routier im wesent-
lichen an den Lauf des Arghana-Su hält, eine ganz befriedigende Lösung
erhalten. Doch wie man sich auch hierzu stellen mag, unsere Hauptfrage
ist davon unabhängig. Sie ist — ich glaube, mit Sicherheit — dahin
gelöst, daß Ewlija den Baghin-Su oberhalb jener antiken Brücke
mündend denkt. Wir würden ihn vielleicht am liebsten in dem Göl-
dschik-Su der KiEPERT'schen Karte wiederfinden. Es könnte aller-
dings auch ein noch westlicherer Ouellfluß sein. Dafür laßt sich an-
führen, daß Kiepert am Oberlauf des nächstwestlichen Zuflusses ein
Baghin verzeichnet; nach welcher Quelle, weiß ich freilich nicht. Auf
jeden Fall verdient es doch Beachtung, daß der Name in dieser Gegend
Zu Ewlija Tschebbi's Reisen im oberen liiiphrat- und Tigris-Gebiet. 205
bezeugt ist, nicht aber in der des Otierlaufs des Dibcnc-Su. Bezeugt
ist er auch durch Indschidsch ean, der nach Hübschmann [Indo-
germ. Forschungen XVI, 293) ein Baghin zwischen Palu und Arghana
kennt. Und schheßhch sei noch erwähnt, daß Leon Alischan
(Hübschmann a. a. 0. S. 294, Anm. 3) den Arghana-Su als Baghin-Su
bezeichnet. Das alles reicht gewiß hin, um zu erweisen, daß die Quelle
von Baghin nichts mit dem Dibene-Su zu tun hat, sondern der Ur-
sprung eines weiter oben mündenden Ouellflusses ist. Weiter können
wir allerdings mit Bestimmtheit noch nicht gehen. Denn gerade die
Gegend, in der Baghin zu suchen ist, gehört, wie die KiEPERx'sche
Karte deutlich zeigt, zu den noch ganz unbekannten. Erst eine genauere
Erforschung der Gegend selbst kann auch volle Aufklärung über
Ewlija's Darstellung bringen.
Bisher ist nun allerdings vorausgesetzt, daß Ewlija nicht über-
haupt ein unglaubwürdiger Schwindler sei. Sein Bericht macht wohl
auf jedermann zunächst einen vertrauenswürdigen Eindruck. Der gute
Glaube könnte nun allerdings durch seine Schilderung der weiteren
Tigriszuflüsse stark erschüttert werden. Diese ist in der Tat völlig
verwirrt. In der zusammenhängenden Darstellung des Tigrislaufs be-
spricht er nämlich auch dessen wichtigste Nebenflüsse und schildert so
IV, 44 den Batman-Su: »Der Batman-Fluß vereinigt sich aus den
Bergen von Mejjäfärikln, Hazu, Ätäk und Terdschil, nimmt die Ge-
wässer der Burgen von Bitlis und Kefender, das Gewässer der Burg
von s.- M und einen Zweig des Chäbür auf, läßt die in der Nähe
der B'urg Hazu gelegene wunderbare Batman-Brücke hinter sich,
berührt manches Hundert Dörfer und Flecken und mündet in der Nähe.
der Burg Hasan Kef in den Schatt.« Ewlija verbindet also nicht bloß
den Arzen- und Bohtän- nebst Bitlis-Su, sondern selbst den Chäbür
al-Hasanije, den er sich spalten läßt, mit dem Batman-Su zu einem
und demselben Unterlauf. Daß hier nicht bloß ein gelegentliches Versehen
vorliegt, beweist, daß Ewli j a auch bei der Beschreibung von Bitlis IV, 96
den Bitlis-Su abbiegenund sich inderNähederberühmten Batman-Brücke
mit dem Batman-Su vereinigen läßt^-). Er hat also tatsächlich über
die Zuflüsse des Tigris völlig unklare Vorstellungen, die sich z. B. von
der viel besseren Kenntnis des Häddschi Chalifa (ed. I145, S. 467 =
trad. NoRBERG II, 8i ff.) recht unvorteilhaft abheben. Was uns ganz
n über t ■ Jij • v<;l. I\', 81 u. 89; V, 20. S. aucb Scherefnämc. tr;ul.
Charmoy, I, I, S. 465. Vielleicht das »Zerque« Tavernier's." Rich, Aarmtive Ol a
Residence in Koordistan, S. 375: »Zerki is between Bitlis, Sert and Moosh«.
'■) Vgl. Ricn, a. a. 0. S. 376: »Batman Tchai is the Sert river, or true Tigris.« Sollte
diese »inform ition, coUeeted from natives« am Ende auf — Ewlija zurückgehen.-
2q5 K i ch a r tl 11 a r l lu a ii n ,
besonders angeht, ist die Tatsache, daß er hier die Gegend von Tcrdschil
zum Flußgebiet des Batman-Su rechnet. Freilich steht er damit,
wenn man den Begriff Tcrdschil etwas weit faßt, nicht allzu fern von
der Wahrheit. Wie er es versteht, zeigt er III, 227 noch deutlicher,
wo er bemerkt, der Kulp-Su münde in den lerdschil-Su. Das macht
klar, daß er unter dem letzteren nur den Lidsche-Su verstehen kann.
Ist Ewlija's Terdschil-Su hier also der Lidsche-Su, so verstehen wir
auch schon die Mehrdeutigkeit des Namens — s hen wir ihn doch oben
auch als Bezeichnung des Dibenc-Su: denn auch heute bestimmt man
ja gelegentlich den Tigristunnel am Oberlauf des Dibene-Su nach dem-
selben Lidsche, das dem Ouellfluß des Batman-Su den Namen gibt.
Nimmt man den Begriff Tcrdschil in weitem Umfang, so könnten wohl
die beiden Ouellbäche, die ja wirklich nahe beieinander liegen, nach
der Landschaft Tcrdschil benannt sein. Das doppelte Vorkommen
des Namens ist also keinesfalls ein Argument gegen unsere Auffassung
von Ew^lija's Beschreibung der Tigrisquellen. Aber auch sein Irrtum
über den Unterlauf der linksseitigen Tigriszufiüsse entwertet seine
sonstigen Angaben nicht. Hier ist er eben nicht selbst Augenzeuge;
und wo er dies nicht ist, ist er entweder schriftlichen Quellen oder un-
sicheren mündlichen Gewährsmännern gefolgt. In welchem Maße
zeigt IV 74, Z. 5, wo er versichert, daß im Gebiet von Mejjäfärikin
der Bäsanfä-Fluß sich befinde, aber hinzufügt, daß er weit von der
Stadt weg sei: mit g'utem Grunde; denn natürlich hat er an Ort und
Stelle von diesem Fluß nichts gesehen oder gehört. Stammt er doch —
wer weiß, auf welchen Umwegen, jedenfalls über Abu'1-Fidä — aus
..... Ibn Serapion-Chwärizmi, wie ich den Autor nach ZDMG. 71,
S. 247 f. zu bezeichnen wage, vgl. JRAS. 1895, S. 263 und ist kaum
sicher zu identifizieren. Anders ist es, wo er als Augenzeuge spricht.
Da erweist e- sich, mögen auch Irrtümer und i bcrtreibungen mit
unterlaufen, doch im ganzen als zuverlässig, wie auch wir noch zu
sehen Gelegenheit haben werden; und die Gegend tler Tigrisquellen
hat er ja selbst durchzogen. Wir haben also allen Grund, seiner Be-
schreibung Gewicht beizumessen 'j.
») Beiläufig erwähnt E w 1 i j ;i , IV, 56, auch einen rechtsseitigen südlichen Zuflui3
des Tigris, den Gök Su oder genauer einen Ort, der davon den Namen hat. — Nach
Th.Menzel's Auffassung (bei H.Grothe, Meine Vorderasicn-Expedilion, I,S.CLXXXXVIII
Anm. I u. S. CCV) würde der von E w 1 i j a , IV, 57 u. 66 genannte ^•A.c.yi ^^^'j-Ajjj
bzw. ^'Lc-fcJ . '«J, -•, <i'S »Mündung« eines Wasserlaufes bedeuten. In Wahrheit ist —
gegen Menzel — die erste Lesung die bessere, und der Name bezeichnet den Paß von
Zarzawan (vgl. die Karten).
Zu Ewiija r.scliclclji's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. 207
2. Der Göldschik.
Ehe wir 7A1 den weniger wichtiges Material bietenden Angaben
Ewlija's über den Euphrat übergehen, ist hier noeh ein Wort über den
Göldschik am Platze, der ja dei; westlichen Tigrisquellen und auch dem
Euphratlauf so nahe ist, daß man doch stets aufs neue versucht ist^
ihn in eines dieser Stromsysteme einzugliedern, was auch — vollends
nach den neuesten Untersuchungen von Huntington [Verhandlungen
der Berl. Antkropol. Ges. 1900, S. 149 f.) wirklich begründet zu sein
scheint. Ewiija kennt ihn als den See von Charput und schreibt über
ihn III, 219:
»Im Westen ist ein von der mit Gärten umgebenen Stadt
2 Stunden ^) entfernter See. Zwei Menschen können in Eile an einem
Tage seinen Umfang ablaufen. Es ist ein See, so bitter wie Gift. Ge-
wisse Historiker behaupten, dieser See komme vom Wan-See her, der
unterirdisch einen Ausgang finde und sich dahinein ergieße: das sei
dieser See von Charput. Tatsächlich finden sich die Fische des Wan-Sees
auch in diesem See
In diesem See ist eine Insel, auf der ein Dorf liegt. Alle Einwohner
dieses etwa 300 Häuser zählenden Dorfes sind Färber und Schneider.
Von dem in der Nähe des erwähnten Sees gelegenen Dorf HäbOs und
den andern Ortschaften -) kommen die Leute mit Booten und besuchen
die Insel. Auf der Insel ist ein Kloster. Als ein als heilig verehrter
Esel hier krepierte, da balsamierten der Patriarch und die Mönche
insgesamt den Kadaver 3) des Esels ein und verbargen ihn unter der
Erde, so daß es nicht einmal die Dienstleute dieses Klosters wußten.
Noch jetzt stehe er in seiner ganzen Gestalt vierbeinig aufrecht als
ein Esel da, des Nachts mit Lichtern als Augen und mit goldbesetztem
Sattelzeug: so vernahm ich aus zuverlässiger Quelle, ich selbst konnte
es nicht sehen. In alter Zeit verehrten die Christen nämlich diesen
Esel. «
Dieser Bericht ist nicht wegen der etwas albernen Eselgeschichte hier
wiedcrgegeben, die sich als nichts anderes entpuppt denn als eine Volks-
etymologie -des Namens Charput, aber doch insofern auch ein gewisses
Interesse verdient, als sie, wenn Taylor in JRAS. 38 (1868) S. 346
Anm. recht hat, den Grund abgab für die Umtaufung von Charput zu
Ma'müret ul-'Aziz. Zwei andere Punkte sind es vielmehr, die mir der
') Hier liegt natürlich ein Versehen Ewlija's vor. Daß er tatsächlich den Göldschik
meint, ist außer Zweifel.
-) 1. statt .,oLsi iL-«*. : ,M^'-"^ .J.-W..
•0 ,J;:^%2,
^Qg R i oll a r (1 H a r 1 1)1 a nn ,
Beachtung wert scheinen. Wünsch haben nach .1////. dei' k. k. gcogr.
Ges. 28 (1885) S. 15 alte Leute erzählt, daß man früher zur Kirche auf
der Insel zu Fuß hinübergekommen sei. Und Huntington gegenüber
wurde behauptet, vor 500 oder 600 Jahren sei der See gar nicht da-
gewesen. Mag der See nun auch geologisch ganz jung sein, mag ein
Steigen des Wasserspiegels ganz unzweifelhaft seni, Ewlija's Er-
zählung zeigt jedenfalls, daß alle diese Behauptungen übertrieben sind
und mit noch viel mehr \'orsicht aufzunehmen, als dies \ielfach ge-
schieht. Noch ein anderes aber scheint interessant. Wenn Lehmann-
Haupt's Deutung {Armenien einst und jetzt I, 460 f.) von Plinius'
kaum entwirrbarer Darstellung des Tigris- Ursprungs recht hätte, so
hätten die Alten tatsächlich den aus der Gegend des Göldschik kommen-
den Arghana-Su, den aus dem Wan-Sec kommend gedachten Bohtan-
Su und den Tigristunnel von Lidsche in einen unterirdischen Zu-
sammenhang gebracht. Die Phantnsien der Alten werden nun durch
Ewlija's Fabeleien von der Verbindung zwischen Wan-See und (iöl-
dschik aufs neue bestätigt. Beruhen sie vielleicht wirklich auf ein-
heimischer volkstümHcher Vorstellung? Doch selbst wenn dies nicht
der Fall ist, wenn Ewlija's Bericht letzten Endes, was ja nicht ganz
ausgeschlossen erscheint, irgendwie auf literarischer Überlieferung
fußen sollte, so bleibt er doch zum mindesten als eine Ausdeutung von
IMinius' Bericht von Interesse.
3. Der Euphrat.
Während der Ursprung des Tigris für die alte \\\lt imd noch lür
uns bis \(>r kurzem in ein mysteriöses Dunkel gehüllt war, ein Dunkel,
das, wie wir sahen, noch immer nicht ganz gelichtet ist, tritt der Euphrat
verhältnismäßig vor aller nüchternen Augen an das Licht des Tages.
So läßt sich (leim Ewlija's kurzer, zusammenfassender Bericht 11, 207
aurh bequem auf der Karte verfolgen:
»Der Erat fließt von der Mitte der Ebene von Erzerum her. Er
entspringt nm Grunde des Felsens des Wallfahrtsortes Dumly Baba
Suhiin im Osten an der Grenze gegen Georgien und fließt nach Westen,
in der Ebene von Erzerum nimmt er zahllose Sünijjfe, Kanäle, Seen
und Wasserläufe auf, so daß er 1 lunderttausenden von Baghdader
Kranichen ') Platz bietet. Am Fuße der Ortschaft Kjän vorbeifließend,
bespült er zwei Tagereisen weiter den Fuß der Festung K;im;uh -).
Weiter nimmt er vom Gebiet der Izolr-Kurden an den von der Bingt)l-
'i Ist \j,Aj , (:C>\jJt.;^ richtig? Und was heißt es dann?
-) 1. statt A ^ \ natürlich j,^^ ,
Zu Evvlija Tschelebi's Reisen im oberen Kuiihral- und Tijjris-Gebict. 2O0
Jaiki kommenden Murad Tschai auf'. Da ^^■ird er stärker und Hießt
in der Nähe von Malatia dahin« usw.
Auf die freihch nicht ganz klare Schilderung der Euphratquelle
unweit Umudum II, 327 werden wir unten noch zurückkommen. Hier
mögen dagegen einige gelegentliche Angaben über Zuflüsse des Stromes
ihren Platz finden. So erwähnt Ewlija anläßlich seines Aufenthalts
in Kamach den Kömür-Tschai II, 376: »Der in der Umgebung des
Dorfes Kömür durch Gärten fließende Kömür Su kommt aus den
Bergen von (j*Ls*j5" [1. ^y.JLs^J' Gerdschanes] und mündet am Fuße
der Burg von Kamach in der Nähe der eine Tagereise [offenbar von
Kömür] entfernten Tekje des Sultan Melik Ghazi in den Furät. « Und
ebenso kennt er das unweit davon mündende, vom .lä^^ i}.x:> kom-
mende Flüßchen der jhs.:^ o^^, ^^'•^'^ nichts anderes sein kann als der
vom Muzur-Dagh herabfließende Tanadzur.
Wenig klar .sind Ewlija's Vorstellungen von dem Laufe des
Flusses von Diwrik, des Tschaha Yrmak, den er, ohne einen besonderen
Namen für ihn zu kennen, als einen Zweig des Frat oder kurzweg einfach
als Frat bezeichnet. »Der von der Stadt hervorfließende Zweig des
Frat läuft von da nach der Burg Egin, von da weiter nach *Arabkir
und Tschimischgezek, wo er in dem Tschat -bu^- genannten Orte
sich mit dem Frat vereinigt« (III, 212). Wenn Ewlija daher die
auf der Weiterreise nach Südost überschrittenen Bäche als zum Frat
laufend bezeichnet, bleibt zweifelhaft, ob er wirklich den eigentlichen
Frat oder den als Zweig des Frat charakterisierten Tschalta Yrmak
meint. Ein Versehen liegt natürlich darin, wxMin er den Fluß von Egin
von Diwrik kommen läßt; denn an den andern Stellen ist ganz klar,
daß er nicht ihn, sondern richtig den Fluß von Erzerum und Kamach
als den eigentlichen Frat ansieht. Und die Verwechslung wird noch
größer, wenn er den Fluß von Diwrik bei -bl=^ in den Frat münden läßt.
Denn Tschat ist für Ewlija sonst die Mündungsstelle des Murad-
Su. Man könnte nun freilich, gestützt auf kaum anfechtbare Berichte
neuerer Reisender, daß auch der Murad gelegentlich Frat genannt
werde (vgl. z. B. Geogr. 'J. VIII, 1896, S. 333 Anm.), schließen, daß
Ewlija dies an der oben erwähnten Stelle aucli tue. Allein der Sprach-
gebrauch des Ewlija schließt diese Annahme doch aus. Es liegt eben
wirklich wieder eine Verwirrung vor, wie gar nicht selten, wenn Ewli ja
nicht als Augenzeuge spricht. Das aber tut er hier ja auch nicht, denn
die Mündungsstellen hat er nicht gesehen.
Wo Ewlija jenes -bl^ in Wahrheit sucht, das zeigt z. B. III, 216,
Z. 20f. : »Hier [bei ^.,ij.xAj|] im Gebiet von Charput kommen Frat
und Murad einander ganz nahe. An der von hier eine Tagereise ent-
■^H) K i c li ii 1 (1 1 1 a 1 l 111 ;i 11 n .
ferntcn Urtlichkcit -bU?- vcrLinigcn sie sich.« Und dazu stininU auch
die kurze Schilderung des Murad-Laufes, die er 111, 224 gibt: »Er
sammelt die [Wasser der] auf der zwischen den Ebenen von Erzerum
und Musch gelegenen Bingöl-Jaila befindlichen mehr als looo Seen,
durchfließt die Ebene von Musch und strömt unterhalb dieser Festung
Palu vorbei, vereinigt sich in dem Platz namens Tzoli ^hj^^ bei dem
Dorfc namens Tschat mit (km Erat und strömt weiter talabwärts.«
Aus dieser Stelle würde man zunächst schheßen, daß Ewlija ein an-
nähernd richtiges Bild des Muräd-Laufes hat. Doch das ist nur in
sehr beschränktem Maße der Fall. Über den Oberlauf jedenfalls ist er
recht unbestimmt orientiert und kann das komplizierte Flußsystem
des Bingöl-Dagh schlechterdings nicht entwirren, wie die eine Tatsache
zeigt, daß er den Fluß von Melazgerd als den Araxes ansteht (III, 223).
Übrigens hat ja auch der sonst solidere Häddschl Challfa nur eine
mangelhafte Vorstellung (trad. Norbekg I, 629; vgl. v. Hammer in
Jahrbücher der Literatur XIV, 182 1, S. 35 und Ritter, Erdkunde
X, 647). Auch der Punkt des Zusammenflusses von Erat und Murad
ist von ihm mit Reschwan = ^.,U:v^l des Ewlija = Arsch wan der
Karten sehr ungenau angegeben. Auf unseren Karten ist dagegen das
-bU?- des Ewlija gar nicht zu finden.
Eingehend bespricht der Reisende dann noch das Flußsystem von
Malatja. Leider begegnen auch hier wieder eine Menge von Schwierig-
keiten. Ewlija's Zusammenfassung (IV, 14 f.) lautet: »Die von den
vier Seiten von Malatja herströmenden Flüsse: aus seiner Umgebung.
kommen 17 große und kleine Flüsse her. Der ^Jj-*^ -bl**^ Samjat
Su (?) kommt aus den Bergen der Burg -b.^^^ i) von Malatja her, geht
nach ^^j=> (?) -) und fließt dann außerhalb der Stadt Malatja in den
Tochma-Su.
Der Tochma-Su: Dieser Fluß kommt aus den Bergen von
Rakba(?)3); in den Aspuzan (^.,U_^^>,o;)-Ciärten 4) münden in ihn drei
kleine Quellen. Weiter unten kommt dazu noch der Bunarbaschy-Su.
Noch weiter unten vereinigt sich damit der Der-i Mesih-Su, bewässert
die Aspuzan-Gärten und fließt, die Mauerfundamente der Burg von Ma-
latja bespülend, weiter. Noch wxiter unten schließlich vereinigt er
sich an dem Orte ^» o ^\,^ mit dem Tell-Su.
') III, 169 ist so (lerNiime von Samsat = Samosata geschrieben (S. 161: J>.>^4.o);
CS ist aber doch schwer anzunehmen, daß die Berge südlich von Malatia darnach benannt
sein sollten.
-) in dem ,\.Äj.5» steckt doch vermutlich irgendein Eigenname.
3) \xi soll n-i^l' IV, 8 unten der griechische (?) Name der Stadt M. scm.
4) Die Gartenstadt Azbuzu ist ja das heutige Malatia.
Zu Ewlij;i l'schclcbi's Reisen im ubcrcn Eiiphiat- und Tigiis-Gcbiet. 211
Teil- Sil: In einer Entfernung von 5 Meilen unterhalb der Stadt
Malatja kommt noch ein Zweig von dem Tochma-Su. Nachdem alle
zusammen einen großen Fluß gebildet haben, gelangen auf der über
diesen Fluß gebauten unvergleichlichen großen Kyrk Göz-Brücke des
Sultan Hasan Mansür die von Rüm und aus der Gegend von Diwrik
herkommenden Kaufleute und überhaupt alle, die da kommen und
gehen, nach Malatja.«
Von all den verschiedenen hier genannten Flüssen sind außer dem
Tochma-Su selbst nur der Der-i Mesih-Su (meist Dermes-Su geschrie-
ben), dieser auch auf der KiEPERT'schen Karte, und der Bunarbaschy-
Su sicher festzulegen. Nach Wünsch's Karte in den Mitt. der k. k.
geogr. Ges. 34 (1891) fließt der letztere, den er Puarbassi schreibt,
zwischen Azbuzu und Eski-Schehir in den Der-i Meslh-Su; eine Ver-
bindung mit dem durch Azbuzu selbst zum Tochma-Su fließenden
Katun-Su besteht nach dieser Karte nicht. Nach Ewlija's Wortlaut
würde man annehmen, daß all' die erwähnten Flüsse in den Tochma-Su
münden ^); und wenn er IV, 9, Z. 8 die von den Aspuzan-Bergen kom-
menden Gewässer in den Euphrat münden läßt, so vermutet man
hierin nur wieder eine Ungenauigkeit in der Benennung. Das trifft
wohl auch das Richtige, wenn in Wahrheit nach unseren Karten auch
ein Teil der Gewässer (so der Dermes-Su) in den Euphrat selbst fließt.
Wir werden hier wohl auch wieder zu konstatieren haben, daß Ewlija,
wo er nicht selbst Augenzeuge ist, sich leicht irrt. Alle Schuld daran,
daß wir mit seinem Bericht so wenig anfangen können, trägt Ewlija
aber vermutlich nicht. Die Kenntnis des Flußsystems von Malatja
ist eben noch recht mangelhaft. Nach den Schilderungen von Wünsch
muß es zu einem beträchtlichen Teile durch ein kunstvolles Bewässe-
rungssystem umgestaltet sein, das er durch den Namen der Semiramis
charakterisieren zu können glaubt — wir würden nach Lehmann-
Haupt's Vorgang heute eher von »chaldischen« Wasserbauten sprechen.
Jedenfalls zeigt Ewlija auch hier aufs neue, daß selbst die Unter-
suchung eines historisch so einzigartig wichtigen und interessanten
Platzes wie. Malatja erst noch zu leisten ist.
III. Archäologisches.
Daß ein so ausführlicher Reisebericht wie der Ewlija's sehr
viel wichtiges archäologisches Material enthält, ist eigentlicli selbst-
1) Das ist deuüich auch IV, rß Z. 3 v. u. ff. vorausgesetzt, wo der Tell-Su als ein
Zweig des Der-i Mesih-Su erscheint und gesagt ist, daß er sich mit Bunarbaschy-Su und
Tochma-Su vereinigt und so unter der Kyrk Göz-Köprü durchfließt.
/> j 2 R i c li a r d H ;i r t m a n n ,
verständlich. Seine Angaben sind in dieser Hinsicht auch gelegent-
lich verwertet worden, man vgl. z. Ix nur G. Jacob's Aufsatz in Der
Islam III, 358 ff. Aber im großen ganzen ist er eine noch unerschöpfte
reiche Quelle. Es kann hier nicht davon die Rede sein, sie auch
nur für unser beschränktes Gebiet zu erschöpfen. Seine Beschrei-
bungen der Städte und Örtlichkeiten müssen, soviel sie zur Bauge-
schichte auch beitragen können, hier im Ganzen unberücksichtigt
bleiben, da sie sich doch nur im Zusammenhang einer archäologischen
Untersuchung der Örtlichkeiten selbst wirklich voll verwerten lassen.
Wir beschränken uns hier auf wenige Einzelheiten, die wohl auch so
einigen Wert haben, bzw. Anregung geben können.
Die Gegend im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet ist durch zahl-
reiche Reste alter Felsarchitektur ausgezeichnet. Schon der vortreff-
lich vielseitige Taylor hat auf solche Denkmäler öfter hingewiesen.
Regeres Interesse hat diese Felsarchitektur indessen erst in neuerer
Zeit erweckt, und durch das Verdienst E. Brandenburg's hat deren
Gebiet den Anfang einer umfassenden vergleichenden Bearbeitung ge-
funden. In den uns hier angehenden Strichen haben speziell Leh-
mann-Haupt und Belck diesen Dokumenten einer vergangenen Kul-
turepoche ihr Augenmerk gewidmet. Man ist dabei gerne geneigt,
diese ganze Gruppe von Denkmälern mit einer bestimmten ethnolo-
gischen oder kulturellen Schicht in engeren Zusammenhang zu bringen.
Nach dem Vorgang von Lehmann-Haupt würde man für unser Ge-
biet so wohl etwa von Kulturdokumenten der »Chalder« sprechen.
Die Frage nach den Urhebern der Felsbearbeitung Hegt m. E.
ganz ähnlich wie die nach der Herkunft der megalithischen Kultur.
Auch die Dolmen usw. wollte und will man von Indien über Palä-
stina, Korsika bis an die Küsten der Nord- und Ostsee oft auf eine
und dieselbe Völkerwelle zurückführen. Der Gedanke ist naheliegend
und soll als eine möghche Lösung nicht von der Hand gewiesen werden.
Ja vielleicht darf man hier noch etwas mehr als eine äußere Parallele
sehen. Die Frage nach dem Verhältnis von Felsarchitektur und me-
galithischer Kultur ist m. W. bisher kaum gestellt, geschweige denn
gelöst. Vielleicht ist eine innere Beziehung gar nicht unwahrschein-
lich. Zum mindesten sollte aber das Verhältnis beider einmal unter-
sucht werden.
In beiden Fällen wage ich nun noch nicht, das Vorkommen der-
selben Erscheinung an so vielen verschiedenen Stellen in einen ge-
schichtlichen Zusammenhang zu setzen. Gerade weil dieser Gedanke
so viel Verlockendes hat, ist iMißtrauen am Platze. Vielleicht reicht
auch ein, wenn man so sagen darf, naturgeschichtlicher Zusammen-
/tu Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Euphiat- und Tigris-Gebiet. 21*?
hang zur Erklärung aus. Ich glaube, man kann wirklich auf das ganze
Gebiet der Felsarchitektur anwenden, was Streck in ZDMG. 66, S. 309
speziell von der Neigung zum Troglodytentum, aber doch wohl in
umfassenderem Sinne sagt: Maßgebend für die Herausbildung der-
artiger Verhältnisse ist doch in erster Linie die physische Beschaffen-
heit des in Betracht kommenden Landes.« D. h. also: die gleiclien
Bedingungen können an verschiedenen Stellen spontan dieselben Er-
scheinungen gezeitigt haben.
Doch damit sind wir von unserem eigentlichen Thema fast zu-
weit abgekommen. Was hat das alles mit Ewlija zu tun.' Nun, die
Dokumente jener Felsarchitektur, die neueren Reisenden Rätsel zu
lösen geben, sind auch schon ihm aufgefallen.
So schildert er am Araxes zwischen Chnys und Hasan Kaie (s. o.
S. 198 f.) ein Höhlendorf ^^i^ :^:>! ^jr^ii , Höhle mit offenem Eingang«:
»Es ist ein im Gebiet des Sandschak Chnvs am Ufer des Araxes «-e-
legenes blühendes Dorf Alles Vieh der Bevölkerung dieses Ortes
lagert Sommer und Winter in den am Ufer des Araxes befindlichen
Höhlen. Diese Höhlen sind im Juli zwar frisch, um nicht zu sagen
kalt; im Winter aber ziemlich warm. Davon, daß sie meist einen
geöffneten Eingang haben, erhielten sie den Namen Atschyk Meghära.
Es sind Höhlen, die den Namen eines Wunders des Berges Blsutün
verdienen würden. Faßt doch jede einzelne 15000 Schafe« (V, 43
unten). Diese Örtlichkeit läßt sich vorerst kaum sicher festlegen.
Aber wenn Ewlija auch recht übertrieben haben wird, so paßt seine
Schilderung doch treftlich zu dem, was wir sonst über die Alter-
tümer Armeniens wissen; und es ist kein Grund, daran zu zweifeln,
daß seine Schilderung eine tatsächliche Unterlage hat. Es mag da-
ran erinnert werden, daß das Dorf Koily oder Küllü unweit der Stelle,
wo der Übergang über den Araxes anzunehmen ist und in dessen
Nähe die Altyn Halkeli Köprü zu suchen ist, von Pollingtox in
JRGS. X, 445 eben als ein Underground village geschildert wird;
freilich kann die von Ewlija beschriebene Örtlichkeit nicht dieses
Dorf selbst sein, sondern muß wohl südlicher liegen.
Auch sonst weiß Ewlija viel von Sagen zu erzählen, [die sich
an geheimnisvolle Höhlen knüpfen. Wir lassen diese Geschichten
beiseite, da es sich hierbei nicht um Werke menschlicher Hand oder
doch mindestens praktische Verwertung durch den ^Menschen handelt.
Dagegen verdient ein seltsames Wunderwerk der Felsbearbeitung,
von dem er uns erzählt, um so mehr Beachtung, als es noch in neue-
ster Zeit die Reisenden beschäftigt hat. In der Beschreibung von
2 j /1 R i c h a r d H a r t m .1 n n ,
Bitlis sagt unser Reisender IV, 95 : »Zu den guten Werken dieser
wohltätigen Dame [d. h. der Huma Chatun, der Tochter des sagen-
haften ersten musHmischen Herrn der Stadt, Auhadalläh] gehört auch
das Folgende : Wenn man von der Stadt Bitlis aus nach Südwesten
talabwärts geht, fmdet sich in der Nähe der Feste Kefender in einem
harten Steinblock namens Durchlöcherter Fels ein Tor. Ohne dieses
Tor zu passieren, können alle Kaufleute und Reisenden weder nach
Bitlis kommen noch nach Hazu gehen. Die Stelle dieses durchlöcher-
ten Felsen ist ein himmelhoch ragender feuersteingleicher eisenharter
Stein. Die erwähnte Huma Chatun ließ mit unmeßbaren Ausgaben
meisterhafte Steinhauer diesen harten Stein durchbohren und stellte
so einen Durchgang und eine öffentliche Straße her zum Staunen des
gewöhnlichen Menschenverstandes, der sich sagt: das geht über
Alenschenkraft hinaus; es ist vielleicht ein Werk der Dämonen; ja,
wenn ein Mensch an diesem Felsen den Schrei: He du DiwI aus-
stößt, dann erschallt von allen Bergen ein furchtbar anzuhörendes Ge-
tose, daß der Mensch vor Schrecken fast ohnmächtig wird «
Das Felsentor, von dem Lynch, Armenia, II, 156 eine Abbildung ge-
geben ist I), ist also in der Tat alt, und Lehmann-Haupt täuscht sich,
wenn er [Armeiiieit Einst und Jetzt, I. 328) darin als einem »wesent-
lichen Bestandteil der modernen Straße nur eine neue Sprengung sieht.
Die Volksmeinung, die es nach Lynch 's Mitteilung als Semiramis-
Tunnel bezeichnet, geht demnach doch nicht soweit fehl, wie Lehmann-
Haupt denkt.
Besonders häufig erwähnt Ewlija sodann in den natürlichen Fels
gearbeitete Werke, die er als ^^j ,^ :>Wasserpfad.: bezeichnet, so
bei den Burgen von Kamach (II, 377), Schabbin Kara Hisar (II, 385),
Diwrigi (III, 21 1 unten), Egin (III, 215), Palu (III, 223), Malatja (IV.
9), Bitlis (IV, 88), Melazgerd (V, 40). Es handelt sich um aus dem
Felsen herausgearbeitete Gänge, die bis zum Wasser hinabführen
(Kamach). Sie werden nur zur Zeit einer Belagerung gebraucht (^Kara
Hisar). Besonderen Eindruck macht auf Ewlija der ^J^ jj^ von
Diwrigi: »Von dem höchsten Gipfel des Felsens der oberen inneren
I3urg steigt man auf einer Steintreppe von 2000 ausgehauenen Stufen
zum Erat hinab: ein so kunstvoller Wasserpfad, daß es die Zunge
auszudrücken, die Feder zu beschreiben unfähig ist. Wie die zum
Wasser Gehenden einen besonderen Weg haben, so jiaben auch die
Wasser Bringenden einen andern Pfad für sich.«
') Vgl. aucli MüLLER-SiMOM.s ft HvvEKNAT, Du Cuucasc au Golfe J^rsiquc
(Washinjfton 1892), S. 329.
2u Ewlija Tschelebi's Reisen in oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. 21$
Kein Zweifel, es handelt sich um die in letzterer Zeit so viel
besprochenen und umstrittenen Tunnelbauten (vgl. K. Brandenburg,
Über Felsarchitcktur im j\ litte hne er gebiet, S. 76 ff.). Am ausführlich-
sten sind sie m. W. behandelt bei Leonhard, Paphlagonia, S. 235 ft.,
wo auch eine — für unser Gebiet freilich bewußt unvollständige —
Liste ihres Vorkommens mit einer sehr nützlichen Übersichtskarte
seseben ist. Außer den bei Leonhard gegebenen Exemplaren finde
t>"-fc>
ich bei Taylor, der auch in diesem Stück der späteren Forschung
ein Beispiel gegeben hat, Tunnel konstatiert in Hisn Kaifä (JRGS. 35,
S. 35), in 'Ammäne an der Mündung des Dibene-Su (ebd. S. Z7)^ ^uf
der Burg am Tigristunnel (ebd. S. 42), in Akschehiräbäd (ebd. 38, S. 302).
Eine ganze Reihe solcher Anlagen ist von Lehmann-Haupt, Belck
und Huntington neu festgestellt worden, so in Kala bei Mazgerd
{l..-n., Armenien, I, 468), in Charput (ebd. S. 477), in den Haroghly-
Bergen unweit Charput i^l'erh. der Berl. Ges. f. Anthropol., 1900,
S. 143), in Elimelek (ebd. S. 149), in Baghin nördhch von Palu [Zeitschr.
f. Ethnol. 1901, S. 177), auf der Euphratinsel unweit der Mündung
des Peri-Su (ebd. S. 187). Von den von Ewlija erwähnten Orten
sind von neueren Reisenden diese Felstunnels beschrieben oder fest-
gestellt in Schabbin Kara Hisar von Taylor (JRGS. 38, S. 295), in
Palu (Lehmann-Haupt, a. a. O. I, 467) und in Kamach (s. ebd. I, 497).
Es i.st aber kaum zu zweifeln, "daß sie sich auch an den andern er-
wähnten Orten wirklich vorfinden, und ganz gewiß läßt sich die Liste
durch Hereinziehung der benachbarten Gegenden beträchtlich ver-
mehren. Was für uns an seinen Angaben besonders interessant ist,
das ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Zweckbestimmung dieser
Tunnel schon im Namen ausgesprochen ist. Ewlija ist also ein
wichtiger Zeuge für die im Unterschied von Leonhard's rehgions-
geschichtlicher Erklärung praktische Deutung von Lehmann-Haupt,
Brandenburg u. a. ^). Für die Zeitbestimmung mag es sodann
immerhin auch zu denken geben, daß Ewlija diese Tunnel als noch
im Gebrauch befindlich voraussetzt.
Neben dieser Gruppe von Denkmälern sei aus dem archäologischen
Material, das Ewlija uns bietet, hier nur noch eine Art von Bauten
herausgegriffen, die ihrer Lage nach aus dem Rahmen der Gesamt-
bilder der Städtebeschreibungen herausfallen und deren Erwähnung
ihrem Charakter nach eine Ergänzung zu den ersten beiden Teilen
dieser Arbeit darstellt, die Brücken. Es werden hier dementsprechend
') Vgl. E. Brandenburg, a.a.O. S. 78; dazu neuerdings desselben ergänzende
und klärende Zusammenfassung des Proldcms in Or. J.it.-Ztg, 191 ?• ^P- 99'^-
2 ] ö R i c li a r d 1 1 a r 1 111 a n n ,
auch nicht alle irgendwie, zumal in der Beschreibung der Städte, er-
wähnten Brücken besprochen werden, sondern vor allem die einzel-
stehenden und meist zugleich an verkehrsgeographiscii wichtigen
Mußübergängen gelegenen Brücken der beiden großen Flußsysteme
hervorgehoben werden.
Was sich, um mit dem Tigris zu beginnen, über die oberste
erwähnte Tigrisbrücke, die ^Öo^-Brücke, sagen läßt, ist bereits oben
S. 204 gegeben. Wir haben auch dort schon gesehen, welche Schwierig-
keiten die Festlegung der im gleichen Zusammenhang erwähnten Kara
Köprü macht. Nach dem Wortlaut der angeführten Stellen würde
man in der Kara Köprü eine Tigrisbrücke zwischen der Mündung
des Terdschil-Su und Dijar Bekir vermuten. Wo aber ist eine solche?
Und zwingt der Wortlaut zu dieser Deutung." Doch offenbar nicht!
In Wahrheit ist die Kara Köprü gar nicht zu der Mündung des Ter-
dschll-Su in Beziehung gesetzt, sondern zu dem rechtsseitigen Zufluß.
Der falsche Eindruck beruht vor allem darauf, daß Ewlija III, 223
Z. 23 den Hauptfluß in den Nebenfluß münden« läßt. Außerdem
würde man vielleicht IV, 42 1. Z. , A>LÄJi statt »j^äXÜ erwarten. Bei
näherem Zusehen wird man also zu dem Ergebnis kommen, daß
diese Kara Köprü nicht den Tigris, sondern den fraglichen Neben-
fluß, d. h. den Devi'e Getschid-Su überbrückt, daß sie also dieselbe
Kara Köprü ist, die Ewlija IV, 64 passiert. Sie überspannt dar-
nach den Dewe Getschid-Su in der Trasse des als Kara Taschlyk be-
zeichneten Weges von Nordwesten nach Dijar Bekir.
Nur beiläufig wird IV, 43 ff. und IV, 70 ff. die Kelek Dschisri
von Dijar Bekir erwähnt, von der an die Keleks stromabwärts fahren,
ein Einzelzug, den noch für die Neuzeit Browski im Globus 53, S. 44
bestätigt.
Uns an die Wege Ewlija's haltend, scheiden wir damit vom
Oberlauf des Tigris selbst. Aber im Gebiet seiner Zuflüsse ist noch
eine Brücke zu nennen, die Ewlija ganz besonderer Aufmerksam-
keit wert findet, und die, an einer wichtigen Straße gelegen, auch
noch die Bewunderung neuerer Reisender wachrief. Es ist die auch
auf den Karten verzeichnete Batmän-Brücke an der Straße von Dijar
Bekir und Mejjäfärikin nach Hazu und Bidlis.
E^wlija's Bericht IV, 76 f sei hier wörtlich mitgeteilt: Von der
Burg Mejjäfärikin gingen wir nordwärts, passierten die sehenswerte
Batmän-Brücke und machten halt. Unter dieser Brücke hindurch-
fließend, scliicl.it der Fluß mit einer solchen Kraft und Heftigkeit da-
hin, daß die Ohren davon taub werden. Denn er stürzt hier über
Zu Ewlija Tschclebi's Reisen im oberen P^iqihrat- und Tigris-Gebiet. 217
Felsen hinab, die an Blsutün erinnern. Da man hier von Dijar Bekir
und Mejjäfärikin ^) nach Hazu, Bidlis, Wan und dem übrigen Kur-
distan vorüber muß, so hat ein ehrwürdiger Sproß aus dem 'Abbä-
sidengeschlecht mit dem Aufwand von 3000 Beutehi aus seinem
rechtmäßigen Vermögen eine ganze Anzahl Architekten und Bau-
meister zusammengerufen und eine große Brücke bauen lassen, die,
was ihre Konstruktion, ihre Fundamentierung, Maß, Gestalt und Sta-
bilität betrifft, alle Brücken in Anatolien überragt. Das eine Ufer
des Flusses ist Fels, das andere Sand. In der Erkenntnis, daß sich
über diesen Fluß nur eine einbogige Brücke schlagen lasse, hat der
Bauleiter bei dieser Brücke auf beiden Seiten so feste Kais und
Bettungen fundamentiert und von der einen Seite ein demTäk-i Kisrä^')
gleiches Gewölbe gebaut, daß sie aus weiter Ferne wie eine Weg-
marke sichtbar ist. Von dem einen Ansatz zum anderen Ende sind
volle 173 Schritt. Wohl ist da in der Herzegowina auch die Brücke
von MostarS) einbogig; aber die in der Technik dieser Brücke liegende
Schönheit und Vollkommenheit findet sich bei keiner berühmten
Brücke. Nun bringe ich durch die Gnade des Herrn der Welt dieses
köstliche Leben auf Reisen dahin, habe aber eine so furchtbare, ge-
waltige Brücke nicht gesehen. 4) Wer Astronomie und Physik stu-
diert [}] , kann diese Brücke unmöglich passieren. Gar
manche lassen von Schläuchen Keleks und Pontons machen und gehen
so hinüber. Denn zum höchsten Scheitel gelangend hat der Bauleiter
die Brücke, damit der Schlußpunkt ^) keine schwere Last sei, ganz
schmal gemacht, so daß man es nicht wagen kann, von oben herab
zu blicken ; unten aber ist sie äußerst breit. Auf ihren beiden Seiten
sind eiserne Tore wie Festungstore. Innerhalb der Tore sind rechts
und links in den symmetrischen Fundamenten der Brücke unter ihr
Rasträume, in denen die Passanten, wenn sie von rechts oder links
kommen, Quartier finden. Unterhalb des Gewölbes der Brücke sind
zahlreiche Kammern. In den mit eisenvergitterten Fenstern versehe-
nen Balkons verweilend, unterhalten sich die Reisenden teils mit den
Leuten auf -der anderen Seite der Wölbung, teils fangen sie mit
n 1. ,.,iAÄA's,L5i.x/« statt , . ,lXx]J .Lä/S .
^) d. i. die Ruine des Sasanidenpalastes in Ktesiphon.
3) Vgl z. B. B.\Oeker, Österreich-Ungarn ^6, S. 503.
4) Der Passus liJ.Xil ,Lj -J^il^Äol ...Lj^ä»! u>."*->^>-3 o^^^ zumal das vorletzte
Wort, ist mii dunkel. Ich wage, so sehr sich eine Eniendierung nahelegt, keine be-
stimmte Vermutung äußern. Der Sinn muß doch wohl sein, daß die Konstruktion
so kühn ist, daß sachverständige Gelehrte an die Tragfähigkeit nicht zu glauben vermögen.
5) 1 cj lAxi s. u. S. 221 Anni. ^
\^ ^..
Islam IX. I c
2 I S K i c li :i r ci H a r t m a n n ,
Netzen und Angeln Fische. Auch auf der rechten und hnken Seite
dieser Brücke sind einige mit Fenstern versehene Kammern, die der
Baumeister zur Verzierung anbrachte. Alle Geländer rechts und links
dieser Brücke sind aus Nachtschewaner Stahl. Es war da auch ein
Schmiedemeister, der sein Bestes tat, um kunstvolle Gittergeländer
zu schaffen und seine raffinierte Kunst zu zeigen. In dem auf der
Seite von Hazu dieser unvergleichlichen Brücke gelegenen Chan sind
Leute des Bej von Hazu und nehmen den Zoll von den von der
betreffenden Seite Kommenden, desgleichen auf der anderen Seite
die Leute des Bej von MejjäfärikTn. Außer diesen von uns als Chan
benannten Gebäuden ist hüben und drüben keine andere Spur von
Bauten. Wenn auch die Tschopan-Brücke über den Araxes in der
Ebene von Hasankaie im Gebiet von Erzerum groß ist, so ist sie
doch dieser nicht zu vergleichen. Auch die Yrghandy-Brücke über
den Yrghandy-Fluß H, der vom Olymp nach Bursa fließt, wollten sie
dieser Batmän-Brücke gleich machen; doch welche Vergleichung !
Hat doch der Meister unter Aufwendung technischen Könnens bei
dieser Brücke solche Ökonomie zur Ausführung gebracht, daß kein
früherer Baumeister solches Mauerwerk gemacht hat. Von unten und
oben bis zum höchsten Gipfel ist sie mit dem Stein der Burg von
Dijar Bekir belegt, mit dem verglichen Feuerstein gar nichts ist. Seit
700 Jahren ist das Pflaster auf dieser Brücke überhaupt nicht ver-
dorben, so daß es wie eben aus der Hand des Erbauers gekommen
erscheint. Meine Wenigkeit scheute sich zu Pferd hinüberzugehen,
passierte sie vielmehr zu Fuß und kam heil auf der anderen Seite an.
Kurz, diese Brücke zu rühmen, versagt Zunge und Feder. Gott er-
halte sie bis zum Ende der Welt fest und unerschüttert.«
Man vergleiche hiermit, was Taylor in JRGS. 35, S. 25 über die-
selbe Brücke sagt: »It consists properly of this one large pointed arch
and two smaller arches, but the letter werc dry, and the stream, whicii
here is easily fordable, and at this season not 3 feet deep, flowed
through the grand arch only. From the remains of an inscription
on its eastern face, it was built A. D. 2) 643 by a certain Othman:
with the exception of the date no other part of the record was legible.«
Die Abbildung der Brücke von H. von Handel-Mazzetti in Deutsche
Rundschau für Geographie XXXIII, 412 zeigt, daß der Bau in der
Tat alle Beachtung verdient. Eine eingehende Untersuchung der An-
lage ist mir nicht bekannt.
>) s. II, 26 f.
2) 1. natüilicli A. H.
2u Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. ÜQ
Wenn wir nun zum Gebiet des Euphrat übergehen, so ist hier
als oberste von Ewlija genannte Brücke die Brücke am georgischen
Paß ^jj^i' , cvLifcj ^=^yS oberhalb Erzerums zu erwähnen, die
Ewlija II, 342 als von Uzun Hasan erbaut bezeichnet, aber nicht näher
beschreibt, und die nach dem o. S. 190 Angeführten ungefähr da zu
suchen ist, wo die Karte die Hafta Köprü angibt. Nicht viel mehr
sagt er von dem wichtigen Euphratübergang (s. o, S. 191), den die
Köttür Köprü vermittelt (vgl. III, 374). Von ihr bemerkt er nur, sie
sei aus rohen Ziegeln errichtet. Es ist gewiß derselbe Bau, den
TscHiCHATSCHEF {Zeitschv. für allgemeine Erdkunde, N. F. VI 1859,
S. 299) und Strecker (ebd. N. F. XI 1861, S. 265) — übrigens nicht
gleich — beschreiben. Während dann eine große einbogige Brücke
über den Strom in Kamach nur ganz kurz erwähnt ist (II, 376, 16 f.)^),
bezeichnet Ewlija eine Euphrat-Brücke unweit Egin, die er »Burma
Köprü« nennt, als vorbildlich w^-ÄJUc (III, 215, 14). Was das is^^y^
»crewunden« bei einer Brücke heißen soll, ist mir nicht klar, wird
auch aus der kurzen Beschreibung der beiden von Yorke [Geogr.
Journal VIII, 1896, S. 333 f) konstatierten Brücken in dieser Gegend,
in deren einer man die von Ewlija genannte vermuten möchte, nicht
deutlich.
Wir übergehen die offenbar weniger wichtigen Brücken über
kleinere Tributäre des Euphrat, die Ewlija gelegentlich erwähnt (II,
214; IV, 18), zumal die Angaben nicht ausreichen, um deren Lage
mit voller Sicherheit festzustellen. Auch die Brücke über den Mu-
rad-Su in Tschapaktschur wird nur eben beiläufig genannt (III, 226).
Noch heute berühmt ist dagegen eine andere Brücke über einen
Nebenfluß des Euphrat, die Ewlija nennt, die Kyrk-Göz-Köprü über
den Tochma-Su IV, 13, 4 v. u. ff.: »Fünf Meilen unterhalb von Ma
latja ist eine vorbildHche vierzigbogige Brücke, deren Erbauer Sultan
Hasan ist. Der Teil [-Su genannte] Zweig des von den Gärten von
Aspuzu herkommenden Deri-Mesih-Su fließt durch das Innere von
Malatja, vereinigt sich mit Bunar- und Tochma-Su und strömt unter
dieser Brücke durch« 2). Der hier gemeinte Sultan Hasan ist ohne
jeden Zweifel der Ak-Kojunlu Uzun Hasan, nach dem (IV, 5 u. 6, Z. 20)
auch die in der Route erwähnten Stationen Sultan Hasan-Jaila und
Hasan Badryk ihren Namen haben sollen. Freilich wird er in Wahr-
heit kaum als ihr Erbauer gelten können. Denn die Anlage scheint
wenigstens in Resten doch in das Altertum zurückzureichen, vgl.
') Dasselbe gilt von einer Brücke bei Diwrigi über den (s. auch oben S. 209) Frat
genannten Tschalta Yrmak (III, 212).
») Über Ewlija's Vorstellung von dem Flußnetz von Malatja s. o. S. 2iof.
15*
220 kichardHartmanh.
YoRKE in Geogr. Joutma/, VIII, 1896, S. 328, wo auch eine übrigens
nicht sehr deutliche Photograpliie der 23 Bogen zählenden Brücke ge-
geben ist; s. auch Lehmann-Haupt, Ajincnieii Einst und Jetzt, 1,486.
In unserem Zusammenhang verdient schließlich noch eine Notiz
Ewlija's Erwähnung über eine angeblich von Muräd IV. begonnene,
aber unvollendet gebliebene Brücke über den Euphrat in der Kata-
rakten-Gegend unterhalb Malatja's; I\', 2(^, 9 ff. sagt er: ; Noch weiter
unterhalb [als der Kömür-Chan] strömt der Erat reißend zwischen
zwei Eelsen hindurch, daß man von dem donnergleichen Getöse er-
starrt. Der Eroberer von Baghdäd Muräd IV. hatte hier sogar eine
schöne hohe Brücke bauen zu lassen im Sinn. Es war nötig zum
Beginn die Auflager [auf beiden Seiten] gleich hoch zu machen.
Durch den Ratschluß Gottes ging Sultan ]\luräd, als er nach der Er-
oberung von Baghdäd nach Stambul zurückgekehrt war, gemäß dem
Gebot Koran 89, 28 in die bleibende Welt ein und blieb die Brücke
in der vergänglichen Welt unvollendet. Eine große Brücke über
diesen Erat in der Nähe von Kömür Chan i) wäre ein unvergleich-
liches großes gutes Werk gewesen. Doch diese Brücke zu bauen,
ist ein äußerst meisterlicher Architekt nötig. Denn von einer Seite
zur andern sind es i 10 Königsellen, was noch breiter als die Span-
nung der Aja Sofia ist. Aber im Vergleich damit, daß den Sorgen
des Menschen kein Maß gesetzt sein könnte, ist es ein sehr leichtes-
Werk.«
Was Ewlija hier erzählt, i:)aßt vortreftlich in den Rahmen des
Bildes, das sich die Volksphantasie von Muräd IV. und seiner Wirk-
samkeit gerade in dieser Gegend machte, vgl. Taylor in JRGS. 38,
S. 310 Anm. Die Frage ist nur die, ob diese Phantasie den ein-
zigen Ursprung für Ewlij a 's Mitteilung bildet, oder ob wirklich vor-
handene Bauanlagen oder eine die Tätigkeit der menschlichen Hand
vortäuschende Naturerscheinung Anlaß zu dem von ihm überliefer-
ten Glauben gegeben haben. Die Gegend ist jedenfalls noch nicht
hinreichend bekannt, daß dies als ganz ausgeschlossen zu gelten hätte.
Anhangsweise mag es erlaubt sein, hier auch noch zweier
Brücken über den oberen Araxes zu gedenken. Zwar fallen sie ge-
nau genommen außerhalb des Rahmens unserer Arbeit. Aber der
(Überlauf dieses Flusses ist ja so zwischen die Systeme von Euphrat
und Tigris hineingepreßt, daß wir Ewlija in :\bschnitt I notgedrungen
auch gelegentlich an seine Ut^r begleiten mußten. Und bei dem
') so erwartet man eigentlich statt vj^-ii
Zu liwlija l'schclebi's Reisen im oberen Euplirat- und Tigris-Gebiet. 2 2 I
losen Gefüge, das dieser Arbeit aus anderen Gründen (s. z. B. o. S. 185)
anhaften muß, wird die Sprengung des Rahmens kaum noch als ernst-
liche Störung empfunden werden.
Zunächst und hauptsächlich handelt es sich hier dann um Ewlija's
Beschreibung der Altyn Halkely Köprü, der ^Goldringbrücke«, über
deren Lage bereits oben S. 199 das Nötige gesagt ist. Ewlija be-
richtet V, 43 f. : »Auf der früheren Expedition gegen ^^X^j.Xi (II, 219 ff.)
im Jahr 1057 haben wir diese Brücke zwar bereits überschritten,
konnten sie aber nicht beschreiben. Diese große Brücke ist von dem
Tschopaniden i) Melik Ghazi gebaut. An rauher unzugänglicher -)
Stelle ist von einem himmelhochragenden Felsen zum andern ein
einbogiges Gewölbe gleich der Milchstraße geschlagen, das an einen
Regenbogen gemahnt. Sie ist äußerst wunderbar und kunstreich. An
die Mitte der Marmorplatte, die der kenntnisreiche Meister auf der
Oberseite der hohen Wölbung der Brücke angebracht hat und die in
der Brückenbaukunde als Schlußsteins) bezeichnet wird 4)," hat er
einen Ring von reinem Gold gehängt. Wenn diesen Ring, der über
dem Araxes hängt, ein heftiger Wind trifft, so bewegt er sicii. Dieser
Ring hat ein Scharnier von der Dicke der Manneshüfte, während der
Ring so dick ist wie ein Mannesschenkel. Aus diesem Grund heißt
diese Brücke »Ringbrücke . Da der Ring äußerst hoch hängt, er-
scheint er von unten ziemlich klein. Als der Stifter die Brücke baute,
da hat er jenen Ring in dem Gedanken angebracht, daß man die
Brücke, wenn sie im Laufe der Zeit zerstört werden sollte, mit dem
Preis dieses Ringes wieder aufbauen möge. So viele kurdische
Räuber auch mit Lassos auf diesen festen Punkt 5) die Hand zu legen
beabsichtigten, sie gingen zugrunde. Die Bewohner der dieser Brücke
benachbarten Ortschaften wachen auch über den Ring. :
Ebenso wie diese Brücke, von der, soviel ich sehe, neuere Rei-
sende, die die Gegend passierten'), keine Nachricht geben, während
die Karte an der fraglichen Stelle eine Brücke verzeichnet, auf die
') statt .,.,JOLxJk.A5j.:r- ist offenbar ..jJsJ-xiLj^^i- m lesen, vgl. 11,3^3.
-) / ii-OCc ist gewiß irrtümlich; man erwartet ein Synonym von L-J,-a3: darl man
etwa 'i^^^ in dem Sinn annehmen, den sonst wohl , 'lL\sl/> hatr
3) \X/^ offenbar = vi^ii ke/ici.
4") 1. .>.axj statt .-».♦XJ.
5) ist vielleicht statt des a^JSJiXs zu lesen \j»JiA.5>':'
^) so Lynch und W. Bachmann {Kirchc7i und Moscheen in Annenien und K'ur-
disian), der den Fluß allerdings offenbar etwas weiter westlich überschritt.
-,2'> Kicliard li.iitni.inn.
Dynastie der Tschopaniden, jenes von Abu Sa'ld's Emir Tschopan
abgeleitete Herrschergeschlecht, über das man Samy, Kaimis cl-
A'h'vii. S. 1884 vergleichen mag, zurückgeführt wird, lebt dessen Name
noch jetzt in dem einer andern Brücke fort, die weiter unten an ver-
kehrsgeographisch wichtiger Stelle den Araxes überspannt, der von
neueren Reisenden mehrfach (vgl. schon Rittkr, Erdkunde, X, 394)
erwähnten Tschopan-Köprü östlich von Hasankaie. Ewlija nennt
diese Brücke ein paarmal (II, 223 u. 383), leider ohne eine eingehen-
dere Beschreibung zu geben.
Sachlich würde sich an eine Besprechung der Brücken gut eine
Behandlung der Chane, die den Verkehr auf den großen Straßen er-
leichtern, anschließen. Aber wenn Ewlija auch zumal an den
Wegen von Arghana nach Dijar Bekir und von Siwas nach Malatja
eine Anzahl solcher Verkehrsbauten erwähnt, so fehlen doch, abge-
sehen etwa von den Angaben, daß der Aladscha Chan südwestlich
von Kangal von Uzun Hasans Sohn Ja'küb Chan stamme (IV, 5, Z. 20),
und daß der Hekim Chan seinen Namen von dem Fätimiden al-
Häkim haben soll und unter Mehmed IV. neu aufgebaut sei (V, 6,
X, I ff.) — s. auch o. S. 219 — , im ganzen durchweg nähere Mittei-
lungen, die eine besondere Behandlung zweckmäßig erscheinen ließen.
Auch Notizen wie die, daß die Turkmenen-Aghas auf der gefähr-
lichen Strecke zwischen Ulasch und Kanghal Steinsäulen als Wegmarken
aufgestellt haben (IV, 5, Z. 1 1 ff.), können zwar das Bild der Ver-
kehrsverhältnisse abrunden, bieten aber natürlich vom archäologi^
sehen Gesichtspunkt aus keine Ausbeute. So mag denn dieser aus
den oben genannten Gründen sehr bruchstückhafte Abschnitt mit
diesen losen Beiträgen abgeschlossen sein.
IV. Zur Religionsgeschichte.
Im Mittelpunkt des Interesses steht auch für Ewlija der Mensch.
Er spricht von den politischen Verhältnissen der durchwanderten
Länder, er gibt Proben der Sprachen und Dialekte. Er weiß von
den Sitten und Gebräuchen der Landesbewohner zu erzählen. Es ist
eine Fülle von kulturgeschichtlichem Stoff, den er uns hier und dort
zerstreut bietet, und gerade hier zeigt er sich, mag er auch da und
dort auf die Fabeln, die man ihm erzählte, gar zu gutgläubig herein-
gefallen sein '), im ganzen doch als ein recht guter Beobachter. Er
berichtet uns bei den großen Städten, die er besucht, regelmäßig von
den landesüblichen Speisen und von der Gewerbetätigkeit der Be-
'1 \gl. Mf.nzül in H. Gkothk, Meine Vor der asien- Expedition, I, S. LXXXXIII f.
Zu Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Eiiphiat- tmd ligiis-Gebiet. 2 2''
wohner. Und ob er uns nun erzählt, wie die Obstzüchter von Ala-
latja auf die noch grünen Äpfel mit Wachs Verse aufmalen oder Pa-
pierausschnitte aufkleben, so daß die Schriftzüge auf den gefärbten
Früchten hell zum Vorschein kommen (IV, i6), oder uns schildert,
wie dort die Bevölkerung in der Saison mit Kind und Kegel in die
Gartenstadt Aspuzu, das heutige Malatja, hinauszieht und nur eine
kleine Wache in der Stadt zurückbleibt (IV, 17), ob er uns eine Art
von Junggesellenheimen für auswärtige Händler und Handwerker
ebenda mit ihren festen Regein vorführt (IV, 13), ob er uns ausmalt,
wie die Holzhauer in den Bergen von Diwrigi die Baumstämme in
den Fluß werfen, nachdem sie bestimmte Zeichen eingeschnitten
haben, an denen sie ihr flußabwärts angespültes Eigentum dann wieder-
erkennen (III, 213), oder ob er uns das sommerliche Leben an einer
Heilquelle in der Ebene von Charput vor Augen stellt und in dra-
stischer Weise von der das Karlsbader Wasser womöglich noch über-
treffenden Wirkung der Trinkkur berichtet (IV, 220), stets sind es
Züge, die aus dem Leben gegriffen sind und auch uns ein anschau-
liches Bild von dem Treiben der Bevölkerung vermitteln. Selbstver-
ständlich ist es, daß die Yoghin-Gauklereien des Munla Mehmed in
Bitlis, die übrigens nicht als Wunder einer asketisch-mystischen Kraft,
sondern als Proben von Zauberei erscheinen, seine besondere Auf-
merksamkeit erwecken (IV, 82. ff., vgL 112 ff.). Nicht als Merkwürdig-
keit, sondern als bloße Selbstverständlichkeit referiert Ewlij a später,
wie — für uns trotzdem ein folkloristisch nicht minder interessanter
Zug — auf sei« Betreiben über dessen Leichnam, nachdem er zur
Strafe für verräterisches Verhalten umgebracht war, Groß und Klein
aus der Stadt mit Steinwürfen ein Fluchmal häufte (V, 33) — zu
diesem weitverbreiteten Brauch vgl. z. B. AR. XV, 147 ff. — . Solche
Züge, wie etwa auch noch der Glaube an die wunderbaren Wirkun-
gen des Wassers der Seen auf dem Bifigöl-Dagh TU, 232), streifen
schon an das Gebiet, bei dem allein wir hier länger verweilen wollen,
das religionsgeschichtliche.
Mit besonderer Vorliebe beobachtet Ewlija nämlich den reli-
giösen Glauben und Brauch. So gibt er bei den meisten Dörfern,
die er passiert, an, ob sie von Muslimen oder von Christen, von Ar-
meniern bewohnt sind. Auch die Bezeichnung Si^^^TslXi die er der
^ ^ ^ '
Bevölkerung von drei Dörfern auf dem Weg von Siwas nach Malatja
gibt (IV, 5 u. 6), geht gewiß auf das religiöse Bekenntnis zur Schi'a,
wenn auch zweifelhaft bleibt, um was für eine speziellere Richtung
es sich handelt Nicht mehr als Zugehörigkeit oder Neigung zu den
Persern oder schritische Gesinnung wird auch der Name (jitJ^j-'i aus-
2 24 Kicliard H a r t m ;in n .
drücken, der in unserem Gebiet gelegentlich begegnet (z. B. II, 220,
7). Jedenfalls ist dabei nicht ohne weiteres an die leider noch so
wenig bekannte religiöse Gruppe zu denken, die wir heute unter dem
Namen verstehen.
Regelmäßig hat Ewlija in der Beschreibung der Städte einen
besonderen Abschnitt über die Wallfahrtsorte, erzählt auch ueleuent-
lieh die Wundergeschichten, die sich mit der Stelle verknüpfen, oder
spricht von der besonderen Kraft des Heiligtums: so wird beim
Heiligtum des Battrd Ghäzl in Aspuzu das Istiskä'-Gebet verrichtet.
Gegebenenfalls erwähnt er auch die berühmteren geistlichen Väter
der Inhaber der Kapellen — so ist der II, 224 und V, 43 genannte
uLj Jjj-'J, so geheißen nach seinem Rosenkranz aus Nüssen, ein Nach-
folger des Abu 'Ishäk Käzerüni (s. Goldziher, MhIl. Studien, TT,
311) — oder den Orden, dem der Betreffende angehört: in Diwrigi
(in, 214) ist z. B. ein Chalwati als solcher gekennzeichnet. Ebenso-
wenig unterläßt es Ewlija, die Derwisch-Tekje's aufzuzählen. Eine
ganze Menge lernt er auf seinen Reisen kennen und gelegentlich
weiß er auch hier zu sagen, welchem Orden sie angegliedert sind.
Ausdrücklich bezeichnet er so Mewlewi- (II, 381 und IV, 36) und
Kädiri-Tekjen (II, 381).
Das alles sind freilich keine Besonderheiten des Landes, das
uns hier beschäftigt; und eine wirkliche Würdigung von Ewlija's An-
gaben hierüber wird nur in weiterem Rahmen möglich sein. Anders steht
es mit seinen eingehenderen Berichten über einzelne besonders merk-
würdige lokale Heiligtümer imd die Bräuche und \'orstellungen, die'
daran haften. Es ist ja bekannt, daß das christliche oder muslimische
Gewand mancher Heiligen und Heiligtümer oft nur ein Deckmantel
ist für fortlebende religiöse Größen älterer Perioden. Und wir dürfen
annehmen, daß Ew^lija, wo er ausführlich wird, eben Außergewrthnliches
berichten zu können glaubt. So wird ein näheres Eingehen auf
diese Fälle sich durch die Tatsachen selbst rechtfertigen.
Äußerst anschaulich ist die Schilderung, die Ewlija von dem
Besuch der Tekje des Kanly Dede in dem unwegsamen abgelegenen
Bergland zwischen Germeli im Kelkit-Tal und der Terdschan Owa
entwirft, nach der seine Gesellschaft nur durch Zufall geraten ist.
Der Heilige ist wohl eben der »oj ^Jüii .it^, der in Baiburd in
hohem Ansehen steht (II, 346]. Ewlija erzählt von jenem Erlebnis
folgendermaßen (II, 200f.)^).
»Das Heiligtum des Kanly Dede: er war ein großer Heiliger;
') V. Hwimer's Übersetzung, II, 106, wo er auch liier »Chaghir« K. Sultan heißt.
Zu D"-\vlija Tschclcbi's Reisen im oijcrcn Eu|ilirat- und Tigris-Gebiet. 225
wieviel Wunder werden von ihm nicht erzählt! Kr ist in einem
glanzvollen Gebäude beigesetzt. Um das heilige Grab befinden sich
alle Arten von Lichter- und Kerzenhaltern, von Weihrauchschalen
und Rosenw^asserbecken, und das Heiligtum ist rundum mit Hunderten
schöngeschriebener Kor^ln-Texte ^o;c ^^^^aji-o) geziert. Darin weht
eine gewaltige Geisteskraft, davon, wer hineingeht, trunken und starr
ergriffen wird. Wir durften ihm tlurch Gottes Gnade einen Besuch
abstatten und seinem Geist eine Sure Ja- Sin darbringen. Es ist die
Wirkung der Geisteskraft dieses Erhabenen, daß die Dorfer in der
Umgegend gedeihen und blühend sind, sodaß es in jenen Bergen
40000 Schafe, Rinder, Stuten usw. gibt. Es hat zwei blühende
Gutssiedelungen. Sie haben einen großherrlichen Freibrief von einem
früheren Padischah in Händen, des Inhalts, daß sie von den weltlichen
I^elastungen frei und ledig seien. Die Siedlung ist ein blühendes
Dorf von 300 Häusern, hat eine Moschee und eine Tekje, und den
Passanten sind reichlich Spenden zugewiesen. Alle seine Bewohner
sind barfüßige, barhäuptige, langhaarige, herzwunde Derwische. Groß
und Klein trägt hölzerne Keulen in Händen, einzelne auch krumm-
gebogene Eisenstangen. Die Fakire präsentierten sich insgesamt mit
der Stiftungsurkunde und ihren Geschenken vor dem Pascha und
brachten ihm ihre Wünsche und ihre Huldigung dar. Der Pascha
geruhte sie anzusprechen: Ihr Fakire, wodurch seid ihr dieser
Privilegien teilhaftig geworden? Sie erwiderten: Herr, wir haben
einen bescheidenen Sitzungsraum. Tut uns die Ehre an und sehet
selbst. Der Pascha folgte der Einladung und betrat diesen Schau-
platz mystischer Liebe. Die Fakire legten dort an einen Haufen
Holz von 40 oder 50 Karren Feuer, brieten an seinen Seiten
40 Opfertiere und begannen es zu umkreisen. Den Pascha ließen
sie auf einer vom Feuer entfernten Bank Platz nehmen, und mehr
als 1000 Fakire Gottes versammelten sich um das Feuer und um-
kreisten es reihenweise; mit Trommeln, Pauken und Reigen waren
sie mit dem Zikr Allah's beschäftigt. Nachdem alle Fakire eine
ganze Stunde mit Zikr zugebracht hatten, tauchten einige von ihnen
splitternackt, die Hände ihrer Kinder erfassend, wie Abraham in
dieses Nimrud-Feuer ^) salamandergleich unter, wurden eine halbe
Stunde mit dem Feuer ganz und gar eins und kamen dann daraus
hervor. Den Herauskommenden waren Haar und Bart versengt.
') über diese jüdisch-muslimische Legende vgl. z. B. T a M a b i , Ä'tsczs al-Anbijä''
(Kairo 1325), S. 47 ft'.; Wünsche, Aus Israels Lehrhallen, I, 28ff. : Weil, Die biblischen
Lcgctiden der Musel»ui?iner, S. 71 ft". ; Grünbaum, N'eue Beiträge ■itir semitischen Sagen-
kiinde, S. 90 ff. .
2'>() I\icliard H ;i i t in ;\ n ii ,
aber durch Gottes Hilfe und die geistige Wirkung des Heiligen
hatte ihren Körper kein Schaden getroffen. Die meisten kamen in
diesem Zustand nicht vor den Pascha, sondern gingen in ihre Zellen.
Der Pascha und die Zuschauer blieben demgegenüber vor Staunen
starr. Sie gaben an dieser Stelle dem Pascha ein großes Festmahl,
das das des Taban Ahmed Agha noch übertraf Das Merkwürdige
dabei ist, daß der Pascha dieses Heiligtum nur zufällig fand; denn
es ist ein vom Wege in entlegenen Bergen abseits verstecktes Heiligtum.
Wie konnten sie in einer Stunde ein solches Mahl zubereiten? Der
Pascha war über all das verblüfft, setzte auf ihren Freibrief die
Bestätigung und spendete den Fakiren hundert Goldstücke, worauf
sie uns ihren Segenswunsch gaben.«
Schade, daß wir Ewlija's Bericht nicht nachprüfen können.
Das Heiligtum ist wohl ungefähr auf dem Gebirgsstock zwischen
dem Sadagh-Su und dem Pulk-Su zu suchen, der nach Taylor den
Namen Keschisch Dagh trägt. Ein Zweifel an der wesentlichen
Richtigkeit von Ewlija's Schilderung der Örtlichkeit ist aber m. E.
nicht begründet, auch wenn wir sie bis jetzt nicht wiederfinden
können. Anders steht es natürlich mit dem, was für Ewlija offen-
kundig die Hauptsache ist, mit der großen karävia der Feuerfestig-
keit. Aber mögen wir hier Ewlija's Bericht auch skeptisch gegen-
überstehen, als Gegenstand des Volksglaubens ist sie auch für uns
von Bedeutung. Einzelne Beispiele von Feuerfestigkeit, wie Un-
empfindlichkeit gegenüber glühendem Eisen u. dergl. werden be-
kanntlich von den islamischen Mystikern häufig erzählt, vgl. mein
Al-KusairVs Darstellung des Süfitums, S. 157. Besonders zeigten
sich die Rifa'i's gerne in der Öffentlichkeit als feuerfest. Belege
gibt L.\NE in seinen Manneis and Cnstoms of the Modern Egyptians,
vgl. auch Brown, Ihe DerivisJies. Daß es sich dabei nicht aus-
schließlich um Taschenspielertricks handelt, kann als sicher gelten.
Es ist ja eine bekannte Tatsache und aus allen Gebieten der
Religionsgeschichte bezeugt, daß bei Ekstatikern gelegentlich eine
sehr weitgehende Anästhesie vorkommt, vgl. z. B Weinel, Die
Wirkungen des Geistes und der Geister im nacJiapostolischen Zeitalter,
S. 206ff.; HöLSCiiER, Die Profeten, S. 69. Freilich scheint der von
Ewlija erzählte Fall weit über das hinauszugehen,, was uns im
islamischen Kulturkreis öfter begegnet, wenn auch sonst Fälle be-
richtet werden, wo es sich wie hier gar nicht mehr um bloße
Anästhesie handelt, sondern um angebliche wirkliche Feuerfestigkeit.
So wenig wir den gerne wundergläubigen Ewlija als objektiven
Bürgen gelten la.ssen können, so darf doch auch nicht vergessen
Zu Ewiija Tscliek-bi's Reisen im oljcrcn Eupliiat- und Ti_<jris-Gcbict. 22"
werden, daß ganz ähnliche Dinge, wie er sie uns hier schildert, aus
anderen Kulturkreisen gelegentlich sehr gut bezeugt, wenn auch
völlig unerklärt sind: ein reiches Material zu der ganzen Frage ist
in dem merkwürdigen Buch von K. H. E. de Jong, Das antike
Mysterietitvesen (Leiden 1909), S. 271 — 294 aus A Lang, The Fire
Walk [Proceedings of the Soc. Psych. RcseajxJi XV) und andern oft
schwer zugänglichen Schriften zusammengetragen. Das mag zum
Verständnis des Glaubens, der aus Ewlija's Bericht spricht, genügen.
Wir werden unten auf die Frage zurückkommen, ob wir den seiner
Erzählung vermutlich zugrunde liegenden Tatsachen vielleicht sonst-
wie näherkommen können.
Daß Ewiija bei aller Urteilslosigkeit gegenüber wunderbaren
Geschichten im Grunde doch, wo es sich um Tatsachen handelt,
Glauben verdient, das zeigt die Erwähnung anderer merkwürdiger
Heiligtümer, die wir noch nachweisen können. In erste Linie möchte
ich hier stellen, was er III, 222 anläßlich des Besuches von Tschi-
mischgezek berichtet:
»In der vom Muräd abgelegenen Wüstenei im Bezirke von
Owadschyk ist eine kleine Quelle, die im Gebirge des berühmten
Heiligen Lj'.j JXka entspringt und in den Murad mündet. Dieses
Gewässer strömt jedes Jahr vom August an 40 Tage bitter und
40 Tage süß. Der Bach hat köstliche Forellen, die die Fischer
unterhalb des Wallfahrtsorts fangen. Wenn man sie aber beim
Wallfahrtsort fängt, so lassen sie sich nicht kochen. Im Norden
dieser Quelle ist ein Berg, wo ein von ljLj^Ää^ gepflanzter Baum ist,
der äußerst dunkel ist. Wer diesen Baum abhaut, nimmt Schaden.«
In diesem Lfwj^ÄÄ.« ist natürlich nicht, was dem Muslim freilich
nahe genug liegen mag, ein arabischer Mundhir zu suchen, sondern
der Heros Eponymos des xk\.\m MouC^JUptuv (s. Gelzer in seiner Aus-
gabe des Georgius Cyprius, S. 182), armenisch M^'njur (spr. M^'ndzur),
Mzur (s. Hübschmann in Indogerm. Forschungen, XVI, 285), dessen
Name als ^,^^ J^-»-r=-j Muzur Dagh bei den arabischen Geographen
(s. JRAS. 1895, S. 13 Z. 7) und bis heute erhalten ist^). Das wird
vollends unverkennbar aus Taylor's interessanten Ausführungen
über das Ouellheiligtum von »Baba Mezoor« (JRGS. 1%, S. 326 ff.),
die selbst Ewlija's Angaben über die Forellen bestätigen. Die
Bemerkung über die Beschaffenheit des Wassers ist natürlich Phantasie,
die übrigens wohl auf Volksglauben beruhen mag. Auffallen könnte,
daß Ewiija nicht, wie sonst so oft (z. B. II, 376; III, 220), behauptet,
I) bei Ewl. II, 376, 21 .liiÄ/s J*>.:?- geschrieben.
-, yß Kicliii 1 il 11 ui t in ;iiin ,
das Wasser sei im Sommer kalt und im Winter warm; denn nach
Taylor a. a. Ü. teilt die Quelle diese in Armenien so oft l^ezeugtc,
natürlich aus dem Gleiciibleiben der Temperatur des Ouellvvassers
beim Wechsel der Lufttemperatur zu erklärende Eigenschaft. Nicht
solche Einzelzüge sind es übrigens, auf die wir Gewicht legen, sondern
die Tatsache selbst, daß Ewlija uns von jenem zwar hochverehrten,
aber natürlich nur in beschränktem Umkreis wohlbekannten Heiligtum
/u erzählen weiß.
Weniger deutlich lassen sich Ewlijas Angaben über das Heilig-
tum an der Euphratquelle verifizieren. Ewlija spricht davon an
mehreren Stellen. Die- wichtigste ist II, 342'). Ewlija erreicht das
Heiligtum von Dumly Baba von Süden her durch den georgischen
Paß, der nach seinen Angaben nördlich von Hafta Köprü zu suchen
ist (vgl. o. S. 219). Leider gestatten seine Angaben eine ganz genaue
Festlegung der Örtlichkeit nicht. Dann berichtet er weiter:
Es ist ein großer Heiliger unter den Einsiedlern, der [hier] in
seiner Kapelle begraben ist. Sein Heiligtum ist ein großer Wallfahrts-
ort. Er hat einen steilen hohen Berg, in dem sich eine große Höhle
befindet, aus der der Erat entspringt. In den Bergen des Sandschak
Kighi in dieser Provinz Erzerum gibt es Eisengruben, aus deren
Erzeugnis man Kanonenkugeln gießt. Hunderte von Quellen kommen
von diesem hohen Gebirge zu den Eisengruben und münden in den
Erat. Deshalb wird weiter abwärts der Geschmack des Fratwassers
verdorben. Die Hauptquelle, die von dem Felsen dieses Dumly
Sultan kommt, ist ein dem Lebenswasser gleichender Paradiesesfluß.
Der hl. Dumly Sultan hat nach seiner Sendung in dem Gedanken,
daß auf diesem Felsen des erhabenen Gottes Auge geruht, hier an
einer vom Kaiser erhaltenen Stelle Wohnung genommen. Lange
mag er von diesem reinen Wasser klaren Trunk genossen haben;
doch schließlich wurde ihm der bittere Kelch des Todes in die Hand
gegeben. Die dortige Niederlassung ist ein 200 Häuser zählendes
Muhammedanerdorf.<;
Auch II, 207 ist der Wallfahrtsort des Dumly Baba Sultan als
Ursprungsort des Euphrat genannt und nochmals wird der Heilige
kurz erwähnt II, 327^). An dieser Stelle ist der Eupluatursprung
aber mit einer andern r)rtHchkeit in engere Verbindung gesetzt,
-nämlich mit dem Dorf des Umudum Dede: »Es ist ein blühendes
und stattliches Dorf am Rande eines hohen Berges. Es ist am Ur-
■> s. V. Hammer's Übersetzung, II, 187.
-) s. V. Hammer's Übersetzung. II. 179.
Zu Kwlija Tschelebi's Reisen im oberen ßuphiat- und Tigris-Gebiet. 220
Sprung des Euphrat gelegen: der berühmte Euphrat kommt aus
einer großen Höhle in der Umgebung dieses Dorfes. Es gibt da
eine Königsellei) große Fische, die alle sozusagen Paradieseskost
sind. Da Umudum Dede hier begraben ist und es ein allgemeiner
Wallfahrtsort ist, darf niemand wagen, diese Fische zu fangen. Wenn
man sie aber ein Farsach weiter unten fängt und verspeist, so wird
der Gaumen von ihrem köstlichen Aroma erquickt, und soviel man
auch ißt, geben sie keine Kongestionen und keine Beschwerden. <<
Man möchte hier wohl ohne weiteres annehmen, daß Ewlija auch
da in Wirklichkeit nicht von dem Heiligen des Dorfes Umudum in
der Ebene von Erzerum sprechen will, sondern von dem freilich
ziemlich weit entfernten Dumly Baba. Denn die andern Angaben
verlegen ja unzweideutig dorthin den Euphratursprung. Dumly Dagh
heißt noch heute der Berg, von dem der Euphrat seinen Ursprung
nimmt. Die heilige Euphratquelle ist von Neueren mehrfach besucht
worden. Und zwar ist es nach den Angaben von Strecker {ZeitscJir.
der Ges. für Erdkunde, IV, i6o) und C. F. Lehmann-Haupt (AR., III, 4)
offenbar die Hauptquelle des Dumly Su. Diese beiden Reisenden
berichten übereinstimmend, daß sie von Christen und Muhammedanern
verehrt wird. Nach armenischer Legende war hier das heilige Kreuz,
das Heraclius den Persern wieder abgenommen hatte, vergraben
gewesen. Davon erzählt uns Ewlija selbstverständlich nichts.
Immerhin scheint auch bei ihm der vorislamische Ursprung des
Heiligtums noch durchzuschimmern. Daß Ewlija dieselbe Quelle
meint, ist doch das Wahrscheinlichste, obwohl die neueren Besucher
nicht von einer Höhle sprechen. Freilich bleibt noch eine Schwierig-
keit. Es finden sich nämlich bei der Quelle offenbar heute keine
Gebäude, geschweige denn ein Dorf, wovon Ewlija spricht. Ver-
mutlich ist das Dorf, das er erwähnt, an etwas anderer Stelle zu
suchen, während die Quelle selbst den eigentlichen Anlaß zu der
Verehrung bildet; auch das armenische Hauptheiligtum, das an die
Kreuzlegende anknüpft, ist ja ziemlich weit davon entfernt, das
Chatschka-Wank, gar nicht so fern von Umudum. Das letztere frei-
lich kann Ewlija nach dem oben S. 190 mitgeteilten Itinerar keines-
falls meinen, wenn er II, 327 die Dinge auch etwas verwirrt. Im
Detail bleiben seine Angaben also — durch seine Schuld — • etwas
unklar. Auch was er von der Unverletzlichkeit der Fische erzählt,
ist als stehender Zug (s. o. S. 227, vgl. auch IV, 37) nicht zu hoch
zu werten. Aber die Hauptsache, das Zeugnis für die Verehrung
der Quelle, bleibt bestehen.
MI. statt JKfi : ^xL».
2^Q R i ch a rd Ha r t ni a n n ,
Haben wir es bisher mit muslimischen HeiUt^tiimcrn zu tun ge-
habt, so ist es für Ewlija kennzeichnend, daß er auch christHchen
sein Augenmerk zuwendet. In unserem Gebiet ist es, wenn wir von
der naiven Geschichte über die Kirche im Göldschik (s. o. S. 207)
absehen, ein christHches Heiligtum, das er eingehend beschreibt:
das Kloster Tschanly Kilise, armenisch Glaka Wank oder Surb
Karapet, nordwestlich von Musch. III, 229 sagt er davon:
»Diese Kirche ist unter allen verschiedenen Bekenntnissen hoch-
berühmt. Einmal im Jahr kommen hier viele hunderttausend Men-
schen zusammen; man schlägt für sieben Tage und sieben Nächte
Zelte auf, kauft und verkauft, Lasten werden gelöst und gebunden,
und die Karawanen ziehen auf Eriwan zu fort. Der Wezir von
Wan und die Beauftragten des Chans von Bitlis und des Bej von
Atak sind hier anwesend, um die Krämer und das \'olk zu über-
wachen. Die Kirche liegt zwar zwischen den drei verschiedenen
Herrschaftsgebieten mitten inne; aber da sie dem Gebiet der Provinz
von Wan näher liegt, bringt der Wezir von Wan mehr Soldaten
und nimmt mehr Maut.
Tschanly Kilise ist ein großes Kloster mit zwei himmelhoch-
ragenden furchtbaren Kuppeln in dichtem Wald- und Gartenland
nördlich der Ebene von Musch. Über seinen Erbauer ist mir nichts
bekannt. Auf den vier Seiten sind Hunderte von Zellen für Geist-
liche (/ i.j Joj) und Mönche. Aus seiner Freiküche werden täglich
Tausende von Schüsseln an Passanten gespendet. An den Festtagen
kocht man loo Schafe, 5 Rinder und 50 Scheffel Weizen und
verteilt es den Pilgern. Es hat über 300 Mönche und Geistliche
(iofv^Jw), die alle im Heiligtum vortragend, am Altar (j^^LP^ ^'JL« V)
das Evangelium verlesend den Gläubigen (».JÜo «jy) gewissermaßeri
das Blut des Messias darbringen. In der Sorge für die Pilger geben
sie ihnen gute Speisen i) und hitzige Tränkchen =) und schlagen in
jeder Nacht viele hundert brokatne3) golddurchwirkte Betten auf und
pflegen sie so. Seine Besitzungen sind zahlreich. Sie geben dem
Pascha [von Wan], dem Chan [von Bitlis] je fünf und dem Bej von
Atak zwei Beutel und zahllose Geschenke. Doch von den jährlich
kommenden Besuchern erzielen sie noch viel mehr. Ihre Priester
gehen im ganzen Christenland umher und ziehen selbst im Franken-
land Gelübde ein.
') 'u«.k3>» ~kX:> eigentl. »Milch und Datteln«, ein bestimmtes Gericht.
*■) .JLj »-♦.:> Ol^J -Iii? Denkt der Muslim nur an die Alkoholika der Christen
oder ist etwas Spezielles gemeint?
3) ^.^XAv^ ^~H^* was ist v_>.xÄvr
2ii Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. 23 1
Bei gegebener Gelegenheit wollen wir die in der ganzen Welt
von uns besichtigten sieben größten Kirchen aufzählen: i) Ütsch
Kilise [= Etschmiadsin] in der Nähe von Eriwan^); 2) Jedi Kilise in
der Nähe von Nachschewan-); 3) die Kirche von Warak in der
Nähe von Wan^); 4) die Stefanskirche in Wien, der Residenz des
deutschen Kaisers; 5) die Kirche des von der Theiß nur eine Station
entfernten Kaschau in Ungarn; 6) das große Kloster in Jesu Geburts-
ort Bethlehem in der Nähe Jerusalems; 7) die große Auferstehungs-
kirche in Jerusalem, die der Verehrungsort aller Christen ist. Doch
auch dieses Tschanly Kilise ist ein unvergleichlicher wunderbarer Bau.
Ursache des Festes von Tschafily Kilise: Wie kommt es doch,
daß viele tausend Griechen (Christen), Araber und Perser hier
zusammenkommen, ihre Gelübde mitbringen, ins Kloster gehen und
ihre Gelübde einlösen, und daß, was immer sie an löblichen Anliegen
haben, wenn sie nach dem Gebet herauskommen, durch Gottes Fügung
all ihre Wünsche Erfüllung finden? Diesem falschen Glauben unter-
liegt eine gewaltige Masse Menschen, die hier zusammenkommen.
Das Merkwürdige ist, daß auch eine Anzahl gläubiger MusHme, frei-
lich unwissender Menschen, Gelübde bringen und, um gewisse Kenntnis
zu erlangen, Opfer schlachten, und daß ihnen durch Gottes Ratschluß
seltsames, verwunderliches Wissen enthüllt wird. Wieviele Muslime
und Nichtmuslime legen doch ihre Musikinstrumentes) in dem Wall-
fahrtsort dieses Klosters nieder, nehmen am andern Tag ihre Instru-
mente in die Hand und spielen ein meisterhaftes Stück wie von
Hüsein Baikara4). Die meisten leben, wenn sie geschickte Sänger
geworden sind, des Glaubens: Dieses Wissen und Können ist uns
von Tschanly Kilise gegeben! Im Innern des Klosters aber ist in
einer dunkeln Ecke ein Grab, das sie Surb Karapet (o^»;i ^^5)
nennen. Auf meine Frage sagten sie: Es ist das Grab^) des hl. Jo-
hannes. Griechen, die ich fragte, erwiderten: Er gehört zu den
Jüngern, die die Nachfolger Jesu sind. Kurz, es ist eine seltsame
Sehenswürdigkeit!«
In der Tat hat Ewlija mit der Schilderung der Bedeutung des
I) Text: ,..t. ; 1. natürlich qI^,.
^) Das unter 3 genannte Kloster heißt sonst auch Jedi Kilise.
3) Text: i^^y^^» ^•)}^^ ^j^ j'^-Ä^y^J^ L5^ JJ^*^ ^i^-^i JJ-<-^-
4) Vgl. EI. II, 364 f.
5) Der türkischen Transkription liegt die westarmenische Aussprache zugrunde.
*) (^-aS, wie ich übersetze, ist wohl kaum richtige Emendation für das ^^^m^^k^m-
des Textes; der Sinn des Textes wird aber gewiß oben im wesentlichen richtig wieder-
gegeben. Sollte es etwa heißen ^*nX4^ f
O
2 -^2 f\ ich ardHart mann,
Klosters, das die Reliquien des Täufers Johannes birgt, und auch
mit den überraschenden Ausführungen, die den HeiHgen als einen
Patron der Musiker erkennen lassen, recht. Man vergleiche die
Berichte von Reisenden bei Ritter, Erdkunde, X. 703 ff., weiter
Taylor im JRGS. 35, S. 43; Lynch, Arnicnia (s. Index); Rohrbach,
Vom Kaukasus ::utn Mittebneei'. S. 127 ff.; s. auch Hübsch mann in
Iiidogenu. Forschungen, XVI. 325. Auch hier erweist Ewlija also
wieder seine Glaubwürdigkeit.
Was ihm hier besonders wichtig ist und ihn besonders wundert,
ist, daß nicht bloß Christen, sondern auch Muslime dieses Heiligtum
aufsuchen. Das ist für uns nun weniger auffallend, Ist es doch
eine wohlbekannte Tatsache, daß seit alters bis heute viele Heilig-
tümer im Orient interkonfessionell sind. Goldziher hat dies Mu-
hanuncd. Studien, II, 329 speziell für Mesopotamien und Syrien kon-
statiert. Daß es für Armenien nicht anders ist, stellt Lehmann-Haupt
AR. III. 4 ausdrücklich fest. Die Euphratquelle auf dem Dumly Dagh
ist ja ein solches gemeinsames Heiligtum, wenn Ewlija dies auch
nicht bemerkt. Nach seiner Darstellung erscheint es ebenso wie die
beiden andern hier noch genauer behandelten einfach als aus-
gesprochen muslimisch. Nun kann sich aber auch bei diesen noch
die Frage erheben, ob das so schlechtweg richtig ist. Denn das-
jenige von ihnen, das wir auch aus anderen Quellen kennen, Mezur
Baba, wird von seinem neueren Besucher Taylor JRGS. 38, S. 329
bestimmt als eine Verehrungsstätte der Kyzylbasch bezeichnet. \o\\
diesen weiß Ewlija nichts, d. h. er verwendet den Ausdruck in
anderem Sinn. Doch ist daraus nicht viel zu schließen. Daß ihm
die auch uns nur ungenügend bekannte Sekte der Kvzvlbasch ver-
borgen blieb, kann nicht wundernehmen ; gehört sie doch zu jener
Gruppe von halb- oder pseudomuslimischen Sekten, die ihre Über-
zeugungen möglichst geheimhalten und äußerlich gerne als orthodoxe
Muslime erscheinen wollen. Es ist also sehr wohl möglich, daß die
\'erehrer des Mezur Baba auch zu Ewlija's Zeit in Wahrheit
Kyzylbasch waren. Und wie steht es nun mit den Derwischen von
Kanly Dede.' Ein sicheres Urteil erlaubt Ewlija's unkritische
Schilderung natürlich nicht. Aber was er uns zeigt, der ekstatische
Feuerreigen, ist jedenfalls kein genuin islamischer Zug. ' Zum minde-
sten spielen hier aus anderen Quellen stammende Vorstellungen stark
herein, falls wir es nicht gar auch hier mit einer in Wahrheit mehr
halbislamischen Gruppe zu tun haben. Sie näher zu bestimmen,
reicht freilich der Stoff nicht aus. .\ber es mag immerhin daran
erinnert werden, daß nach Taylor's zuverlässigem Urteil die Gegend,
Zu Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. i^^
in der Kanly Dede zweifellos zu suchen ist, im wesentlichen auch
von Kyzylbasch bewohnt ist (JRGS. 38, S. 303 Q-
Auf jeden Fall liegen in den geschilderten Beispielen Züge von
Volksreligion vor, die andern als reinislamischen Ursprungs sind.
So ergibt sich die Frage, woher diese Züge wohl stammen mögen.
Ist es am Ende armenisches Heidentum, das sich in dieser Weise
in das Christentum und den Islam hereingerettet hat.^ Bei einer
der Stätten können wir allerdings mit ziemlicher Sicherheit fest-
stellen, daß ihre Heiligkeit aus vorchristlicher Zeit stammt, bei dem
christlichen Kloster Tschanly Kilise. Dieses Kloster ist offenkundig
nichts anderes als der Nachfolger des glänzenden Heiligtums von
Aschtischat, wo Vahagn, Anahit und Astlik verehrt wurden (vgl.
Gelzer, Zur armenischen Götterlehre: Sb. säc/is. Ges. d. W., Phil.-hist-
Kl. 48. 1896, S. I04f., 115, I22f.). Das gilt, ob Aschtischat nun,
wie gewöhnlich angenommen wird, an der Stelle von Tschanly
Kilise selbst zu suchen ist, was HüBSCHMANN nicht hinreichend
gesichert findet, oder nur in der Nähe: denn daran kann ja keines-
falls ein Zweifel sein. Aber dieses Heiligtum ist auch das einzige
von den besprochenen, bei dem sich ein solcher historischer Zu-
sammenhang unmittelbar nachweisen läßt. Wenn Tacitus {Annales
VI, 375; vgl. Em in: Revue de P Orient, N. S. XVIII, 1864, S. 210)
auch berichtet, daß die Anwohner des Euphrat diesen Fluß verehren,
so wissen wir doch nichts davon, ob sich gerade an der Euphrat-
quelle ein größeres Heiligtum befand; und ebensowenig können wir
die HeiUgkeit des Zijäret von Mezur Baba soweit zurückverfolgen.
Das sagt allerdings noch nicht viel. Denn unsere Kenntnis der alt-
armenischen Religion ist an sich bescheiden genug; und überdies
scheint sich das Wenige, das wir wissen, vorwiegend auf das obere
Stockwerk der Rehgion zu beschränken. Aber es ist ja meist nicht
so sehr der höhere offizielle Kult, der sich zäh unter der Oberschicht
einer neuen Religion erhält, sondern eben der vielgestaltige Glaube
der breiten Volksmassen, von dem wir meist nur spärliche und
unklarere Kunde haben. Man schließt nun besonders aus Moses von
Choren's Erwähnung einer Verehrung von »Feuer-Schwester« und
»Quell-Bruder«, daß auch im alten Armenien Feuer und Licht (Ge-
stirne), Wasser oder Quellen kultische Verehrung genossen (Em in
in Revue de V Orieiit, N. S. XVIII, 1864, S. 208— 2il); ebenso ist von
heiligen Pappeln die Rede (ebd. S. 232 ff.). Aber zu viel ist aus
solchen vereinzelten Notizen leider nicht zu entnehmen. Am ehesten
kann man Aufklärung über den Volksglauben und -brauch in vor-
christlicher armenischer Zeit aus den Nachrichten über christliche
Islam IX. '^
2^4 R i c h ,1 r (1 H a r 1 111 a n n ,
Sekten in Armenien erhoffen. Leider scheinen die uns mitgeteilten
Einzelheiten einer Ciründlichen Sichtunq; und kritischen Scheiduntr
zu sehr zu widerstreben. Nach K. Ter-Mkrttschian, Die Pau/i-
kianer (Leipzig 1893), begegnet uns in Armenien seit dem 5. Jahr-
hundert als eine weite Volkskreise erfassende, gegen die festen
Ordnungen der Kirche gerichtete, ungezügelt schwärmerische Richtung
das JMesalleanertum, das nach seiner Meinung wohl noch einen
beträchtlichen Einschlag für die in späterer Zeit zu großer geschicht-
licher Wirkung kommende, leider nach ihrem Wesen und selbst ihrem
Xamen recht wenig klar erfaßbare Bewegung der Paulikianer abge-
geben hat. Daß das X'erbreitungsgebiet der Kyzylbasch sich zu
einem guten Teil in auffallender Weise mit dem der ehemaligen
Paulikianer deckt, habe ich bereits Orienlal. Litztg. 191 5, Sp. 348
bemerkt. Leider bietet unsere mehr als dürftige Kenntnis der Lehre
der Paulikianer wenig Anhaltspunkte zu einer Vergleichung mit den
heutigen religiösen Sondergruppen des Orients. Immerhin ist es
wohl möglich, sich die ekstatischen Tänze der Mesalleaner in der
Weise des Derwischtanzes am Heiligtum des Kanly Dede vorzustellen.
Auch von den christlichen Armeniern unserer Tage wird erzählt,
daß sie bei bestimmten Festen religiöse Tänze um brennende Holz-
stöße und Sprung über das Feuer kennen, wobei freilich jetzt jeder
Zug von Ekstase zu fehlen scheint und der Berichterstatter Em in
a. a. O. S. 234ff.) selbst an die nordeuropäischen Sonnwendfeuer
erinnert. Ebensowenig wie hier wird man zwischen der in dem'
Bericht über Mezur Baba vorliegenden Andeutung von Baumkult
und der Überlieferung, daß von den Arevortiern die Pappel verehrt
wurde (Ter-Mkrttschian, S. 102; vgl. o. S. 227) ohne weiteres
einen unmittelbaren Zusammenhang anzunehmen wagen. Gewiß kan:i
sich in solchen Zügen ein Fortleben armenischen Heidentums zeigen.
.Aber um das im einzelnen sicherzustellen, ist mehr nötig als eine
solche allgemeine .Vhnlichkeit einer Verehrung von Bäumen, Quellen
und anderen Naturobjekten, die sich als Überbleibsel eines weit
verbreiteten und in seinen Spuren noch jetzt weithin erkennbaren
Animismus durchaus ausreichend erklärt. Vor so weittragenden
Schlüssen, wie sie z. \\. Taylor angesichts der Kvzvlbasch ziehen
möchte, warnt auch für unsere Strecken noch eine besondere Tat-
sache, die kaum zu bestreitende Tatsache nämlich, daß sich auf dem
Gebiet der prinzipiell einer längst überwundenen Periode angehörigen
Unterschicht des religiösen Brauchs und Glaubens noch zu relativ
später Zeit in einheithchen großen Kulturkreisen ein weitgehender
Ausgleich zu vollziehen vermag. Ein solcher Kulturkreis, in dem
2u Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Euphrat- und tigris-Gebiet. 2^5
das — trotz mancher provinzieller Sonderbildungen — in sehr
weitem Maße geschah, ist der des Islam. Aus ihm läßt sich auch
Armenien unmöglich heraussondern. Deutliche Beispiele für diesen
Vorgang bietet das von Minas Tcheraz {Trmisactions of tke /AT*
internat. congres of Orientalists, II, 822—845) als vermeintliche Reste
armenischen Heidentums gesammelte Material: wenn selbst ein
Chadir — freilich in einer recht eigentümlichen Auffassung — in
den Volksglauben der christlichen Armenier einzudringen vermochte,
so zeigt dies so recht, welch starkes Eigenleben diese interkonfessionelle
niedere religiöse Sphäre in dem großen islamischen Kulturbereich
führt.
V. Zur Alexander-Geschichte im oberen Tigris-Gebiet.
Die Gegend, mit der wir uns in diesen Zeilen beschäftigen, ist
reich an Erinnerungen an den Alexander der Sage. Am ausführ-
lichsten spricht Ewlija hierüber bei der Schilderung von Tschapak-
tschur (III, 2 24 f.), wozu ergänzend die Erzählung der Geschichte
anläßlich der Beschreibung von Bitlis (IV, 85 f.) hinzukommt.
Im Anschluß an die einheimische Überlieferung i) erzählt Ewlija
III, 224 folgendes: »Der berühmte Iskender Zu'l-Karnein soll zwei
Hörner 2) gehabt haben, was ihn belästigte. Da zahllose Weise kein
Mittel zur Heilung finden konnten, zog er endHch auf der Suche
nach dem Lebensquell zur Finsternis, um so Heilung zu finden.
Während er sie schließlich auch so nicht erlangen konnte, begannen
nach einem Trünke aus dem Schatt el-'Arab in Basra die Schmerzen
seines Leibes sich zu legen und auch seine Hörner kleiner zu
werden. Wie er darauf, nachdem er Schatt-Wasser getrunken, an
den Ursprung des Schatt nach Dijar Bekir und von da nach dem
Batmän-Fluß gekommen war, ohne doch einen Nutzen verspüren zu
können, trank er auch aus dem sich mit ihm vermischenden Kefender-
FlußS) und war davon befriedigt. Als er nun dessen Ufer entlang
I) vgl. dazu Schere/, prifice de Bidlis, Scher efnäme, publ. par Veliaminof-
Zernof, I,'334ff. = trad. Charmoy, II, i, S. 199«'. — Wer der hier und oft zitierte
-Av.JtXÄv« ist, kann ich mit meinen dürftigen Hilfsmitteln im Augenblick nicht fest-
stellen; keinesfalls ist in ihm der arabische Geograph Makdisl (Mukaddasi) zu
sehen, wie Th. Menzel bei H. Grothe, Meitie Vorderasien-Expedition, I, S. CLXXXXIX,
Anm. 3 möchte.
-) Über den Ursprung der Vorstellung, die in dem Namen Zu'1-Karnain ihren
Niederschlag gefunden, vgl. Nöldeke, Betträge zur Geschichte des Alexanderronians,
S. 32 nebst Anm. 4. ■
3) Hier kehrt also die oben S. 205 erwähnte irrtümliche Vorstellung, daß dor
Bitlis-Su in den Batmän-Su münde, wieder.
2^6 Richard Ha rtmanti,
immer wieder das Wasser probierend nach der Stadt Bitlis kani,
gabelte sich der Fluß in zwei Arme. Er trank aus dem von dem
;^Avekh«-Tal^) kommenden Flui.?, doch ohne Nutzen. Wie er aber
aus der von der rechten Seite der Burg von Bitlis kommenden
yuelle trank, fand er am Fuße des Burgfelsens sogleich Schlaf und
Ruhe und erholte sich. Aus dem Schlaf erwacht, ging er zu dem
Uuellort dieses Flusses^), trank sieben Tage lang und fand ewiges
Leben. Eines von seinen Hörnern fiel ab; nur eines blieb. In dem
Gedanken: Das Lebenswasser, das ich von Basra an getrunken habe,
ist wohl von diesem klaren Wasser — gab er seinem Schatzmeister
namens Bitlis viele Tausend Beutel Geldes und wies ihn an: ;Bau
an diesem Platze schnell eine Burg so fest, daß auch ich, wenn ich
sie mit meiner Macht belagern würde, sie nicht erobern könnte.«
Während sein Schatzmeister Bitlis die Burg baute, zog Iskender auf
den Rat der Weisen auf Reisen und kam von Bitlis an eijiem Tas:
in die Ebene von Alusch und von dort, die Zwischenstationen
durcheilend, nach dem Rand des Berges von Tschapaktschur, wo er
sein königliches Zelt aufschlug. Wie er sich dort dem Vergnügen
und der Erholung hingab, fiel auch sein zweites Hörn ab. Als er
diesen Erfolg wahrnahm, nannte er das Wasser in der Makdlsi-Sprache
Tschapaktschur 3), d. h. Paradieseswasser. Da rief er den (j.^yiJL5
von seinen Weisen zu sich und sagte zu ihm: Seit so langer Zeit
seid ihr meine Genossen gewesen und doch nicht imstande, meine
Pein zu heilen. Die Heilung hat Gott durch die Paradiesesflüsse
bewirkt. Baut mir schnell hier eine Burg und nennt sie Tschapak-
tschur! Sobald dieser Befehl erging, machte man sich an den Bau
und vollendete sie in 315 Tagen.«
Die Fortsetzung sei nach der Erzählung IV, 86 gegeben, die
im bisherigen kürzer war, nun aber ausführlicher wird: ; Als die
Festung [von Bitlis] fertig war, ging Bedlis-t) hinein. Obwohl Iskender
nachher bei der Rückkehr von Tschapaktschur 5) die Burg belagerte,
konnte er sie auf keine Weise überwältigen. In dem Gedanken:
Holla, der ungläubige Sklave ist gegen mich rebellisch geworden!
ließ er mit seinem Heer, so stark wie ein Meer, von den vier Seiten
stürmen und angreifen, alle Arten nächtlicher Überfälle veranstalten,
') Druck ^o»i. richtig IV, S5 und 87: i\J»^; aufLYNCHs Planskizze: Avekh-Su.
2) d. i. natürlich die .^ÄX*~i ryf-,^ I^', 95i 3 von unten.
3) Zur wirklichen Etymologie vgl. Hübschmann: Indogerm. Forschungen, XVI, 448.
■«) In diesem Stück ist der Name des Beamten . w*_«wJjo geschrieben.
5) So ist natürlich statt des . ».Jw^^ des Druckes zu lesen.
Zu Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. 2X1
konnte sie aber in sieben Tagen doch wieder nicht erobern, sondern
blieb ohnmächtig. Obwohl Iskender dem in der Burg eingeschlossenen
Bedlis Boten sandte mit Verzeihungszusicherungen des Inhalts: »Par-
don ist gewährt! Ich habe dein Vergehen verziehen. Komm her-
aus, komm, Bursche!« schickte Bedlis doch die Gesandten zurück
und schleuderte aus der Burg so viele Geschosse, daß viele Soldaten
Iskenders umkamen. Schließlich währte der Kampf auf diese Weise
vierzig Tage, und endlich am 41. kam aus einer Höhle am Grund
der Burgfelsen ein Schwärm Bienen zum Vorschein, welch gelbe
Insekten in das Heer Iskenders eindrangen und alle Tiere und
Menschen zur Flucht zwangen. Auch Iskender, der für seinen Leib
Schutz suchte, hätte beinahe Nase und Ohren eingebüßt. Schließ-
lich war Iskender des Lebens satt und zog weiter der Ebene von
Musch zu. Da kam gerade der Schatzmeister Bedlis mit reichen
Schätzen aus der Burg heraus, mit den Schlüsseln der Burg, die er
in ein edelsteinbesetztes Etui getan hatte, warf sich vor den Hufen
des Rosses Iskenders nieder, küßte den Boden vor ihm und über-
reichte das Etui. Da rief Iskender: He, Verfluchter, warum hast du
rebelliert und mir so viele Soldaten getötet.^ Darauf Bedlis: Herr,
als Ihr verfügtet: Bau mir eine feste Burg, daß auch ich, wenn ich
sie mit Macht belagern würde, Mühe hätte sie zu erobern, da habe
ich Eurem Befehle gemäß einen solchen Iskender-Damm gebaut.
Iskender aber war gnädig und verlieh dem Bedlis die Statthalter-
schaft über die Burg. Deshalb nennt man diese Burg nach Bedlis
fehlerhaft Bitlis.«
Diese nicht sehr geistreiche Geschichte ist hier nicht um ihres
eigenen Wertes willen so ausführlich mitgeteilt. Worauf vielmehr
damit hingewiesen werden soll, das ist zunächst die Tatsache, daß
sie, soweit sie Gründungsgeschichte von Bitlis ist, ebenso wie sie
schon vor Ewlija's Zeiten erzählt wurde i), den Berichten neuerer
Reisender zufolge noch heute verbreitet ist. So erzählt sie uns Lynch,
Armenia II, 150 nur mit der Variation, daß Alexanders Beauftragter
^j^J> hieß und erst durch den Streich den Zusatz «A: »schlecht« vor
seinen Namen erhielt, eine Variation, die in Ewlija IV, 86 (s. bes.
Z. 6 V. u.) deutlich anzuklingen scheint. Natürlich ist diese Gründungs-
geschichte so, wie sie uns vorliegt, im Grunde pseudogelehrtes Mach-
werk, wenn es auch nicht ganz ausgeschlossen sein mag, daß gelegent-
lich Bausteine anderer Art verwertet sind. Und es ist wohl auch
kaum anzunehmen, daß die Geschichte jemals wirkliches Volksgut
s. o. S. 235 Anin. 1.
238
Richard 1 1 ;i 1 1 ni a ii n ,
war. Es ist ja höchst problematisch, ob die Leute, denen unsere
Reisenden solche »Volkssagen« verdanken, überhaupt dem Volk wirk-
lich angehören. Oft sind es gewiß Menschen, die weit genug her-
umgekommen sind, um zu wissen, was diese Fremden gerne hören
wollen. Und in vielen Fällen sind es eben die Halbgebildeten, deren
Weisheit sicher nicht aus dem Volksmund, sondern aus Büchern
stammt. Beachtenswert bleibt es immerhin, daß sich diese Pseudo-
gelehrsamkeit erhalten hat.
Besonders interessiert uns hier aber, daß die Erzählung, wenn
wir die Episode von der Erbauung der Burg Bitlis auslassen, genau
die ist, die von Hammer an der oben S. 203 erwähnten Stelle an
den Tigrisquellarm von Baghin knüpft. Sagt er doch Jahrbücher der
Literatur XIII (Wien 182 1), S. 254: » die erste und Haupt-
quelle, Schatti-Baghin, auch Schatti Sulkarnein, d.i. der Fluß des
Zweyhörnigen genannt, weil die islamitische Sage erzählt, daß Alex-
ander das reinste Wasser aufsuchend, um durch dessen Trunk den
Schmerz, den ihm seine beiden Hörner auf der Stirn verursachten,
zu stillen, nachdem er den Strom nun aufwärts verfolgt und immer
getrunken hatte, hier stille stand und Linderung fand.c Was Ewlija
von den Wassern von Tschapaktschur sagt, das ist hier also an den
Fluß von Baghin angeknüpft, den, wie wir gesehen haben, viele zu
Unrecht mit dem Dibene-Su zusammengeworfen haben. Auf Ewlija
kann also die Angabe von Hammer's nicht zurückgeführt werden.
Worauf sie sich gründet, weiß ich nicht. Es ist wohl möglich, daß
sie teilweise auf Verwechslungen von ihm selbst beruht. Aber es
scheint mir an sich auch nicht ganz unw^ahrscheinlich, daß wirklich
einmal, was Ewlija von den Quellflüssen von Bitlis und Tschapak-
tschur erzählt, von andern eigentlicheren Quellarmen von Tigris und
Euphrat galt, freilich dann nicht von der Tigrisquelle von Baghin —
Ewlija's Bemerkung von einer Niederlassung Alexanders eben hier
(s. o. S. 202) ist gewiß auch nicht anders als durch Verwechslung
zu erklären — sondern sicher vom Dibene-Su. Denn an ihn knüpft
die Alexandergeschichte bekanntlich sehr bestimmt an, und es ist
wohl der Mühe wert, hierbei etwas länger zu verweilen.
Es ist zunächst die syrische Legende, die Budge hinter dem
syrischen Pseudo-Callisthenes druckt, und die nach Nöldeke's Nach-
weis {Beiträge zur Geschichte des Alexanderromaus, S. 31) aus den
Jahren 514 oder 515 stammen dürfte, die Alexander in einem be-
sonderen Augenblick hierherführt. Auf der Suche nach den En-
den der Oikumene kommt Alexander zur Euphratquelle, die aus
einer Höhle herausbricht, dann nach aß3a-lcn Halüräs, wo der
Zu Ewlijn Tschelehi's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. 239
Tigris wie ein Bach hervorkommt, weiter zum Fhisse Kallath und
dem Berg Rämath, wo ein Wachturm ist. Von hier aus dringt er
nordwärts durch Armenien und Adherbaidschän vor und kommt so
schHeßhch an den großen Berg, hinter dem, wie die Bewohner des
Landes erzählen, die Hunnen wohnen und noch andere schreckUche
Völker, bis das bewohnte Land authört und endlich jenseits all dieser
Schrecken zwischen Himmel und Erde, von Wolken und Finsternis
umgeben, wie eine schöne feste Stadt das Paradies erscheint i).
Welche Euphratquelle hier gemeint ist, mag zweifelhaft bleiben;
beachtenswert scheint mir jedoch immer noch Taylor's Vermutung
TRGS. 38, S. 327 Anm. Kein Zweifel kann aber darüber sein, daß
der Tigris von Halüräs der Dibene-Su ist. Denn a»?QA^ oder
o^joIti, das ^J.JJ.}^ der Araber und 'IXXupiofu der Klassiker, arme-
nisch Olur (s. Hübschmann in Indogerm. Forschungen XVI, 292) ist
der Ort, nach dem offenbar die Tigrisquelle oder richtiger der
Tigristunnelaustritt von Ilidsche mit Vorliebe bezeichnet wurde.
Es ist also unweit von Ilidsche gelegen, wenn auch die Identifikation
mit diesem selbst kaum, wie Lehmann -Haupt, Armenien, I, 523
meint, auf einen doch schwerlich vorhandenen Zusammenhang der
Namen gestützt werden kann.
Wie kommt nun Halüräs zu der Ehre, in der Legende besonders
hervorgehoben zu werden ? Natürlich als Tigrisquellort und zugleich
offenbar aus dem Grund, daß es ein Grenzpunkt war. Der benach-
barte und gleich genannte Fluß Kallath ist ja der berühmte Sätidamä,
der Nymphius-Batmän-Su, der eben als Grenzfluß der »Bluttrinker«
heißt (vgl. Mar QUART, Eränsahr, S. 161), der von dem Darb al-Kiläb
herabkommt (Jäküt, II, 552, Z. i f.) -)•
Aber Halüräs ist nicht bloß ein beliebiger Grenzplatz. Es er-
scheint in der Legende auch unverkennbar als der Ausgangspunkt
eines wichtigen Weges nach Norden oder Nordosten. Das erhellt
nicht bloß daraus, daß Alexander von hier nach Armenien zieht,
sondern noch stärker aus der Inschrift, die er am Eisernen Tor gegen
die Hunnen anbringt, wo er voraussagt, daß nach 826 Jahren, d. h.
wie NöLDEKE gezeigt hat, i. J. 826 Sei. = 514 Chr. — natürlich
eine vaticinatio ex eventu — -die Hunnen herkommen werden auf
1) s. BuDGE, The History of Alexander the Great — syriac version of Pseudo-Calli-
sihenes, Text S. 260 ff. ; Übers. S. 148 ff.
2) Es ist vielleicht nicht ganz ausgeschlossen, daß der Name des »Hundepasses«
etwas mit dem syrischen Namen des Flusses zu tun hat, . zumal wenn wir an die ge-
legentliche Vokalisierung Mb (s. Budge, a. a. ü. S. 261 Anm. 2) denken.
2^Q Richard Hart mann,
dem engen Pfad, der gegenüber von Halüräs herkommt, i). Darf
man diesen engen Pfad vielleicht mit dem bereits erwähnten l')arb
al-Kiläb der Araber gleichsetzen.' Jedenfalls wird man auch sofort
an die xXsicfo'jpot» von ' iXX'jpisi; des Prokop (de aedificiis, ed. Bonn,
S. 250) denken, die den Weg von der Sophanene in der Richtung
nach KiUotpu(ov (s. Gklzer's Ausgabe von Georgi US Cyprius, S. 174 f)
bezeichnen. Der Weg freilich, an dem Lehmann-Haupt, Arincnien,
I, 464 diesen Paß zu finden glaubt, würde anscheinend zuweit west-
wärts gehen, aber vielleicht ist das eben ein Grund gegen seine Identi-
fikation. Leider versagt die KiEPERTsche Karte hier gänzlich. Und
Taylor's Angaben sind viel zu kurz. Auch Lehmann-Haupt's Weg
läßt sich auf Kiepert's Karte nicht annähernd deutlich verfolgen
Und selbst wenn er kartographisch festgelegt wäre, würde uns das
doch keine volle Klarheit bringen, da Lehmann-Haupt ja nicht die
ganze Umgebung von Ilidsche untersuchen konnte. Auch hier zeigt
sich also wieder, daß nur eine genauere Untersuchung der Gegend
selbst uns vielleicht zu sicheren Resultaten verhelfen kann. Daß tat-
sächlich ein wichtiger Verkehrsweg von Norden oder Nordosten nach
der Gegend von Halüräs-Ilidsche führt, dafür haben wir, scheint es,
einen weiteren wichtigen Beleg in HäddschT ChalTfa {I)schthänmimä,
ed. 1145, S. 427 = trad. Norberg, I, 631), der den zweiten seiner
manche Schwierigkeiten bietenden, vielfach schwer rekonstruierbaren
drei Wege von Erzerum nach Dijar Bekir nach Überschreitung des
Muräd schließlich über ä.--\xL! = Ilidsche, ^.i:^j [1. wohl ,.^j^j ,.^c
d. h. offenbar einen Punkt am Oberlauf des Ambar Tschai und
.-j>-w.:> ^j = Pir Hüsein nach Dijar Bekir gelangen läßt^).
Ist das Vorkommen von Halüräs in der syrischen Alexander-
legende damit bis zu einem gewissen Grad erklärt, so fordert die Tat-
sache, daß diese Tradition weiter lebt und sich entwickelt, noch be-
sondere Beachtung. Die Legende hat kurz, nach ihrer Abfassung be-
kanntlich eine metrische Bearbeitung gefunden in der dem Jakob
von Serug zugeschriebenen Homilie, die Budge im Anschluß an
seinen Pseudo-Callisthenes in Übersetzung wiedergibt. Das Eigen-
artige dieser Homilie ist, daß sie in den durch die Legende gebotenen
*) s, Budge h. a. O. S. 268 des Textes, 154 der Übers.
») Der erste Teil der Route bis zum Murad ist, obwohl die Karte einige gleich
oder ähnlich klingende Namen bietet, recht dunkel. Zum Teil finden sich die zweifel-
haften Stationen — vermischt übrigens mit solchen aus Häddschi Chalifa's erstem
Weg — in dem Itinerar wieder, das Ritter, X, 717 aus Rennel, Afap of the coni-
parativc Geograph}' of ll^esiern Asia (1831) mitteilt. Es sieht so aus, als habe Ren-
.sEL sie aus Häddschi Challfa (aber nicht Norberg's Übersetzung) geschöpft.
Zu Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. 34 j
Zusammenhang- die auch aus anderen Quellen bekannte Episode von
Alexanders Zug durch die Finsternis nach dem Lebensquell ^) einfügt.
Und zwar schiebt sie sie vor Alexanders Expedition, die zur Errich-
tung des sperrenden Tores gegen Gog und Magog führt, ein. Wenn
also diese Episode, die, wie Friedländer gezeigt hat, eine ganz
andere Tendenz verfolgt, als der Rahmen, in den sie nur äußerlich
hineingestellt ist, in der Homilie gar nicht mit Halüräs und der Ti-
grisquelle — wohl aber mit dem Masius mons ^xtu-ono, ■ m mo ^r^
BuDGE, S. 260, 16 cf S. 168 der Übersetzung — verknüpft ist, so ist dies
doch weiterhin geschehen. Das beweisen, wie ich bereits ZDMG. 6/
(191 3) S. 749 bemerkt habe, die arabischen Geographen.
Nach Täküt's offenbar, sehr gut orientiertem Gewährsmann 'All
b. Mahdi al-KisrawT, der gegen das Ende des 3. = 9. Jahrhunderts
starb 2), entspringt der Tigris -an einem Ort namens Halüräs aus einer
finsteren Höhle« .AläAU^zi' ^^. Zu diesem Halüräs weiß er noch zu
bemerken, daß hier 'Ali al-'ArmanI den Märtyrertod fand (Jäküt, II,
^51) — das war 863 — . Aus anderer Quelle erzählt Jäküt II, 552:
»Ursprünglich kommt er aus einem Berg in der Gegend von 'Ämid
bei einem Schloß, das Hisn Dhi '1-Karnain heißt, unter dem die Ti-
grisquelle hervorkommt.« Damit ist also bei der Tigrisquelle von
Halüräs, die sich durch die Bemerkung von der finsteren Höhle ziem-
lich deutlich als der Austritt aus dem Tunnel charakterisiert, ein Hisn
Dhi '1-Karnain konstatiert, das wir auch bei al-Muhallabi (f 386
= 996) wiederfinden 3), und von dem auch in der apokryphen, dem
WäkidT zugeschriebenen Geschichte der Eroberung von Dijär Bekr
die Rede ist 4), wie ja noch heute an den dortigen Ruinen Alexanders
Name haftet. Ergänzt werden diese Angaben nun in wesentlicher
Weise durch al- MukaddasT, der von der Tigrisquelle sagt, daß sie
unter dem Ribät Dhi H-Karnain bei dem Tore der Finsternis o.j
oUüiäJS herauskomme (S. 20); und S. 146 erläutert er dies, indem er
ausdrücklich bemerkt, daß unter diesem Ribät die Höhle (var. l.: das
Tor) der Finsternis sei, in das Dhu '1-Karnain eindrang, und beifügt,
daß Maslama b. 'Abd al-Malik es ihm nachtun wollte, aber wieder
umkehrte, als ihm die Fackeln ausgingen. Hier ist also unzweideutig
konstatiert, daß man beim Tigristunnel den Eingang in das Land der
') Ich verweise hierfür vor allem auf J. Friedländer's sorgfältige Arbeit Die
Chadhirlegetidc und der Alexandc7-ro7nan (Leipzig-Berlin 1913).
^) s. Jäküt, Urschäd, V, 427 ff.
3) s. 'Abu M-Fidä, ed. Reinaud, S. 53.
4) Die Angabe über den Ursprung des Tigris findet sich auch noch bei Mus tauf i-i
Kaz Willi.
>42
Richard H a r t m a ii n ,
I'^insternis sah, den Alexander benutzte. Man niTjchte genauer fast
vermuten, daß al-Mukaddasi von derselben Höhle spricht, in die
Taylor (JRGS. 25^ S. 42) eine Stunde weit eindrani^, derselben wohl
auch, von der Lehmann-Haupt a. a. O. S. 447f. berichtet. Darf man
schließlich seine Darstellung mit der al-KisrawTs verbinden, so sieht
es fast so aus, als ob man wohl auch den Tigristunnel selbst für jenes
Tor in eine andere Welt gehalten hätte.
Was sucht nun Alexander in der Finsternis." Nun, entweder den
Lebensquell, der ja allgemein als in der Finsternis gelegen gedacht
ist — man vergleiche Friedländer's Zusammenstellung in den vor-
trefflichen Indices A § 5 seines Buches — oder aber das Paradies,
das man ebenfalls gerne in oder jenseits der Finsternis vermutet (s.
ebd. § 25). Die Sagen vom Zug nach dem Lebensquell und dem
nach dem Paradies sind ja, sei es ursprünglich, sei es sekundär, oft
unentwirrbar miteinander verbunden : der Lebensquell wird, wie
schon im Talmud, zum Fluß, der aus dem Paradiese kommt. Ist da
die Vermutung zu kühn, daß al- Mukaddasi's Bericht eine Vor-
stellung widerspiegelt, wonach der Tigris, der aus dem Tunnel tritt,
der Abfluß des durch die Finsternis, den finsteren Tunnel aus dem
Paradiese kommenden Lebensquells ist? Ich habe ZDMG. 64, S. 749 f
den Versuch gemacht, von diesem Gesichtspunkt aus dem Verständ-
nis von Kor'än XVIII etwas näher zu kommen, und die Frage auf-
geworfen, ob er uns nicht noch über die Alexandergeschichte hin-
aus manchen Fingerzeig geben kann. Die Lokalisierung, die uns bei
den arabischen Geographen entgegentritt, kann an sich jung sein, ge-
wiß; aber ist es nicht ebenso möglich, daß sie alt ist? Wenn die
syrische Legende Alexander zu dem Ursprung von Euphrat und Ti-
gris kommen läßt, so verstehen wir das im vollen Sinn wohl doch
nur, wenn wir daran denken, daß beide Paradiesesflüsse sind. Ja, es
kann sich fragen, ob nicht die Legende, die in der uns vorliegenden
Form nicht bloß das Paradies, sondern auch schon die Hunnen in
unendliche Ferne versetzt, in bestimmten Zügen noch deutlich eine
Gestaltung durchschimmern läßt, die das Ende der Oikumene, der
Kulturwelt nicht so weit von Halüras wegverlegt. Wäre es nicht
das Nächstliegende, daß das Tor, an dem der Einfall der Hunnen
auf dem engen Pfad gegenüber Halüras verkündet ist, .einmal nicht
allzu weit von dort entfernt gedacht wurde? Ja, schließlich fragt
sich — und z. B. ein Vergleicli mit gewissen parallelen Zügen im
Gilgamesch-Epos (s. ZDMG. 64, S. 750) legt das recht nahe — , ob
nicht der große Alexander, der ja so vieles in den Bannkreis seines
Namens zog, hier nur ein neuer Träger eines alten Sagenstoffes wurde,
Zu Ewlija Tschelebi's Reisen im oberen Euphrat- und Tigris-Gebiet. 243
der längst irgendwie mit dem Orte verknüpft war. Und nach der
anderen Seite ist es von der Gestalt der Sage, die sich ' aus den
Worten des arabischen Geographen erschließen läßt, wohl auch be-
greiflich, wie aus der Wanderung durch die Finsternis oder der Fahrt
auf dem Meere der Finsternis (s. Friedländer a. a. O. S. 37 Anm. i)
ein anderesmal eine Fahrt des Helden auf dem Flusse durch den
finstern Schoß der Berge wird ^), wie sie wohl noch in den Abenteuern
des Herzogs Ernst anklingt.
Ewlija freilich, von dem wir ausgingen, weiß von alledem nichts.
Nur daß der Name des großen Alexander an einer Tigrisquelle haftet,
das weiß er noch. Aber so wenig kennt er die Stelle des einst be-
rühmten, in Ruinen noch heute vorhandenen, aber leider nie deut-
lich genug beschriebenen Hisn Dhi'l-Karnain, daß er die Alexander-
tradition mit einem andern Ouellarm des Tigris, dem von Baghin,
verbindet.
Er weiß nichts davon, daß man hier einmal den Lebensqüell ge-
sucht hätte. Wenn er ihn nach Bitlis oder Tschapaktschur verlegt,
so verrät seine ganze Ausdrucksweise, daß er mit dem Wort gar
nicht mehr den Begriff verbindet, den es einst deckte, und es ist
klar, daß diese Lokalisierung ihr Entstehen pseudogelehrtem Lokal-
patriotismus verdankt. Aber in einem anderen Zusammenhang Ewlija's
tritt uns auf einmal wieder, ohne daß er selbst es merkt, die Alexan-
dererzählung nahe. Das ist auf dem sagenumwobenen Bingöldagh.
Ewlija zählt hier die wundersamen Kräfte einer ganzen Anzahl von
seinen Seen auf Darunter ist auch einer mit dem Namen Li' ^j:6
;> Vogelsee ; von dem weiß er zu berichten III,' 232: ;>Ein Jäger er-
legte einmal einen Vogel und drehte ihm den Hals um. Wie er
ihn nun in diesem See wusch, kam wieder Leben in den Vogel, er
tauchte in den See und verschwand. Darauf kamen auf Gottes
Befehl in der Umgegend tausend Seen zum Vorschein, sodaß
man nicht wissen kann, welches der Lebenssee ist. Deshalb
nennt man ihn »Vogelsee ;. Hier haben wir ja ganz deutlich das
Glaukos-Motiv der Alexandergeschichte, den toten Fisch, der den
Lebensquell entdecken hilft; nur daß an Stelle des Fisches, der aber
doch mit dem Wortlaut — vgl. besonders das ^^^jIc. v^ ^wLId xS^
^.,J^sjJ^! — wieder fast vorausgesetzt scheint, hier ein Vogel tritt^
wie übrigens auch im hebräischen Alexanderroman (s. Friedländer
a. a. O. S. 301).
Die Geschichte ist keinesfalls eine Erfindung Ewlija's. Noch
') s. W. Hertz, Gesammelte Abhandlungeti, S. 76.
2 Ad Richard Hartmann, /u Kwlija Tschelebi's Reisen usw.
heute scheint ein ähnUcher Volksglaube zu bestehen. Wenigstens
behaujjtet Strecker in der Zeitschr. der Ges. f. Erdkunde IV, 518:
;'DaB einer der Seen das »Wasser des ewigen Lebens« enthält, ist
fester Glaube der Umwohnenden, obschon noch niemand gerade
ihn gefunden hat.« Gewiß ist hierin keine Spur von der Alexander-
geschichte enthalten. Aber das Glaukosmotiv, wenn man es so
nennen darf, ist bei Ewlija nicht zu verkennen. Und gerade das
stammt nicht von Ewlija: wenn er es aus der Alexanderlegende
eingefügt hätte, so hätte er gewiß den Alexander selbst genannt.
Nein, er hat das Motiv aus der Alexandergeschichte gar nicht er-
kannt, obwohl er unter den anderen Seen einen J^ Ow-o=\Jt ^t^,
einen J^ (T'-^?^^? J^ einen \S .^:~> erwähnt. Trotzdem könnte
natürlich eine späte Lokalisierung der Alexandergeschichte vorliegen.
Aber nun werfe man nochmals einen Blick auf die alte Gestalt der
Lebensquell-Legende, besonders auf die Form, die sie in der Ho-
milie hat. Als Alexander dem Greis, der ihm als Führer in dem
Land der Finsternis dient, endlich offenbart, was er dort sucht, da
gibt der Greis die Antwort V. 188 f.: »Es sind gar viele Quellen in
der Gegend, und niemand weiß, welches der Lebensquell ist.« Und
dieses Moment kennt, wie Friedländer a. a. O. S. 28 Anm. 2 zeigt,
bereits die Vorlage des griechischen Pseudo-Callisthenes. Sieht das
nicht wirklich so aus, als ob schon die alten Formen der Legende
gerade den Bingöldagh im Auge hätten; ja sieht es nicht gerade so
aus, als ob sie bereits den Volksglauben voraussetzten, von dem uns
Strecker berichtet. Falls dem aber so wäre — das Ob können wir
hier nicht nach allen Seiten untersuchen — dann wäre es auch
gewiß gar nicht mehr so undenkbar, daß auch am Tigristunnel eine
Tradition haftete, die nachträglich mit dem Namen des großen Maze-
doniers verbunden wurde. Wie dem auch sei, für die Geschichte
der Lokalisierung des Paradieses dürften, scheint mir, auch die von
uns erwähnten Daten von Bedeutung sein.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Zu Islam VIII, 302 f.
Der von Herrn TsCHUDi oben Bd. VIII, S. 302f. veröffentlichte Brief des Sultan
Abdulaziz an seinen Bruder Murad V. ist s. Z. wiederholt - in der hiesigen und aus-
wärticren Presse sowie sonst - veröffentlicht und seine Echtheit von keiner berufenen
Seite angezweifelt worden.
Bekanntlich wurde Abdulaziz in der Nacht vom 29. auf den 30. Mai 1876O durch
eine Ministerverschwörung gestürzt. Noch im Laufe des Vormittags des 30. Mai wurde
der entthronte Herrscher mit seiner Familie und seiner persönlichen Dienerschaft vom
Palais von Dolmabaghtsche (auf der europäischen Seite des Bosporus) auf dem See-
wege nach dem sog. Alten Serai {top kapu serai, auf der Seraispitze) überführt. Der Auf-
enthalt dort in den seit vielen Dezennien von den Sultanen nicht mehr bewohnten
Räumen, in denen sein Onkel Selim III. ein so tragisches Ende gefunden hatte, er-
füllte ihn mit bangen Ahnungen und veranlaßte ihn, sich an seinen Neffen und Nach-
folger mit der Bitte zu wenden, ihm einen andern Wohnort anzuweisen»), worauf er am
Freitag, den 2. Juni 3), nach einem Nebenbau des Palastes von Tschiragan gebracht wurde.
Dort endete er am 4. Juni durch Selbstmord.
Über den Briefwechsel zwischen Abdulaziz und seinem Nachfolger wird nun m
einer Korrespondenz der Münc/iener Allg. Zeitung aus Konstantinopel vom 9- J"ni 1876
folgendes berichtet:
;,Ich habe Ihnen bereits vor einigen Tagen mitgeteilt, daß der abgesetzte Sultan
seinem Neffen ein Schreiben zuschickte, worin er ihm zu seiner Thronbesteigung Glück
wünscht und ihn um Anweisung eines andern Aufenthaltsortes ersucht. Es smd zwei
Briefe gewechselt worden, von denen der erste auf den Sultan Murad einen tiefen Ein-
druck -emacht hat. Der Wortlaut ist bisher nicht veröffentlicht worden, jedoch kann
ich folgendes als dessen Inhalt verbürgen: »Ich habe Dir in zehn Jahren nichts zu-
leide -etan,"Du wirst mir auch nichts zuleide tun; aber der Ort, den Du mir als Woh-
•) Nach- türkischer Zeitrechnung ^^öJo lik^J^^i <^^'-*^ , ^
^K^^ wie Ahmed Midhat, Üsst inkiläb, Stambul 1294, Bd. 1, S. 218. richtig
kiigibt' "' Memduh Pascha, Miräti schti' Unat, Smyrna .328, S. 82 hat dafür, durch
Schreib- oder Druckfehler, den 17. Djemazi I: der 30. Mai fiel auf einen Dienstag.
^) Vgl. Ahmed Midhat a. a. O. S. 222; Memduh Pasch a a. a. O. S. 78 :
* Serail und Hohe Pforte. Wien-Pest-Leipzig 1879- S. I37, die alle drei ausdrücklich
erwähnen, daß Abdulaziz seiner Umgebung von dem Schicksale Selim III. sprach; vgl.
ferner Cte. Keratry, Mourad V Prince-Sultan-Prisonnier d'Eiat, Paris 1878, S. I37-
3) Diese Zeitangabe nur in dem Memoirenwerk über Midhat Pascha Bd. I (Titel:
Midhat Pascha tabsirdi'ibret, Stambul 1325) S. 169.
2J.6 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
nung angewiesen hast, ist mir unerträglich, und ich erwarte also von Deiner Gnade,
daß Du mir einen zweckmäßigeren Ort anweisen wirst.« Das zweite Schreiben lautet
in wortgetreuer Übersetzung: »Ich ergreife meine Zuflucht erstens zu Gott und zweitens
zu Deiner Kais. Majestät. Indem ich zu Deiner Thronbesteigung Glück wünsche, bcdaure
ich, daß es mir nicht gelungen ist im Dienste der Nation das Ziel meines Strebens und
meines Eifers erreicht zu haben, und wünsche, daß dieses Deiner Kaiserlichen Majestät
gelingen werde. Ich hoffe, Du wirst es nicht vergessen, daß ich Deiner Kais. Majestät
die Mittel und Wege zur Erhöhung des Nationalruhms und zur Sicherung der Zukunft
des Reiches bereitet habe: ich empfehle Dir, Dich zu erinnern, daß die Armee, die ich
bewaffnet habe, mich in diese Lage versetzt hat. Edelmut und Menschlichkeit gebieten,
daß man den Bedrängten Hilfe leiste; ich bitte also Deine Kais. Majestät, mich aus
der gegenwärtigen Bedrängtheit zu erretten und mir einen zweckmäßigeren Wohnsitz
anzuweisen. Ich trete der Familie Abdulmedschid Chans die Herrschaft des Osmanischen
Reiches ab; am 9. Dschemazi ül evvel (i. Juni 1876J. Der abgesetzte Abdul Aziz«.
Ahmed Midhat a. a. O. weiß auch von zwei Briefen, teilt aber nur den zweiten
Brief mit, und zwar ohne Datum und Unterschrift; der türkische Text, der bei ihm
S. 397 nach einer Veröffentlichung in der Zeitung Vakyi abgedruckt ist, entspricht der
Übersetzung des Korrespondenten der Allgemeinen Zeitung.
Der Cte. Keratrv weiß nur vom zweiten Brief, und zwar behauptet er, daß seine
Übersetzung nach dem mit roter Tinte geschriebenen Originale angefertigt sei'); sie
enthält eine bemerkenswerte Variante zu den vorhergehenden Publikationen. Der Schluß-
satz lautet nämlich : :»ye vous fclicite de ce que la couronne est passcc dans la famille
d' Abdul-Mediid\ er oder vielmehr sein Übersetzer hatte also in seiner Vorlage, überein-
stimmend mit der TsCHUDi'schen Vorlage, ^JLjl ^^^i statt -.LI ^!).j gefunden.
Memduh Pascha erwähnt nur ein einziges Schreiben (S. 77 und 94), leider
ohne nähere Aixgaben über den Inhalt; dagegen wird in den Memoiren Midhat Pascha's
ausdrücklich gesagt, daß Abdulaziz in mehreren eigenhändigen Schreiben um Anweisung
eines andern Wohnortes gebeten und darin erklärt habe, daß er die Regierung dem
neuen Sultan und der Familie des Abdulmedjid abtrete r,.jw.^iLÄ^ \j^JvU^ -ÄÄJaJLv-
^ÄXjiAXjI -^^ •^.ÄJljoL^- ö>^^^Jj\ iA>^ etc.).
Die Frage, welche Lesart die richtigere ist, wäre von vornherein entschieden, wenn
es wirklich feststünde, daß die KERATRv'sche oder die T.'SCHnoi'sche Urkunde den Arche-
typus darstellt, wie deren Besitzer behaupten. Indes möchte ich dies ernsthaft bezweifeln
und zugunsten der Lesart *jLj! ^ j, abgesehen von ihrer besseren Beglaubigung,
anfuhren, daß mir die Wendung : saltanati sultan Abdulmedjid handanina tebrik eilerim
in sprachlicher Hinsicht bedenklich erscheint, und daß wir durch die erstere Lesung
einen bedeutsamen Inhalt anstatt einer leeren Höflichkeitsphrase gewinnen. Wie schon
vorhin erwähnt, wurde Abdulaziz in den Tagen, wo er in Top kapu interniert war,
von dem Gedanken verfolgt, daß man ihm ein gewaltsames Ende vorbehalten habe,
was namentlich für den Fall zu befürchten stand, daß seine Anhänger eine Gegenrevo-
lution versuchen würden, wie dies zu Selim III. Zeiten eingetreten war. Er soll u. a.
zu seiner Umgebung gesagt haben: »Wenn ich noch weiter am Leben bleibe, so gibt
') liCette lettre est autographe. Elle est ecrite en encre rouge, dont se servcnt
les Sultans, par un privilege distincti/.<si Das ist ein Märchen. Über ein Postskriptum,
das Kkratry erwähnt, aber nicht übersetzt, und in dem Abdulaziz um Rückgabe einer
größeren im Palais von Dolmabaghtsche zurückgebliebenen Geldsumme bittet, habe ich
sonst nichts gefunden.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 247
das Anlaß zu Aufruhr« (jOi^ÄXs '^>-j^ (»•'■''^*> ,*^9 ^ '-^*^) ""^ nach Gift ver-
langt haben, um nicht unter der Hand des Henkers zu enden (Memduh Pascha a. a. O.
S. 78). Durch die Erklärung, daß er auf das Sultanat zugunsten der Familie des
Abdulmedjid verzichtete, wollte er wohl seine Anhänger von jedem Versuche, ihm wieder
zum Throne zu verhelfen, abhalten und seinen Feinden einen Grund wegnehmen, ilim
nach dem Leben zu trachten.
Nach dem Korrespondenten der Augs/^. Allg. Ztg. war das Schreiben vom 9. Dje-
mazi 1 datiert, was durch Keratry's und Midhat Pascha's Angaben bestätigt wird;
ersterer sagt, daß der Ex-Sultan ihn scW\eh »le sccond j'otir de sa dcposition«., Aei z\WQ\\.e:
^i^y c^^^} dUXjJ^:CS' i^-uLw j.>.s Sr>-^, was auf dasselbe hinauskommt.
Hussein Haki, ^^l-==- cy!^"^^^ Efendi, der Gewährsmann der TsCHUDl'schen
Urkunde, gehörte zu den bekanntesten Persönlichkeiten jener Ei)oche ; er stammte aus
Kreta, wurde in Ägypten erzogen und kam als Majordomus der Prinzes: in Zeineb nach
Konstantinopel. Er hat sich namentlich als langjähriger Administrator der Bosporus-
dampfer-Gesellschaft (Schirketi Hairie) verdient gemacht und ist am 7. Kianun II 131 i
(=19. I. 1895) gestorben, s. die biographischen Notizen über ihn in der Schrift : Boghas
Uschi— Schirketi Hairie, Stambul 1330, S. 17 f. und 22.
J. H. Mordtmann.
Sinäns Todesjahr.
Mit Rücksicht darauf, daß in der europäischen Literatur selbst die bescheidenste
Lebensbeschreibung Sinan's fehlte, habe ich in einem kurzen, im XL Bande der H. GroiHe-
schen »Beiträge zur Kenntnis des Orients« (Halle, 1914) enthaltenen Aufsatz Leben und
Arbeiten dieses größten osmanischen Baumeisters vorzüglich auf Grund der 1897 (1315
d. H.) von der rührigen Ikdäm-Druckerei in Stambul herausgegebenen »Teskerei-ül-biinjdn-
i-kodschh mi'mär Sinäm seines Zeitgenossen, des Dichters Mustafa Sä'i (gest. 1595).
zu schildern versucht: Als Sterbetag wird dort der 12. dschumadä I 986, d. i. 17. Juli 1578
angegeben, während das in der Grabinschrift enthaltene Chronogramm {ta^rlch) als Todes-
jahr 935 d. H., d.i. 1528, mithin den nicht unbedeutenden Unterschied von 51 Jahren
ergibt. Das Chronogramm, das übrigens der eben genannte Mustafa Sä'i dichtete (vgl.
den dem ta\ich vorangehenden Vers: »auf sein Ableben verfaßte der ergebene Sa'i sein
Chronogramm«), lautet sowohl nach meiner oben erwähnten Quelle (vgl. S. 15) wie nach
der bekannten »/iaif^<?i MWscAetfiw«? «des Husein Efendi ben ^ladschi 'Isma'ilaus
Aiwänserai (18. Jahrh., mit den wertvollen Zusätzen des Seid «Ali Säti'), I. Band,
S. 199 (Stambul, 1281 [1864/65]) folgendermaßen:
^ »Es schied in diesem Augenblick von der Welt der alte Baumeister Sinän«. Gemeinsam
mit Herrn Generalkonsul Dr. J. H. Mordtmann, den ich auf diese Unstimmigkeit im
Frühjahr 191 5 aufmerksam machte, konnte ich bereits damals am Platze, wo sich die
Türbe Sinän 's erhebt, nämlich unfern seines Meisterwerkes, der Suleimänije, nahe dem
Scheich ül-isläm-Gebäude, aus der guterhaltenen Inschrift einwandfrei feststellen, daß das
Chronogramm in Wirklichkeit ^.,l,Uiu« ^-o. {l>ir-i-mi'märan), d.i. »der Älteste (Senior)
der Baumeister«, lautet, somit zwei Buchstaben, Elif und Nun, mit dem Zahlenwcrt
1 + 50 = 51 mehr aufweist. Mithin ist 986 tatsächlich als Todesjahr Sin an 's zu be-
trachten. Diese Mitteilung scheint mir deshalb von Belang, weil gerade gegenwärtig vorab
24$ Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
von türkischer Seite allerlei über Sinän geschrieben wird, wobei man sich freilich kritiklos
auf das bisher Gedruckte stützt. So hat der betriebsame türkische Geschichtschrciber
Ahmed Refik einen längeren Aufsatz über »Sinän, Leben und Werke« im vorjährigen
Bande der »Jeni Medschniü'ac, 1917, 13. Heft, S. 249 — 252 und 14. Heft, S. 269 — 279 (mit
Abbildungen, darunter eine des Grabmals) gebracht und dabei aucli den Schreibfehler
im Chronogramm übernommen. Es ist aber erfreulich, festzustellen, daß das Interesse an
dem »osmanischen Michelangelo« sich stark zu regen beginnt. Kakl Kos, Mitglied des
Ungarischen Wissenschaftlichen Instituts zu Konstantinopel, der eine die Hefte 5 — -7 der
»Mitteilungen« dieses Institutes füllende baugeschichtliche Darstellung vonStambul heraus-
zugeben im Begriff stehv, bereitet eine umfassende Arbeit über Sinän vor, deren hoffentlich
baldigem Erscheinen man mit lebhafter Spannung entgegensehen darf.
Konstantinopel. Franz Babinger.
Das türkische Kukla ojnu.
Aus Briefen von Dr. Ritter.
Herr Dr. Ritter hatte in letzter Zeit Gelegenheit, sich in Konstantinopel eingehend
mit dem türkischen Schattenspiel zu beschäftigen, und berichtete mir über seine Beob-
achtungen in verschiedenen Briefen. »Ich habe«, schreibt er mir, »hier den Schech der
Karagözgis und Orta ojungis, Nazif Efendi, gefunden und lasse mir von ihm sein Material
aufschreiben, vorlesen und erklären, die Stellen mit taqlid nehme ich phonetisch auf. Diese
Texte sind naturgemäß bedeutend wertvoller als die gekürzten und kastrierten Drucke.
Da Nazif zugleich Figurenschneider oder vielmehr Figurenzeichner ist, konnte er mir über
die Herstellung, das Durchsichtigmachen usw. jede gewünschte Auskunft geben. In meiner
sehr ausgiebigen Figurensammlung konnte er mir genau sagen, von welchem Zeichner und
Schneider die einzelnen Stücke herstammen. Nazif hat früher im Seraj gespielt, und fast
alle jetzigen Schauspieler haben ihr Material von ihm; er versprach mir einige Stücke mit
historischen Anspielungen in den Liedern usw. zu geben, ist überhaupt eine unerschöpf-
liche Fundgrube, auch für das Orta ojnu, als dessen Meister er gilt. In der Hamdischen
Truppe spielte er die Zenne, sein Lehrer im Karagöz war Riza Efendi. Bisweilen finden
sich in dem Witzblatt Karagöz noch Spuren alter Spiele, wenn auch selten. Eine kleine
Liste der Schauspielersprache habe ich zusammengebracht, die im wesentlichen mit der
Zigeunersprache identisch ist. Wenn die Spieler sich bei einem Beschneidungsfest über zu
wenig Geld zu beklagen haben, sagen sie in dieserSprache : »Baro ainasyz. mangiz oschlamaz«
(der Hausherr ist schlecht, gibt wenig Geld) Die Liigati garlhe führt einiges Derartige
auf, ohne aber zu sagen, daß es Vagabundensprache ist.»
Außerdem ist es nun Herrn Dr. Ritter gelungen, noch das Kukla ojnu, von welchem
schon Evlija (I S. 626) berichtet, in Konstantinopel in einer kleinen Bude im Stadtviertel
Kasim Pascha ausfindig zu machen. Seine Mitteilungen gewinnen noch dadurch besonderes
Interesse, daß sie endlich Klarheit geben betreffs der bisher rätselliaften, im Karagöz und
sonst überall herumspukenden Figur des Naseweis Ibisch. Ibisch ist nämhch der Held des
Kukla ojnu und entspricht unserem Kasperle. Der ifj<fe/a-Spieler Kadri pflegte nach Be-
endigung des Schattenspiels und Entfernung der Leinwand eine kleine Bühne aufzumachen,
die der unseres Kasperletheaters gleicht. »Szenierung sah ich nur in zweifacher Form:
Entweder wird ein Zimmer mit einer Tür (Vorhang) in der Mitte des Hintergrundes und
zwei Fenstern rechts und links davon dargestellt oder aber eine Waldlandschaft. Die Haupt-
person ist der Diener Ibisch, eine bekleidete Holzpuppe mit besonders stark entwickelter
Kleine Mittcihmgen und Anzeigen. ^aq
Nase. Er kann die Arme bewegen und Gegenstände wie ein Servierbrett, einen Knüttel
und dergleichen darin halten. Bei den Spielen, die ich sah und die fast ausschließlich von
Kindern besucht waren, trat er zuerst allein auf, um von den Kindern Zigarettengeschenke
in Empfang zu nehmen, die reichlich gespendet und mit einem Ejwallah efendivt, tschok
ieschekkür ederim efendim quittiert wurden. Ibisch ist stets Diener eines Herrn, den er
mit )>ichtijar« anredet.
Das erste Puppenspiel, das ich sah, verlief etwa folgendermaßen: Ibisch und Ichtijar
im Zimmer. Der Ichtijar hat Ibisch zum Gemüseeinkauf ausgeschickt und befiehlt ihm,
abzurechnen. Nach mehreren komischen Versuchen scheitert dies Unternehmen an Ibischs
gänzlicher Unkenntnis im Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Gelegenheit benutzt er,
um den zuschauenden Kindern eine Lektion über die Nützlichkeit des Lernens in der
Schule zu halten, das allein den Menschen vor solchen Blamagen, wie er sie eben erlebt
hätte, retten könne. Dann kommt ein Gast, eine etwas steife Puppe mit schwarzem Schnauz-
bart. Der redet Ibisch mit biläder an. Dies weist Ibisch entrüstet zurück, er sei Sohn des
Kapudschu Mustafa und hätte mit ihm, dem Gast, gar nichts zu tun. Der Gast sucht ihm
vergeblich begreiflich zu machen, wie er es gemeint habe. Nach längerer Debatte über diesen
Gegenstand rückt er mit seinem eigentlichen Anliegen heraus: er hat eine Reise vor und
sucht einen Reisegefährten. Nachdem Ibisch mit seiner Tapferkeit geprahlt hat, wird er
von dem Fremdling angeworben, der sich nunmehr mit einem gedehnten Alläkd smarladyq
und einer tiefen Verbeugung verabschiedet, die von Ibisch mit einer ebenso tiefen Ver-
beugung und einem ebenso gedehnten Safä geldiniz, nicht ohne eine ironische Nachäflung
des Tonfalls des Fremden, beantwortet wird. Kaum ist der Fremde fort, als ihm etwas
einfällt, was er zu erwähnen vergessen hat. Er kommt wieder und bringt es vor. Wieder
die feierliche komische Abschiedszeremonie. Die Sache wiederholt sich; als er jedoch zum
fünften Male den Kopf durch die Tür steckt mit einem: Schäjed . . . (Sollte etwa . . .),
läßt ihn Ibisch nicht ausreden, sondern ergreift einen gewaltigen Holzscheit und prügelt
den Gast zur Tür hinaus, daß es dröhnt.
Die nächste Szene zeigt Ibisch auf der Reise nach Kaiseri in einem griechischen
Hotel. Er läßt sichxlie Speisekarte vorlesen und findet an jedem einzelnen Gericht einen
solchen Gefallen, daß er jedes bestellt und schließlich die ganze Karte auf einmal bestellt
hat. Nach einer Weile kommt ein zweiter Reisender, dem dasselbe Zimmer zugewiesen
wird, dann ein dritter, ein griechischer, d. i. fränkischer Opernsänger. Jeder hat Anspruch
auf das Bett. Nach langem Gezänk einigt man sich dahin, daß jeder der drei Gäste ein
Drittel der Nacht schlafen soll. Ibisch legt sich zuerst schlafen. Inzwischen vertreibt sich
der Opernsänger die Zeit damit, daß er zur Begleitung des dritten Zimmerbewohners,
der das Orchester darzustellen hat, eine Arie zum besten gibt, die in einem gewaltigen
Fortissimo im hohen C endigt. Entsetzt stürzt Ibisch aus dem Bett herbei, um zu sehen,
wo es brennt. Von seinen Zimmergenossen beruhigt, legt er sich wieder schlafen, wird aber
wieder durch einen gewaltigen Triller des Opernsängers aufgescheucht. Nicht besser geht es
ihmbeim dritten Mal. Auf weitere Nachtruhe verzichtend, läßt er den dritten Gast sich legen,
wirft ihn aber bald wieder heraus, um den Opernsänger ins Bett zu legen. An ihm nimmt
er nun Rache- durch eine komische Parodierung des Operngesangs, der ja dem Orientalen
schon an sich komisch vorkommt.
Die nächste Szene spielt im Walde, wo sich die Reisenden wieder treffen.«
Wegen Kinderlärms konnte Herr Dr. Ritter den Inhalt nicht verstehen; ähnlich
erging es ihm an den andern Abenden, so daß er mir nur noch einige Bruchstücke mitteilt
» Ich erinnere mich einer sehr komischen Szene, in der Ibiäch einem Gast Kaffee servieren,
soll. Er bringt zunächst eine Tasse in der Hand, dannvon seinem Herrn auf das Unschick-
liche dieser Form des Servicrens hingewiesen, erscheint er mit einem Riesenservicrbrclt
Islam IX. I 7
2^0 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
unl bietet zunächst seinem Herrn, dem Ichtijar, an. Der winkt ab und bedeutet Ibisch,
daß er zuerst dem Gast anzubieten habe. Aber auch dieser lehnt unter feierlicher Beteuerung
seiner Unwürdigkeit ab und verweist Ibisch an den Ichtijar. So hin und her geschickt
reißt Ibisch schließlich die Geduld, und er schlägt das Servierbrett abwechselnd dem
Ichtijar und dem Gast um die Ohren.«
Vorliegende Mitteilungen machen es mir zur Gewißheit, daß in dem von Litt-
mann herausgegebenen türkischen J)fak7'spicl aus Aleppo {Sitzungsber. d. Heidelb. Akad.
d. Wiss. 1918) tatsächlich ein Kukla oj'nic vorliegt und kein Schattenspiel; das bezeugen
die Hauptfiguren, das Szenarium und anderes. ^ , .
•^ * ' G. J a c o b.
Ahmed Refik, Onundschu 'asr-i-hedschride Istamhol hajaty : Td'rich-i-^osmani endschümeni
küllijaty, ^aded 6, Istambol 1333. 235 S.
Ahmed Refik J) hat uns in letzter Zeit eine große Zahl türkischer Urkunden von
hervorragendem kulturhistorischem Interesse, namentlich im Ta'rirh-i-'osmavi endschümevi
und in der Jeni medschmii^a, in dankenswerter Weise erschlossen. Die ausgiebigste seiner
Publikationen ist der nunmehr vorliegende obengenannte Band, der das in ihm mitgeteilte
reiche ürkundenmaterial in folgende Kapitel gliedert:
1. Verwaltung des kaiserlichen Palastes: 32 Urkunden.
2. Behandlung der frommen Stiftungen, Moscheen und Brunnen: 33 Urkunden.
3. Geistiges vmd wissenschaftliches Leben, Hochschulen und Bibliotheken: S l'r-
kunden.
4. Frauenleben und Frauenüberwachung: 8 Urkunden.
5. Andersgläubige, Kirchen: 21 Urkunden.
6. Städtische Angelegenheiten, Sanitätswesen, Häuser und Straßen: if) Urkunden.
7. .Münzen und Löhne: 14 Urkunden.
8. Lebensunterhalt und Lebensmittel: 46 Urkunden.
9. Handel, Industrie und Zollwesen: 60 Urkunden.
10. Öffentliches Leben und Polizeifälle: 20 Urkunden.
Zusammen: 258 L'rkunden, leider nur in Druckschrift, obwohl man bisweilen ein
Faksimile sehr vermißt -). Den Beschluß bildet ein Index. Mehrere der hier gegebenen
Urkunden hat ihr Herausgeber bereits früher publiziert, doch erscheinen sie in dieser wcii-
vollen Zusammenfassung in besserer Anordnung und lehrreichem Zusammenhang, so daß
wir ihm für die Wiederholung nur dankbar sein können.
Ich gedenke, auf die Publikation, von deren Reichhaltigkeit die Inhaltsübersicht
eine Vorstellung gibt, noch mehrfach zurückzukommen. Heute möchte ich, darauf ver-
zichtend, allerlei interessante Einzelheiten herauszugreifen, lieber als Probe zunächst 5 Ur-
kunden vollständig in deutscher Übersetzung mit knappem Kommentar mitteilen, in der
Hoffnung, dadurch vielleicht zu einer vollständigen Übersetzung des ganzen Buches anzu-
regen 3).
') Vgl. Ncvsal-i-milli 1330 S. 92/3.
'-) So hätte ich ein solches gern am Schluß der an letzter Stelle von mir übersetzten
Urkunde eingesehen.
3) Ein anderes Werk, dessen Übertragung ins Deutsche dringend erwünscht ist,
sind die in altertümlichem Ungarisch geschriebenen Korrespondenzen der Ojener Paschas
(Band i: 1553-89), Budapest 1915.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. ^rj
Zunächst wähle ich die 4. Urkunde des 5. Kapitels (S. 52/53), die der Herausgeber
leider mit einer falschen Überschrift ausstattet, wenn er sagt: »Betreff Fertigstellung und
Vergoldung des von Sejjid Lokman geschriebenen Schahnames«. Handelt es sich doch in
ihr gar nicht um das Schahname, sondern um das Hunername, und zwar, was von besonde-
rem Interesse "ist, um das viel beachtete Exemplar, das der Münchener Ausstellung von
Meisterwerken muhammedanischer Kunst 19 10 aus der kaiserl. Jyldyz-Bibliothek zu Kon-
stantinopel überlassen wurde; im Katalog der Ausstellung findet man unter Nr. 866 eine
kurze, nicht ganz korrekte Beschreibung. Vgl. v. Karabacek, 'Zwr orientalischen Alter-
tumskunde IV S. loi ff. und das Verzeichnis der orientalischeji Ha7idschriften der k. Hof-
utid Staatsbibliothek zu München (i, 4), München 1871;, S. 25, Nr. 87.
Die Urkunde lautet in deutscher Übersetzung:
»An den Schahnamerezitator Sejjid Lokman von den Müteferrika') meines erhabenen
Hofes ergeht folgende Weisung:
Du 2) hast einen Brief gesandt: Da der verstorbene Schahnamerczitator Piaton die auf
die Denkwürdigkeiten der Jagd und andere Vergnügungen bezüglichen Geschicklichkeiten
des im Paradiese wohnenden seligen Sultans Sülejman Chan — über ihm Erbarmen und
göttliches Wohlgefallen — zu seiner gesegneten Zeit in 10 Kapiteln in Poesie und Prosa
beschrieben, aber nicht zum Abschluß gebracht hat, ergeht, weil er, nachdem 3 Kapitel
geschrieben waren, starb und es unvollendet blieb, jetzt mein Befehl, es fertigzustellen.
Bei dem Beginnen erscheint es, da in den drei von dem erwähnten Versto.benen geschriebe-
nen Kapiteln zahlreiche der Korrektur und Veränderung bedürftige Verse und Anekdoten
vorkommen, nicht angemessen, sie in ihrer Fassung zu belassen. Du hast mir mitgeteilt,
daß die Vergoldung und Komposition Aufwand erheischt und falls das hinfort Geschriebene
in gleicher Weise ausgeführt würde, sich mit Notwendigkeit viel Kosten ergeben würden,
weshalb es besser wäre, es würde mit Ta'liqschrift einfach auf goldumrahmtem 3) Papier
geschrieben. Da es nunmehr angemessen erscheint, daß die korrekturbedürftigen Stellen
dieser genannten drei Kapitel korrigiert werden und der Rest von einem Fachmanne nach-
geprüft, in korrekter Form geschrieben und vervollständigt und ohne daß für die Vergol-
dung viel Ausgaben' erwachsen, klar mit Ta'liqschrift geschrieben werde, ordne ich an,
daß du, wenn [mein Schreiben] anlangt, ohne Verzögerung, nachdem von den Sach-
verständigen der Tatbestand berichtet ist, das genannte Hunername in korrekter Form mit
Ta'liqschrift schreibst und vergoldest, ohne viel Kosten zu verursachen.
Am 22. Schewäl 985« [= 4. Januar 1578].
Nach dem Datum hat also Murad HI. (1574— 1595) die Arbeit am Hunername des
großen Soliman mit beschränkten Mitteln 1578 wieder aufnehmen lassen. Sie wäre nach
dem oben genannten Verzeichnis der orientalischen Handschriften zu München, da die
dortige Kopie das Chronostichon des Orignals wohl korrekt überliefert haben wird, erst
im Jahre 996 h= 1588 zum Abschluß gekommen, trotz der von allerhöchster Stelle ange-
ordneten unverzüglichen Inangriffnahme. Die Urkunde zeigt,' daß selbst zur Zeit des
höchsten Glanzes osmanischer Macht ein Sultan sogar bei Liebhabereien nicht ohne Kon-
trolle das Geld mit vollen Händen spendete, sondern die Ausgaben kontrollierte und sich
durch Sparsamkeitsrücksichten bestimmen ließ. Interessant ist ferner, daß unter den
Müteferrika, die den Suhan auf Reisen zu begleiten pflegten, ein Schahnamerczitator
ständig vertreten gewesen zu sein scheint.
') Vgl. Zinkeisen, Geschichte des osmanischen 'Reiches \\\ S. 181.
^) Das Folgende lehrt, daß so zu übersetzen ist.
3) Das scheint hier zer-ejschdn zu bedeuten, denn der Münchencr Ausslcllunijskat;iliig
spricht a.a.O. von »goldumrahmtem Textgrund«.
I 7*
2^2 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Ausdemö.Buch teile ich zunächst die 3. Urkunde (S. 85), eine baupolizeiliche Vor-
schrift, mit:
»An den Kazi zu Stambul ergeht die Weisung folgendermaßen:
Zuvor ist mein e habener Befehl gesandt und ein Ferman erlassen worden des Inhalts,
(laß du die auf die Straße hinausgehenden Balkons (schahnischin) und Holzvorbauten
(tschardak) und errichteten Läden, welche die Passage 1 eengen, mit Kenntnis meines
Hofarchitekten Sinan — er nehme zu an Ruhm — beseitigst. Jetzt wird mein erhabener
Befehl in seinem vollen Umfang aufrechterhalten. Ich befehle, daß du bei Empfang dich
dieser .Sache mit ganzem Eifer annimmst und demgemäß die auf die Straße hinauslührenden
Balkons, errichteten Holzvorbauten und angebauten Läden, welche die Passage beengen,
laut meinem früheren Befehl mit Kenntnis des Genannten entfernst und beseitigst. (Wird
dem Hofarchitekten zugestellt.)
Am 20. Zi'1-ka'de 975«= 17. Mai 1568.
Aus demselben Buch lasse ich die 13. Urkunde (S. 94) folgen:
»An den Kazi von Stambul und den Janitscharen-Aga ergeht die Weisung:
Die Müllmänner (mezbeledschi), welche den Müll von den Staatsgebäuden fortzu-
schaffen bestimmt sind, haben ein Gesuch eingereicht und berichtet, daß, während sie den
Müll der alten und neuen Kasernen der Janilscharen meines erhabenen Hofes sowie der
Kasernen der 'Adschemoglans und Sekbane am Strande bei Kapukapudschiler in der Nähe
von Langa (Vlanga) auszuschütten pflegten, sie nunmehr außerhalb Jeni Kapu Müll auszu-
schütten gehindert würden. Deshalb sollen sie an der Stelle, wo sie von alters her den Müll
auszuschütten pflegten, in der bisherigen Weise ihre Arbeit verrichten und du sollst nicht
gestatten, daß jemand im Widerspruch dazu verfahren läßt. (Das Gesuch wurde dem Über
bringer übergeben.)
In der ersten Dekade des Redscheb 993.«
Das Datum entspricht Juni/Juli 1585. Jeni Kapu hegt unweit Vlanga Bostany am
Marmarameer; das in der Nähe zu suchende Kapu Kapudschiler finde ich auf den mir
zugänglichen Plänen nicht angegeben.
Als 4. Urkunde lasse ich Nr. 14 des 8. Kapitels (S. 120/1), von Herrn Refik bereits
im 37. Heft des Ta'rich-i-'osmani endschümeni veröffentlicht, in deutscher Übersetzung
folgen:
»An den Kazi von Skutari ergeht die Weisung folgendermaßen:
Du hast berichtet, daß bereits früher meine erhabene Weisung übersandt und befohlen
wurde, daß die deiner Gerichtsbarkeit unterstehenden Dörfer ihre Trauben pressen und
Turschu und Pekmez herstellen sollen. Du hast nunmehr gemeldet, daß meinem erhabenen
Befehl zuwider die Bewohner der Dörfer Maltepe, Kartal und Daridsche die aus ihren
Weinbergen erzielten Trauben nicht zu Turschu und Pekmez verarbeitet, sondern Trauben-
saft hergestellt und in Fässer gefüllt haben. Demnach wird mein erhabener Befehl, wie er
war, aufrechterhalten. Ich ordne an, daß du dich persönlich zu ihnen begibst, und falls
die Bewohner der Dörfer, wie sie oben genannt wurden, die Trauben gepreßt, Traubensaft
hergestellt und in Fässer gefüllt haben, in ihre Fässer Staub (Salz?) tust, Essig daraus
machst und dich später wiederum davon überzeugst. Wenn es Essig geworden, sollst du
es lassen, wie es ist ; was nicht dazu geworden ist, sollst du ausgießen. Künftig sollst du
etwas, was meinem Befehl zuwiderläuft, nicht geschehen lassen.
Am 12, Rebi' I 973.«
Nach dem Datum, das dem 8. Oktober 1565 christlicher Zeitrechnung entspricht,
ging der Befehl noch vom großen Soliman aus, der hinsichtlich des Weinverbots auch gegen
sich selbst strenger als sein Nachfolger war. Die drei genannten Ortschaften liegen in
nächster Nähe des Marmaramecres südöstlieh von Skutari. Unter »Turschu« versteht man
Kleine Mitteilunfren und Anzeigen. -^3
sauer') Eingelegtes, unter »Pekmez« eingekochten Most. Auffallend bleibt die Behand-
lung des Weins. Das Zuschütten von Salz (tttz) wäre meines Wissens nicht gerade geeignet,
den Wein in Essig zu verwandeln. Demnach dürfte Staub (toz) gemeint sein. Das Ver-
fahren sollte wohl einen Denaturierungsprozeß darstellen. Nur im Falle dieses versagte,
sollten die Vorräte geopfert werden.
Als letzte Probe wähle ich die 9. Urkunde des 9. Kapitels (S. 150/1), die Herr Refik
gleichfalls bereits im 37. Heft des Ta'rich-i-'osmani endschümeni S. 29/30 veröfTentlicht hatte:
»An den Kazi von Stambul ergeht die Weisung folgendermaßen:
Da die Käufer sich beschweren, daß die Mattenflechter, welche in der erwähnten
HauDtstadt sich zurzeit befinden, quantitativ -) und qualitativ nicht so gute Ware, wie
von alters her gebräuchlich, herstellen und den Preis noch steigern, so ordne ich an, daß
bei Eintreffen (meines Schreibens) diese Angelegenheit unter Aufsicht der Sachverständigen
und des Rats (medschlis) der genannten Hauptstadt geprüft werde, wie groß vordem die
Länge sowie Breite jeder Mattensorte und zu welchem Preise jede Art verkauft wurde und
daß, sollten sie demgemäß im Gegensatz zu dem vordem üblichen an Länge und Breite
zurückgegangen und im Preise gestiegen sein, man das untersage und zurückweise und für
jedes den Preis, in dem es vordem stand, bestimme und Länge und Breite feststelle und dem-
gemäß in das Protokall eintrage; nach diesem haben sie sich zu richten. Ihre in Widerspruch
dazu stehenden Praktiken sollst du, worin sie abweichen, untersagen und, was nicht
geschieht, zur Anzeige bringen, damit man zur Strafe schreitet.
Am 7. Schewäl 973.«
Da das Datum dem 28. April 1566 entspricht, stammt auch diese Urkunde noch aus
der Zeit des großen Soliman. Der Schluß scheint, wenn richtig gelesen, schlecht stiHsiert.
Georg Jacob.
Großwardein, eine selbständige türkische Provinz.
1541 schuf Soliman die ungarische Provinz Budin (Ofen), die er einem Bejlerbej
zunächst mit sehr weitgehenden Vollmachten unterstellte. Nach der Eroberung Temesvars
im Jahre 1552 kam ein zweites ungarisches Bejlerbejlik Temeschvar hinzu. 1596 wurde
Erlau (Egri) und 1600 Kaniza von den Türken genommen; beide Städte erscheinen im
2. Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts als Hauptstädte selbständiger Provinzen. Man hat
bisher wohl allgemein angenommen, daß weitere Provinzen (Ejalete) aus dem eigentlichen
Ungarn nie gebildet wurden. Salamon, der in seinem Werk Ungarn im Zeitalter der Türken-
herrschaft (Leipzig 1887) S. 235 iT. eingehend über die Verwaltungseinteilung handelt,
spricht zwar von 5 Statthalterschaften, aber er nennt als fünfte: Bosnien.
Mir war es nun schon längst höchst auffallend, daß E vlija im 6. Bande seines Reise-
werks S. 228 Z. I Varat _b| I, ausdrücklich als Ejalet bezeichnet. Varat oder Varad
J ^
d. i. Großwardein, ungarisch Nagyvärad (nicht zu verwechseln mit Varadin = Peter-
wardein) wurde 1660 erobert und gehörte bis 169 1 zum osmanischen Reich. Ein Irrtum
Evlijas war mir hier, da er bald nach der Eroberung Großwardeins nach Ungarn kam
und dort die besten Beziehungen hatte, nicht sehr wahrscheinlich.
Neuerdings fand ich nun die Bestätigung für Evlijas Angabe in einer Göttinger
») Man sagt chijar turschusii. (sauere Gurke), lahana tic-rschusu (Sauerkohl), bibcr
iurschusu (eingelegte Paprika).
-) genauer: was Länge und Breite anlangt
2CA Kleine Mitteiluni;en und Anzeigen.
Urkunde. Herr Pfarrer Koppel in Bremen hatte mehrere Urkunden aus dem Göttinger
Codex Türe. 29, mit dem er sich beschäftigt, für das Orientahsche Seminar in Kiel photo-
graphieren lassen. In einem Schreiben des Großvezirs a i den Fürsten von Siebenbürgen
Michael I. Apafi (1662—90) vom 28. April 1665 (daselbst Bl. i6ob) ist offenbar von Ver-
hältnissen die Rede, die mit Bildung des neuen Ejalets zum Teil auf Kosten Siebenbürgens
zusammenhängen, und Z. 8/9 lesen wir ausdrücklich B^^'jJcJ^t -J->^' ^^ <^3 '^^^^}
»hei Aufnahme des Ejalets Großwardein«.
Herr Dr. Björkman macht mich darauf aufmerksam, daß von den von Karacson
in Konstantinopeler Archiven gesammelten und in ungarischer Übersetzung Budapest 1914
veröffentlichten Urkunden, die mir leider bisher nicht zugänglich waren, Nr. 295 aus
dem Jahr 1677 an den Bejlerbej von Großwardein gerichtet ist und Nr. 322 im Jahre
1692 Ali Pascha als Bejlerbej von Großwardein erwähnt. Die Publikation führt den
Titel : Török-niagyar oklevcltdr 1333 — J j^g.
Somit werden wir in Zukunft von einer Fünfzahl der ungarischen Ejalete zu sprechen
haben. Georg Jacob.
Bemerkungen zum heutigen Osmanisch-Türkischen im Anschluß an
Dr. Gotthold Weil's Grammatik der osmanisch-türkischen Sprache.
Unter der Fülle von türkischen Grammatiken, die uns der Krieg gebracht hat, wa
bisher keine einzige zu nennen, die unsere Kenntnis des Türkischen wirklich geförder^
hätte. Sie sind meistenteils aus älteren abgesclirieben und bieten diese teilweise sogar
noch in verschlechtertem Auszug. Man mußte schon zufrieden sein, wenn sie für den
Anfänger das Material in pädagogischer Beziehung in besserer Ordnung gaben imd in
der Auswahl der Lesestücke und Übungssätze nicht zu sehr vorbeigrifTen. In wissen-
schaftlicher Beziehung sind alle diese Erscheinungen wertlos. Eine Ausnahme machen
nur die Veröffentlichungen jACOn's.
Anders steht es mit der soeben erschienenen Grammatik der osmattisch-türkischen
Sprache von Dr.^GorraoLD Weil (erschien als i. Band ditx Sammhmg türkischer Lehr-
bücher Jür den Gebrauch im Seminar für Orientalische Sprachen zu Berlin), Berlin 19 17.
Es ist eine tüchtige, solide Arbeit, die in systematischer Form die osmanische
Schriftsprache beh.andelt, und zwar in so eingehender Weise, daß sie für denjenigen, der
über die allgemeinen Anfangsgründe hinaus sich wirklich in diese Sprache einarbeiten
will, auf Jahre hinaus als Nachschlagewerk dienen kann. Es ist eine Leistung, zu der
man dem Verfasser Glück wünschen kann. Das Buch enthält eine Menge neuer Beob-
achtungen und eine Fülle von Tatsachen, die sich hier zum ersten Male gedruckt finden.
Wenn ich im folgenden auf Grund einer jalirzehntelangen Beschäftigung und
einer längeren Lehrpraxis, als sie der Verfasser hat, verschiedene Ausstellungen zu
machen habe, so soll dadurch sein Verdienst nicht geschmälert werden. Das Tür-
kische ist nun einmal eine äußerst schwierige Sprache, die bei dem Mangel an aus-
reichenden Vorarbeiten nur in jahrelanger mühseliger Arbeit wirklich erlernt werden kann.
Da ich die Absicht habe, das türkische Vcrbum in einer Monographie genauer
zu behandeln, so werde ich hier auf diesen Teil der WElL'schen Arbeit nicht genauer
eingehen. Für diesmal beabsichtige ich in erster Linie Bemerkungen zu der Aussprache
zu geben. Es ist das ja ein sehr unsicheres Gebiet. Eine feste Norm, wie sie bei uns
durch die Bühnenaussprache gegeben ist, existiert in der Türkei nicht. Der Ausländer,
der nicht die Gelegenheit gehabt hat, mit sehr vielen Osmanen der gebildeten Kreise
zu verkehren und so die Aussprache, die als die richtige gilt, zu erlernen, ist daher
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 2SS
leicht geneigt, eine Aussprache, die er von seinem Gewährsmann gehört hat, zu verall-
g'emeinern und als Norm hinzustellen. Das trifft sicherlich auch bei Weil zu. In den
meisten Fällen wird die Verantwortung für die Aussprache und für manche Absonder-
lichkeiten wohl Herrn stud. med. K, Bedri zufallen. Weil's Ausspracheangabe kann auf
durchaus richtiger Beobachtung beruhen, nur ist sie nicht die in Stambul in guten Kreisen
gebräuchliche. Meine Abweichungen sind das Resultat vieler Nachfragen und Beob-
achtungen in diesen Kreisen. Ich hoffe, daß sie jedem Benutzer des WElL'schen Buches
von Nutzen sein werden').
Nun zunächst einige allgemeine Bemerkungen.
Die allgemein-sprachwissenschaftlichen und phonetischen Kenntnisse des Verfassers
sind nicht bedeutend. Das sieht man aus seinen Ausführungen in der Einleitung, in
der vieles Schiefe steht. Über ural-altaisch und agglutinierend hat man heute in der
Wissenschaft doch ganz andere Anschauungen als die ältere Sprachwissenschaft, deren
Auffassungen zwar noch heute in populären Darstellungen herrschen und auch von Weil
als Tatsachen hingenommen werden. Die beiden Begriffe sollte man, wenigstens wenn
man nicht genauer darauf einzugehen geneigt ist, in wissenschaftlichen Werken für An-
fänger vermeiden. Mit Recht hat schon v. d. Gabelentz die agglutinierende Sprachen-
klasse eine Rumpelkammer der Sprachwissenschaft genannt.
Ich werde nun im folgenden meine Bemerkungen in der Reihenfolge der einzelnen
Paragraphen des WEii/schen Buches geben.
§ I — 4. Über den Akzent im Türkischen haben wir bis heute noch keine wissen-
schaftliche Arbeit. Die Auseinandersetzungen Radloff's in seiner Phonetik der nörd-
lichen Türksprachen S. 97, ebenso die Pröhle's: Zur Frage des Woriakzents im Os-
manisch-Türkischen. Keleti Szemle Bd. XII sind dilettantenhaft.
Der Unterschied zwischen Druck und Ton, oder exspiratorischem und musikalischem
Akzent, ist von Weil nicht erkannt. Bisweilen hat er das Richtige herausgefühlt, wie
seine Ausführungen in § i u. 3 zeigen, aber doch nicht genau erfaßt. Seine Angabe,
daß wäll den Akzent auf der vorletzten Silbe habe, ist irreführend. Es handelt sich
hier durchaus um den Ton und nicht um den Druck. Der gleiche Ton gilt auch für
\iLr>, 0^.>Lj und eine Reihe anderer Wörter. Dagegen hat er gerade die Wörter, die
den Druck auf der ersten Silbe haben, wie z. B. dnnä Ljl und viele andere ausgelassen.
Genauer hierauf einzugehen würde zu weit führen. Es wäre dringend zu wünschen,
daß der türkische Akzent einmal in einer Untersuchung behandelt würde.
In § 5 hätte ein Verweis auf § 12 {Tnä, ctnämäk) und § 16, 11 Anm. 2 u. 3 sowie
auf § 21, 2 stehen sollen, ebenso bei § 7 unter ö auf § 21, 3 Absatz 2, wo als Beispiel
für ti'obct hätte angeführt werden können. Außerdem hat Weil das gedehnte 7 ver-
gessen, das durch Zusammenziehung des Suffixes ^^ mit iXjS entsteht, z. B. iX.\p-^:>-y:^
{cogugllä), das immer den Ton hat. Während dieses T, wie das Beispiel zeigt, nicht
der Vokalhajrmonie unterworfen ist, hört man jetzt auch schon derartige Wörter mit
Vokalharmonie gesprochen also cogugula.
§ 6. Die phonetischen Auseinandersetzungen stecken wieder voller Irrtümer. Bc-
I) Während des Druckes erhalte ich Bd. 72 Heft 1/2 der ZDMG, in der mein
Kollege Prof. Dr. Bergsträsser gleichfalls eine Besprechung der WEiL'schen Gram-
matik und eine Abhandlung : Zur Fkonctik des Türkischen nach gebildeter Konstanli-
noplcr Aussprache veröffentlicht. Ich freue mich feststellen zu können, daß in den
meisten Fällen seine Beobachtungen sich mit den meinigen decken und, verweise auf
diese beiden Abhandlungen.
->-^ Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
kanntlich werden auch die hellen Vokale, wenn man diese Bczeichnun',' anwenden will,
nicht mit der Zungenspitze sondern mit dorsaler Hebung der Zunge gebildet. Was soll
die Bemerkung »mit so weit wie möglich geöffnetem Munde« besagen: Bei o und «
wird der Mund gerade so weit geöffnet wie bei ö und it.
§ 8. Gegen die sehr richtige Regel, daß die nominale Bildungssilbe kl nicht
der Vokalharmonie unterworfen ist, fehlt der Verfasser ständig bei der Aussprachebezeich-
nung von J^'^f das auch hierher gehört. Es wird heute nur hangi ausgesprochen.
Der Vorgang ist ein durchaus osmanischer und findet sich weder in den älteren noch
neuen Dialekten.
§ 9 ist sehr allgemein gehalten und kann viel schärfer gefaßt werden. Es hätte
sich empfohlen, auf § 21 hinzuweisen. Am besten wäre es gewesen, die §§ zusammen-
zuarbeiten. Natürlich ist es sehr schwer, allgemein gültige Regeln zu geben. Es finden
sich viele Abweichungen, und man kann versrhiedene Aussprachen hören. Sehr häufig
sprechen sogar die einzelnen Individuen dasselbe Wort verschieden aus. Aber als Haupt-
grundsatz für die Vokalharmonie der arabischen und persischen Wörter, wie sie heute
in den gebildeten Kreisen Konstantinopels ausgesprochen werden, kann aufgestellt werden,
wie auch Weil § 21 tut, daß lücr die Vokalharmonie nicht durch die Vokale, sondern
durch die Konsonanten bestimmt — besser gesagt — aufgehoben wird. Silben mit
arabischen emphatischen und gutturalen Konsonanten erhalten dumpfe — um Weil's
Bezeichnung zu gebrauchen ^ und Silben mit anderen Konsonanten helle Vokale. Das
gilt auch für die arabischen Endungen. Aber die türkischen Endungen sind dumpf,
wenn die vorhergehende Silbe einen dumpfen Vokal hat, und hell, wenn sie einen hellen
hat. Es heißt also akwäm, aber älfäz, husüsT, wenn das ^ arabische Endung ist, aber
hususu, wenn es das türkische Suffix ist, also hususunda. Ebenso wird hassa ^«-oL>^
gesprochen. Dagegen unregelmäßig jC^SLii- hasseki. Bei den auf auslautenden
arabischen Wörtern bewirkt das i3 Palatalisierung auch in türkischen Endungen bei
vorgehendem dumpfen Vokale, z. B. haldä, »lXaaIs ^albindä (wohl im Gegensatz zu
i^LJJ). Aber bei den Wörtern, die schon als türkische gefühlt werden und die das /
n l verwandelt haben, treten die dumpfen Vokale ein, also asV(. jasU, iisulu. Ebenso
pflegt vorausgehendes « Vokaiharmonie zu bewirken, auch wenn das / nicht l wird
oder nicht gutturale und nicht emphatische Konsonanten dazwischen stehen, z. B. ^_yo^
{vusulu) icöj.^^ (viigudu) »^>3 {vügudd). Die Endung ^ in den Epitheta der
Rangstufen wie ^Jlx5».lix:. JUx.:-c wird In ausgesprochen und auch _J geschrieben.
Hervorzuheben ist, daß auch das / der Izafe lieute meistens wie eine türkische
Endung behandelt wird. Also \xsLiJLj J:?^lii» hututu tälgrafijä. Diese Ansprache
ist heute bei Gebildeten durchaus die gebräuchliche, wenn auch bisweilen von Schul-
grammatikern davon abgewichen wird. Da der Neuosmanismus die Izafebildungen auf
den Index gesetzt hat, so werden sie bald aussterben.
Wie schon gesagt, gelten diese Regeln nur für Wörter, die noch als Fremdwörter
gefühlt werden, die anderen, wie z. B. \xi^- {Jiisse), gelten als türkische und haben die
Vokaiharmonie. In vielen Fällen ist der Sprachgebrauch schwankend, aber im allge-
meinen wird nach diesen Regeln verfahren.
§ II. Die Fassung ist nicht richtig, in der guten Konstantinopler Aussprache
gilt heute durchaus die Regel, daß nach und «, sowie ö und ii Labialattraktion (nach
Radloff's Bezeichnung) eintritt. Es heißt nur günil, ücüngiisü, ebenso nur kapusu oder,
was noch als gewählter gilt, kaphi, ebenso nur olur, bulumir usw. Damit soll nicht
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 2^7
gesagt sein, daß die andere Aussprache nicht auch zu hören ist. Es sind das aber
Nuancen, die nicht dem Konstantinopler Dialekt entprechen.
o ^ o o >
§ 13, 2. Hierunter fallen alle Wörter der Form Xx.s, JsJiS. Joir, die, wenn sie
ohne Endungen und ohne dW^^jl stehen, den Hilfsvokal annehmen, der unter Um-
ständen ein 71 sein kann, z. B. ^^ä kuhuh, J^Xi sugtel. Nur wenn der mittlere Kon-
sonant ein r, l, m, n, s, s oder h ist, wird kein Hilfsvokal eingeschoben, z. B. JjJl3-
Ijalt, w*-Li kalp, C>to.5 farz, ,jJ.i fart oder fürt, • .; fark (auch /ä;-/;). o^aj
samt, jAj rämz (aber ^fij rämü wegen der beiden aufeinanderfolgenden Licjuiden),
v_.A.Ä> gämp, kX^> gäht, si>.iJ buht, ^j,.wJ hast, viLcIX/i w^Ji/t usw. Wenn er ein
c ist, so wird der Vokal gedehnt, z. B* »Ac» j'«i'. Ist der letzte Konsonant ein c wird
. . . ^
er meistens gar nicht gesprochen, z. B. c -5 /«>', «-Ä^ man, %3 . ruf, 5.Sv3 ^/(t/". In
einzelnen Wörtern tritt aber ein Vokal ein, z. B. ^•«..:^ gämi, c_j.j «ffz//. Der Hilfs-
vokal geht aber in allen Wörtern verloren, wenn sie mit A*Äji verbunden werden, das
sich ihnen ohne Kehlkopfverschluß eng anschließt, z. B. *iV>#J>iji • .5 gespr. far-
kätviäk, iiWCj! lAc^ vä-dlihnäk, lik^Äjl «..».q:- gä-mätfulik. Von «,:<Vi ist die Aussprache
merkwürdigerweise nahiv.
Alle diese Angaben gelten natürlich nur für Wörter, die wirklich in der gespro-
chenen Sprache gebraucht werden. Für solche, die nur in der Schriftsprache vorkommen,
gibt es keine feste Regel.
§ 15, Die »stark gutturale« Aussprache des k, g und Ij in dumpfvokaligen Wörtern
gilt wenigstens für die Konstantinopler Aussprache nicht, k und g unterscheiden sich
kaum in dumpfvokaligen Wörtern von k und g in hellvokaligen. h wird nur am Anfange
in einigen — meist onomatopoetischen — Wörtern — und auch nicht durchgehend —
guttural gesprochen, meistens vor u, t und ;-, z. B. ^J:Jv,J.><,^> htrlhl, ...UxÄa«.J>.
j*-^^"*^ (y^)y^' T" jy^-i "^^^ 2Mc\\. Oj-!>' bartl, sonst wird es durchweg wie
deutsches h gesprochen '), nur ist zu bemerken, daß das türkische h im Silbenauslaut
und zwischen zwei Vokalen nicht wie im Deutschen geschwächt wird.
Dagegen ist auf die verschiedene Aussprache des / und l zu achten.
§ 16, 4 ^ im Wortinnern vor stimmlosen k, f, s wird zwar häufig zu /, aber im
allgemeinen gilt ävkäf auch heute noch besser als äjkäf (die Ungebildeten sprechen
sogar älkaf), ebenso ^^Äxi^j besser tävkif als täfkJf. Jedenfalls wird es im Wortaus-
laut in türkischen Wörtern nie stimmlos, z. B. nur äv nie äf, was hätte gesagt werden
können.
§ 16, 8 muß statt »fast« stehen »durchaus«.
§ 16, II Anm. Zur Aussprache krus und kaliba ist zu bemerken, daß das Feinere
immer noch ^«r?/i und ^ß//^« ist, dagegen wird v_.-<.Jui;. i.c».i-, ^j^-^i mit /i gesprochen.
§ 16, 12 Anm, 0-J Lwi wird sakirt gesprochen, dagegen äjär und däjil richtig.
§ 16, 14. Heute wird ^ vor d und t fast zu s, z. B. gäsdi, isdi, ebenso _
vor d und t wie j, also cu.f.Ä.>) ijtimU.
§ 16, 19. Es hätte sich doch empfohlen, den Unterschied zwischen / und l in
der Umschrift deutlich zu machen, da alle die Fremdwörter, in denen / in gutturalen
') Wenn es nicht zu k geworden ist wie in Oi.ä3», 8.x4..> usw.
258 Kleine Mitteilungen und An/cigen.
Silbi-n vnrkommt, wie unser deutsches /ausgesprochen werden, z. 1^. (3»-*J . f\^. So
unterscheiden sich arab. oi die Familie und die List von jl ul rot, rosa und Imperativ
von / ^1^1. Bei ij.A kommt das J in beiden Aussprachen vor. Es ist hier wohl ein
altes türkisches Wort, das auch im Mongolischen vorkommt, mit dem arabischen /.usam-
niengefalleii. In ursprünglich arabischen Wörtern, die als türkische gefühlt werden,
wird / gesprochen z. H./ iJ^i>. Jwdi. J.>o!, ^La12S i-X^s^, nLci^A.^ usw.
§ 16, 20 Es hätte hinzugefügt werden können, daß das Zungen-;- nicht zu sehr
vibriert werden darf. Es wird mit kurzem Anschlag gesprochen. In der Umgangs-
sprache wird es besonders vor s, s und i und ä nicht gesprochen ^ J l>tse und
\xiO -J bidäfa.
§ 16, 23 Anm. Die Aussprache butijor statt buliijor ist wie gesagt nicht richtig.
§ 17. So richtig im einzelnen das Gesagte ist, um so irreführender ist die Be-
merkung, daß der Türke Doppelkonsonanz nicht liebe. Im Gegenteil findet sich Doppel-
konsonanz recht häufig, besonders in arabischen Wörtern. Auf die doppelte genaue
Aussprache des Konsonanten ist um so mehr Gewicht zu legen, als wir im Deutschen
gewohnt sind, Doppelkonsonanz als ein Zeichen der Kürze des vorhergehenden Vokals
anzusehen. Bisher ist dies in allen unseren Grammatiken nicht genug betont worden.
Es ist also deutlich m'üd-dät^ gäd-dä, jol-lamak zu sprechen. Bei einzelnen Fremdwörtern
wie ij-^s>, das nur hamal ausgesj)rochen wird, ist die Doppelkonsonanz gefallen.
§ 18. Gegen die Ausführungen über den Hilfsvokal läßt sich sprachwissenschaft-
lich natürlich vieles einwenden. Da das Buch jedoch keine sprachvergleichende Arbeit
sein will, so ist es nicht nötig, darauf einzugehen. Die Anm. 3 ist falsch. Es kommt
zwar Ä.,5^vjiAÄi vor, aber mit i^ kann , ciAä5^ ebensowenig wie die Wörter, welche
j
<::
das Possessivsuffix der 3. Pers. haben, verbunden werden. Es wird zwar :-^*iJÜ,
aber nie j-w^.v,JwJ oder .:/*\Äav.JwJ gesagt. In solchen Fällen muß man sagen -**,LjÜ
qXj" /»iJ-J oder slXj-S> ^jLjJ^4.J^t ^^^JlJ.
§ 20. Wkii. hat vergessen, daß die emphatischen arabischen Laute auch in der
dumpfen V'okalreihe benutzt werden. Die Angabe, daß sie »fast nur in arabischen
Fremdwörtern vorkommen«, ist daher nicht richtig. Im Gegenteil, sie wurden in der
älteren Orthographie in weitem Im fange angewandt, ähnlich wie in den Orchonin-
schriften die Konsonanten verschiedene Formen annehmen, je nachdem sie mit hellen
oder dumpfen Vokalen auszusprechen sind. Da aber die arabischen emphatischen Laute
leider nicht ausreichen, so hat die neuere Orthograpliie immer mehr ihre \'erwendung
aufgegeben.
§ 20, Anm. 2. \Äij> wird dafa oder dafa gesprochen nie mit Verdoppelung.
Ebenso NxXi {kalti ohne ' vgl. 4? 53, i, wo statt •»kuinkal'av. »kiitiikalä« zu lesen ist).
im Worte ,.j)-X.*.«.ÄO (samdän) fällt das ' ganz aus.
§ 36 I ^J wird aucli bisweilen unserem »und« entsprechend gebraucht, z. B.
^iils^! ^J^.-t'}' groß und klein. .Mlcrdings hat sich dieser Gebrauch, der in den
Orchoninschriften und in den Dialekten häufig ist, nur noch in einigen Redensarten
erhalten.
§ 46 ^ wird jetzt auch ganz allgemein in der Umgangssprache statt ^j; gebraucht
bei vl^ wC.5, d^J, ♦J-?- und *~a^^ also äbesi (sein älterer Bruder), best, hantms'i,
Jütik gättnst.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 2 59
§ 52. Einige Genitivendungen werden jetzt als ein Wort gefühlt und den,ent-
sprechend behandelt, z. B. ^L\ ^^j, daher im Dat. ^^L^ ^^j und nicht n>ehr sA.} j.-^,
das sich nur in alteren Texten findet. Ebenso die Zusammensetzungen mit ^iwJ, z. B.
^^jyA, ^X:..i^=^^j^, cUe im Plur. 1^^^^:^, J^.Ai ^^J^- ^'^ ^^^^^^^
von .Xo.L\J lautet i^-X^J. ,c4^ {'Q^ wird heute in der Umgangssprache
j
schon'^ielfach als ein Wort aufgefaßt und bildet den Plural ^.Ujl5 J^H^.
§ 52 e. Heute kann man auch bisweilen nach den Lander- und Völkernamen
bezeichnenden Adjektiven das Suffixpronomen auslassen. Man hört sehr häufig z. B.
J^iJu/to mIJ^. Doch ist der Gebrauch nicht allgemein und vom Ausländer besser
> ■ ^'
zu unterlassen. 1 . "
§ 54. Die Angabe, daß Eigennamen nicht das Possessivsufhx erhalten können,
ist falsch. Man kann ebensogut- wie J>^>^ ^^^ auch ^Jm-^S usw. sagen.
§ 54 Anm. Abs. 3. Über die Anwendung des Paschatitels gilt heute, daß er nur
für Offiziere des Heeres und der Marine, vom Generalmajor an aufwärts, im Gebrauch
ist. Die Minister sind nicht Pascha. Nur der Großvezir und der Kriegs- und Manne-
„ünister tragen ihn.' Die übrigen Minister sind ^>:^>> l5^=^ ^^h in. der Anrede
§ 61, Abs. 2. Auch das deutsche »derjenige des« wird durch ^i übersetzt,
z. B. ^.UxX^LjLj diejenigen meines Vaters, jAijj-i^ .^3 ^J.UXi^oU ^.bUi y.
Diese Bücher sind schöner als diejenigen deines Bruders.
§ 62 2. Es kommt nicht deutlich zum Ausdruck, daß die deutschen Casus obliqui
des Prom.'pers. der .. u. 2. Person immer durch die entsprechenden Formen von
,J^;i' cJ^ v^JCLi" ^OJ>S übersetzt werden müssen, wenn sie sich auf das Subjekt
beziehen, z. B. ich fragte mich ^O,^ ^AA^ ^cA^, nie L<.. Der Deutsche
verstößt sehr häufig gegen diese Regel.
§ 66. 2 hätte der Turkizismus ^p> Mi^ usw. »was geht es mich an;« erwähnt
werden können.
§ 68, I. Wenn ^-J Zahlwort ist, wird nicht ^.^J^-J, nur ^c^.j gebraucht.
§68,2. Die Fassung ist ungenau. xä^Xj, ^..J^i. ^-Xj^ sind Adjektiva. Sub-
stantivisch heißt ^-^Ä^ ein anderer, ^^^.! .gesprochen .W«) der andere. Daher
vvö^ J.5 ^.^^ ^^ die nächste, folgende Seite, Woche. ^^oO der andere,
c jCjO j ein anderer.
§ 68, 7 hätte hinzugefügt werden können: lij.J ^.,j^J dies alles, ebenso außer der
Genitivverbindung mit ^Ur* und mIS auch \U^vJLJ. x5u>^JLJ, ^. B. ^J'^^'
\JU.^'-J und i.M*.*.\j\ J> alle beide.
§ 73 NJlj wird ^auä ausgesprochen.
§ 76 ^^Lj wird auch adverbiell gebraucht. *j^Lj heißt nicht »halb«, sondern
»ein halb«. Es hätte sich empfohlen, dies hervorzuheben und hinzuzufügen, daß es
immer ohne -i steht.
§ 78. Es hätte hervorgehoben werden können, daß die Distributivzahl immer an-
zuwenden ist, wenn der Sinn distributiv ist. Der Deutsche m^ht gewöhnlich den Fehler,
daß er die Kardinalzahl nimmt, z. B. ..i^Lj .^iS^ ^^^ »O^Ä«.Ww^./.X: ^■>" V
.i^y ^s^.^ j^ ^UJ_^ »Js.^^NJ.^X^' sowohl in der FätihbibUothek
-7^0 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
wie in der RaRib Paschas befindet sich ein Exemplar dieses Buches. Die Distributiv-
form ist auch bei J^'s nötig, z. B qJ^IvAÜ »j^j^ j^'^r welche Nummer
eine jede erhalten habe . . . (Hüsen Rahmi GülJabänT aC, 5 v. u.)
§ 80, Neben -:J^t hätte auch .e}^ genannt werden können.
§82. Seit dem Erscheinen des Buches ist in der Türkei am i. März 1917
der gregorianische Kalender eingeführt, jedoch mit dem Unterschiede, daß statt der
christlichen Jahreszahl die des Finanzjahres bleibt. 1918 = 1334. Anfang des Jahres
ist der i. Januar,
§ 83 ^,w».j_jl \Jt4-> wird guf/idr/äsi ausgesprochen. Für den Anfänger ist es
empfehlenswert, zu den Wochentagen immer ^_^ hinzuzufügen. Sic werden zwar
auch allein gebraucht, aber in gewissen Fällen darf es nicht fehlen. So kann man
zwar sagen aJC^SuX^ JLo jJ (oder auch NJ Jlo), aber nie einfach ^^^''*^.
§ 84. Wenn der Wochentag hinzugefügt wird, so tritt er an die Stelle von ^j^ .
z.B. Jfci' .1;^ ^^k^ *i)ow^ — übrigens wird immer ^w«« gesprochen s. o. — .
Ebenso wird Jjj' gewöhnlich ausgelassen, wenn (»L/iXsl gebraucht wird, also \^\.,>*fJ
^'^^\ ^.>\>UiJ Wird ^-M.xi^^ gesetzt, so bezeichnet es den vorhergehenden
L? l5 • • l5 • •• °
Abend, also ^x.>\-0' ^;^'Jji^ ^l^ am Abend des 4. April.
§ 85. ^i wird heute gewöhnlich weggelassen. Sehr gebräuchlich ist ^;-J;-J'
im Sinne von Datum. »Der wievielte ist heute r« heißt ,^^>-'^ Ah^ O^-^'
§87, 2 a ist räddälärindä zu sprechen. Außerdem hätten in den §§ über die
Zahlwörter die geographischen Entfernungsangaben angegeben werden können, z. B.
aJuj'U^ aJOsJLi' I. d'^./L^-J 10 km nördlich von Berlin u. ähnl.
§ 88. Die gewöhnliche Aussprache von j*^0 ist dirlim oder dräm, Dirhäin
ist gewollt gelehrt.
§ 90. Dieser § enthält nicht viel Neues und verdiente bei einer Neubearbeitung
auf Grund selbständiger Beobachtung er%veitert zu werden. Statt des Nominativs hätte
sich die Bezeichnung Indefinitus empfohlen. Außerdem hätten hier doch statt der
dürftigen Auswahl alle Verba aufgeführt werden müssen, die eine vom Deutschen ab-
weichende Rektion haben, wie (^^J-^. (j^J-^l-* ^J*) "^^- ''^^^ '^'^^ ""' einiges
anführen. Unter dem Dativ fehlt der beim Passivum vorkommende Gebrauch
desselben für unser »von« z. B. (^^^J>-^ (Ni*4?-^0 ^^xS"^ '^"''^^^ ^'"
Schneegestöber (Sturm) gepackt werden, in ein Schneegestöber geraten, z.B. Ja'küb
K a d r i , Bir s'drängäm aS*, 7.
Zur Charakteristik der türkischen Kasusendungen hätte auch die Eigentümlichkeit, —
die meines Wissens noch nicht beobachtet worden ist. — erwähnt werden können, daß
nämlich die Endung auch an Nichtsubstantive, sogar an ganze Sätze angehängt werden kann,
z. H. ^JÖ iü.O bis gestern, ^^J^.-^JaJ ^^^Jo »^^=> Die Statuten des
(Vereins) Halka dogru {Tatiin 19. Dez. 191 7, Leitartikel) ^.i^y*^^»} su\.ÄCuAw^i
euphemistische Bezeichnung für die Peris (bei Hüsen Rahmi sehr häufig, z. B.
(inlJabänT a^, 8. ^A/>J» ^lo V'j-^ i^^ ^} c?"-?"^-"^ •'^''^"^ )^&Ar'i
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 201
^\*'t. 5 ')• '^"^ erhalten auch stets die arabischen Eulogien, z. B. J>.>» jc oder ^^j^
A.JU.» ».j^ »Sj\ die Kasusendungen.
Außer in der Poesie wird der Genitiv auch in einzelnen Redensarten nachgestellt,
z. B. dU \>-:>vi X*.Ä.^ 1^^ Ja'küb Kadri Cöl, 7.
In der Verbindung ,m^ nach einem Substantiv, die der Verbindung Ow^« CJJ
entspricht, erhalten beide Wörter die Kasusendung, z.B. ^.,lXJ-L5 j^-juNju^sä/«) IlüsCn
Rahmi Güljabänl a^, 6 v. u.
§ 90, 6b i_J*..*w.JL-<.5 wird heute filosof ausgesjMOchen.
S 91, I. Zu \Jul hätte erwähnt werden müssen, daß es mit dem auslautenden
Suffix d. 3. Pers. zusammengezogen, gedehnt und betont wird; vgl. oben zu § 5.
§91,5 x:>- wild auch] beim Passivum im Sinne unserer Präposition von ge-
braucht.
§ 92, I iiJj heute ungebräuchlich,
§ 92, 4 , ::.c^Ij wird auch zeitlich gebraucht.
§9^,5. Sowohl bei ».JCo wie bei J»i kommt auch die Zeitbestimmung im
Ablativ vor, z. B- s.S!/^ ^.jJsJ^ (j;^-^*
§ 97, 9 Abs. 3. (^y-ti^ f^^i.M^\ ^^ mit »Institution des Schaich ül-islamats«
zu übersetzen, ist nicht besonders glücklich. Schaich ül-islamat ist wohl das beste.
Die gewöhnliche Aussprache ist übrigens seliislam knpusu.
Zu § 97. 10 hätte hinzugefügt werden müssen, daß die Izafe in •■Zi^Lx**,jö und
(»ij'J^j^ in der Umgangssprache unterdrückt wird.
§ 97, 14 Abs. 2. Statt viüsäj- iUh kommt ebenso häufig die Nunation vor. Die
Aussprache lähil ist ungebräuchlich, man sagt läh, lähividä, lähisind'd.
§ 109, 2. Die Verbindung dUii »Jo^ und äjinliche fangen jetzt an, ungebräuch-
lich zu werden. Man kann schon Osmanen finden, die sie nicht kennen.
§ 109, 3. Diese Verbindung kommt im heutigen Osmanischen, wie auch der
Beispielsatz zeigt, nur im Imperativ vor. In den anderen Formen ist sie nicht im
Gebrauch.
§ 110, I \iV.^jl. das früher alleinstehend im Sinne von {^y*-?}'^. allgemein ge-
braucht wurde, hat sich in der Umgangssprache auch noch erhalten, z, B. ^-t-^o^ ^y^i^
*j8jsjl Hüsen Rahml Güljahäni vS, 1, ebenso in dem Turkizismus :
l5> viJjUjl U! »nicht möglich! Du übertreibst!« z. B. Ja'küb Kadri Bir särängäm
Iac5, 5 V. u. statt des in gleicher Bedeutung gebrauchten l^ -^Aj'uj i^l ebenda I... 12.
Zu § 1 10, 2 b ist zu sagen, daß in (Jj.-»-M j^*^ dies Vcrbum auch in der Um-
gangssprache das allein gebräuchliche ist.
§ III. Die Bemerkungen stimmen wenigstens für das heutige Sprachbewußtsein
bei verschiedenen Formen nicht mehr, -jJj , <!)aU , ^jytri^ ^^^ f^^ U\Aqi\.
') Noch andere Beispiele;
^A^Xxi' }^y^l^ p'^A^J ^iUi'u kondolieren gehen, eig. gehen, um zu sagen
»mögest du gesund sein« (die in diesem Falle übliche Redensart).
^^^^ (od. ^j^.^JLAÄ^J) XJ>wJj_jJ = wollen die Sache nicht auf einen
Bruch ankonimenlassen, nicht bis zum äußersten trcil)en.
2^2 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
eine ebensolche Einheit wie das deutsche lieb-tc usw. Wkii. widerruft sich auch ge-
wissermaßen selbst in § 114.
§ 112, Abs. I -J>^Xss>- wird heute gewöhnlich ri/ri ohne i ausgesprochen.
§ 116 Schluß hätte hinzugeftigt werden müssen: und sind dann der Vokalhar-
monie unterworfen.
§ 122, 3. Die Regel ist schlecht gefaßt. Den 13 (14) Verben auf / und r, die
f, i, ii, u im Aoriststamm haben — es sind folgende: / i*^) j, / ä/s,^!^ 'i\4J»)j / »-«J»!
wird in Konstantinopel mit a gesprochen, dialektisch kommt aber auch in Konstantinopel,
sogar bei Mehmed Em in MSOSAs 1910 S. 26, 13 ? vor) — stehen 25 auf / upd r
endigende gegenüber, die a oder <>' haben.
§ 130 Anm. hätte neben q^' auch ^^Joi erwähnt werden können, das zwar
heute in der Umgangssprache nicht mehr gebraucht wird, aber in Urkunden noch hier
und da vorkommt.
§ 161 Anm. Die Behauptung, daß ».jo vom griechischen aeioa komme, hätte
doch mit einem Fragezeichen versehen sein sollen. Ich halte es für ganz unwahrschein-
lich, kann allerdings auch keine Erklärung geVien,
§ 163 Anm. 2 wäre zu erwähnen gewesen, daß neben dem Dativ in nxJ.:-»./«, «J
viLJb auch der Ablativ vorkommt.
§ 170 a. Der Unterschied zwischen dem verneinten Imperativ und dem Infinitiv
auf *>^ besteht auch in der verschiedenen Betonung: >.4./i>jL,^ calisma arbeite nicht
und laltsmd das Arbeiten.
S 178, I g^~KZ> wird hairli \\x\d nicht Jiairlt ausgesprochen, statt />äs7f/iän spricht
man fismati, statt ^^.IäjiAjlj jst natürlich ^JotjJvjLj zu lesen.
§ 179, I ^^^A-_»\ {j:\ ^3^ ^.♦JCjL\i5' X/yJj sagt man nicht, dafür ist J\h ^*>j^J
das Richtige.
§ 183, I und 197, 6c sJ^jj^ — immerfort gilt als sehr familiär.
§ 186, 4 i-i)?ww~yJ wird in Konstantinopel sünä ausgesprochen; .ui/ia gilt .als
dialektisch.
§ 193, e statt \aw.s»j gebraucht man in diesem Falle 0«-?>Lj.
§ 195, Anm. ^'! wird zllä ausgesprochen.
§ ig6, 1. Die Aussprache von -jCiiLi ist käUr oder ktiski, nicht A'äSh'.
§ 197, 2. Die Wiirter auf N^ werden sehr wohl adjektivisch gebraucht, z. H.
^.^>". -iil, JtiC *^^ -J' allerdings immer in bezug auf die Sprache. Es kommt
aber auch <Jli li^J>S -j vor.
§ 197, 12 . c^^ wird gewöhnlich </«/«' gesprochen.
§204, 4 b c-»JjJ c*^'-^J^ statt g-^jJs-Jiy ^.«.jiAii zu sagen, ist in Kon-
stantinopel ungebräuchlich, dagegen ist j^-*-^ ^ ^'Ja^i:^ richtig.
§ 212 Anm. «sW«ä statt üzerinä ist ungebräuchlich.
§ 217, I. In dem Satze ,iA-J>a>-Ci _X>iJb ^ ^^r!-:^ '^^ statt -^ , das vor
kommt, besser liV^ zu sagen.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 263
8 218, I statt j. , «.aaS . J.5 NxijJ^J»! ist das Gebräuchlichere (^.,JJäjiAJ»).
§ 2i8, I Anm. und 229, c (j^-S wird /i^r? ausgesprochen, aber l/^^^s faraza.
§ 225—27 hätte *.-w.J^j! qI^» als höflicher Ausdruck für ^j>^) ^ genannt werden
vönnen.
§ 230, 3 statt gärci wird auch gärce gesprochen.
Konstantinopel. Friedrich Giese.
Islamische Ethik. Nach den Originalqiiellen übersetzt und erläutert von Hans Bauer. Heft II.
Von der Ehe (Das 12. Buch von a 1 - G a z ä li's ' Hauptwerk). Halle a. S., Max Niemeyer,
1917. X u. 120 S. M. 3,60.
Nach kurzer Frist läßt Bauer's dem Der Islam, VHI, 152 ff. besprochenen ersten Heft
seiner »Islamischen Ethik« ein zweites folgen, das das Kapitel »Von der Ehe« aus al-Gazäli's
'////ä 'Uh'im ed-D'in in Übersetzung enthält. Diese Energie, mit der der Verfasser seinen
a. a. 0. mit Freude willkommen geheißenen Plan fortführt, verdient um so mehr Aner-
kennung, als er sich auch durch die Einziehung zum Heeresdienst nicht hemmen ließ. Der
Ausführung lassen si(?h dieselben Vorzüge, vielleicht in noch höherem Maße, nachrühmen,
die schon in der Besprechung des ersten Heftes hervorgehoben sind. Es sei erwähnt, daß
Bauer, S. VHI Anm. i, zu einigen Der Islam, VHI 152, gemachten Bemerkungen aus-
drücklich Stellung nimmt in einer Weise, die auf etwa darin enthaltene Bedenken eine
endgültig befriedigende Antwort gibt: es ist Bauer's eigener Wunsch, das ganze Haupt-
werk al-Gazäll's zu übersetzen, und es sind nur die durchaus begreiflichen äußeren
Schwierigkeiten, die ihn veranlassen, sich vorerst auf eine Auswahl zu beschränken. Es
braucht kaum gesagt zu werden, daß wir sein Unternehmen darum um so dankenswerter
finden.
Bauer hat für dieses zweite Heft ein etwas gefährliches Thema gewählt. Aber wenn
jeder Leser, zumal der den Anschauugen des Islam ferner stehende, bisweilen durch den
Inhalt des Abschnitts peinlich berührt wird, so hat Bauer doch sicher recht, wenn er im
Vorwort den hohen sittlichen Ernst rühmt, mit dem al-Gazäll die Dinge des sexuellen
Lebens behandelt. Gerade, daß Bauer es wagt, dieses heikle Kapitel schon als zweites
Heft seines Unternehmens erscheinen zu lassen, ist vielleicht darum ein glücklicher GrifT,
weil es überzeugend dartut, wie hoch ein Muslim, der selbst diese vom Islam so ganz anders
als von uns beurteilten Dinge so bespricht, ethisch stehen muß.
Zur Ausführung der Arbeit, von der im wesentlichen dasselbe gilt wie von der des
ersten Heftes, sei zunächst eine prinzipielle Bemerkung erlaubt. Ein Vergleich mit meinem
GazälT-Druck Kairo 1326 ließ mir diesmal doch recht zweifelhaft erscheinen, ob wir so
ohne weiteres dem Texte des Murtadä einen Textus receptus gegenüberstellen können,
wie es Bauer tut (vgl. dazu seine Äußerungen in seiner Habilitationsschrift: Die Dogmatik
al-Ghazäll's, S. 5—7)- Mehrfach nämlich stimmt an den Stellen, an denen er die Varianten
des Murtadä-Textes und des Receptus (früher mit J, jetzt mit R bezeichnet) in den
Anmerkungen angibt, der Druck 1326 mit Murtadä gegen Bauer's R überein, so Bauer,
S. 35 Anm. 2; S. 62 Anm. i; S. 102 Anm. i; S. 112 Anm. 3. Weiter verweist derselbe
Druck an den Stellen Bauer, S. 23 Anm. i, mit .^j.^j?=VÄ^j, S. 82 Anm. 3 mit .^^k>^\^^a
und ^^j3L:>V/5 unverkennbar auf den Murtadä-Text gegen Bauer's R. Von andern Ab-
weichungen des Druckes Kairo 1326 seien noch folgende genannt: Bauer, S. 16 Anm. 3,
hat er })y6, wie Bauer emendiert; S. 32 Z. 4 v. u. hat er s.^ Sarah, doch dürfte sirra tat-
sächlich das Richtige sein; S. 57 Anm. 4: J^^tJ J.x;:^=^; in der Tradition S. 59 Z. 28
2Ö4 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
t
steht das passende ^^*-ii »etwas Entstellendes«, wo Bauer's Übersetzung »etwas« ^
voraussetzenlüßt;S. 74 Anm. 3 j;ixXyiii statt(j;s«Äil; S. 79 Anm. 3 hat er, wie BuljärT,
— lA/a ; ebenda Anm. 4 bietet er den von Murtadä erwähnten Zusatz. Finden sich in den
o
Lesarten von Kairo 1326 auch manche Druckfehler, soviel zeigen die angeführten Vari-
anten m. E. doch, daß man mit der Vorstellung eines feststehenden Textus receptus
immerhin recht vorsichtig sein sollte.
Dieser Eindruck wird noch verschärft, wenn, wie zu vermuten, mehrere der im folgen-
den besprochenen Einzelheiten sich aus der Verschiedenheit der Lesart erklären. Ich gebe
hier in demselben Sinne wie Der Islam VIII 153, was mir bei einer bald eingehenderen,
bald flüchtigeren Durchsicht besonders aufgefallen ist.
S. 9 Z. 15 fehlt das ^Jlc »vor mir«, das S. 36 Z. 17/1S in demselben Ausspruch
richtig wiedergegeben ist mit den Worten »ist mir . . . über«.
S. 16 Z. 18 führt Kairo 1326 vor Süra 672 auch schon Süra 5660 an.
S. 17 Z. 27 ff.: «.aJIcL/O i^5>.>i »X.Ä5 iAä£ rt-*-' '^t nicht zu übersetzen: »So braucht
auch derjenige, der einen \'ertrag schließt, nur das zu leisten, was er schuldig ist« usw.,
sondern heißt: »Wer also einen Heiratsvertrag schließt, der hat damit schon geleistet, was
er schuldig ist« . . .
S. 19 Z. I ff. scheint Bauer das hergehörige ^->^>^ in jaüj» '-tV^ •-'•^^ t*)
nicht gelesen zu haben, was heißt: »daß er viel zu heiraten und zu sagen pflegte«.
S. 31 Z. 15 hat Kairo 1326 »zu diesem Hasan« statt »von d. H.« und entsprechend
im folgenden »du bist« statt »er ist«.
S. 32 Z. 3 v. u.: >AVcr meine Sunna bis zur Erschlaffung befolgt« ist mindestens miß-
verständliche Übersetzung des ^_Äx.w» ^J iöJCs u^ot^ CJ^* '*^^'^'' '"^ Nachlassen
(d. h. in der Erholung) sich nach meinem Vorbild richtet.«
S. 58 Z. i: Wenn Murtadä die Lesung i-.^j^ g'bt, so ist das, ob er selbst es merkt
oder nicht, jedenfalls, zumal er es ja ausdrücklich als ein Wadi in Syrien bezeichnet, LTrdunn
(= Jordan) zu vokalisieren, nicht Ardan.
S. 62 Z. 3 V. u.: Li.w.^fti ^5 xXjääs> nicht »sich selbst ... bewahrt«, sondern »ihn
in ihrem Herzen . . . bewahrt«.
S. 63 Z. 6: 1. »heiratete« statt »verheiratete« -.»iJ.
S. 63 Z. 22: 1. »verheiratete . . . seine Tochter an 'Abu Huraira« statt »heiratete . ;
eine Tochter des A. H.« (,•♦'* i01>o ^»'s).
S. 71 Z. 15 u.: Anm. 3: 1. »Quhäfa« statt »Qiifäha».
S. 93: Die Übersetzung ist, zumal Z. 10, für den nicht mit der Sache Vertrauten
kaum durchsichtig, wenn er nicht erfährt, daß die (Janäf'a nicht getilgt wird durch ein
bloßes W'ii^H, sondern nur durch ein vollständiges Gusl. Entsprechend ist Z. 17 »nach
einer sexuellen Verrichtung« nur unvoUkonunene Übersetzung des »_»-«.:>- •>»; d. h.
eben, ehe er eine Vollwaschung gttsl vorgenommen hat.
S. 96 Z. 8: 1. »und« statt »aber noch nicht«.
S. 99 ult./ioo Z. i: Die Worte »jiIjü J^c- C>y:>-J.\ ,«JO (j*-;^ 5^^
haben offenbar weder den von Bauer im Text ausgedrückten, noch den von ihm in der
Anm. I zur Wahl gestellten Sinn, sondern heißen: »hier wird von der Zerstörung der
[bereits vorhandenen] Existenz ein Analogieschluß gezogen auf die Verhinderung der [erst
in der Zukunft zu erwartenden möglichen] Existenz.«
S. 102 Z. 2 v.u.: Zu Umm al-Sibjän vgl. Canaan, Aberglaube und V olksmedisin
im Lande der Bibel (Hamburg 1914), S. 27.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 265
S. III Z. 23 wäre nach Kairo 1326 zu lesen »wenn eine Frau stirbt« statt »wenn
einer Frau ihr Mann stirbt«.
S. 116 Z. iS u. ö. können dadurch Mißverständnisse entstehen, daß '■^Ij!
mit »Pflichten« wiedergegeben wird, während es doch nur das korrekte Verhalten bezeichnet
(vgl. z. B. S. 119 Anm. 4).
Man sieht, diese kleinen Einzelheiten haben womöglich noch weniger Bedeutung als
die Ausstellungen, die wir zürn i. Heft zu machen hatten. Man kann sich also der nütz-
lichen Arbeit um so mehr freuen und möchte nur hoffen, daß der Verfasser sein dankenswertes
Unternehmen ebenso rasch wie bisher möge fortführen können. ^ Hartmann.
El-Belädori's »kitäb fidü// el-hildänd- (Buch der Eroberung der Länder) nach de Goeje's
Edition (Leyden 1866) ins Deutsche übersetzt von 0. Rescher. Lief, i, pag. i — 144.
In Kommission bei 0. Harrassowitz. Leipzig 1917. IV u. 148 S. M. 7,50.
Eine Übersetzung von Belädorl's Futük el-Buldän ist seit lange ein Desideratum
und bleibt das auch nach der Verarbeitung des Stoffes in Caetani's Annali delV- Islam.
Wir begrüßen es daher, daß sie uns nunmehr — und zwar gleich von zwei Seiten — ge-
schenkt wird: denn gleichzeitig mit der vorliegenden Re scher 'sehen ist, wie der Autor im
Vorwort bemerkt, eine englische von Ph. Khüri Hitti unter dem Titel The origins of
the Islaviic State (New York 1916) erschienen, die freilich bei uns zu Lande zunächst noch
kaum zugänglich sein dürfte und auch dem Referenten nicht vorhegt.
Die erste Lieferung von Rescher's Arbeit umfaßt Arabien und den größten Teil
von Syrien. Die Übersetzung, die von großem Fleiß und Eifer zeugt, ist getreu, aber nicht
wörtlich. Vielfach sucht Rescher durch freiere Umschreibung den etwas prägnanten Wort-
laut verständlicher zu machen. Dadurch geht natürlich die knappe Fassung der arabischen
Ausdrucksweise, die Wellhausen oft in so wundervoller Schärfe wiederzugeben verstand,
völlig verloren. Aber wenn man auch vielleicht die Paraphrase bisweilen gar zu langatmig
findet, so ist doch anzuerkennen, daß — zumal für den Nichtfachmann — dadurch manches
leichter verständlich wird. Mitunter mag es freilich vorkommen, daß die Umschreibung dem
Sinn nicht ganz gerecht wird. Wenn z. B. S. 114, 16 ff. zu lesen ist:
»Ferner wird auch berichtet, es sei abü 'Ubaida gewesen, der Ma'äb — und zwar
im Halifat 'Omar's — eingenommen habe, während er selbst Höchstkommandierender
über ganz Syrien war«,
so würde man annehmen, daß diese Tradition einer andern gegenübersteht, die die Ein-
nahme nicht dem 'Abu 'Ubaida, sondern einem andern zuschreibt, während sie im Original
nur besagt, er habe dies unter der Regierung 'Omars, nicht schon, wie andere vorhergehende
angeben, unter 'Abu Bekr getan. Doch sind solche Verschiebungen des Sinnes wohl selten
und nicht zu störend.
Im ganzen kann keine Frage sein, daß Rescher's Arbeit ein Verdienst ist. Ist doch
damit, was er selbst im Vorwort als Zweck der Arbeit angibt, auch dem Nichtarabisten
der Stoff bequem zugänglich gemacht. Hier muß nun freilich gesagt werden, daß ein
nicht sprachkundiger Historiker von einer Übersetzung wirklich nutzbringenden Gebrauch
nur machen kann, wenn sie zugleich kommentiert ist, wie dies Nöldeke in seiner TabarT-
Übersetzung »Geschichte der Perser und^ Araber zur Zeit der Sasanidena in so vorbildlicher
Weise getan hat. Wie sehr eine eingehende Erklärung nötig ist, mag an ein paar Beispielen
gezeigt werden. Es ist ja selbstverständlich, daß die historische Wertung der bei Belädori
vorliegenden Überlieferungen nur unter Vcrgleichung mit dem übrigen Material geschehen
Islam IX. , 1 8
2(56 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
kann. Aber auch ganz abgesehen davon, wird einNichtarabist denTextdes Belädorl selbst
ohne Erklärungen nicht überall hinreichend verstehen können. Er wird z. B. nicht ohne
weiteres merken, daß das Dätin S. iiOio offenbar dasselbe ist wie das S. 11O25 genannte ed-
Däbija. — Ein anderer solcher Punkt ist die Wiedergabe der Namen ••xIa.wJLj und .,J ,"^'i
mit »Palästina« und »Jordanbezirk« (10926 ff. und immer). Der Leser wird da nicht ahnen,
daß beides Namen für ganz fest umschriebene geographische Größen sind, die Verwaltungs-
einheiten gund von Filastln und el-'Urdunn, die im Kern der Palaestina prima und secunda
der byzantinischen Einteilung entsprechen, sich aber keineswegs mit dem decken, was
wir etwa unter Palästina oder Jordanbezirk verstehen würden. Ja, der Übersetzer selbst
scheint sich durch die unbestimmte Übersetzung haben verleiten lassen, wenn er S. 118, 8
,.,J,"b.U (V.=>l»wv mit »Jordanufer«, 11814 »Ufergebiet des Jordan« wiedergibt. Die J^5>Ujw
.,i3j^Si liegen ja natürlich nicht am Jordan, sondern sind die Küstenstädte des gund el-
Urdunn: *Akkä und ."^ür. In andern Fällen übersetzt Rescher ^}>s>\jm ja ganz richtig»
wie z. B. 13O9, wo er Ä..Cii./>>3 Jo>L.as« als »syrische Küstenplätze« wiedergibt. Dimaschk
ist hier wie so oft ja ebenfalls Name des gund, nicht der Stadt. Auch das kommt in der
Übersetzung überhaupt nicht klar zum Ausdruck, daß die Namen Dimaschk, Hims
(Rescher stets Homs: in so alten Texten würde man aber doch wohl besser der von den
Arabern selbst gegebenen Aussprache folgen), Kinnesrln nicht bloß Stadtnamen sind,
sondern ebenso wie Filastin Gund-Namen. Die Beispiele genügen, zu zeigen, wie unent-
behrlich für das Verständnis der Übersetzung Erklärungen sind. Re scher ist sich
dessen natürlich auch bewußt und erklärt das Fehlen durchaus verständlich und hinrei-
chend mit der Schwierigkeit der Zeitverhältnisse. Es ist in der Tat schon erfreulich genug,
daß er in diesen Jahren eine Belädori-Übersetzung besorgen kann. Das Vorgebrachte
soll daher kein Tadel sein, es soll nur dem Wunsch und der Hoffnung Ausdruck verleihen,
daß der Übersetzer die Aufgabe, die er sich gestellt hat, später dadurch zu Ende bringt,
daß er die Erklärung noch folgen läßt.
Im Anschluß sei hier noch eine Reihe von Einzelheiten, auch Richtigstellung sinn-
störender Druckfehler gegeben, auf die Referent bei der Vergleichung gewisser Abschnitte
mit dem Original aufmerksam wurde.
S. 5 Z. 22: 1. 300 statt 360; 1. 200 statt 100.
S. 12 Z. 20: »dort« ist zu streichen.
S. 16 Z. 5: füge nach »'Arib« ein »b. Zaid«.
S. 108 Z. 28: füge vor »Ibn el-Garräh« mit dem Original ein »Abu 'Ubaida«; der
Leser merkt sonst kaum, daß der gleich nachher genannte A. 'U. dieselbe Person ist.
S. 108 Z. 30: A.iJ J-^^. »war der (Haupt) Imäm im Heere« scheint mir insofern
nicht ganz glücklich übersetzt zu sein, als Imäm doch den Anführer schlechthin, auch z. B.
in militärischen Dingen bezeichnen kann.
S. 109, Z. 3: ob das ^U^ mit »seid ihr aber untereinander uneins« richtig aufgelöst
ist, scheint mir sehr zweifelhaft; vielleicht wäre es in solchen Fällen besser, den unbestimmten
Ausdruck beizubehalten, also etwa »andernfalls«.
S. HO Z. 16: ob el-*Araba als »Örtchen« zu bezeichnen ist, ist sehr fraglich; man
wird doch zunächst an den noch heute so genannten Landstrich denken.
S. HO Z. 18: *^s- kann doch kaum »das Gros« heißen; man wird heber mit de
GoEjE im Glossar bei der Bedeutung »Anführer« bleiben.
S. III Z. 21: füge nach »'Omar« ein »b. 'Ali«.
Kleine Mittcilunget) und Anzeigen. ^57
S. 112 Z. 2 V. u.: Die Berge, die sich von Damaskus nordostwärts erstrecken,
rechnen wir doch nicht mehr zum Hermon, keineswegs also das weilcntfernte HuwwärTn.
S. 113 Z. 6 f. V. u.: Besser: »daß. als H. an der Spitze der Muslime nach Bosrä
kam, sich alles gegen dieses (L^ic fem.) versammelte«.
S. 114 Z. 24: hes »sie« statt »ihn«.
S. 115 Z. 16: lies »schon« statt »erst«: die Schlaclit von Mu'ta fand doch a. S statt!
S. 118 Z. 6: füge vor »Sür« ein »'Akkä«.
S. 118 Z. 20 f.: statt »in die Städte des Jordanbezirks sowie nach Sür . . .« lies »in
die Küstenplätze des Gund el-Urdunn: Sür . . .«.
S. 121 Z. 9 : statt »bei Damaskus gefallen« lies besser: »in Damaskus umgekommen«:
er wurde umgebracht.
S. 122 Z. 2: -^j nicht »veränderte sich«, sondern »wurde verdorben«.
S. 125 Z. 16: Besser: »gegen die nichtarabische Bevölkerung von Damaskus Has-
san . . .«; der letztere ist Subjekt.
S. 125 Z. 31 : Die »_^i?iAiS J.pl und » , Ji Xj'] sind nicht »Besitzer von Gold« und
»Besitzer von Silber«im Sinne der erläuternden Anm. zum ersten »Juweliere etc.«, sondern
die Bewohner der Gold- (Dinar), bzw. Silberwährung (Dirhem) habenden Länder.
S. 128 Z. 24: hes »Gubail« statt »Gudail«.
S. 131 Z. 8: genauer: »Hätte ich dich . . . angetroffen, so ständen . . .«.
S. 131 Z. 12: aus dem (J*^>.äJ ist nicht ein nichtbezeugtes »Qubbais« herauszulesen;
es ist vielmehr, wie ich ZDMG. 70, S. 497, Anm. 4 ausgesprochen, mit dem , w,ääJ des
Jäk ü t zusammenzustellen.
S. 132 Z. 9: lies 15 statt 12.
S. 132 Z. 10: besser: »der Monate« als »des Monats«.
S. 132 Z. 16: hes »und« statt »oder«.
^- 137 '^^- 7 V. u.: Gewiß heißt iöjü:,w./8 wörtlich »arabisierte«, aber hier handelt
es sich doch um echt arabische, aber christliche Stämme; richtiger also: »christlicher
Araber«.
S. 137 Z. 4 v. u.: (»jj-'i OJ-J kann man doch hier nicht einfach mit »Europa«
übersetzen; die j»»yi J>^j 7,C(t' £;o/V/ sind doch noch Jahrhunderte lang Kleinasien.
S. 143 Z. 6: lies 58 statt 28.
S. 145 Z. 3: lies 700000 statt 7000.
S- 145 Z. 15: »Unter diesen letzteren«, richtiger: »Unter den Arabern in der Stadt«.
S. 147 Z. 6 V. u.: »als laufender Posten . . ., die Auslagen damit zu bestreiten«,
genauer: »mit dem sie rechnen konnten«.
S. 147 1. Z.: ötOj sind hier ja nicht »Steuernachlässe«, sondern der Begriff wird
gleich nachher (S. 148, Z. 9 ff.) ausführlich erklärt.
Wenn diese losen Bemerkungen zu einzelnen Abschnitten von Re scher 's Arbeit
meist mehr Äußerlichkeiten betreffen, unwesentliche Kleinigkeiten, so hängt das eben
damit zusammen, daß zunächst nur die Übersetzung vorliegt ohne einen Kommentar,
der oft seine sachliche Auffassung erst klarmachen würde. Wir können nur wünschen,
daß der Autor sein sehr nützliches Unternehmen recht bald möge fortsetzen und schließlich
durch Beigabe eingehender Erklärungen zu Ende führen können. „ „
R. liartmannn.
208 Kleine Milteiliingen und Anzeigen.
Philip K hü r 1 H i 1 1 i , Ph. D. : The origin of the islamic State [= Studies in history, economics
and public law edited by the . . . Columbia university vol. LXVIII] beeing a translation fram
the Arabic . . . of the »Kitäb futii/' al-buldän of« . . . al-Balädhuri.
Dank dem Entgegenkommen der Kgl. Hofbibliothek München konnte ich durch die
freundliche Vermittlung Herrn Dr. Gratzl's für die Fortsetzung meiner Belädori- Über-
setzung diese schöne und wichtige Publikation längere Zeit hindurch benutzen und für
große Partien genau mit de Goeje's Textausgabe vergleichen. Es bedurfte keiner langen
Durchsicht, um zu erkennen, daß der Übersetzer recht gewissenhaft gearbeitet hat, was
um so höher anzuschlagen ist, als es einerseits der nach europäischer Art, d. h. exakt wissen-
schaftlich arbeitenden Orientalen auch im 20. Jahrhundert im allgemeinen noch immer
recht wenige sind und Belädori's Text andrerseits durch seine oft etwas abrupte und
unvermittelte Diktion nicht immer vollständig durchsichtig ist. Es soll nun hier nicht
mein Zweck sein, die Übersetzung [sie geht bis Seite 316 des arabischen Textes] im ganzen
zu beurteilen, sondern ich möchte hier nur verschiedene Stellen besprechen, zu denen ich
zu einer abweichenden Auffassung gekommen bin, indem ich noch besonders betonen
möchte, daß einzelne kleine Unrichtigkeiten oder Irrtümer der Verdienstlichkeit der Über-
setzung als solcher durchaus keinen Abbruch tun können und auch den entschieden günsti-
gen Gesamteindruck in keiner Weise beeinträchtigen. Hinzufügen möchte ich noch, daß
meine Bemerkungen vornehmlich den Textabschnitt pag. 144 — 240, der — insalläh! —
die zweite Lieferung meiner eigenen Übersetzung darstellen soll, berücksichtigen. Ich
notiere also:
Seite 8 [Textausgabe] = (englische) Ü(bersetzung) 22 ult. : An xJ.c {»carts«) ist in
einem altarabischen Text gewißlich nicht zu denken; in meiner eigenen Übertragung bereits
durch *«— '-f^ (Bewässerungseimer) ersetzt; 185/9 und 211/11 und 4 unten ist Jal-ib bzw.
2j\Jii (Ü. 289/12 und Ü. 331/4 u. 17 Bikrät bzw. Bukrät) wohl beides unrichtig und ist
dafür wahrscheinlich Bakrät bzw. Bagrat zu lesen. Es handelt sich um dieBagratiden; vgl.
den Artikel von Topdj ian in MSOS Bd. VIII Politische und Kirchengeschichte Armeniens
unter Asot L— 151/6 = Ü. 232/5 u. und Anm. i übersetzt der englische Übersetzer ...^lilUwJI
mit »government*, dagegen 186/6 u. = Ü. 291/14 wieder mit »authorities«, und 21 1/5 =
Ü. 330/10 u. mit »Sultan«, was wohl kaum angängig ist. 186/4 u. / ä>.iL^v,.«Ji ^^i^ *-^ji
= Ü. 291/17 so he set the ?»angonels fehlt L.g-ijJlc; andrerseits hat der Übersetzer dieses Ac
mißverstanden, wie z. B. 55/6 u. ^«-s-va2Js- ^JLt >.äjwÄ_>\/.A! \Joi Jj./^, ^^^*^ = Ü. 85/9 u.
»The profet set a ballista on the fortress« statt »against«; ebenso 184/3 "• w^-^^^J
\>^X£. / ixÄ>wÄ^J! =: Ü. 288/9 u.: »al-*Abbäs ordered that mangonels be set upon the
fort« statt »against«; die Stelle 196/6 u. = 308/8 u. Xj-;0 \As^ d^^^ »onthis wall he also
set a mantelet« dagegen dürfte richtig sein. 196/12 ,w«»^j f _'t^L-->>Ji sc. J NÄ.r^'wU
v3i.x:pJl = Ü. 308/18: »and its height reached the mountain heights« übersetze ich: er
führte sie [die Schutzmauer] bis zu den Kämmen des Gebirges hinauf (wobei über ihre
Höhe gar nichts ausgesagt wird); 197/11 («jJt 3ic[ J] = Ü. 310/4 »invasion of the
Greeks« genauer [er hatte sich ausgezeichnet] im Kampf gegen die Griechen; ebenso
237/1 (»^-^5 Oul*>o = Ü. 379/9: »The Summer cxpeditions of the Greeks« richtiger:
gegen die Griechen; 150/14 cfr. Addenda p'Ü>J! »i X.j.i.>'^-! i?^^ (statt des unpas-
senden t^:pJL) ebenso ist dann natürlich auch 197/15 zu lesen und Ü. 310/14 (ent-
') Von gizja und Vertreibung kann natürHch keine Rede sein.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. ^^q
sprechend Ü. 232/1) )>and«[pay the tax] in »or« zu verbessern. 162/5 11. L\i>j.j ^xXs
= Ü. 251/13 »How didst thou punish«; genauer: Wie sollten bestraft werden (= pass. I);
sonst müßte es Ä:>uj oder Äi=-L.j heißen; 216/7= Ü. 340/3 u. fehlt .».i^j; 224/8 u.
lese ich nach SojütVs »/lusn el-Mu//ddara«, vio ^\,i> ^jL:>- steht, an unserer .Stelle •-/«
cli^j^O:^*^/« •} V^^ f»-^-*'^:^ c' ^"^" ^^^ '"''■ ^^>»-^^^-«*^ identische Ow> paßt hier
kaum und mag aus dem damit graphisch fast identischen «w'L.s* verlesen oder ver-
schrieben sein; demgemäß ist auch die englische Ü. etwas zu modifizieren und zu über-
setzen: Ohne daß zu ihnen ein Steuereintreiber oder Steuermahner gekommen wäre;
187/10 lese ich ,*_j;yi:.>*j. (^mit f.); die U. 292/11 bleibt dieselbe; 187/8 u. 'bi! o^xj! U
^äXJC^P xls *, '■y.^i> Äo ^/o = Ü. 292/14: »What thou hast written, was due to thy
ignominy . . . and base-mindedness«. Übersetze etwa: Wenn du den kürzeren gezogen hast,
so ist Co nur um deiner Niedrigkeit und Kleinlichkeit willen. 195/4 u. . . . .•»'•-*ii»j' -^'»
l^xjyo ,.,! = Ü. 307/11: »A. ordered , . , to wait for nightfall«; genauer ist >.i>v-o = »bei
Nacht überfallen«. 209 paen. ,-)>-^'-J ifcJA.*^-w»L*) ^ Ü. 328/4 u. »surrendered« füge hinzu
»gegen Gewährung des Aman«; 184/11 |»»J^ s_Ä-CiJ ^J^S)- . . iAiL>\j i3iJ ^.i^
»until the Greeks gave way«; genauer: Bis er die Griechen in die Flucht schlug [vgl. zu
^Ju^ 114/3 u., 201/5, 206/4 u. usw.]; 238/11 »-AixS=\J! ^j^i.O ^s = Ü. 381/16 »in
the registers ol-Hadrah« — wozu die Note: »Perhaps al-Khadrä'. See Idrisi etc.«; el-
hadra = die Residenz vgl. auch 68/11; 227/5 u. ^' <>>■**- , c^ ~~ dagegen Ü. 357/8 u.:
»in the year 20«; 238/10 ^Ls = Ü. »al-Mahdi ordered«; das Ganze ist indirekte Rede,
cfr. 238/7 : Sie behaupteten unlängst, sie hätten den Tribut nicht jährlich zu bezahlen
und darauf habe el-Mahdi den Befehl erteilt usw. In der englischen Übersetzung wird
dies nicht mehr recht deutlich. Dieses »Zitat« hört erst bei ^:>-j.j *>J^ auf; 240/10 fehlt
Ü. 383/16 .A^J5 8->>;>)»; 223 paen. s^>Lc = Ü. 351 paen. »by capitulation« richtig:
(eroberte Alexandrien) im Sturm (mit Waffengewalt); 230/1 (nach Addenda) -Ji-UJi »die
Minaretts« (Ü. 361/11) »the boundary marks«; 217/5 /m'>-\» »i t** >— *-=>^a3 = Ü. 342/7
^. — '
»after whom Süq Wardän is named« mag auch richtig sein; zunächst aber ist ^_^>-tAO
»der Herr, Besitzer«; 214/6 (und 218/11) xL-i=\Jl J^>.s> l^ax ^ Jtj ^5» = Ü. 337/6
»that the descendants of the descendants may profit by it«; das letztere ist zu frei; über-
setze etwa: Bis die Kindeskinder (der Muslim.s) ins kriegsdienstfähige Alter gekommen
sind'). 226/2 L^ .»lA*» 5 .oLc. = Ü. 355/13: »Which is treacherous to others and to
which others are treacherous«; letzteres ist natürlich nicht richtig; 240/9 clX*^ 1 ^ Ji\ =
Ü. 383/8 u. »be free from your fright« besser: Beruhigt euch (hes •?», nicht 5:3,); von
Furcht ist im Zusammenhang keine Rede; 189/9 *'>^>>^5 ^ M-^' o^-i*^ = Ü. 295/7 »but
the Greeks led an insurrection« (and destroyed Mar'as); genauer: Die Griechen rückten
während seiner [Merwäns] Empörung ins Feld (und zerstörten Mar'aä); 224/5 ^^^' 224/9
') Zur Erklärung der Tradition vgl. Lisän.
Islam IX. jq
270
Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
und 225/9 = Ü. 352/S u. 14; 354/1. Die erstere Stelle lautet: ..^\ , c-^ '^H-^^-'' . c^
(*^H
^c5 ^^^^J er"
rr^^' O^
)>(a polltax of 13000 dmärs), to be raised
as the price of those of their children whom they desired to seil«. Dazu die Note 2: »Cae-
TANi (IV 533 nota) thinks it must have meant the right to offer to the Moslems their
children as slaves according to a fixed price.« Die dritte Stelle ist bedeutend deutlicher
und bin ich der Ansicht, daß der Sinn aller drei Stellen der ist, daß die Nubier ihre Gizja
nicht in -Geld, sondern in Sklaven (Kindern) zu entrichten hatten, allerdings mit der Frei-
heit, die Auswahl derselben nach eigenem Gutdünken vorzunehmen. Die Auffassung des
englischen Übersetzers an den ersten zwei Stellen halte ich für nicht richtig.
0. Rescher.
Mitteilung der Redaktion.
Mit Abschluß dieses Bandes scheidet Professor Dr. Rudolf Tschudi aus der
Redaktion aus. Einem ehrenvollen Rufe an die Universität Zürich folgend, kehrt er in
sein schweizerisches Heimatland zurück. Professor Tschudi hat vom VI. Band dieser
Zeitschrift ab die Redaktion nahezu allein geführt und den Islam durch alle Fährnisse
des Krieges hindurch mit sicherer Hand gesteuert. Ich sehe ihn mit aufrichtigem Be-
dauern scheiden und danke ihm für seine unermüdliche Mitarbeit. Seine Verdienste
um den Islam sollen ihm unvergessen bleiben. Möge er auch jenseits der Grenze
unserer Zeitschrift ein treuer Freund und Förderer bleiben.
An seine Stelle in der Redaktion tritt sein Nachfolger auf dem Hamburger Lehr-
stuhl, Professor Dr. Hellmut Ritter, der schon seit Jahren den Lesern des Islam als
ständiger Mitarbeiter bekannt ist. Ich heiße ihn herzlich willkommen. Wir wollen die
Zeitschrift im gleichen Geiste wie bisher fortführen und hofifen, nach Eintritt normaler
Verhältnisse auch die Bibliographie wieder aufnehmen zu können.
C, H. B e c k e r.
AUTOREN VERZEICHNIS.
Die kursiven Zahlen bedeuten, daß der betreffende Autor an dieser Stelle als Mitarbeiter
Babinger 24^/.
Bauer 263 ff.
Becker 9J — 99, sjo.
Faik Bey-Sade 100 — 10^.
Giese 234 — 26J.
Goldziher 144 — /jcV.
Hartmann i ijjff'., 184 — 244,
263 ff., 263 ff.
erscheint.
Hess ()<)f.
Horovitz isg — iSj.
Horten 1 1 7 fT.
Jacob 106 — III, 248 ff,,
250 ff., 253 f.
Mordtmann
245ff.
106 — ///,
Neumann 106 — iii.
Rescher / — 97, 120, 265 ff.,
368ff.
Ritter 121— 143, 248ff., 270.
Ruska iibj.
Seybold 112 — 113.
Tschudi 245 ff., 270.
Weil, G. 254—263.
Wellhausen 95 — 99.
Wensinck iig.
DS Der Islam
36
17
Bd.,9
PLEASE DO NOT REMOVE
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